RLF ist mehr als Lifestyle. RLF ist mehr als Kunst. RLF ist Widerstand. RLF kämpft für das richtige Leben im falschen. Werde Teil von RLF. Werde Shareholder der Revolution! Am Anfang stehen die Riots in London: Die Verlierer der Konsumgesellschaft strömen auf die Straßen, zeigen der Welt, dass es sie gibt; Autos und Geschäfte brennen. Und die Welt des jungen Werbers Jan gerät ins Wanken. Er hat mit Kampagnen für die Fashion-Industrie eine Menge Geld verdient, doch als er in die Unruhen gerät, wird ihm klar: Der Kapitalismus muss gestürzt werden und zwar mit seinen eigenen Mitteln. In der Aktivistin Slavia und dem Künstler Mikael Mikael findet Jan die richtigen Mitstreiter. Gemeinsam gründen sie RLF, ein Lifestyle-Unternehmen, das den Wunsch nach Protest und Widerstand in Konsumprodukte verwandelt; mit dem Ziel, das System selbst in einem revolutionären Akt zum Einsturz zu bringen. Doch die Revolution hat ihren Preis, und den wird am Ende jemand bezahlen müssen - und sei es mit dem Leben.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 18.08.2013Die Kunst der Revolution
Friedrich von Borries sagt, man könne den Kapitalismus besiegen. Aber glaubt er es auch?
Man kann Friedrich von Borries' neues Buch nicht lesen, ohne sich zu fragen, was es überhaupt sein soll, und dass es Zweifel gibt an seinen rein literarischen Ambitionen, dafür sorgt erst einmal der Autor selbst. "RLF", das seinen Titel als Abkürzung für Adornos berühmten Satz "Es gibt kein richtiges Leben im falschen" ausgibt, sei nicht nur, wie es das Buch selbst auf seinem Cover behauptet, ein "Roman", sondern gleichzeitig, so steht es auf der Website zum Buch: "Protestbewegung, Konzeptkunstwerk und Lifestyle-Unternehmen". Das politische Programm dieser Bewegung bestehe darin, "unter dem Motto ,Werde Shareholder der Revolution' . . . das kapitalistische Wirtschaftssystem mit seinen eigenen Waffen zu schlagen. Konsum wird Widerstand."
Dass es sich bei "RLF" nicht nur um eine Fiktion handelt, dafür hat der Hamburger Designprofessor Borries bereits einiges getan. Am 1. Mai, Monate bevor das Buch überhaupt erschienen ist, ließ er ein paar mehr oder weniger wütend aussehende junge Menschen Plakate mit dem Adorno-Satz durch Kreuzberg tragen. Nach der Veröffentlichung soll es die revolutionären Luxusartikel, die sich die Romanhelden ausgedacht haben, auch tatsächlich zu kaufen geben: Tapeten und Teekannen mit dem hypnotisierenden Schwarz-Weiß-Muster, veredelte Ikea-"Lack"-Tische, unter deren unversiegelter Blattgold-Schicht der Slogan "Show you are not afraid" sichtbar wird, vielleicht auch das Parfum der amerikanischen Künstlerin Lisa Kirk, das nach Schweiß und Tränengas riecht: die "Revolution ist Glamour", schreibt Borries, sie "kann nicht teuer genug sein".
Ein Tisch aber ist bekanntlich schon lange mehr als ein Tisch, weshalb ein ganzer Showroom voller Warenform gewordenem Lebensgefühl nicht reicht, um das Reich der Fiktion zu verlassen. Die Frage ist nur: Ist das wirklich Borries' Absicht? In Interviews über das Buch tut er gern so, als wäre er selbst eine Figur aus seinem Roman, der ernsthaft daran glaubt, mit dem Konzept von "RLF" die Welt verändern zu können. Dass man sich auch nach der Lektüre nicht sicher ist, ob das mehr ist als nur eine konsequent durchgehaltene Künstlerpose, ist die größte Stärke des Projekts. Das zentrale Spannungsmoment des Buches besteht darin, dass man nie weiß, ob der Roman für die Revolution wirbt oder die Revolution für den Roman; ob Kunst als Politik getarnt wird oder Politik als Kunst.
