A sweeping exploration of man's relationship with machines, and the inventions and myths that shape our world. As lives offline and online merge even more, it is easy to forget how we got here. Rise of the Machines reclaims the spectacular story of cybernetics, a control theory of manand-machine and one of the twentieth century's pivotal ideas.
Springing from the febrile mind of mathematician Norbert Wiener amid the devastation of World War II, the cybernetic vision underpinned a host of seductive myths of cyborgs, cyberculture, and cyberspace. Wiener's scheme slowly transformed computers from machines of assured destruction to engines of brilliant utopias. Cybernetics, in turn, triggered blissful cults and martial gizmos, The Whole Earth Catalog, and the U.S. Air Force's foray into virtual space. It continues to fuel anarchists and cyberwarriors today. Drawing on unpublished sources including interviews with hippies, anarchists, sleuths, and spies, Rise of the Machines offersan unparalleled perspective into our anxious embrace of technology.
Springing from the febrile mind of mathematician Norbert Wiener amid the devastation of World War II, the cybernetic vision underpinned a host of seductive myths of cyborgs, cyberculture, and cyberspace. Wiener's scheme slowly transformed computers from machines of assured destruction to engines of brilliant utopias. Cybernetics, in turn, triggered blissful cults and martial gizmos, The Whole Earth Catalog, and the U.S. Air Force's foray into virtual space. It continues to fuel anarchists and cyberwarriors today. Drawing on unpublished sources including interviews with hippies, anarchists, sleuths, and spies, Rise of the Machines offersan unparalleled perspective into our anxious embrace of technology.
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 20.06.2016Die Erfindung der Zukunft
Thomas Rids „Kurze Geschichte der Kybernetik“
Cyberkalifat, Cybersex, Cyberkrieg, Cyberattacke, Cyberpunk, Cyber-Abwehrzentrum, die Welt ist ganz und gar vercybert. Der zum Präfix degradierte Begriff ist so alltäglich wie rätselhaft, weil kaum jemand weiß, woher er eigentlich stammt. Und unklar ist auch, wie es so weit eigentlich kommen konnte, dass wir alle in einer Cyberwelt leben. Thomas Rid, Professor am Departement für „War Studies“ (Konfliktforschung) am Londoner King’s College, wollte es genauer wissen. Herausgekommen ist eine über 400 Seiten lange, detaillierte Geschichte. Im Mittelpunkt steht die Kybernetik, die über die englische Verschmelzung Cybernetics eng mit dem „Cyber“-Begriff verbunden ist.
Der Autor hängt die eigenen Ansprüche hoch, weil es nicht anders geht. Rid muss den kybernetischen Bogen äußerst weit spannen: vom Begründer der Kybernetik Norbert Wiener über Timothy Learys Freude daran, bei der ersten Verwendung eines Computers endlich eine Möglichkeit zur Beschreibung des menschlichen Hirns gefunden zu haben – eben die kybernetische Terminologie –, bis hin zu den Cyberkrieg-Fantasien im Militärthinktank „Rand-Corporation“; von den verrückten Vorstellungen des Scientology-Gründers Ron L. Hubbard, der glaubte, dass Menschen – wie Rechenmaschinen – mit korrekten und mit falschen Daten gefüttert werden könnten, bis zu den Cyborgs der russischen und der amerikanischen Streitkräfte.
Und Rid lässt auch die Literatur nicht aus, die Träume und Mythen, die mit dem, was tatsächlich an Technik geschaffen wurde, auf faszinierende Art verbunden sind. Kybernetik ist immer eine Wissenschaft gewesen, bei der die fixen Ideen der Science-Fiction als Vorbilder für eine zu schaffende Realität dienten.
Das Forschungsfeld der Kybernetik istkaum noch zu übersehen. Insofern hat Rid trotz des dicken Wälzers, den er geschrieben hat, mit seinem klassisch tiefstapelnden Titel „Eine kurze Geschichte der Kybernetik“ recht: Es gibt einfach sehr viel zu erzählen. Fraglich bleibt allerdings die Behauptung Rids, „die Geschichtsschreibung der wirkmächtigsten Ideen zur Zukunft der Technik“ werde oft vernachlässigt, da sie nicht „wie Diplomatie und Außenpolitik” in die Archive eingehe. Ist das in Anbetracht von Computer-Museen und auch auf die vor allem im kulturellen Teil der Cyberwelt verbreitete Retro-Orientierung haltbar?
