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Streiten für das Gedicht In ihrer Essaysammlung streitet Monika Rinck für die Relevanz des Gedichts und fragt nach den freundlicheren Möglichkeiten des Unverständlichen und Idiotischen, des Albernen und Überspannten. Dichter, Leser und Idiot haben sich aufgemacht, die brennendsten poetologischen Fragen der letzten Jahre zu beantworten. Und weil es um das Gedicht geht, geht es immer auch um die Welt, in der wir leben, um unsere Gegenwart: Warum sind wir unglücklich? Woran krankt unsere Gesellschaft? Und was ist eigentlich mit der Diva passiert?

Produktbeschreibung
Streiten für das Gedicht
In ihrer Essaysammlung streitet Monika Rinck für die Relevanz des Gedichts und fragt nach den freundlicheren Möglichkeiten des Unverständlichen und Idiotischen, des Albernen und Überspannten. Dichter, Leser und Idiot haben sich aufgemacht, die brennendsten poetologischen Fragen der letzten Jahre zu beantworten. Und weil es um das Gedicht geht, geht es immer auch um die Welt, in der wir leben, um unsere Gegenwart: Warum sind wir unglücklich? Woran krankt unsere Gesellschaft? Und was ist eigentlich mit der Diva passiert?
Autorenporträt
Monika Rinck, geboren 1969 in Zweibrücken, Studium der Religionswissenschaft, Geschichte und Vergleichenden Literaturwissenschaft, lebt als Autorin in Berlin. Sie veröffentlichte u.a. 'Begriffsstudio 1996-2001', 'Ah, das Love-Ding!' (2006), 'zum fernbleiben der umarmung' (2007), 'Helm aus Phlox' (2011; gemeinsam mit Ann Cotten, Daniel Falb, Hendrik Jackson und Steffen Popp), 'Honigprotokolle' (2012) und 'Risiko und Idiotie' (2015). Für ihre literarischen Arbeiten wurde Monika Rinck u. a. mit dem Ernst-Meister-Preis 2008, dem Georg-K.-Glaser-Preis 2010, dem Kunstpreis Berlin, Literatur 2012, dem Peter-Huchel-Preis 2013, dem Kleist-Preis 2015 und dem Ernst-Jandl-Preis 2017 ausgezeichnet.
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Die Verleihung des Kleist-Preises an Monika Rinck und deren neue Essaysammlung nutzt Ina Hartwig zu einer Würdigung der Dichterin und deren Poetik. Dass Rinck sich in ihrem jüngsten Band als "radikale Zeitgenossin" erweise, sie unter ihrer einsamen Randexistenz leide, sie aber zugleich fürs literarische Schaffen nutze, passt für die Rezensentin gut zur Ehrung mit dem nach Heinrich von Kleist benannten Preis. Die Texte selbst vermag Hartwig nicht auf einen gemeinsamen Nenner zu bringen, die Kritikerin findet aber hymnische Worte für sie: "Herrlich überspannt" seien sie, dazu "ungeheuer turbulent, atemberaubend klug, auch mal überkandidelt", aber stets "anregend, gebildet, stolz, überschwänglich und traurig". Rincks Sprache sei dabei immer poetisch statt funktionell, urteilt Hartwig und bemerkt zugleich, dass die Autorin trotz aller Verspieltheiten einen ernsten Blick auf die Gegenwart werfe.

© Perlentaucher Medien GmbH

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 19.11.2015

Was Seismografen erschüttert

Monika Rinck gehört zu den herausragenden Protagonistinnen der Gegenwartslyrik. In ihrem rasanten Essayband "Risiko und Idiotie" streitet sie für das Gedicht und seine Relevanz.

Hochgelobt heißt längst noch nicht vielgelesen. Das ist die Diskrepanz, die momentan die Lyrik der Gegenwart umtreibt. Monika Rinck, 1969 geboren, in Berlin lebend, ist eine der herausragenden Protagonistinnen der Gegenwartslyrik, hochgradig anerkannt, vielfach ausgezeichnet, aber das Risiko, "ungelesen oder missverstanden zu bleiben", ist ihr, wie sie selbst schreibt, durchaus bekannt. 2004 veröffentlichte Rinck ihren ersten Gedichtband "Verzückte Distanzen" im kleinen, feinen Entdeckerverlag zu Klampen!. Seit 2006 publiziert sie im Berliner kookbooks-Verlag. Vier große Gedichtbände hat sie seither dort veröffentlicht. Für ihre 2012 erschienenen "Honigprotokolle" erhielt sie mit dem Peter-Huchel-Preis die höchste Anerkennung, die eine Dichterin innerhalb der deutschsprachigen Lyrik erhalten kann. An diesem Wochenende wird ihr in Berlin der renommierte Kleist-Preis verliehen. In diesem Jahr allerdings sorgt Rinck nicht etwa mit ihrer Lyrik, sondern mit ihrem neuen Essayband für Furore. "Risiko und Idiotie", heißt er, und er trägt den kämpferischen Untertitel "Streitschriften".

