Juristen in Deutschland - eine Polemik, fundiert und brillant. Prädikatsjuristen werden Richter und Staatsanwälte, der Rest Anwalt. Sind unsere Juristen geldgierige Haie oder ehrenwerte "Organe der Rechtspflege"? Wie steht es wirklich um den Berufsstand der Rechtsanwälte in Deutschland? Uwe Wesel nimmt die Anwaltschaft kritisch unter die Lupe - ihre Schwächen und Stärken, Ausbildung, Berufsalltag und Risiken.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 03.04.2001Wo ein Unwille ist, ist auch ein Rechtsweg
Das Hü und Hott der Paragraphenreiter: Uwe Wesel zu Risiken und Nebenwirkungen des Anwaltsberufs
Ein Essay, ein Sachbuch, eine "fundierte und brillant geschriebene Polemik", wie der Verlag meint? Von allem etwas, aber Polemik am wenigsten. Wer Uwe Wesel kennt, wird nicht überrascht sein, einen bunten Strauß von Blumen zu finden, biedere Kornblumen, einige Sonnenblumen, Sumpfblüten und ein paar Veilchen im Moose, jedenfalls keinen langweiligen Ratgeber, etwa "Wie werde ich ein erfolgreicher Rechtsanwalt?" oder eine Klientenfibel "Wie schütze ich mich vor dem Risiko Rechtsanwalt?". Vielmehr bietet Wesel die für ihn typische Mischung von nacherzählten Fällen, guter Recherche, Erfahrungen als Hochschullehrer und Faktenwissen des Rechtshistorikers. Wie er dies aufbereitet, ist seine Sache und seine Tonlage. Wesel informiert, aber er verkürzt auch, er erheitert den Leser und klärt ihn auf im besten Sinne, aber mancher Leser wird wohl wegen des Stakkato-Stils, des fehlenden roten Fadens und der allzu bündigen Erklärungen am Ende etwas genervt sein.
Eine wohlhabende und risikoscheue Gesellschaft, die sich gerne "Risikogesellschaft" nennen läßt, wird über das "Risiko Rechtsanwalt" nicht sonderlich erschrecken. Für die Anwälte gibt es eine Haftpflicht-, für die Klienten die Rechtsschutzversicherung. So bleibt der unversicherte Rest überschaubar. Aber immerhin: Wer Jura studiert und Anwalt werden will, geht gewisse Risiken ein. Bis der Hürdenlauf von der ersten Vorlesung über zwei Staatsexamen bis zur eigenen Kanzlei beendet ist, vergeht ein knappes Dutzend solch gefährlicher Jahre. Das Berufsleben birgt dann weitere Risiken, nicht anders als beim Dachdecker oder bei der Hebamme. Umgekehrt ist der Weg des Rechtsuchenden zum Anwalt und zum Gericht von Risiken gesäumt. Der anwaltliche Rat kann untauglich, irreführend oder direkt schädlich sein. Das alles erfahren wir nun schrittweise.
Wesel setzt mit zwei klassenspezifischen und vorurteilbesetzten Geschichten ein: Caroline, evangelisch-liberal, Anwaltstochter, der alles gelingt, wird Anwältin in einer Großkanzlei, während Steffi aus dem Sauerland, aus katholisch-engerem Milieu, es nur mit "ausreichend" schafft und sich dann als Anwältin durchwurstelt. Nächstes Bild: Ein Fall von widerrechtlicher Verwendung von Fotos, bei denen die Mandanten draufzahlen; hier waren die Anwälte das Risiko. Später folgen noch andere Geschichten, darunter ein langwieriger erbrechtlicher Fall von 1754, dessen Relevanz im Zusammenhang dieses Buchs Wesels Geheimnis bleibt.
In anderen Passagen schildert Wesel die allgemeineren Strukturen. Deutsche Anwälte sollen unabhängige Organe der Rechtspflege sein. Sie agieren in einem personell und institutionell vergleichsweise dicht geknüpften Netzwerk "Recht". Es gibt überdurchschnittlich viele Richter hierzulande, viele (zum Teil nur nominelle) Anwälte, aber auch viele Rechtsschutzversicherungen und einen gewissen gesellschaftlichen Habitus des Rechthabens und Rechtbehaltenwollens. Hier wirken die Anwälte zunächst an der Basis als Übersetzer, sie transformieren Alltagskonflikte in Rechtsfragen. Das sind Dienstleistungen, die bezahlt werden müssen, und schon deshalb sind Interessen im Spiel. Der Anwalt wird also am besten in der Richtung beraten, daß nicht nur sein Mandant, sondern auch er selbst auf seine Kosten kommt. Das führt auf die Themen der Juristenausbildung sowie der Anwaltschwemme. Wir erfahren von der Informationsflut und der zunehmenden Spezialisierung, was vom Fachanwalt und was vom Doktortitel zu halten ist. Eingestreut werden eine kleine Rechtsgeschichte des anwaltlichen Haftungsrechts sowie etymologische Erklärungen. Ebenso findet sich die Geschichte der Etablierung von Anwältinnen samt Kalauer: "Eine gute Anwältin ist besser als ein schlechter Anwalt."