Wer sich dagegen fragt, ob sich im Text tatsächlich eine Art politisches Manifest verbirgt, eine plausible Strategie, um die schon tausendfach rauf und runter deklinierten perfiden Verflechtungen von Kommerz und Kritik endlich gegen den Kapitalismus zu wenden, ist dem Buch schon auf den Leim gegangen. Dass Borries die Parolen seiner Helden auf die Straße trägt, heißt eben noch lange nicht, dass er für ihre Sache kämpft. Und doch ist es eher die Neugier auf die versprochene Geheimformel für die Revolution, die einen durch den Plot trägt. Die Handlung nämlich, die im Gegensatz zum politischen Programm der Figuren eher vom Laufband fordistischer Massenproduktion stammt, erzeugt auch nicht annähernd den herrlichen Schwindel, den Borries' Spiel mit den unterschiedlichen Rezeptionsebenen hervorruft.
Es geht um den erfolgreichen Werber Jan, der die Ikonographie der Revolution zunächst auch nur für ein Reservoir für Turnschuhwerbung hält (und die Idee, das eine mit dem anderen aufzuladen, tatsächlich noch für einen subversiven Akt) - bis er am Rande einer Präsentation in die Londoner Riots gerät. Er wirft Steine, plündert einen H&M, hat Sex mit einer Aktivistin. Eine Dosis Adrenalin und eine Portion Wir-Gefühl: das reicht, um sein Leben in Frage zu stellen, den Job, den Porsche, Frau, Kinder und das Haus in Blankenese. Eine Midlife-Crisis ist keine Lösung, es muss schon die Revolution sein. Und weil er außer Werbung nichts gelernt hat, will er ihre Verführungskraft nutzen, um die Gesellschaft zu verändern.
Um sein Ziel zu erreichen, entscheidet er sich für ein Leben als eine Art Doppelagent, der seiner Agentur den Umsturz als Kampagne verkauft. In New York trifft er die Aktivistin Slavia, die ihn mit dem Künstler Mikael Mikael bekannt macht, zusammen entwickeln sie das Konzept von RLF. Im Groben besteht es darin, der linksliberalen Kunstboheme Protestflair in Form zweckfreier Merchandising-Artikel zu verkaufen, und zwar am besten so teuer, dass das Distinktionsbedürfnis der Käufer befriedigt wird: Ein Sofa von Konstantin Grcic, ein Straßenkampfanzug von Kostas Murkudis, Fortbildungskurse für friedlichen Widerstand. Im Optimalfall erkennen die Käufer irgendwann den Bluff und damit auch die Falschheit ihrer Motive. Das Geld wiederum soll für den Aufbau einer Mikronation verwendet werden, den "Nukleus der zukünftigen Weltrevolution", wo die in ihren Widersprüchen gefangene Zielgruppe schon mal das richtige Leben üben darf.
Bevor Jan aber seinen antikapitalistischen Masterplan in einer Powerpoint-Präsentation vorstellen kann, schickt ihn Borries im Schnellkurs durch Theorie und Geschichte der Protestkultur. Wie er es als Werber gelernt hat, bedient er sich schamlos bei den virulenten Ideen künstlerischer oder theoretischer Kapitalismuskritik. Von Guy Debord klaut er das Konzept der Rekuperation, von Hakim Bey die Idee der Temporären Autonomen Zone, von Gerhard Richter und seinen Freunden an der Düsseldorfer Kunstakademie den Begriff des "Kapitalistischen Realismus". Dazwischen blendet Borries Kurzinterviews, die der fiktive Jan mit vergleichsweise echten Auskennern geführt hat, mit dem Occupy-Gründer Kalle Lasn, dem ehemaligen Résistance-Kämpfer Stéphane Hessel oder dem Soziologen Harald Welzer.
Leider klingt das oft wie die Heuristik der "Sendung mit der Maus". Immer hört Jan rechtzeitig auf zu lesen, bevor es zu komplex wird. Schon alleine wegen der Einfältigkeit seiner Hauptfigur kann man Borries' Bewegung unmöglich ernst nehmen. Wer will sich schon von einer Witzfigur die Welt erklären lassen, die, nur zum Beispiel, noch an die ungebrochene Erotik seines Berufs glaubt ("Die meisten Frauen bewundern ihn, wenn er von seinem Job spricht"). Da hilft es auch nichts, dass Borries von Jan (wie auch vom Künstler Mikael Mikael, der schon in Borries' Romandebüt "1WTC" auftrat) behauptet, dass es sich um real existierende Personen handelt. "Die Figur ist nicht schlecht ausgedacht, sie ist gar nicht ausgedacht", sagte er in einem Interview, als sei das eine Legitimation für literarische Faulheit.
