In diesem Jahr begeht die Musikwelt am 22. Mai den 200. Geburtstag Richard Wagners - eines der bedeutendsten, aber auch umstrittensten Komponisten des 19. Jahrhunderts. Es schwankt sein Charakterbild in der Geschichte - je nachdem, ob man in ihm vorzugsweise den Antisemiten sieht oder den genialen Schöpfer einzigartiger Musikdramen. Egon Voss, einer der besten Kenner des Lebens und der Werke Wagners, hat eine fundierte und sehr gut lesbare Biographie seines Protagonisten verfasst, die gleichermaßen dessen kompositorischer Größe wie seinen persönlichen (Un-)Tiefen gerecht wird.
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 07.11.2012Sprüche und Widersprüche in
Richard Wagners Antisemitismus
Er gehört zu den kenntnisreichsten und seriösesten Wagner-Fachleuten überhaupt: Egon Voss, langjähriger Editionsleiter der Richard-Wagner-Gesamtausgabe, hat in autografen Noten, Notizen und Korrespondenzen gewühlt; wie nebenbei verstreut er die interessantesten Details über den genialen Großkomponisten. Dass er dessen Antisemitismus gleich zu Beginn seiner weitreichenden Personen- und Werkbeschreibung thematisiert, zeigt die sachliche Ernsthaftigkeit, mit der Voss der Jahrhundertfigur begegnet. Dabei kassiert er viele Urteile von Wagner-Laienrichtern, die schlecht informiert sind. Wagner war Antisemit, zunächst wohl nicht mehr als im 19. Jahrhundert üblich. Dann aber brandmarkte er sich selbst mit dem Aufsatz „Das Judentum in der Musik“. Gäbe es diesen Text nicht, man würde heute vielleicht mehr darüber reden, was ihn zum Beispiel am Juden Mendelssohn so fasziniert hat, dass er ihn, wie Voss beschreibt, als musikalisch-künstlerische Autorität anerkannte.
Voss zitiert Belege aus Tagebüchern, Konversationen und Briefen, in denen Wagner zum Beispiel über Mendelssohns Hebriden-Ouvertüre urteilt, sie sei „eines der schönsten Musikwerke, die wir besitzen“. Es gibt noch mehr philologische Nachweise, aber Voss hat als Musikwissenschaftler noch weit härtere Beweise zur Hand: Wagner zitiert im „Parsifal“ das sogenannte „Dresdner Amen“ – wie schon im „Liebesverbot“ und im „Tannhäuser“. Nachdem er 1876 Mendelssohns Reformations-Symphonie gehört hatte, verwendet er nun dessen Variante des musikalischen Motivs. Offenbar hielt er sie für die authentischere Version. Natürlich geht Voss auch auf die Opernfiguren ein, die im allgemeinen Diskurs als Juden-Karikaturen gelten, was sie offenbar nicht sind, und auf das Verhältnis zu dem jüdischen Pianisten Karl Tausig. Gerade das muss alle befremden, die Wagner nicht nur als antisemitischen Theoretiker, sondern auch als praktizierenden Rassenhasser und Vorläufer Hitlers sehen. Dies war er aber so wenig wie der große Judenhasser Martin Luther.
HELMUT MAURÓ
Egon Voss:
Richard Wagner
C. H. Beck Verlag, München 2012.
128 Seiten, 8,95 Euro
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Richard Wagners Antisemitismus
Er gehört zu den kenntnisreichsten und seriösesten Wagner-Fachleuten überhaupt: Egon Voss, langjähriger Editionsleiter der Richard-Wagner-Gesamtausgabe, hat in autografen Noten, Notizen und Korrespondenzen gewühlt; wie nebenbei verstreut er die interessantesten Details über den genialen Großkomponisten. Dass er dessen Antisemitismus gleich zu Beginn seiner weitreichenden Personen- und Werkbeschreibung thematisiert, zeigt die sachliche Ernsthaftigkeit, mit der Voss der Jahrhundertfigur begegnet. Dabei kassiert er viele Urteile von Wagner-Laienrichtern, die schlecht informiert sind. Wagner war Antisemit, zunächst wohl nicht mehr als im 19. Jahrhundert üblich. Dann aber brandmarkte er sich selbst mit dem Aufsatz „Das Judentum in der Musik“. Gäbe es diesen Text nicht, man würde heute vielleicht mehr darüber reden, was ihn zum Beispiel am Juden Mendelssohn so fasziniert hat, dass er ihn, wie Voss beschreibt, als musikalisch-künstlerische Autorität anerkannte.
Voss zitiert Belege aus Tagebüchern, Konversationen und Briefen, in denen Wagner zum Beispiel über Mendelssohns Hebriden-Ouvertüre urteilt, sie sei „eines der schönsten Musikwerke, die wir besitzen“. Es gibt noch mehr philologische Nachweise, aber Voss hat als Musikwissenschaftler noch weit härtere Beweise zur Hand: Wagner zitiert im „Parsifal“ das sogenannte „Dresdner Amen“ – wie schon im „Liebesverbot“ und im „Tannhäuser“. Nachdem er 1876 Mendelssohns Reformations-Symphonie gehört hatte, verwendet er nun dessen Variante des musikalischen Motivs. Offenbar hielt er sie für die authentischere Version. Natürlich geht Voss auch auf die Opernfiguren ein, die im allgemeinen Diskurs als Juden-Karikaturen gelten, was sie offenbar nicht sind, und auf das Verhältnis zu dem jüdischen Pianisten Karl Tausig. Gerade das muss alle befremden, die Wagner nicht nur als antisemitischen Theoretiker, sondern auch als praktizierenden Rassenhasser und Vorläufer Hitlers sehen. Dies war er aber so wenig wie der große Judenhasser Martin Luther.
HELMUT MAURÓ
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Richard Wagner
C. H. Beck Verlag, München 2012.
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