Sei’s drum. Eine so ergiebige, umfassende Darstellung, wie Rid sie abliefert, ist in jedem Fall eine große Bereicherung. Nicht nur für Nerds. In zahlreichen Geschichten kann jeder Leser Vorläufer der Gegenwart entdecken: Vorläufer etwa von Googles autonomem Auto oder der rennenden Roboter von Boston Robotics, deren Bewegungen auf Youtube Hits sind, in der Idee der amerikanischen Streitkräfte aus den 1950ern, einen laufenden Roboter zu schaffen, der seinen Nutzer durch den Dschungel Vietnams tragen sollte. Der Krieg und das Militär gehören als Wegbereiter der Digitaltechnik zu Rids ergiebigsten Themen. Denn die Kybernetik und die gesamte digitale Welt, in der wir heute leben, nahmen ihren Ausgang bei ein paar schrulligen Professoren und aufgeregten Militärs, die bessere Technologien gegen Luftangriffe schaffen wollten.
JOHANNES BOIE
Thomas Rid: Maschinendämmerung. Eine kurze Geschichte der Kybernetik. Aus dem Englischen von Michael Adrian. Propyläen Verlag, Berlin 2016. 425 Seiten, 24 Euro. E-Book 22,99 Euro.
Kybernetik – eine Mischung aus
Natur- und Geisteswissenschaften
Eine Illustration von 1960 aus Life – das Bild hing jahrelang im Büro von Manfred Clynes, jenem Forscher, der auf die Idee des Cyborgs kam.
Foto: Propyläen
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Thomas Rids „Kurze Geschichte der Kybernetik“
Cyberkalifat, Cybersex, Cyberkrieg, Cyberattacke, Cyberpunk, Cyber-Abwehrzentrum, die Welt ist ganz und gar vercybert. Der zum Präfix degradierte Begriff ist so alltäglich wie rätselhaft, weil kaum jemand weiß, woher er eigentlich stammt. Und unklar ist auch, wie es so weit eigentlich kommen konnte, dass wir alle in einer Cyberwelt leben. Thomas Rid, Professor am Departement für „War Studies“ (Konfliktforschung) am Londoner King’s College, wollte es genauer wissen. Herausgekommen ist eine über 400 Seiten lange, detaillierte Geschichte. Im Mittelpunkt steht die Kybernetik, die über die englische Verschmelzung Cybernetics eng mit dem „Cyber“-Begriff verbunden ist.
Der Autor hängt die eigenen Ansprüche hoch, weil es nicht anders geht. Rid muss den kybernetischen Bogen äußerst weit spannen: vom Begründer der Kybernetik Norbert Wiener über Timothy Learys Freude daran, bei der ersten Verwendung eines Computers endlich eine Möglichkeit zur Beschreibung des menschlichen Hirns gefunden zu haben – eben die kybernetische Terminologie –, bis hin zu den Cyberkrieg-Fantasien im Militärthinktank „Rand-Corporation“; von den verrückten Vorstellungen des Scientology-Gründers Ron L. Hubbard, der glaubte, dass Menschen – wie Rechenmaschinen – mit korrekten und mit falschen Daten gefüttert werden könnten, bis zu den Cyborgs der russischen und der amerikanischen Streitkräfte.
Und Rid lässt auch die Literatur nicht aus, die Träume und Mythen, die mit dem, was tatsächlich an Technik geschaffen wurde, auf faszinierende Art verbunden sind. Kybernetik ist immer eine Wissenschaft gewesen, bei der die fixen Ideen der Science-Fiction als Vorbilder für eine zu schaffende Realität dienten.
Das Forschungsfeld der Kybernetik istkaum noch zu übersehen. Insofern hat Rid trotz des dicken Wälzers, den er geschrieben hat, mit seinem klassisch tiefstapelnden Titel „Eine kurze Geschichte der Kybernetik“ recht: Es gibt einfach sehr viel zu erzählen. Fraglich bleibt allerdings die Behauptung Rids, „die Geschichtsschreibung der wirkmächtigsten Ideen zur Zukunft der Technik“ werde oft vernachlässigt, da sie nicht „wie Diplomatie und Außenpolitik” in die Archive eingehe. Ist das in Anbetracht von Computer-Museen und auch auf die vor allem im kulturellen Teil der Cyberwelt verbreitete Retro-Orientierung haltbar?
