Zwei Jahre nach der Heirat mit Katherine bricht die Krankheit beim Millionärssohn Stanley McCormick aus: Schizophrenie, gepaart mit aggressivem Sexualtrieb. Die nächsten 20 Jahre lebt er auf dem abgeschirmten Riven Rock. Seine Frau glaubt an Heilung, ja sie kämpft darum, als Wissenschaftlerin und Frauenrechtlerin.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 06.10.1998Tarzans Gier und Unbehagen
Hemmungslos und streng genug: T. C. Boyles Roman "Riven Rock" / Von Michael Allmaier
Stanley McCormick ist einunddreißig, als er zum ersten Mal die Stimmen seiner Richter hört. Seine Verbrechen sind unkeusche Gedanken. Seine Strafe ist es, sich selbst ein Gefängnis zu sein und in Reglosigkeit zu verharren, bis seine Zeit abgelaufen ist. Ein gerechtes Urteil, das sieht Stanley ein. Doch manchmal, wenn die Qual zu groß wird, entflieht er seinem Kerker und verflucht die Huren, die ihm das angetan haben.
T. Coraghessan Boyle hat einen gewalttätigen Psychopathen zur Hauptfigur seines neuen Romans gemacht. Die Geschichte basiert auf einem authentischen Fall, der vor allem wegen seiner kuriosen Begleitumstände im Gedächtnis geblieben ist. Denn Stanley McCormick war ein Psychopath aus gutem Haus, der jüngste Sohn eines Fabrikanten aus Chicago, der durch die Erfindung einer Mähmaschine zu einem der reichsten Männer des Landes geworden war. So blieb ihm die Einweisung in eine Anstalt erspart. Statt dessen verbrachte er den Rest seines Lebens in "Riven Rock", einem protzigen Anwesen in Kalifornien mit Golfplatz und an die achtundfünfzig Angestellten.
Hier setzt das Buch, das auch "Riven Rock" betitelt ist, ein. Es zeigt McCormick in seiner absurden Rolle als Gutsherrn und Gefangenen zugleich. Von 1908 bis zu seinem Tod 1947 sieht er nur seine Pfleger, wechselnde Ärzte, aber so gut wie niemals eine Frau. Denn der Anblick von Frauen vor allem ist es, der aus dem sanftmütigen, noch leidlich kultivierten Mann einen rasenden Irren macht.
Hier liegt die Tragik der Geschichte. Denn Stanley McCormick liebt die Frauen, und besonders liebt er seine Frau. Und sie liebt ihn. Sie könnte ihn mit ihrer Liebe heilen, wenn die Aufpasser sie nur zu ihm ließen. Jedes Jahr zur Weihnachtszeit reist sie aus Boston an. Jedes Jahr wird sie aufs neue abgewiesen und muß sich damit begnügen, ihren Mann von draußen mit dem Feldstecher zu beobachten.
Nicht, daß sie zur Sentimentalität neigte. Katherine Dexter McCormick ist eine höchst resolute Frau und engagierte Vertreterin der Suffragettenbewegung. Als studierte Biologin hat sie selbst die Ärzte ausgewählt, die sie nun aussperren. Auch fehlt es ihr nicht an Verehrern, so daß bald niemand mehr versteht, warum sie dem offenkundig unheilbaren Stanley die Treue hält, der sie in seinen Wahnvorstellungen ohnehin als zügellose Ehebrecherin sieht.
Der Roman ist in wechselnden Perspektiven erzählt. Die wichtigste Stimme neben Katherine und Stanley gehört dem Oberpfleger Eddy O'Kane, der, oft im wörtlichen Sinne, zwischen den beiden steht. Neun Jahre jünger als McCormick, zählt er auf seine Art zu den Lebenslänglichen auf Riven Rock. Er ist der Mann fürs Grobe, den man braucht, aber nicht respektiert; anders als seine tumben Gehilfen kommt er damit nicht zurecht. Bei jeder Gelegenheit flieht er aus dem goldenen Käfig in die Kneipen der Stadt, wo ihn niemand herumschubst und die Frauen mit ihren aufreizenden Blicken auf ihn warten. Das Schicksal seines Arbeitgebers färbt immer stärker auf ihn ab. Er trinkt und treibt sich herum, bis er eines Tages im Delirium die Richter sieht, von denen McCormick immer spricht.