Der Autor gibt praktische Hinweise, wie man den passenden Anwalt findet, und er nennt die Telefonnummern der Anwaltsuchdienste. Er hat dabei vor allem die Bürger im Blick, die in einem zivil- oder strafrechtlichen Durchschnittsfall Hilfe brauchen. Damit kommen diejenigen Aufgaben zu kurz, die in den größeren Kanzleien dominieren, nämlich die gestalterischen Tätigkeiten, die Konfliktvermeidung durch Beratung, die Ausarbeitung von rechtlichen Szenarien, vor allem im Hinblick auf die steuerlichen Folgen. Insofern spiegeln die justizbezogenen Fälle, über die Wesel berichtet, nur einen Teil des Berufsfeldes.
Das Kaleidoskop dreht sich weiter, nun zurück in die Antike mit ihren Rhetoren und Berufsjuristen, von da zu den mittelalterlichen Fürsprechern und zu den preußischen Assistenzräten, bis sich endlich in der zweiten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts die freie Advokatur durchsetzt. Die Geschichte der jüdischen Anwälte kommt ebenso vor wie die ihrer Vertreibung unter Hitler. Dann geht es mit Siebenmeilenstiefeln durch die Bundesrepublik, zum Standesrecht der Anwälte, zur Konkurrenz mit den Steuerberatern, zu den neuen Zusammenschlüssen in internationalen Großkanzleien, zur Anwälte-GmbH und zu den veränderten Berufsbildern. Auch die Anwälte in der DDR (und was danach aus ihnen geworden ist) sind ein Kapitelchen wert, ebenso die Notare in ihren verschiedenen Ausprägungen. Auch Europa, die Angleichung seiner Rechtsräume und die heute kompromißhaft gelöste Frage der Zulassung ausländischer Anwälte bekommen ihren Platz. Einen Schnörkel bildet am Ende die Robe, das würdige Standeskleid, unter dem sich so viele verschieden geartete Menschen verbergen und tun, was ihres Amtes ist.
Mag sein, daß der Leser nun ein wenig verwirrt ist; gelangweilt hat er sich nicht. Wesel scheut keine deutlichen Bewertungen, er erzählt gern, aber er fabuliert nicht. Seine Fälle entstammen der Rechtsprechung, weniger wohl eigener anwaltlicher Erfahrung. Kein Sachbuch also im üblichen Sinn, aber eine sachhaltige und leicht verständliche Einführung für das Publikum, vor allem für solche jungen Menschen, die noch unsicher um sich blicken und auf einem Fragebogen das Berufsziel "Rechtsanwalt" ankreuzen.
MICHAEL STOLLEIS
Uwe Wesel: "Risiko Rechtsanwalt". Karl Blessing Verlag, München 2001. 256 S., geb., 42,- DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Das Hü und Hott der Paragraphenreiter: Uwe Wesel zu Risiken und Nebenwirkungen des Anwaltsberufs
Ein Essay, ein Sachbuch, eine "fundierte und brillant geschriebene Polemik", wie der Verlag meint? Von allem etwas, aber Polemik am wenigsten. Wer Uwe Wesel kennt, wird nicht überrascht sein, einen bunten Strauß von Blumen zu finden, biedere Kornblumen, einige Sonnenblumen, Sumpfblüten und ein paar Veilchen im Moose, jedenfalls keinen langweiligen Ratgeber, etwa "Wie werde ich ein erfolgreicher Rechtsanwalt?" oder eine Klientenfibel "Wie schütze ich mich vor dem Risiko Rechtsanwalt?". Vielmehr bietet Wesel die für ihn typische Mischung von nacherzählten Fällen, guter Recherche, Erfahrungen als Hochschullehrer und Faktenwissen des Rechtshistorikers. Wie er dies aufbereitet, ist seine Sache und seine Tonlage. Wesel informiert, aber er verkürzt auch, er erheitert den Leser und klärt ihn auf im besten Sinne, aber mancher Leser wird wohl wegen des Stakkato-Stils, des fehlenden roten Fadens und der allzu bündigen Erklärungen am Ende etwas genervt sein.
Eine wohlhabende und risikoscheue Gesellschaft, die sich gerne "Risikogesellschaft" nennen läßt, wird über das "Risiko Rechtsanwalt" nicht sonderlich erschrecken. Für die Anwälte gibt es eine Haftpflicht-, für die Klienten die Rechtsschutzversicherung. So bleibt der unversicherte Rest überschaubar. Aber immerhin: Wer Jura studiert und Anwalt werden will, geht gewisse Risiken ein. Bis der Hürdenlauf von der ersten Vorlesung über zwei Staatsexamen bis zur eigenen Kanzlei beendet ist, vergeht ein knappes Dutzend solch gefährlicher Jahre. Das Berufsleben birgt dann weitere Risiken, nicht anders als beim Dachdecker oder bei der Hebamme. Umgekehrt ist der Weg des Rechtsuchenden zum Anwalt und zum Gericht von Risiken gesäumt. Der anwaltliche Rat kann untauglich, irreführend oder direkt schädlich sein. Das alles erfahren wir nun schrittweise.
