Geri Weibel, Stammgast in der angesagten Schampbar, hat sich nachdem er in so ziemlich alle Fettnäpfchen getreten ist zu einer Art Trendseismograph in Fragen des derzeitigen Lifestyle herangebildet. Von A wie Alkohol, B wie Begrüßungsküsschen, F wie Fitness,
I wie In-Quartier, K wie Kult, P wie Personality, S wie Szenelokal bis W wie Wohnung oder Weihnachtsrummel Geri hat sie alle durchbuchstabiert und sich seine Gedanken dazu gemacht."
I wie In-Quartier, K wie Kult, P wie Personality, S wie Szenelokal bis W wie Wohnung oder Weihnachtsrummel Geri hat sie alle durchbuchstabiert und sich seine Gedanken dazu gemacht."
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 11.08.2001 Buch im Blick
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Doppelbreschnew
MARTIN SUTER: Richtig leben mit Geri Weibel. Diogenes Verlag, Zürich 2001, 116 Seiten, 14,90 Mark.
Der Schweizer Seelenforscher, Alltagssoziologe und frühere Werber Martin Suter wird immer mehr zum Exportschlager kurzweiliger Satirehäppchen aus der Welt der Manager und Möchtegerns in der Schweiz. Dort längst etabliert in den großen Postillen, findet die geballte Ladung an Trendsetterhäme auch in Deutschland immer mehr Anhänger. Der Diogenes Verlag hat die Episoden aus Folio, dem Magazin der Neuen Zürcher Zeitung, jetzt in ein schmales Taschenbuch gepackt.
Während im Vorgängerbuch „Business Class” noch ein gewisser Kappeler als Hauptfigur Einblicke in die Welt der Zweireiher gewährte, erleben wir nun Geri Weibel als Trendseismograph – allerdings einer, der immer wieder haarscharf neben dem Trend liegt. Orte der Handlung sind meist Inbars und Szenetreffs mit wunderbaren Namen wie SchampBar und MuchoGusto. Geri trifft dort täglich seine Clique zum Business Lunch und zum After- Work-Abhängen. Ziel allen Tuns und Redens ist das Aufspüren kommender Trends und Musts. „Geri will wissen, was in ist und was out, und er hasst jede Form von Interpretationsspielraum. Er liebt das Klare und Festumrissene.” Aber wie es so ist mit den Trends, sie zerfließen im selben Augenblick, in dem man sie fest in Händen zu halten scheint. Geri Weibel ist ein ständiges Opfer dieser Diffusion. Zum Beispiel beim frankophilen Begrüßungsküsschen. „Geri wandte den einfachen, später den doppelten, dann den dreifachen Begrüßungskuss an und hätte diese Steigerung ohne weiteres fortgesetzt (war sogar schon versucht gewesen, spontan dem vierfachen eine Bresche zu schlagen), hätte ihn nicht die plötzliche Begrüßungskuss-Liberalisierung aus dem Konzept gebracht.” In der SchampBar herrscht in der Begrüßungsfrage plötzlich die totale Anarchie. „In einer knappen halben Stunde beobachtete Geri: vier klassische Dreifache, zwei Dreifache mit Luftküssen, zwei Doppelte gemischt (Luftküsse/ Kontaktküsse), zwei einfache, abgewandte Lippenspitzer, einen männlich- gleichgeschlechtlichen Doppelbreschnew, fünf (ein Trend?) einfache Streifer mit Händedruck, einen vierhändigen Schultershaker, zwei Haarstruppler (ungeküsst) und einen neunzigsekündigen Full-Contact-Happy-Ender, bei dem er nicht sicher ist, ob er ihn mitzählen soll.”