Sex ist ein Talent, das ich nicht habe." So steht es im Geleitwort, das Boyle bei Gabriel García Márquez entlieh. Es gibt keine Figur im Roman, auf die das nicht paßte. "Riven Rock" ist ein Buch über Hemmungen und Hemmnisse im Umgang mit der Lust. Es spielt in einem prüden Milieu, lastet ihm aber nicht die Schuld an der Deformation seiner Figuren an. Die Frage lautet, ob nicht menschliche Sexualität ein Widerspruch in sich sei.
Der Literaturwissenschaftler Boyle schätzt es, in seinen Büchern klassische Stoffe auf den Kopf oder vielleicht eher auf die Füße zu stellen. Die Vorlagen reichten von "Sherlock Holmes" bis zu den "Früchten des Zorns". Nun ist anscheinend "Tarzan" an der Reihe. Der Unterschied ist nur, daß Stanley McCormick den umgekehrten Weg beschreitet. Ihm verhelfen Liebe und gute Erziehung vom Aristokraten zurück zum Wilden. Nicht zufällig richtet Dr. Hamilton, sein erster Arzt, auf Riven Rock sogleich ein Primatenforschungslabor ein. Nicht zufällig entwickelt er, statt McCormick zu behandeln, ein zunehmendes Interesse am Paarungsverhalten seiner Affen.
Die Männer von Riven Rock verbindet vor allem die Angst, nicht Manns, und das heißt: nicht Tier genug zu sein. Ihnen schwant, daß Triebhaftigkeit und Stärke noch immer die wahren Werte sind und die Tugenden der Zivilisation nur eine Ausrede der Schwächlinge. Nach Meinung des Verfassers liegen sie damit nicht so verkehrt. In diesem Roman machen die Grobiane bei den Frauen das Rennen. So reiben sie sich einer nach dem anderen zwischen Versagensängsten und Schuldgefühlen auf.
McCormicks letzter Arzt ist ein Freudianer, und er kommt weiter als seine glücklosen Vorgänger. 1927, im Jahr ihres fünfzigsten Geburtstags, darf Katherine endlich ihren Mann sehen. Doch der Stanley, den man ihr vorstellt, kommt ihr dressiert vor, und das ist er wohl auch. Ein Mann ohne Leidenschaften, der artig Konversation treibt und nach einem harmlosen Zwischenfall in sein altes Verhalten zurückfällt - diesmal für immer.
Man darf diesen Schluß so verstehen, daß das Unbehagen in der Kultur sich betäuben, aber nicht wirklich lindern läßt. Es ist eine trostlose und doch keine traurige Welt, die Boyle da entwirft. Sein Erzähler ähnelt selbst einem Führer durch das Affengehege, der mit viel Sachlichkeit und ein paar kleinen Späßen seine Runde absolviert. Ihr seid doch nicht wie die da, raunt er tückisch seinen Lesern zu, wohl wissend, daß sie nicht wie er über die Vorzüge der Körperlosigkeit verfügen.
Es ist die Verbindung von allegorischer Strenge und lässigem Stil, die "Riven Rock" herausragend macht. Boyle nennt die Dinge beim Namen, aber nicht so, als ob sie für ihn oder sein Publikum von besonderem Interesse wären. Bei den behandelten Themen kann das wohltuend sein. Werner Richter hat diesen Ton geschickt ins Deutsche übersetzt. Leider neigt er dazu, eher am Verstand des Autors als an seinen eigenen Sprachkenntnissen zu zweifeln. Man muß nicht wissen, daß fishy auch "unaufrichtig" heißt, to exercise elbows scherzhaft für den Konsum von Alkohol steht oder ein drummer mitunter einfach ein Handelsreisender ist. Aber man sollte doch merken, daß etwas nicht stimmt, ehe man dem Leser von fischiger Bemühtheit, ellbogenreibenden Kneipengängern und der Weltläufigkeit der Schlagzeuger erzählt.
Das um so mehr, als Boyle Metaphern dieser Art fernliegen. Ganz in der Tradition amerikanischer Erzähler konzentriert sich sein rhetorischer Ehrgeiz auf Ausschmückungen und übermütige Vergleiche. Da wäre zum Beispiel Dr. Hamilton, der bei einer Sauftour "an einem einzigen schalen Bier genuckelt hatte wie eine unverheiratete Tante, die ihren dritten Preis bei einer Blumenschau feierte".