Rinck ist durchaus streiterfahren. In ihrem ersten Essayband "Ah, das Love-Ding" hat sie sich auf beeindruckende Weise mit der Liebe auseinandergesetzt. Rinck geht hierbei von der These aus, dass die Gesellschaft sich von den intimen Beziehungen aus verstehen und gestalten lasse. Sie kritisiert, dass die Liebe stets isoliert von jeder anderen Beziehungsform betrachtet werde. Damit kämen sowohl die Liebenden als auch die psychologischen wie soziologische Analysen nur dem Exklusivitätswunsch des Liebesmodells selbst nach. Denn wie heißt das Credo romantischer Liebe: "Nur wir zwei, sonst keiner. Dieses Wir ist unsere Welt." Rinck löst diesen Ausschließlichkeitanspruch auf und betrachtet mit der Liebe gleichrangig alle anderen Beziehungen, die der Einzelne eingeht. Liebe zu verstehen bedeutet daher, den Einzelnen in der ihn umgebenden Gruppe zu betrachten. Rinck analysiert das nicht etwa trocken. Sie taucht mit einer Gruppe junger Leute in die Berliner Nächte, in die Clubs und Bars, in die Zweiraumwohnungen und Beziehungsgespräche ab. Ihre Sprache bleibt dabei so poetisch-flirrend wie analytisch scharf, dass sich ein betörend eindringlicher "Ah, das Love-Ding-Sound" entfaltet.

Jetzt also folgt ihr zweiter Essayband, und er ist wieder ein großer Wurf. Ob "Risiko und Idiotie" einen Streit auslösen wird, sei dahingestellt. Erst einmal streiten diese Essays für etwas, nämlich für das Gedicht und seine Relevanz in der gegenwärtigen Gesellschaft. Monika Rinck wagt eine Bestandsaufnahme, was die Lyrik heute überhaupt noch will und kann. Und dann streitet dieser Band wider die Ignoranz gegenüber dem Gedicht. "Das Gedicht ist da", heißt es kämpferisch, als müsste man seine Präsenz überhaupt erst wieder behaupten. Rinck wehrt sich gegen den verbreiteten Vorbehalt, dass etwas so Kleines wie ein Gedicht nie für etwas Großes einstehen könne. Und sie streitet wider den Usus, die Lyrik als geschätztes Kulturgut zu hätscheln und zu tätscheln, ohne sich mit ihrer Gegenwärtigkeit auseinanderzusetzen.

Das Gedicht ist etwas, so Rinck, "das auf eine vertrackte oder offensichtliche Weise der Gegenwart entspricht". Rinck ficht für die eigene Sache und streitet für die Lektüre. Nicht nur über ihre Streitschrift, vor allem auch über ihre Gedichte soll gestritten werden. Was aber soll der Anlass des Gedichtstreits sein? Nach Rinck ist es die Art des poetischen Denkens, das ausschließlich in Gedichten entfaltet wird. Zwei Eigenschaften zeichnen diese Denkweise aus. Die Idiotie auf der einen, das Risiko auf der anderen Seite. Beide sollen nicht gemieden, sondern herausgefordert werden: Das Risiko liegt zuerst in der poetischen Sprache selbst, da diese nach den Abgründen zwischen ihren Elementen sucht, statt sie zu verschütten. Das zweite Risiko macht Rinck in der Spontaneität des Sprechens aus, das sich der Überstürzung und Überforderung gezielt aussetze. Und drittens identifiziert Rinck den Bereich des Komischen, der Albernheit und des Witzes als akute Risikozone. Das Gedicht leite, so führt sie im Rückgriff auf Jean Paul und Laurence Sterne aus, in Bereiche, in denen sich die Sprache jeder Funktion entziehe.