Geri Weibel will stellvertretend für seine realen Durchblick-Kollegen von Hamburg bis Zürich nicht wahrhaben, dass jeder Trend aus drei Phasen besteht: antizipieren, interpretieren und richtig reagieren. Die hierfür erforderliche Gefühls- und Verstandesbreite ist jedoch nur selten vorhanden. Viele Scouts wirken nur nach außen standfest, im Innern werden sie von Unbehagen, Unsicherheit und der Angst vor dem Fehlurteil zerfressen.
Das gilt auch für Geri Weibels Cliquen-Claqueure. Carl Schnell etwa, eine Autorität in ecological correctness, hat Autorität eingebüßt, „seit er am Flughafenzoll drei Stunden festgehalten wurde, als er mit 800 Gramm zerknüllter Alufolie und 19 leeren Taschenlampenbatterien einreiste, die er aus Entsorgungsnöten von seinen Trekkingferien aus Nepal zurückgeflogen hatte”. Freddy Gut, Robi Meili, Susi Schläfli und die anderen werden ebenfalls als ohnmächtige Büttel des Zeitgeistes enttarnt.
Wir empfehlen diese ungezogenen Sottisen uneingeschränkt all denjenigen, die täglich dafür sorgen, dass sie geschrieben werden müssen. Und die es immer wieder aufs Neue probieren, im Wandel irgendwie Halt zu finden.
Lieber mit Würde in Fettnäpfchen tapsen. Ein Hoch auf Geri Weibel! Peter Felixberger
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.diz-muenchen.de
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MARTIN SUTER: Richtig leben mit Geri Weibel. Diogenes Verlag, Zürich 2001, 116 Seiten, 14,90 Mark.
Der Schweizer Seelenforscher, Alltagssoziologe und frühere Werber Martin Suter wird immer mehr zum Exportschlager kurzweiliger Satirehäppchen aus der Welt der Manager und Möchtegerns in der Schweiz. Dort längst etabliert in den großen Postillen, findet die geballte Ladung an Trendsetterhäme auch in Deutschland immer mehr Anhänger. Der Diogenes Verlag hat die Episoden aus Folio, dem Magazin der Neuen Zürcher Zeitung, jetzt in ein schmales Taschenbuch gepackt.
Während im Vorgängerbuch „Business Class” noch ein gewisser Kappeler als Hauptfigur Einblicke in die Welt der Zweireiher gewährte, erleben wir nun Geri Weibel als Trendseismograph – allerdings einer, der immer wieder haarscharf neben dem Trend liegt. Orte der Handlung sind meist Inbars und Szenetreffs mit wunderbaren Namen wie SchampBar und MuchoGusto. Geri trifft dort täglich seine Clique zum Business Lunch und zum After- Work-Abhängen. Ziel allen Tuns und Redens ist das Aufspüren kommender Trends und Musts. „Geri will wissen, was in ist und was out, und er hasst jede Form von Interpretationsspielraum. Er liebt das Klare und Festumrissene.” Aber wie es so ist mit den Trends, sie zerfließen im selben Augenblick, in dem man sie fest in Händen zu halten scheint. Geri Weibel ist ein ständiges Opfer dieser Diffusion. Zum Beispiel beim frankophilen Begrüßungsküsschen. „Geri wandte den einfachen, später den doppelten, dann den dreifachen Begrüßungskuss an und hätte diese Steigerung ohne weiteres fortgesetzt (war sogar schon versucht gewesen, spontan dem vierfachen eine Bresche zu schlagen), hätte ihn nicht die plötzliche Begrüßungskuss-Liberalisierung aus dem Konzept gebracht.” In der SchampBar herrscht in der Begrüßungsfrage plötzlich die totale Anarchie. „In einer knappen halben Stunde beobachtete Geri: vier klassische Dreifache, zwei Dreifache mit Luftküssen, zwei Doppelte gemischt (Luftküsse/ Kontaktküsse), zwei einfache, abgewandte Lippenspitzer, einen männlich- gleichgeschlechtlichen Doppelbreschnew, fünf (ein Trend?) einfache Streifer mit Händedruck, einen vierhändigen Schultershaker, zwei Haarstruppler (ungeküsst) und einen neunzigsekündigen Full-Contact-Happy-Ender, bei dem er nicht sicher ist, ob er ihn mitzählen soll.”