Aber wenn am Ende einer solchen Tour Eddys Kopf sich anfühlt "wie eine Eierschale im Schraubstock", hat nicht nur er es übertrieben. Wie man sich Gesichter vorstellen soll, die mal "wie ein abgeernteter Acker", mal "zerdrückt wie eine Blume" und mal "wie ein zerdrückter Vogel" aussehen, weiß wohl auch der Verfasser nicht. Das ist gewiß nur harmlose Effekthascherei und doch der lose Faden in diesem dicht gestrickten Werk. Sie stört nicht nur den nonchalanten Stil. Sie nährt den Verdacht, daß er nur aufgesetzt ist um eines Effektes willen. Und hat man einmal diesen Punkt erreicht, gibt es so bald kein Halten mehr. Dann schaut man sich auch die verrückten Professoren, spießigen Puritaner und lebenshungrigen Proleten mitsamt ihren Sex and crime-Spektakeln noch einmal an und fragt sich, ob nicht auch sie eine Nuance zu billig sind. Gibt der Verfasser hier nicht doch dem Affen Zucker?
Sein satirisches Talent machte T. C. Boyle bekannt. "America", sein letzter Roman, signalisierte eine Wende zum Realismus, die "Riven Rock" in weiten Teilen vertieft. Der Autor ist seinen Lieblingsthemen vom Atavismus bis zur sozialen Ungleichheit treu geblieben. Aber er behandelt sie nicht länger mit den Mitteln der Satire. Die Charakterzeichnung ist fairer, die Sprache sanfter, die Ironie feiner geworden. Manche seiner treuen Leser mögen davon enttäuscht sein. Es gibt nicht mehr so viel zu lachen wie früher. Alle anderen können sich auf einen gelungenen Roman freuen, der nur in wenigen Momenten ahnen läßt, wie Boyle in den Ruf kam, neben dem begnadeten Erzähler auch ein berechnender Entertainer zu sein.
T. Coraghessan Boyle: "Riven Rock". Roman. Aus dem Amerikanischen übersetzt von Werner Richter. Carl Hanser Verlag, München 1998. 568 S., geb., 45,- DM.
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Hemmungslos und streng genug: T. C. Boyles Roman "Riven Rock" / Von Michael Allmaier
Stanley McCormick ist einunddreißig, als er zum ersten Mal die Stimmen seiner Richter hört. Seine Verbrechen sind unkeusche Gedanken. Seine Strafe ist es, sich selbst ein Gefängnis zu sein und in Reglosigkeit zu verharren, bis seine Zeit abgelaufen ist. Ein gerechtes Urteil, das sieht Stanley ein. Doch manchmal, wenn die Qual zu groß wird, entflieht er seinem Kerker und verflucht die Huren, die ihm das angetan haben.
T. Coraghessan Boyle hat einen gewalttätigen Psychopathen zur Hauptfigur seines neuen Romans gemacht. Die Geschichte basiert auf einem authentischen Fall, der vor allem wegen seiner kuriosen Begleitumstände im Gedächtnis geblieben ist. Denn Stanley McCormick war ein Psychopath aus gutem Haus, der jüngste Sohn eines Fabrikanten aus Chicago, der durch die Erfindung einer Mähmaschine zu einem der reichsten Männer des Landes geworden war. So blieb ihm die Einweisung in eine Anstalt erspart. Statt dessen verbrachte er den Rest seines Lebens in "Riven Rock", einem protzigen Anwesen in Kalifornien mit Golfplatz und an die achtundfünfzig Angestellten.
Hier setzt das Buch, das auch "Riven Rock" betitelt ist, ein. Es zeigt McCormick in seiner absurden Rolle als Gutsherrn und Gefangenen zugleich. Von 1908 bis zu seinem Tod 1947 sieht er nur seine Pfleger, wechselnde Ärzte, aber so gut wie niemals eine Frau. Denn der Anblick von Frauen vor allem ist es, der aus dem sanftmütigen, noch leidlich kultivierten Mann einen rasenden Irren macht.