Wesel setzt mit zwei klassenspezifischen und vorurteilbesetzten Geschichten ein: Caroline, evangelisch-liberal, Anwaltstochter, der alles gelingt, wird Anwältin in einer Großkanzlei, während Steffi aus dem Sauerland, aus katholisch-engerem Milieu, es nur mit "ausreichend" schafft und sich dann als Anwältin durchwurstelt. Nächstes Bild: Ein Fall von widerrechtlicher Verwendung von Fotos, bei denen die Mandanten draufzahlen; hier waren die Anwälte das Risiko. Später folgen noch andere Geschichten, darunter ein langwieriger erbrechtlicher Fall von 1754, dessen Relevanz im Zusammenhang dieses Buchs Wesels Geheimnis bleibt.
In anderen Passagen schildert Wesel die allgemeineren Strukturen. Deutsche Anwälte sollen unabhängige Organe der Rechtspflege sein. Sie agieren in einem personell und institutionell vergleichsweise dicht geknüpften Netzwerk "Recht". Es gibt überdurchschnittlich viele Richter hierzulande, viele (zum Teil nur nominelle) Anwälte, aber auch viele Rechtsschutzversicherungen und einen gewissen gesellschaftlichen Habitus des Rechthabens und Rechtbehaltenwollens. Hier wirken die Anwälte zunächst an der Basis als Übersetzer, sie transformieren Alltagskonflikte in Rechtsfragen. Das sind Dienstleistungen, die bezahlt werden müssen, und schon deshalb sind Interessen im Spiel. Der Anwalt wird also am besten in der Richtung beraten, daß nicht nur sein Mandant, sondern auch er selbst auf seine Kosten kommt. Das führt auf die Themen der Juristenausbildung sowie der Anwaltschwemme. Wir erfahren von der Informationsflut und der zunehmenden Spezialisierung, was vom Fachanwalt und was vom Doktortitel zu halten ist. Eingestreut werden eine kleine Rechtsgeschichte des anwaltlichen Haftungsrechts sowie etymologische Erklärungen. Ebenso findet sich die Geschichte der Etablierung von Anwältinnen samt Kalauer: "Eine gute Anwältin ist besser als ein schlechter Anwalt."
Der Autor gibt praktische Hinweise, wie man den passenden Anwalt findet, und er nennt die Telefonnummern der Anwaltsuchdienste. Er hat dabei vor allem die Bürger im Blick, die in einem zivil- oder strafrechtlichen Durchschnittsfall Hilfe brauchen. Damit kommen diejenigen Aufgaben zu kurz, die in den größeren Kanzleien dominieren, nämlich die gestalterischen Tätigkeiten, die Konfliktvermeidung durch Beratung, die Ausarbeitung von rechtlichen Szenarien, vor allem im Hinblick auf die steuerlichen Folgen. Insofern spiegeln die justizbezogenen Fälle, über die Wesel berichtet, nur einen Teil des Berufsfeldes.
Das Kaleidoskop dreht sich weiter, nun zurück in die Antike mit ihren Rhetoren und Berufsjuristen, von da zu den mittelalterlichen Fürsprechern und zu den preußischen Assistenzräten, bis sich endlich in der zweiten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts die freie Advokatur durchsetzt. Die Geschichte der jüdischen Anwälte kommt ebenso vor wie die ihrer Vertreibung unter Hitler. Dann geht es mit Siebenmeilenstiefeln durch die Bundesrepublik, zum Standesrecht der Anwälte, zur Konkurrenz mit den Steuerberatern, zu den neuen Zusammenschlüssen in internationalen Großkanzleien, zur Anwälte-GmbH und zu den veränderten Berufsbildern. Auch die Anwälte in der DDR (und was danach aus ihnen geworden ist) sind ein Kapitelchen wert, ebenso die Notare in ihren verschiedenen Ausprägungen. Auch Europa, die Angleichung seiner Rechtsräume und die heute kompromißhaft gelöste Frage der Zulassung ausländischer Anwälte bekommen ihren Platz. Einen Schnörkel bildet am Ende die Robe, das würdige Standeskleid, unter dem sich so viele verschieden geartete Menschen verbergen und tun, was ihres Amtes ist.
Mag sein, daß der Leser nun ein wenig verwirrt ist; gelangweilt hat er sich nicht. Wesel scheut keine deutlichen Bewertungen, er erzählt gern, aber er fabuliert nicht. Seine Fälle entstammen der Rechtsprechung, weniger wohl eigener anwaltlicher Erfahrung. Kein Sachbuch also im üblichen Sinn, aber eine sachhaltige und leicht verständliche Einführung für das Publikum, vor allem für solche jungen Menschen, die noch unsicher um sich blicken und auf einem Fragebogen das Berufsziel "Rechtsanwalt" ankreuzen.
MICHAEL STOLLEIS
Uwe Wesel: "Risiko Rechtsanwalt". Karl Blessing Verlag, München 2001. 256 S., geb., 42,- DM.
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