Sei’s drum. Eine so ergiebige, umfassende Darstellung, wie Rid sie abliefert, ist in jedem Fall eine große Bereicherung. Nicht nur für Nerds. In zahlreichen Geschichten kann jeder Leser Vorläufer der Gegenwart entdecken: Vorläufer etwa von Googles autonomem Auto oder der rennenden Roboter von Boston Robotics, deren Bewegungen auf Youtube Hits sind, in der Idee der amerikanischen Streitkräfte aus den 1950ern, einen laufenden Roboter zu schaffen, der seinen Nutzer durch den Dschungel Vietnams tragen sollte. Der Krieg und das Militär gehören als Wegbereiter der Digitaltechnik zu Rids ergiebigsten Themen. Denn die Kybernetik und die gesamte digitale Welt, in der wir heute leben, nahmen ihren Ausgang bei ein paar schrulligen Professoren und aufgeregten Militärs, die bessere Technologien gegen Luftangriffe schaffen wollten.
JOHANNES BOIE
Thomas Rid: Maschinendämmerung. Eine kurze Geschichte der Kybernetik. Aus dem Englischen von Michael Adrian. Propyläen Verlag, Berlin 2016. 425 Seiten, 24 Euro. E-Book 22,99 Euro.
Kybernetik – eine Mischung aus
Natur- und Geisteswissenschaften
Eine Illustration von 1960 aus Life – das Bild hing jahrelang im Büro von Manfred Clynes, jenem Forscher, der auf die Idee des Cyborgs kam.
Foto: Propyläen
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 22.06.2016Fragen, die Maschinen nicht beantworten werden
Mit welchen Mythen hat das Silicon Valley seine Milliarden verdient? Thomas Rids an sich lesenswerte Geschichte der Kybernetik lässt einige wichtige Entwicklungen unter den Tisch fallen.
Norbert Wiener wusste auch nicht so recht, wie es mit der Kybernetik weitergehen würde. Die neue Wissenschaft befasste sich mit den Mechanismen von Steuerung und Kommunikation in Lebewesen und in Maschinen. Doch ob diese Maschinen, die um 1950 noch nicht selbstverständlich als Computer, sondern auch als "mechanical brain" bezeichnet wurden, die Menschheit ruinieren oder ihr zu Diensten sein würden, war für Wiener eine offene Frage, der er sich für den Rest seines Lebens widmen sollte. Vor allem ist er sich darüber im Klaren gewesen, dass das von ihm selbst formulierte und schnell verbreitete universalistische Versprechen der Kybernetik, eine neue Einheitswissenschaft zu begründen, die Mensch, Wissenschaft und Gesellschaft für die Anforderungen des anbrechenden Computerzeitalters präparieren sollte, stets Gefahr lief, Mythen zu produzieren. Diese Mythen erweckten entweder falsche Hoffnungen auf eine friedliche, gerechte Welt, oder sie schürten Ängste bezüglich einer unkontrollierten Autonomisierung lernender Maschinen, die den Menschen irgendwann in die zweite Reihe setzen.
In der Nachkriegszeit erlebte die Kybernetik einen phänomenalen Aufstieg, um dann in den siebziger Jahren unter der Last ihrer wissenschaftlichen Ansprüche in sich zusammenzubrechen und als akademische Disziplin von der Landkarte zu verschwinden. Aber die Mythen blieben. An diesem Punkt setzt das Buch von Thomas Rid an. Er versteht die Geschichte der Kybernetik als permanentes Wechselspiel, bei dem auf der einen Seite Militärs und Geheimdienste die zerstörerischen Möglichkeiten der Maschinen für ihre Zwecke erforschen, auf der anderen Seite philanthropische Querdenker und Anarchisten das libertäre Potential des Cyber zu heben versuchen.
Schon Friedrich Kittler hatte seinerzeit das Lieblingskind der Gegenkultur - die Rockmusik - als Missbrauch von Heeresgerät bezeichnet. Rid scheint eher der Ansicht zu sein, dass Cyberphantasien Missbrauch von gescheiterten Militärprojekten sind.