Als Helden einer Groteske allerdings funktionieren Borries' Figuren ganz wunderbar. Die überzeugendsten Figuren dabei kommen im Roman nur am Rande vor: die imaginierten Käufer der RLF-Produkte. Dass sich, etwa unter dem Berliner Galerienpublikum, tatsächlich genügend Interessenten für Borries' Sinnstiftungskrempel finden, macht den Roman zu einem Meisterwerk absurder Literatur, die gewissermaßen dort beginnt, wo das Buch aufhört. Die interessanteste Frage, auf die die Geschichte hinausläuft, ist sozusagen die zentrale falsche Frage des Kapitalismus: Wer soll das alles kaufen?
Allein die Spekulation über die Motive und Effekte zukünftiger RLF-Kunden führt mitten hinein in die herrlich absurden Antinomien des Kunstmarkts, zu den seine Mechanismen und sich selbst so seltsam ernst nehmenden Akteuren. In den konsumkritischen Kunstkonsumenten, die auch gerne die Welt verändern würden, sich aber mit ihren 400 Euro teuren Martin-Margiela-Pullovern nicht alleine auf den Tahrir-Platz trauen, sieht Borries eine Marktlücke für die Revolution. Seine RLF-Accessoires sind eine Art Palästinensertuch für Reiche, nicht nur wegen der Ähnlichkeit der Muster.
Ginge es Borries wirklich um die Revolution, müsste er vielleicht tatsächlich die Frage beantworten, warum der Kauf seiner überteuerten Protestfetische eine größere Wirkung auf das revolutionäre Bewusstsein haben soll als etwa der des Nike-Laufschuhs "Revolution". Als Künstler aber kann es ihm egal sein, welche Absicht ihm die Käufer unterstellen; ob sie ihm abnehmen, dass sich sein Kunstprojekt nur als Kunstprojekt ausgibt; ob sie seine Teekannen in umstürzlerischer, prätentiöser oder ironischer Absicht erwerben; ob sie seinen Weltverbesserungsplan für wahnsinnig schlau oder für wahnsinnig lustig halten. Dabei geht es eben gerade nicht um Authentizität; Authentizität ist etwas für die Camper im Zuccotti-Park, die dort stehen, weil sie nicht anders können. Die RLF-Revoluzzer könnten immer auch anders, das ist der Grund für ihre ideologische Trägheit. Und wenn sie den Kapitalismus am Ende doch nicht abschaffen können, verspricht RLF, können sie sich wenigstens "endlich mal richtig wohlfühlen im eigenen Unbehagen".
Irgendwo im herrlichen Chaos all dieser Rezeptionsebenen wird sich vermutlich der politische Effekt verlieren. Oder eben auch nicht: Die entscheidende Frage, die Borries' Spaßguerrilla aufwirft, ist die, ob Revolution womöglich auch als ironisches Projekt funktionieren könnte. Was die Politik von der Kunst lernen kann, ist die Suspension der Authentizität. Kunst ist - wie Borries' Aktivismus - immer etwas, wovon man nicht weiß, wie es gemeint ist. Ihre Brisanz gewinnt sie daraus, dass immer offenbleibt, wo politische Intention aufhört und wo Satire anfängt. Vielleicht muss man gar nicht an die Möglichkeit einer Revolution glauben; vielleicht reicht es, wenn genügend Leute so tun, als würden sie die Welt verändern.
HARALD STAUN
Friedrich von Borries: "RLF". Suhrkamp, 252 Seiten, 13,99 Euro. Erscheint am 19. August
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Friedrich von Borries sagt, man könne den Kapitalismus besiegen. Aber glaubt er es auch?
Man kann Friedrich von Borries' neues Buch nicht lesen, ohne sich zu fragen, was es überhaupt sein soll, und dass es Zweifel gibt an seinen rein literarischen Ambitionen, dafür sorgt erst einmal der Autor selbst. "RLF", das seinen Titel als Abkürzung für Adornos berühmten Satz "Es gibt kein richtiges Leben im falschen" ausgibt, sei nicht nur, wie es das Buch selbst auf seinem Cover behauptet, ein "Roman", sondern gleichzeitig, so steht es auf der Website zum Buch: "Protestbewegung, Konzeptkunstwerk und Lifestyle-Unternehmen". Das politische Programm dieser Bewegung bestehe darin, "unter dem Motto ,Werde Shareholder der Revolution' . . . das kapitalistische Wirtschaftssystem mit seinen eigenen Waffen zu schlagen. Konsum wird Widerstand."
