Wagner, der Komponist. Wagner, der Kunst- und Musiktheoretiker. Wagner, der politische Revolutionär. Wagner der Dichter, Wagner der Mystiker und Mythologe, Wagner, der Gaukler und Verführer der Deutschen - Wagner scheint alles zu sein. In besonderem Maße - und das arbeitet dieses Buch heraus - ist er - alter ego und Antipode Nietzsches - ein großer Denker, und er ist - cum grano salis - Theologe, ist Schöpfer einer politischen Theologie von kaum zu unterschätzender Wirkmächtigkeit.
Das vorliegende Buch rekonstruiert erstmals insgesamt Wagners Denken anhand seiner umfangreichen theoretischen Schriften und auch seiner dramatischen Werke. Hinter den gewohnten Lesarten, die vor allem Friedrich Nietzsche, Thomas Mann und Theodor W. Adorno entwickelten, wird dabei ein anderer Wagner kenntlich: ein origineller Theoretiker der Hegelschen Linken nach Feuerbachs "Wesen des Christentums" und vor Blochs "Prinzip Hoffnung" - ein Wagner zudem, der den anhaltenden Streit um sein Werk neu herausfordert. Im Mittelpunkt der frühen Werke und Schriften steht die Idee einer Revolution, die im Medium des Bühnenfestspiels eine neue musikdramatische Kunst und ein neues Publikum anvisiert. Diese Revolution zielt auf eine "Erlösung", in der die Kunst das Anliegen der Religion wahrt. Wagners theoretisches Hauptwerk "Oper und Drama" (1851) formuliert die ästhetische Theorie, der er im Ring, im Tristan und in den Meistersingern folgt. Die Spätwerke Götterdämmerung und Parsifal bündeln alle bisherigen ästhetischen Motive Wagners. Ihnen steht eine an Beethoven orientierte Idee der Musik zur Seite, die in den Spätschriften über Religion und Kunst ausdrücklich theologisch entfaltet wird.
Hinweis: Dieser Artikel kann nur an eine deutsche Lieferadresse ausgeliefert werden.
Das vorliegende Buch rekonstruiert erstmals insgesamt Wagners Denken anhand seiner umfangreichen theoretischen Schriften und auch seiner dramatischen Werke. Hinter den gewohnten Lesarten, die vor allem Friedrich Nietzsche, Thomas Mann und Theodor W. Adorno entwickelten, wird dabei ein anderer Wagner kenntlich: ein origineller Theoretiker der Hegelschen Linken nach Feuerbachs "Wesen des Christentums" und vor Blochs "Prinzip Hoffnung" - ein Wagner zudem, der den anhaltenden Streit um sein Werk neu herausfordert. Im Mittelpunkt der frühen Werke und Schriften steht die Idee einer Revolution, die im Medium des Bühnenfestspiels eine neue musikdramatische Kunst und ein neues Publikum anvisiert. Diese Revolution zielt auf eine "Erlösung", in der die Kunst das Anliegen der Religion wahrt. Wagners theoretisches Hauptwerk "Oper und Drama" (1851) formuliert die ästhetische Theorie, der er im Ring, im Tristan und in den Meistersingern folgt. Die Spätwerke Götterdämmerung und Parsifal bündeln alle bisherigen ästhetischen Motive Wagners. Ihnen steht eine an Beethoven orientierte Idee der Musik zur Seite, die in den Spätschriften über Religion und Kunst ausdrücklich theologisch entfaltet wird.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 24.03.2003Es stört eigentlich nur die Musik
Schon der Titel stimmt skeptisch. Richard Wagner, ein Theologe? Er, der in seinen jüngeren Jahren Feuerbach bewunderte, dem Gott als eine "grundverderbliche Illusion" galt, welche negiert werden müsse, wenn der Mensch zu sich selbst finden wolle? Dessen Spätwerk ganz im Zeichen Schopenhauers stand, dem Gott nicht viel mehr als eine Erfindung war, die Gebete ermöglichte? Und gar ein politischer Theologe, ein Verwandter also der katholischen Staatsphilosophen der Gegenrevolution wie de Bonald, de Maistre, Donoso Cortes?