Ein Beispiel dafür ist die Geschichte des sogenannten Cyborg. 1960 von Manfred Clynes und Nathan Kline als eine Verschmelzung von Mensch und Maschine konzipiert, die den Körper an die Extrembedingungen im Weltraum adaptieren sollte, machte sich alsbald die Militärforschung daran, einen Kriegs-Cyborg zu bauen, der den gewöhnlichen Soldaten an zerstörerischer Kraft um ein Vielfaches übertrumpfen sollte. Es entstand ein über drei Meter großes Monstrum mit über einer Tonne Gewicht, das über Stock und Stein wanderte, ohne umzufallen, und 600 Kilogramm schwere Steine wie einen Fußball wegkicken konnte. Das Problem war nur, dass das Teil ungeheuer viel Hydraulikflüssigkeit schluckte und auch der Mensch, der im Gehäuse der Maschine sich mit dieser fortbewegte, nach ungefähr fünfzehn Minuten vor Erschöpfung pausieren musste.
So ließ sich der Vietnam-Krieg auch nicht gewinnen, und um 1970 war der Cyborg als wissenschaftliche Idee gestorben. Stattdessen reüssierte er nicht nur in Science-Fiction-Filmen, sondern wurde auch zum Hoffnungsträger postmoderner Theorien, die damit die biologische Festlegung des Geschlechts oder auch die Bevorzugung der menschlichen Spezies vor anderen natürlichen oder künstlichen Kreaturen neutralisieren wollten.
Zu diesem Zeitpunkt hatte die Kybernetik längst ihre Reise von der militärisch-technologischen Kälte der Ostküste in die mit Marihuana angereicherte Wärme der Westküste angetreten. Diese Veränderung ließ sich auch theoretisch festmachen. Das Vorbild der kalifornischen Subkultur war nicht mehr Norbert Wiener, der das Schreckgespenst einer ganzheitlichen Sichtweise mit dem Warnschild versah, dass "das Ganze" der Wissenschaft prinzipiell nicht zu Gebote stehe. Stattdessen las man den Anthropologen Gregory Bateson, ebenfalls ein Kybernetiker der ersten Stunde, der in seinem Systemansatz so weit ging, die Grenzen zwischen Individuum und Umwelt aufzuheben.
Das ließ sich in drogenseliger Lesart auch als Entgrenzung und Verschmelzung verstehen, die den halluzinatorischen Erlebnissen beim LSD-Trip entsprach. Schon vor einigen Jahren haben der Dokumentarfilmer Lutz Dammbeck und unabhängig davon der Wissenschaftshistoriker Fred Turner die direkte Linie von der Counterculture zur Cyberculture dargestellt. Rid macht sich diese Sichtweise zu eigen. Seine Geschichte des Cyberspace setzt wiederum mit eher desillusionierenden Militärforschungen ein, bevor er sich den Hippies zuwendet. Für Stewart Brand, den Herausgeber des "Whole Earth Catalog", stellte das Abtauchen in die virtuellen Welten der Computerspiele eine Art Wiederholung der halluzinogenen Reisen dar.
Rids Darstellung gerät hier zu einer Lifestyle-Geschichte amerikanischer Cyberhippies, denen es auf der ersten Zündstufe darum ging, ein so magisch aufgeladenes Instrument wie den Computer aus den Klauen militärischer Anwendungen herauszuholen. Auf der zweiten Zündstufe ging es dann um den psychedelischen Kick bei der Reise durch den Cyberspace, der sich die Überschreitung der von Konventionen, Engstirnigkeit und Hemmungen geplagten individuellen Persönlichkeit zum Ziel setzte: das verpickelte Menschlein des Alltagslebens wurde zum heroischen Punk, der aus den Tiefen des Netzes kommt.
Diese Geschichte wird kenntnisreich und plausibel erzählt, aber leider verlässt sich Rid etwas zu sehr auf deren Faszinationspotential. Nicht dass man hier eine Analyse erwartet hätte, die sich analog zu Klaus Theweleit die - ganz anders gearteten - Männerphantasien der kalifornischen Technofreaks im Fin de Siècle vornimmt. Das kann noch warten, aber es ist schade, dass Rid sich vor allem auf Militär und anarchistischen Lifestyle kapriziert und dabei jenen Bereich kaum streift, der doch im Hinblick auf die digitale Welt als so zentral erscheint: die Ökonomie.