Alle drei Risikomomente überlagern sich mit dem zweiten Charakteristikum des poetischen Denkens: der Idiotie. Der Idiot steht der Welt nicht etwa dumpf und tumb gegenüber. Er nimmt die Eindrücke verquer wahr, dreht sie entgegen den Gewohnheiten um, so dass sie unverständlich erscheinen. Er überstürzt sich in den Abgründen der Albernheit. Wer sich dem Risiko und der Idiotie des Gedichts anvertraue, breche in das Abenteuer des poetischen Denkens auf. Es geht der Autorin also um eine Lektürepraxis, die in anderen Feldern der Rede unmöglich sei. Und mehr noch: Ihr liegt am Einüben einer Haltung, die sich auf der Grundlage der Lektüre auch gegenüber den gesellschaftlichen Gegebenheiten bewährt. Da steht wohl wirklich der Anspruch auf die ästhetische Erziehung des Lesers dahinter. Dieses Ziel prägt sich bis in die Sprache dieser Streitschrift ein, die jederzeit den direkten Dialog mit dem Leser sucht, ihn involviert, wachrüttelt oder herausfordert: "Tricksen Sie Erwartungen aus, lassen Sie sich nicht berechnen. Tun Sie idiotische Dinge, lesen Sie unverständliches Zeugs!"

Die intensive Gesprächsführung mit dem Leser ist der erste formale Clou des Bandes. Der zweite besteht in der Aufspaltung der eigenen Stimme in zwei Figuren: das Dichter-Ich auf der einen, das idiotische Ich auf der andere Seite. Sie unterscheiden sich dadurch, dass das idiotische Ich sich erst durch die Arbeit an der Sprache konstituiert. Das klingt nach dem guten alten technischen Begriff des "lyrischen Ichs". Und das wäre es auch, wenn die Sprache für Rinck nicht das Unbändige, Unberechenbare schlechthin wäre. Das idiotische Ich nimmt stets die riskante Position ein, setzt sich den Konflikten aus, mischt sich ein, verwirrt, verwickelt und entzieht sich stets dem Zugriff von Autor und Leser gleichermaßen.

Staunend sieht man ihm zu, wie es mit größter Leichtigkeit die unterschiedlichsten Theorien und literarischen Texte zu einer Diagnostik der Gegenwart heranzieht. Da steht Alain Ehrenbergs Diagnose, die Gesellschaft sei von "Erschöpfung" geprägt, sinnfällig neben der Frage, ob das Gedicht sich seinerseits verausgaben dürfe. Oder man schaut entgeistert Christian Dietrich Grabbes Figuren zu, wie sie sich prophylaktisch Betttücher um den Kopf binden, falls sie wegen Trunkenheit stürzen sollten, und erkennt die gegenwärtigen Ängste und das aktuelle Hochsicherheitsdenken wieder. Und da amüsiert man sich nicht zuletzt darüber, wie wunderbar abgedreht sich die Essays den Weg in die Albernheit bahnen.

Die Texte sind voller Überdrehungen und Tollheiten: "Sagt ein Seismograf zum andern: Du erschütterst mich. Sagt der andre Seismograf: Das bin nicht ich. Das ist die Schönheit. Sie wird ein Beben ... Aufhören!!" Manchmal weht es einen unheimlich an, wie dringlich Rincks Sätze nachklingen. Da verkündet die Titelseite der neuesten "Charlie Hebdo"-Ausgabe trotzig, die Terroristen mögen die Waffen haben, wir haben den Champagner, während Rinck im letzten Satz ihres Buches für "ein theatralisches Encore" eintritt, um dann zu schließen: "Champagner! Champagner für alle!"

Vor ein paar Wochen hat Rinck gemeinsam mit Christian Filips und Franz Tröger die CD "Lieder für die Letzte Runde" herausgebracht. Dort besteht das "Lied von der Ewigkeit" aus nur einem Vers. Bezeichnenderweise hat der Champagner jetzt einen Partner erhalten. Plötzlich heißt der Slogan: "In Ewigkeit Angst und Champagner". Sind das Spuren der riskanten Überdrehung, auf die Rinck es anlegt? War Heinrich von Kleist von der "allmählichen Verfertigung der Gedanken beim Reden" fasziniert, dann hat sich Rinck auf die rasante Entstehung der Gedanken beim Dichten spezialisiert. In deutschsprachigen Lyrik und Essayistik ist lange nicht mehr so riskant gedacht worden. Wenn am Sonntag Monika Rinck der Kleist-Preis verliehen wird, darf man das wohl als Zeichen einer Denkverwandtschaft lesen. Für Streit, Albernheit und Risiko sind Kleist und Rinck gleichermaßen zu haben.

CHRISTIAN METZ

Monika Rinck: "Risiko und Idiotie". Streitschriften.

Kookbooks Verlag, Berlin 2015. 272 S., br., 19,90 [Euro].

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