Das kann nicht im Ernst gemeint sein, und ganz so ist es auch in der Tat nicht gemeint. Wagner, so erfährt man (Peter Hofmann: "Richard Wagners politische Theologie". Kunst zwischen Revolution und Religion. Schöningh Verlag, Paderborn 2003. 308 S., Abb., geb., 39, 80 [Euro]), begann als Revolutionär, scheiterte dann zwar, schaffte es aber irgendwie, den revolutionären Impuls in die Kunst hinüberzuretten - in eine Kunst allerdings, die sich wieder stark der Religion annähert, nicht im Sinne der etablierten Kirchen, auch nicht in dem einer elitären Kunstreligion, vielmehr im Sinne einer Reaktualisierung, einer Wieder-Holung der ursprünglichen christlichen Religion, welche ihrerseits immer schon revolutionär gewesen sei. Wagner mag als linkshegelianischer Religionskritiker begonnen und sich dann zu seinem Schaden dem Einfluß Schopenhauers ausgesetzt haben - am Ende, im "Parsifal", läßt er all diese Irrtümer hinter sich, gelangt er, nach seinen Lehr- und Wanderjahren, zu seiner eigentlichen theatralischen Sendung: Retter des Christentums, Platzhalter und Wegbereiter einer wahrhaft christlichen Erlösung zu sein.
An dieser Darstellung stört mindestens zweierlei. Erstens die Selbstverständlichkeit, mit der alles, was bei Wagner ins Religiöse hinüberschlägt (und das ist gewiß nicht wenig), ins Theologische übersetzt wird, als seien Religion und Theologie dasselbe. So ist die Rede vom "latenten theologischen Anliegen von Wagners Ästhetik", die religiöse Intention seiner Kunst wird als politische Theologie vorgestellt und nach dem Vorbild Carl Schmitts eine Säkularisierung theologischer Begriffe postuliert.
Doch was sich mit einigem Recht für die Staatslehre geltend machen läßt, in der der Souverän als verweltlichter Gott fungiert, paßt nicht auf Wagner. Bei ihm gibt es keinen Souverän, schon gar keinen, der über den Ausnahmezustand verfügt. Hier ist die Musik selbst der Ausnahmezustand und in keiner Weise auf das beziehbar, was mit dem christlichen Gottesbegriff verbunden ist. Säkularisierte Religion ja; aber säkularisierte Theologie ist eine schiefe Formel, wie Hofmann im Grunde selbst weiß, überschreibt er doch den ganzen dritten Teil "Soteriologie ohne Theismus".
Störend ist, zweitens, die Starrheit, mit der eine Formel durchgezogen wird, die keine Brüche bei Wagner zuläßt. Richard Wagner ist in Hofmanns Darstellung verurteilt, zeitlebens ein Achtundvierziger zu bleiben, mit der einzigen Ausnahme einer veränderten Stellung zum Christentum. Daß Wagner sich seit Mitte der fünfziger Jahre immer mehr in Schopenhauer vertieft, erscheint aus dieser Perspektive als bedauerliches Selbstmißverständnis; seine Freundschaft mit Nietzsche und Gobineau - beide wahrlich auf der anderen Seite der Barrikade - als Irrtum; seine Bewunderung für Constantin Frantz, sein Werben um Paul de Lagarde, seine zustimmenden Kommentare zur Antisemitenpresse als Unbegreiflichkeiten, die sich ohne Substanzverlust für den Kern einfach wegoperieren lassen. Und auch in Fragen der Ästhetik wird ihm Entwicklung allenfalls im Sinne von Goethes Urworten zugebilligt. Ewiger Schillerianer, hat sich Wagner mit allem, was er später noch aufgenommen hat, immer nur selbst verfehlt.
Tatsächlich aber reicht die Gedankenwelt Schillers, bei allem, was Wagner aus ihr bezogen hat, weder für das Verständnis des Früh- noch für das des Spätwerks aus. Schiller war ein ästhetischer Idealist, der vom Progreß der Gattung überzeugt war und stets auf den Systemgrenzen der Kunst insistierte, auch wenn er die negativen Effekte der Arbeitsteilung und des Nützlichkeitsdenkens beklagte. Richard Wagner dagegen war ein ästhetischer Fundamentalist, der in seinen Zürcher Schriften die Kunst gegen die Welt des Geldes, des Eigentums und des Staats mobilisieren wollte; und der später, nach dem Scheitern dieses Projekts, seine Ablehnung der Gegenwart zur Weltablehnung im Sinne Schopenhauers steigerte - eine Radikalisierung, die sich, wie übrigens schon bei Schopenhauer selbst, erstaunlich gut mit einem Arrangement mit allen Mächten vertrug, die auf irgendeine Weise dazu beitrugen, die einzige Tür offenzuhalten, die aus der Hölle der Welt hinausführte: die Musik und die sie stützenden Institutionen.