Wenn er beispielsweise erwähnt, dass Jaron Laniers mit so vielen Hoffnungen verbundene Start-up-Firma bereits 1990 Konkurs anmelden musste, begründet Rid das damit, dass der Hype der virtuellen Realität völlig überzogen war. Das mag so sein, aber dann wüsste man gern etwas genauer, mit welchen Mythen das Silicon Valley eigentlich seine Milliarden verdient hat. Und so lesenswert Rids minutiöse Rekonstruktion des ersten großen russischen Cyberangriffs auf die Vereinigten Staaten auch ist, so erstaunlich ist es, dass die geheimdienstlichen Aktivitäten der Vereinigten Staaten kaum erwähnt werden und Edward Snowden nicht einmal im Personenregister vorkommt.
"Eine kurze Geschichte der Kybernetik" heißt dieses Buch im Untertitel. Es ist kurzweilig, aber nicht kurz, und eine Geschichte der Kybernetik ist es nur zum Teil. Dabei fällt weniger ins Gewicht, dass es erbarmungslos auf die Vereinigten Staaten fokussiert ist. Die zahlreichen und sehr unterschiedlichen Geschichten der Kybernetik etwa in der Sowjetunion, in Chile, Großbritannien und Frankreich oder in den beiden deutschen Staaten haben da keinen Platz. Gravierender ist die wissenschaftshistorische Leerstelle dieser Darstellung: Nach 1948 hat die Kybernetik Disziplinen wie Molekularbiologie und Hirnforschung, Linguistik und überhaupt die Humanwissenschaften in erheblicher Weise umgeformt.
Diese Aspekte sind bereits gut untersucht und müssen nicht im Detail wiederholt werden, aber indem sie in diesem Buch ganz unter den Tisch fallen, erhält die Kybernetik zu sehr Schlagseite hin zu vergeblicher Militärforschung, Mythos und utopischen Erlösungsphantasien. Natürlich gehört all das zur Geschichte der Kybernetik hinzu, aber wenn das alles wäre, würde es sich kaum lohnen, sich weiterhin so gründlich mit ihr auseinanderzusetzen.
Was schließlich die jüngere Geschichte seit den neunziger Jahren betrifft, so ist es fraglich, ob sich digitale Praxis und mythische Überhöhung überhaupt so klar voneinander trennen lassen. Denn wenn sich diese kleinen oder größeren Überschüsse in Gestalt von Algorithmen inzwischen in die Geräte implementieren lassen, verschmelzen nicht Mensch und Maschine, sondern Mythos und Maschine zu einem undurchsichtigen Konglomerat, das uns die Leviten liest, ohne dass wir es bemerken. Wieners Frage, ob die intelligenten Machinen und nützen oder schaden, bleibt also offen. Sicher ist nur, dass sie uns zur Beantwortung aufgegeben ist, nicht den Maschinen.
MICHAEL HAGNER
Thomas Rid: "Maschinendämmerung". Eine kurze Geschichte der Kybernetik.
Aus dem Englischen von Michael Adrian. Propyläen Verlag, Berlin 2016. 496 S., geb., 24,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Mit welchen Mythen hat das Silicon Valley seine Milliarden verdient? Thomas Rids an sich lesenswerte Geschichte der Kybernetik lässt einige wichtige Entwicklungen unter den Tisch fallen.
Norbert Wiener wusste auch nicht so recht, wie es mit der Kybernetik weitergehen würde. Die neue Wissenschaft befasste sich mit den Mechanismen von Steuerung und Kommunikation in Lebewesen und in Maschinen. Doch ob diese Maschinen, die um 1950 noch nicht selbstverständlich als Computer, sondern auch als "mechanical brain" bezeichnet wurden, die Menschheit ruinieren oder ihr zu Diensten sein würden, war für Wiener eine offene Frage, der er sich für den Rest seines Lebens widmen sollte. Vor allem ist er sich darüber im Klaren gewesen, dass das von ihm selbst formulierte und schnell verbreitete universalistische Versprechen der Kybernetik, eine neue Einheitswissenschaft zu begründen, die Mensch, Wissenschaft und Gesellschaft für die Anforderungen des anbrechenden Computerzeitalters präparieren sollte, stets Gefahr lief, Mythen zu produzieren. Diese Mythen erweckten entweder falsche Hoffnungen auf eine friedliche, gerechte Welt, oder sie schürten Ängste bezüglich einer unkontrollierten Autonomisierung lernender Maschinen, die den Menschen irgendwann in die zweite Reihe setzen.