Geri Weibel will stellvertretend für seine realen Durchblick-Kollegen von Hamburg bis Zürich nicht wahrhaben, dass jeder Trend aus drei Phasen besteht: antizipieren, interpretieren und richtig reagieren. Die hierfür erforderliche Gefühls- und Verstandesbreite ist jedoch nur selten vorhanden. Viele Scouts wirken nur nach außen standfest, im Innern werden sie von Unbehagen, Unsicherheit und der Angst vor dem Fehlurteil zerfressen.
Das gilt auch für Geri Weibels Cliquen-Claqueure. Carl Schnell etwa, eine Autorität in ecological correctness, hat Autorität eingebüßt, „seit er am Flughafenzoll drei Stunden festgehalten wurde, als er mit 800 Gramm zerknüllter Alufolie und 19 leeren Taschenlampenbatterien einreiste, die er aus Entsorgungsnöten von seinen Trekkingferien aus Nepal zurückgeflogen hatte”. Freddy Gut, Robi Meili, Susi Schläfli und die anderen werden ebenfalls als ohnmächtige Büttel des Zeitgeistes enttarnt.
Wir empfehlen diese ungezogenen Sottisen uneingeschränkt all denjenigen, die täglich dafür sorgen, dass sie geschrieben werden müssen. Und die es immer wieder aufs Neue probieren, im Wandel irgendwie Halt zu finden.
Lieber mit Würde in Fettnäpfchen tapsen. Ein Hoch auf Geri Weibel! Peter Felixberger
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 28.01.2002Zwangsjacke, Haute Couture
Luftküsse in der Schampbar: Martin Suters kleine Trendschule
Witzlos sind diese Miniaturen über die Welt der Trendsetter nicht. Artige Satirchen, welche die gestylte Außenseite der Party- und Fun-Generation aufkratzten und ihre Gruppenzwänge freundlich karikierten. Martin Suter hat sich in den Szenetreffs der Cüpligesellschaft auf die Lauer gelegt und offeriert seine Beobachtungen in handlichen Geschichten. Entstanden waren sie ursprünglich für das Magazin NZZ-Folio, jetzt sind sie gesammelt unter dem Titel "Richtig leben mit Geri Weibel" erschienen.
Suters Held Weibel, Stammgast in der Schampbar, entlarvt vorzugsweise die hohlen Rituale der Lifestyle-Gesellschaft. Wie sie sich einredet, die totale Freiheit zu leben und sich doch ständig einem rigiden Gruppenzwang unterwirft. Wie sie ängstlich das Alphabet des richtigen Lebens absolviert und gleichzeitig immer uniformer wird. Wie schnell die Verfallszeit ihrer Moden ist. Mit diesem ironischen Spiel gelingen Martin Suter hübsche Pointen.
Drückte sich zum Beispiel unsere Elterngeneration noch verklemmt die Hand, so ist heute Küssen angesagt. In der Begrüßungsfrage ist offensichtlich eine internationale Deregulierung eingetreten. Allerdings ist Küssen - das leuchtet auf der Stelle ein - nicht immer gleich Küssen; wer auf diesem Terrain nicht ausgleiten will, tut gut daran, sich rechtzeitig über die modischen Verhaltensregeln zu orientieren. Geri Weibel notiert in der Schampbar zwei Doppelte gemischte (Luftküsse/Kontaktküsse), drei Scharaden-Dreifache (zehn Zentimeter Sicherheitsabstand), zwei einfache, abgewandte Lippenspitzer und neu und besonders unter älteren Intellektuellen topaktuell: einen männlich-gleichgeschlechtlichen Doppelbreschnew.