Hofmann bügelt das alles weg, da ist es kein Wunder, daß sich sein Wagner wie Schiller liest und sein "Parsifal" an eine Schulaufführung erinnert. Falsch die Regieanweisung Wagners, daß Kundry entseelt zu Boden zu sinken habe; richtig vielmehr, daß Parsifal und Kundry gemeinsam den Gral enthüllen, besser noch, wenn auch die Ritter und Blumenmädchen sich in die Arme fallen. Es stört eigentlich nur noch die Musik von Wagner. Aber sie ließe sich durch den Schlußchor von Beethovens Neunter ersetzen. Oder auch durch "All you need is love".
STEFAN BREUER
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Schon der Titel stimmt skeptisch. Richard Wagner, ein Theologe? Er, der in seinen jüngeren Jahren Feuerbach bewunderte, dem Gott als eine "grundverderbliche Illusion" galt, welche negiert werden müsse, wenn der Mensch zu sich selbst finden wolle? Dessen Spätwerk ganz im Zeichen Schopenhauers stand, dem Gott nicht viel mehr als eine Erfindung war, die Gebete ermöglichte? Und gar ein politischer Theologe, ein Verwandter also der katholischen Staatsphilosophen der Gegenrevolution wie de Bonald, de Maistre, Donoso Cortes?
Das kann nicht im Ernst gemeint sein, und ganz so ist es auch in der Tat nicht gemeint. Wagner, so erfährt man (Peter Hofmann: "Richard Wagners politische Theologie". Kunst zwischen Revolution und Religion. Schöningh Verlag, Paderborn 2003. 308 S., Abb., geb., 39, 80 [Euro]), begann als Revolutionär, scheiterte dann zwar, schaffte es aber irgendwie, den revolutionären Impuls in die Kunst hinüberzuretten - in eine Kunst allerdings, die sich wieder stark der Religion annähert, nicht im Sinne der etablierten Kirchen, auch nicht in dem einer elitären Kunstreligion, vielmehr im Sinne einer Reaktualisierung, einer Wieder-Holung der ursprünglichen christlichen Religion, welche ihrerseits immer schon revolutionär gewesen sei. Wagner mag als linkshegelianischer Religionskritiker begonnen und sich dann zu seinem Schaden dem Einfluß Schopenhauers ausgesetzt haben - am Ende, im "Parsifal", läßt er all diese Irrtümer hinter sich, gelangt er, nach seinen Lehr- und Wanderjahren, zu seiner eigentlichen theatralischen Sendung: Retter des Christentums, Platzhalter und Wegbereiter einer wahrhaft christlichen Erlösung zu sein.
An dieser Darstellung stört mindestens zweierlei. Erstens die Selbstverständlichkeit, mit der alles, was bei Wagner ins Religiöse hinüberschlägt (und das ist gewiß nicht wenig), ins Theologische übersetzt wird, als seien Religion und Theologie dasselbe. So ist die Rede vom "latenten theologischen Anliegen von Wagners Ästhetik", die religiöse Intention seiner Kunst wird als politische Theologie vorgestellt und nach dem Vorbild Carl Schmitts eine Säkularisierung theologischer Begriffe postuliert.
Doch was sich mit einigem Recht für die Staatslehre geltend machen läßt, in der der Souverän als verweltlichter Gott fungiert, paßt nicht auf Wagner. Bei ihm gibt es keinen Souverän, schon gar keinen, der über den Ausnahmezustand verfügt. Hier ist die Musik selbst der Ausnahmezustand und in keiner Weise auf das beziehbar, was mit dem christlichen Gottesbegriff verbunden ist. Säkularisierte Religion ja; aber säkularisierte Theologie ist eine schiefe Formel, wie Hofmann im Grunde selbst weiß, überschreibt er doch den ganzen dritten Teil "Soteriologie ohne Theismus".