Dass es sich bei "RLF" nicht nur um eine Fiktion handelt, dafür hat der Hamburger Designprofessor Borries bereits einiges getan. Am 1. Mai, Monate bevor das Buch überhaupt erschienen ist, ließ er ein paar mehr oder weniger wütend aussehende junge Menschen Plakate mit dem Adorno-Satz durch Kreuzberg tragen. Nach der Veröffentlichung soll es die revolutionären Luxusartikel, die sich die Romanhelden ausgedacht haben, auch tatsächlich zu kaufen geben: Tapeten und Teekannen mit dem hypnotisierenden Schwarz-Weiß-Muster, veredelte Ikea-"Lack"-Tische, unter deren unversiegelter Blattgold-Schicht der Slogan "Show you are not afraid" sichtbar wird, vielleicht auch das Parfum der amerikanischen Künstlerin Lisa Kirk, das nach Schweiß und Tränengas riecht: die "Revolution ist Glamour", schreibt Borries, sie "kann nicht teuer genug sein".
Ein Tisch aber ist bekanntlich schon lange mehr als ein Tisch, weshalb ein ganzer Showroom voller Warenform gewordenem Lebensgefühl nicht reicht, um das Reich der Fiktion zu verlassen. Die Frage ist nur: Ist das wirklich Borries' Absicht? In Interviews über das Buch tut er gern so, als wäre er selbst eine Figur aus seinem Roman, der ernsthaft daran glaubt, mit dem Konzept von "RLF" die Welt verändern zu können. Dass man sich auch nach der Lektüre nicht sicher ist, ob das mehr ist als nur eine konsequent durchgehaltene Künstlerpose, ist die größte Stärke des Projekts. Das zentrale Spannungsmoment des Buches besteht darin, dass man nie weiß, ob der Roman für die Revolution wirbt oder die Revolution für den Roman; ob Kunst als Politik getarnt wird oder Politik als Kunst.
Wer sich dagegen fragt, ob sich im Text tatsächlich eine Art politisches Manifest verbirgt, eine plausible Strategie, um die schon tausendfach rauf und runter deklinierten perfiden Verflechtungen von Kommerz und Kritik endlich gegen den Kapitalismus zu wenden, ist dem Buch schon auf den Leim gegangen. Dass Borries die Parolen seiner Helden auf die Straße trägt, heißt eben noch lange nicht, dass er für ihre Sache kämpft. Und doch ist es eher die Neugier auf die versprochene Geheimformel für die Revolution, die einen durch den Plot trägt. Die Handlung nämlich, die im Gegensatz zum politischen Programm der Figuren eher vom Laufband fordistischer Massenproduktion stammt, erzeugt auch nicht annähernd den herrlichen Schwindel, den Borries' Spiel mit den unterschiedlichen Rezeptionsebenen hervorruft.
Es geht um den erfolgreichen Werber Jan, der die Ikonographie der Revolution zunächst auch nur für ein Reservoir für Turnschuhwerbung hält (und die Idee, das eine mit dem anderen aufzuladen, tatsächlich noch für einen subversiven Akt) - bis er am Rande einer Präsentation in die Londoner Riots gerät. Er wirft Steine, plündert einen H&M, hat Sex mit einer Aktivistin. Eine Dosis Adrenalin und eine Portion Wir-Gefühl: das reicht, um sein Leben in Frage zu stellen, den Job, den Porsche, Frau, Kinder und das Haus in Blankenese. Eine Midlife-Crisis ist keine Lösung, es muss schon die Revolution sein. Und weil er außer Werbung nichts gelernt hat, will er ihre Verführungskraft nutzen, um die Gesellschaft zu verändern.
Um sein Ziel zu erreichen, entscheidet er sich für ein Leben als eine Art Doppelagent, der seiner Agentur den Umsturz als Kampagne verkauft. In New York trifft er die Aktivistin Slavia, die ihn mit dem Künstler Mikael Mikael bekannt macht, zusammen entwickeln sie das Konzept von RLF. Im Groben besteht es darin, der linksliberalen Kunstboheme Protestflair in Form zweckfreier Merchandising-Artikel zu verkaufen, und zwar am besten so teuer, dass das Distinktionsbedürfnis der Käufer befriedigt wird: Ein Sofa von Konstantin Grcic, ein Straßenkampfanzug von Kostas Murkudis, Fortbildungskurse für friedlichen Widerstand. Im Optimalfall erkennen die Käufer irgendwann den Bluff und damit auch die Falschheit ihrer Motive. Das Geld wiederum soll für den Aufbau einer Mikronation verwendet werden, den "Nukleus der zukünftigen Weltrevolution", wo die in ihren Widersprüchen gefangene Zielgruppe schon mal das richtige Leben üben darf.