Hier liegt die Tragik der Geschichte. Denn Stanley McCormick liebt die Frauen, und besonders liebt er seine Frau. Und sie liebt ihn. Sie könnte ihn mit ihrer Liebe heilen, wenn die Aufpasser sie nur zu ihm ließen. Jedes Jahr zur Weihnachtszeit reist sie aus Boston an. Jedes Jahr wird sie aufs neue abgewiesen und muß sich damit begnügen, ihren Mann von draußen mit dem Feldstecher zu beobachten.
Nicht, daß sie zur Sentimentalität neigte. Katherine Dexter McCormick ist eine höchst resolute Frau und engagierte Vertreterin der Suffragettenbewegung. Als studierte Biologin hat sie selbst die Ärzte ausgewählt, die sie nun aussperren. Auch fehlt es ihr nicht an Verehrern, so daß bald niemand mehr versteht, warum sie dem offenkundig unheilbaren Stanley die Treue hält, der sie in seinen Wahnvorstellungen ohnehin als zügellose Ehebrecherin sieht.
Der Roman ist in wechselnden Perspektiven erzählt. Die wichtigste Stimme neben Katherine und Stanley gehört dem Oberpfleger Eddy O'Kane, der, oft im wörtlichen Sinne, zwischen den beiden steht. Neun Jahre jünger als McCormick, zählt er auf seine Art zu den Lebenslänglichen auf Riven Rock. Er ist der Mann fürs Grobe, den man braucht, aber nicht respektiert; anders als seine tumben Gehilfen kommt er damit nicht zurecht. Bei jeder Gelegenheit flieht er aus dem goldenen Käfig in die Kneipen der Stadt, wo ihn niemand herumschubst und die Frauen mit ihren aufreizenden Blicken auf ihn warten. Das Schicksal seines Arbeitgebers färbt immer stärker auf ihn ab. Er trinkt und treibt sich herum, bis er eines Tages im Delirium die Richter sieht, von denen McCormick immer spricht.
Sex ist ein Talent, das ich nicht habe." So steht es im Geleitwort, das Boyle bei Gabriel García Márquez entlieh. Es gibt keine Figur im Roman, auf die das nicht paßte. "Riven Rock" ist ein Buch über Hemmungen und Hemmnisse im Umgang mit der Lust. Es spielt in einem prüden Milieu, lastet ihm aber nicht die Schuld an der Deformation seiner Figuren an. Die Frage lautet, ob nicht menschliche Sexualität ein Widerspruch in sich sei.
Der Literaturwissenschaftler Boyle schätzt es, in seinen Büchern klassische Stoffe auf den Kopf oder vielleicht eher auf die Füße zu stellen. Die Vorlagen reichten von "Sherlock Holmes" bis zu den "Früchten des Zorns". Nun ist anscheinend "Tarzan" an der Reihe. Der Unterschied ist nur, daß Stanley McCormick den umgekehrten Weg beschreitet. Ihm verhelfen Liebe und gute Erziehung vom Aristokraten zurück zum Wilden. Nicht zufällig richtet Dr. Hamilton, sein erster Arzt, auf Riven Rock sogleich ein Primatenforschungslabor ein. Nicht zufällig entwickelt er, statt McCormick zu behandeln, ein zunehmendes Interesse am Paarungsverhalten seiner Affen.
Die Männer von Riven Rock verbindet vor allem die Angst, nicht Manns, und das heißt: nicht Tier genug zu sein. Ihnen schwant, daß Triebhaftigkeit und Stärke noch immer die wahren Werte sind und die Tugenden der Zivilisation nur eine Ausrede der Schwächlinge. Nach Meinung des Verfassers liegen sie damit nicht so verkehrt. In diesem Roman machen die Grobiane bei den Frauen das Rennen. So reiben sie sich einer nach dem anderen zwischen Versagensängsten und Schuldgefühlen auf.
McCormicks letzter Arzt ist ein Freudianer, und er kommt weiter als seine glücklosen Vorgänger. 1927, im Jahr ihres fünfzigsten Geburtstags, darf Katherine endlich ihren Mann sehen. Doch der Stanley, den man ihr vorstellt, kommt ihr dressiert vor, und das ist er wohl auch. Ein Mann ohne Leidenschaften, der artig Konversation treibt und nach einem harmlosen Zwischenfall in sein altes Verhalten zurückfällt - diesmal für immer.