Störend ist, zweitens, die Starrheit, mit der eine Formel durchgezogen wird, die keine Brüche bei Wagner zuläßt. Richard Wagner ist in Hofmanns Darstellung verurteilt, zeitlebens ein Achtundvierziger zu bleiben, mit der einzigen Ausnahme einer veränderten Stellung zum Christentum. Daß Wagner sich seit Mitte der fünfziger Jahre immer mehr in Schopenhauer vertieft, erscheint aus dieser Perspektive als bedauerliches Selbstmißverständnis; seine Freundschaft mit Nietzsche und Gobineau - beide wahrlich auf der anderen Seite der Barrikade - als Irrtum; seine Bewunderung für Constantin Frantz, sein Werben um Paul de Lagarde, seine zustimmenden Kommentare zur Antisemitenpresse als Unbegreiflichkeiten, die sich ohne Substanzverlust für den Kern einfach wegoperieren lassen. Und auch in Fragen der Ästhetik wird ihm Entwicklung allenfalls im Sinne von Goethes Urworten zugebilligt. Ewiger Schillerianer, hat sich Wagner mit allem, was er später noch aufgenommen hat, immer nur selbst verfehlt.
Tatsächlich aber reicht die Gedankenwelt Schillers, bei allem, was Wagner aus ihr bezogen hat, weder für das Verständnis des Früh- noch für das des Spätwerks aus. Schiller war ein ästhetischer Idealist, der vom Progreß der Gattung überzeugt war und stets auf den Systemgrenzen der Kunst insistierte, auch wenn er die negativen Effekte der Arbeitsteilung und des Nützlichkeitsdenkens beklagte. Richard Wagner dagegen war ein ästhetischer Fundamentalist, der in seinen Zürcher Schriften die Kunst gegen die Welt des Geldes, des Eigentums und des Staats mobilisieren wollte; und der später, nach dem Scheitern dieses Projekts, seine Ablehnung der Gegenwart zur Weltablehnung im Sinne Schopenhauers steigerte - eine Radikalisierung, die sich, wie übrigens schon bei Schopenhauer selbst, erstaunlich gut mit einem Arrangement mit allen Mächten vertrug, die auf irgendeine Weise dazu beitrugen, die einzige Tür offenzuhalten, die aus der Hölle der Welt hinausführte: die Musik und die sie stützenden Institutionen.
Hofmann bügelt das alles weg, da ist es kein Wunder, daß sich sein Wagner wie Schiller liest und sein "Parsifal" an eine Schulaufführung erinnert. Falsch die Regieanweisung Wagners, daß Kundry entseelt zu Boden zu sinken habe; richtig vielmehr, daß Parsifal und Kundry gemeinsam den Gral enthüllen, besser noch, wenn auch die Ritter und Blumenmädchen sich in die Arme fallen. Es stört eigentlich nur noch die Musik von Wagner. Aber sie ließe sich durch den Schlußchor von Beethovens Neunter ersetzen. Oder auch durch "All you need is love".
STEFAN BREUER
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Unter der Überschrift "Es stört eigentlich nur die Musik" legt Stefan Breuer dar, dass Hofmanns Buch mindestens zwei Schwächen hat, die sich in einem Satz zusammenfassen lassen: Hofmann habe versucht, Wagner in Schemata zu pressen, in die er nicht passt. Zum einen findet Breuer die "Starrheit" störend, mit der Hofmann "eine Formel durchgezogen" habe. Dass Wagner nämlich "zeitlebens ein Achtundvierziger" geblieben sei. Zum anderen stört den Rezensenten "die Selbstverständlichkeit", mit der alles, was bei Wagner "ins Religiöse hinüberschlägt" von Hofmann "ins Theologische übersetzt" wurde, um dann bei Wagner, "nach dem Vorbild Carl Schmitts" eine Säkularisierung theologischer Begriffe postulieren zu können. Weiterhin reiche die Gedankenwelt Schillers, in die Hofmann Wagner zu pressen versuche, weder für ein Verständnis von Wagners Früh- noch von dessen Spätwerk hin. Hofmann, schreibt der verärgerte Breuer, "bügelt das alles weg".
© Perlentaucher Medien GmbH
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