So geht das weiter hin und fort. Martin Suter buchstabiert in seinen Regeln über das "Richtig leben" das Wörterbuch der Trends von der "Begrüßungsfrage" bis zur "Trinkgeldfrage". Es sind winzige soziologische Untersuchungen, die er vorlegt. Man liest sie leichthin, mit schnellem Vergnügen, auch wenn sich manche Exempel mit der Zeit gleichen, die Strategien der Ironisierung etwas allzu durchsichtig werden und die Sprache so alltäglich wirkt wie der Gegenstand, den sie beschreibt - Geschichten eben, die für den schnellen Zeitungskonsum konzipiert sind, in Buchform aber doch etwas leichtgewichtig daherkommen.
PIA REINACHER.
Martin Suter: "Richtig leben mit Geri Weibel". Diogenes Verlag, Zürich 2001. 116 S., br., 7,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Luftküsse in der Schampbar: Martin Suters kleine Trendschule
Witzlos sind diese Miniaturen über die Welt der Trendsetter nicht. Artige Satirchen, welche die gestylte Außenseite der Party- und Fun-Generation aufkratzten und ihre Gruppenzwänge freundlich karikierten. Martin Suter hat sich in den Szenetreffs der Cüpligesellschaft auf die Lauer gelegt und offeriert seine Beobachtungen in handlichen Geschichten. Entstanden waren sie ursprünglich für das Magazin NZZ-Folio, jetzt sind sie gesammelt unter dem Titel "Richtig leben mit Geri Weibel" erschienen.
Suters Held Weibel, Stammgast in der Schampbar, entlarvt vorzugsweise die hohlen Rituale der Lifestyle-Gesellschaft. Wie sie sich einredet, die totale Freiheit zu leben und sich doch ständig einem rigiden Gruppenzwang unterwirft. Wie sie ängstlich das Alphabet des richtigen Lebens absolviert und gleichzeitig immer uniformer wird. Wie schnell die Verfallszeit ihrer Moden ist. Mit diesem ironischen Spiel gelingen Martin Suter hübsche Pointen.
Drückte sich zum Beispiel unsere Elterngeneration noch verklemmt die Hand, so ist heute Küssen angesagt. In der Begrüßungsfrage ist offensichtlich eine internationale Deregulierung eingetreten. Allerdings ist Küssen - das leuchtet auf der Stelle ein - nicht immer gleich Küssen; wer auf diesem Terrain nicht ausgleiten will, tut gut daran, sich rechtzeitig über die modischen Verhaltensregeln zu orientieren. Geri Weibel notiert in der Schampbar zwei Doppelte gemischte (Luftküsse/Kontaktküsse), drei Scharaden-Dreifache (zehn Zentimeter Sicherheitsabstand), zwei einfache, abgewandte Lippenspitzer und neu und besonders unter älteren Intellektuellen topaktuell: einen männlich-gleichgeschlechtlichen Doppelbreschnew.
So geht das weiter hin und fort. Martin Suter buchstabiert in seinen Regeln über das "Richtig leben" das Wörterbuch der Trends von der "Begrüßungsfrage" bis zur "Trinkgeldfrage". Es sind winzige soziologische Untersuchungen, die er vorlegt. Man liest sie leichthin, mit schnellem Vergnügen, auch wenn sich manche Exempel mit der Zeit gleichen, die Strategien der Ironisierung etwas allzu durchsichtig werden und die Sprache so alltäglich wirkt wie der Gegenstand, den sie beschreibt - Geschichten eben, die für den schnellen Zeitungskonsum konzipiert sind, in Buchform aber doch etwas leichtgewichtig daherkommen.
PIA REINACHER.
Martin Suter: "Richtig leben mit Geri Weibel". Diogenes Verlag, Zürich 2001. 116 S., br., 7,90 [Euro].
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»Martin Suter gilt als Meister einer eleganten Feder, die so fein geschliffen ist, dass man die Stiche oft erst hinterher spürt.« Monika Willer / Westfalenpost Westfalenpost