Man darf diesen Schluß so verstehen, daß das Unbehagen in der Kultur sich betäuben, aber nicht wirklich lindern läßt. Es ist eine trostlose und doch keine traurige Welt, die Boyle da entwirft. Sein Erzähler ähnelt selbst einem Führer durch das Affengehege, der mit viel Sachlichkeit und ein paar kleinen Späßen seine Runde absolviert. Ihr seid doch nicht wie die da, raunt er tückisch seinen Lesern zu, wohl wissend, daß sie nicht wie er über die Vorzüge der Körperlosigkeit verfügen.
Es ist die Verbindung von allegorischer Strenge und lässigem Stil, die "Riven Rock" herausragend macht. Boyle nennt die Dinge beim Namen, aber nicht so, als ob sie für ihn oder sein Publikum von besonderem Interesse wären. Bei den behandelten Themen kann das wohltuend sein. Werner Richter hat diesen Ton geschickt ins Deutsche übersetzt. Leider neigt er dazu, eher am Verstand des Autors als an seinen eigenen Sprachkenntnissen zu zweifeln. Man muß nicht wissen, daß fishy auch "unaufrichtig" heißt, to exercise elbows scherzhaft für den Konsum von Alkohol steht oder ein drummer mitunter einfach ein Handelsreisender ist. Aber man sollte doch merken, daß etwas nicht stimmt, ehe man dem Leser von fischiger Bemühtheit, ellbogenreibenden Kneipengängern und der Weltläufigkeit der Schlagzeuger erzählt.
Das um so mehr, als Boyle Metaphern dieser Art fernliegen. Ganz in der Tradition amerikanischer Erzähler konzentriert sich sein rhetorischer Ehrgeiz auf Ausschmückungen und übermütige Vergleiche. Da wäre zum Beispiel Dr. Hamilton, der bei einer Sauftour "an einem einzigen schalen Bier genuckelt hatte wie eine unverheiratete Tante, die ihren dritten Preis bei einer Blumenschau feierte".
Aber wenn am Ende einer solchen Tour Eddys Kopf sich anfühlt "wie eine Eierschale im Schraubstock", hat nicht nur er es übertrieben. Wie man sich Gesichter vorstellen soll, die mal "wie ein abgeernteter Acker", mal "zerdrückt wie eine Blume" und mal "wie ein zerdrückter Vogel" aussehen, weiß wohl auch der Verfasser nicht. Das ist gewiß nur harmlose Effekthascherei und doch der lose Faden in diesem dicht gestrickten Werk. Sie stört nicht nur den nonchalanten Stil. Sie nährt den Verdacht, daß er nur aufgesetzt ist um eines Effektes willen. Und hat man einmal diesen Punkt erreicht, gibt es so bald kein Halten mehr. Dann schaut man sich auch die verrückten Professoren, spießigen Puritaner und lebenshungrigen Proleten mitsamt ihren Sex and crime-Spektakeln noch einmal an und fragt sich, ob nicht auch sie eine Nuance zu billig sind. Gibt der Verfasser hier nicht doch dem Affen Zucker?
Sein satirisches Talent machte T. C. Boyle bekannt. "America", sein letzter Roman, signalisierte eine Wende zum Realismus, die "Riven Rock" in weiten Teilen vertieft. Der Autor ist seinen Lieblingsthemen vom Atavismus bis zur sozialen Ungleichheit treu geblieben. Aber er behandelt sie nicht länger mit den Mitteln der Satire. Die Charakterzeichnung ist fairer, die Sprache sanfter, die Ironie feiner geworden. Manche seiner treuen Leser mögen davon enttäuscht sein. Es gibt nicht mehr so viel zu lachen wie früher. Alle anderen können sich auf einen gelungenen Roman freuen, der nur in wenigen Momenten ahnen läßt, wie Boyle in den Ruf kam, neben dem begnadeten Erzähler auch ein berechnender Entertainer zu sein.
T. Coraghessan Boyle: "Riven Rock". Roman. Aus dem Amerikanischen übersetzt von Werner Richter. Carl Hanser Verlag, München 1998. 568 S., geb., 45,- DM.
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