In der Nachkriegszeit erlebte die Kybernetik einen phänomenalen Aufstieg, um dann in den siebziger Jahren unter der Last ihrer wissenschaftlichen Ansprüche in sich zusammenzubrechen und als akademische Disziplin von der Landkarte zu verschwinden. Aber die Mythen blieben. An diesem Punkt setzt das Buch von Thomas Rid an. Er versteht die Geschichte der Kybernetik als permanentes Wechselspiel, bei dem auf der einen Seite Militärs und Geheimdienste die zerstörerischen Möglichkeiten der Maschinen für ihre Zwecke erforschen, auf der anderen Seite philanthropische Querdenker und Anarchisten das libertäre Potential des Cyber zu heben versuchen.
Schon Friedrich Kittler hatte seinerzeit das Lieblingskind der Gegenkultur - die Rockmusik - als Missbrauch von Heeresgerät bezeichnet. Rid scheint eher der Ansicht zu sein, dass Cyberphantasien Missbrauch von gescheiterten Militärprojekten sind.
Ein Beispiel dafür ist die Geschichte des sogenannten Cyborg. 1960 von Manfred Clynes und Nathan Kline als eine Verschmelzung von Mensch und Maschine konzipiert, die den Körper an die Extrembedingungen im Weltraum adaptieren sollte, machte sich alsbald die Militärforschung daran, einen Kriegs-Cyborg zu bauen, der den gewöhnlichen Soldaten an zerstörerischer Kraft um ein Vielfaches übertrumpfen sollte. Es entstand ein über drei Meter großes Monstrum mit über einer Tonne Gewicht, das über Stock und Stein wanderte, ohne umzufallen, und 600 Kilogramm schwere Steine wie einen Fußball wegkicken konnte. Das Problem war nur, dass das Teil ungeheuer viel Hydraulikflüssigkeit schluckte und auch der Mensch, der im Gehäuse der Maschine sich mit dieser fortbewegte, nach ungefähr fünfzehn Minuten vor Erschöpfung pausieren musste.
So ließ sich der Vietnam-Krieg auch nicht gewinnen, und um 1970 war der Cyborg als wissenschaftliche Idee gestorben. Stattdessen reüssierte er nicht nur in Science-Fiction-Filmen, sondern wurde auch zum Hoffnungsträger postmoderner Theorien, die damit die biologische Festlegung des Geschlechts oder auch die Bevorzugung der menschlichen Spezies vor anderen natürlichen oder künstlichen Kreaturen neutralisieren wollten.
Zu diesem Zeitpunkt hatte die Kybernetik längst ihre Reise von der militärisch-technologischen Kälte der Ostküste in die mit Marihuana angereicherte Wärme der Westküste angetreten. Diese Veränderung ließ sich auch theoretisch festmachen. Das Vorbild der kalifornischen Subkultur war nicht mehr Norbert Wiener, der das Schreckgespenst einer ganzheitlichen Sichtweise mit dem Warnschild versah, dass "das Ganze" der Wissenschaft prinzipiell nicht zu Gebote stehe. Stattdessen las man den Anthropologen Gregory Bateson, ebenfalls ein Kybernetiker der ersten Stunde, der in seinem Systemansatz so weit ging, die Grenzen zwischen Individuum und Umwelt aufzuheben.
Das ließ sich in drogenseliger Lesart auch als Entgrenzung und Verschmelzung verstehen, die den halluzinatorischen Erlebnissen beim LSD-Trip entsprach. Schon vor einigen Jahren haben der Dokumentarfilmer Lutz Dammbeck und unabhängig davon der Wissenschaftshistoriker Fred Turner die direkte Linie von der Counterculture zur Cyberculture dargestellt. Rid macht sich diese Sichtweise zu eigen. Seine Geschichte des Cyberspace setzt wiederum mit eher desillusionierenden Militärforschungen ein, bevor er sich den Hippies zuwendet. Für Stewart Brand, den Herausgeber des "Whole Earth Catalog", stellte das Abtauchen in die virtuellen Welten der Computerspiele eine Art Wiederholung der halluzinogenen Reisen dar.
Rids Darstellung gerät hier zu einer Lifestyle-Geschichte amerikanischer Cyberhippies, denen es auf der ersten Zündstufe darum ging, ein so magisch aufgeladenes Instrument wie den Computer aus den Klauen militärischer Anwendungen herauszuholen. Auf der zweiten Zündstufe ging es dann um den psychedelischen Kick bei der Reise durch den Cyberspace, der sich die Überschreitung der von Konventionen, Engstirnigkeit und Hemmungen geplagten individuellen Persönlichkeit zum Ziel setzte: das verpickelte Menschlein des Alltagslebens wurde zum heroischen Punk, der aus den Tiefen des Netzes kommt.
Diese Geschichte wird kenntnisreich und plausibel erzählt, aber leider verlässt sich Rid etwas zu sehr auf deren Faszinationspotential. Nicht dass man hier eine Analyse erwartet hätte, die sich analog zu Klaus Theweleit die - ganz anders gearteten - Männerphantasien der kalifornischen Technofreaks im Fin de Siècle vornimmt. Das kann noch warten, aber es ist schade, dass Rid sich vor allem auf Militär und anarchistischen Lifestyle kapriziert und dabei jenen Bereich kaum streift, der doch im Hinblick auf die digitale Welt als so zentral erscheint: die Ökonomie.
Wenn er beispielsweise erwähnt, dass Jaron Laniers mit so vielen Hoffnungen verbundene Start-up-Firma bereits 1990 Konkurs anmelden musste, begründet Rid das damit, dass der Hype der virtuellen Realität völlig überzogen war. Das mag so sein, aber dann wüsste man gern etwas genauer, mit welchen Mythen das Silicon Valley eigentlich seine Milliarden verdient hat. Und so lesenswert Rids minutiöse Rekonstruktion des ersten großen russischen Cyberangriffs auf die Vereinigten Staaten auch ist, so erstaunlich ist es, dass die geheimdienstlichen Aktivitäten der Vereinigten Staaten kaum erwähnt werden und Edward Snowden nicht einmal im Personenregister vorkommt.
"Eine kurze Geschichte der Kybernetik" heißt dieses Buch im Untertitel. Es ist kurzweilig, aber nicht kurz, und eine Geschichte der Kybernetik ist es nur zum Teil. Dabei fällt weniger ins Gewicht, dass es erbarmungslos auf die Vereinigten Staaten fokussiert ist. Die zahlreichen und sehr unterschiedlichen Geschichten der Kybernetik etwa in der Sowjetunion, in Chile, Großbritannien und Frankreich oder in den beiden deutschen Staaten haben da keinen Platz. Gravierender ist die wissenschaftshistorische Leerstelle dieser Darstellung: Nach 1948 hat die Kybernetik Disziplinen wie Molekularbiologie und Hirnforschung, Linguistik und überhaupt die Humanwissenschaften in erheblicher Weise umgeformt.
Diese Aspekte sind bereits gut untersucht und müssen nicht im Detail wiederholt werden, aber indem sie in diesem Buch ganz unter den Tisch fallen, erhält die Kybernetik zu sehr Schlagseite hin zu vergeblicher Militärforschung, Mythos und utopischen Erlösungsphantasien. Natürlich gehört all das zur Geschichte der Kybernetik hinzu, aber wenn das alles wäre, würde es sich kaum lohnen, sich weiterhin so gründlich mit ihr auseinanderzusetzen.
Was schließlich die jüngere Geschichte seit den neunziger Jahren betrifft, so ist es fraglich, ob sich digitale Praxis und mythische Überhöhung überhaupt so klar voneinander trennen lassen. Denn wenn sich diese kleinen oder größeren Überschüsse in Gestalt von Algorithmen inzwischen in die Geräte implementieren lassen, verschmelzen nicht Mensch und Maschine, sondern Mythos und Maschine zu einem undurchsichtigen Konglomerat, das uns die Leviten liest, ohne dass wir es bemerken. Wieners Frage, ob die intelligenten Machinen und nützen oder schaden, bleibt also offen. Sicher ist nur, dass sie uns zur Beantwortung aufgegeben ist, nicht den Maschinen.
MICHAEL HAGNER
Thomas Rid: "Maschinendämmerung". Eine kurze Geschichte der Kybernetik.
Aus dem Englischen von Michael Adrian. Propyläen Verlag, Berlin 2016. 496 S., geb., 24,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main