Bevor Jan aber seinen antikapitalistischen Masterplan in einer Powerpoint-Präsentation vorstellen kann, schickt ihn Borries im Schnellkurs durch Theorie und Geschichte der Protestkultur. Wie er es als Werber gelernt hat, bedient er sich schamlos bei den virulenten Ideen künstlerischer oder theoretischer Kapitalismuskritik. Von Guy Debord klaut er das Konzept der Rekuperation, von Hakim Bey die Idee der Temporären Autonomen Zone, von Gerhard Richter und seinen Freunden an der Düsseldorfer Kunstakademie den Begriff des "Kapitalistischen Realismus". Dazwischen blendet Borries Kurzinterviews, die der fiktive Jan mit vergleichsweise echten Auskennern geführt hat, mit dem Occupy-Gründer Kalle Lasn, dem ehemaligen Résistance-Kämpfer Stéphane Hessel oder dem Soziologen Harald Welzer.
Leider klingt das oft wie die Heuristik der "Sendung mit der Maus". Immer hört Jan rechtzeitig auf zu lesen, bevor es zu komplex wird. Schon alleine wegen der Einfältigkeit seiner Hauptfigur kann man Borries' Bewegung unmöglich ernst nehmen. Wer will sich schon von einer Witzfigur die Welt erklären lassen, die, nur zum Beispiel, noch an die ungebrochene Erotik seines Berufs glaubt ("Die meisten Frauen bewundern ihn, wenn er von seinem Job spricht"). Da hilft es auch nichts, dass Borries von Jan (wie auch vom Künstler Mikael Mikael, der schon in Borries' Romandebüt "1WTC" auftrat) behauptet, dass es sich um real existierende Personen handelt. "Die Figur ist nicht schlecht ausgedacht, sie ist gar nicht ausgedacht", sagte er in einem Interview, als sei das eine Legitimation für literarische Faulheit.
Als Helden einer Groteske allerdings funktionieren Borries' Figuren ganz wunderbar. Die überzeugendsten Figuren dabei kommen im Roman nur am Rande vor: die imaginierten Käufer der RLF-Produkte. Dass sich, etwa unter dem Berliner Galerienpublikum, tatsächlich genügend Interessenten für Borries' Sinnstiftungskrempel finden, macht den Roman zu einem Meisterwerk absurder Literatur, die gewissermaßen dort beginnt, wo das Buch aufhört. Die interessanteste Frage, auf die die Geschichte hinausläuft, ist sozusagen die zentrale falsche Frage des Kapitalismus: Wer soll das alles kaufen?
Allein die Spekulation über die Motive und Effekte zukünftiger RLF-Kunden führt mitten hinein in die herrlich absurden Antinomien des Kunstmarkts, zu den seine Mechanismen und sich selbst so seltsam ernst nehmenden Akteuren. In den konsumkritischen Kunstkonsumenten, die auch gerne die Welt verändern würden, sich aber mit ihren 400 Euro teuren Martin-Margiela-Pullovern nicht alleine auf den Tahrir-Platz trauen, sieht Borries eine Marktlücke für die Revolution. Seine RLF-Accessoires sind eine Art Palästinensertuch für Reiche, nicht nur wegen der Ähnlichkeit der Muster.
Ginge es Borries wirklich um die Revolution, müsste er vielleicht tatsächlich die Frage beantworten, warum der Kauf seiner überteuerten Protestfetische eine größere Wirkung auf das revolutionäre Bewusstsein haben soll als etwa der des Nike-Laufschuhs "Revolution". Als Künstler aber kann es ihm egal sein, welche Absicht ihm die Käufer unterstellen; ob sie ihm abnehmen, dass sich sein Kunstprojekt nur als Kunstprojekt ausgibt; ob sie seine Teekannen in umstürzlerischer, prätentiöser oder ironischer Absicht erwerben; ob sie seinen Weltverbesserungsplan für wahnsinnig schlau oder für wahnsinnig lustig halten. Dabei geht es eben gerade nicht um Authentizität; Authentizität ist etwas für die Camper im Zuccotti-Park, die dort stehen, weil sie nicht anders können. Die RLF-Revoluzzer könnten immer auch anders, das ist der Grund für ihre ideologische Trägheit. Und wenn sie den Kapitalismus am Ende doch nicht abschaffen können, verspricht RLF, können sie sich wenigstens "endlich mal richtig wohlfühlen im eigenen Unbehagen".
Irgendwo im herrlichen Chaos all dieser Rezeptionsebenen wird sich vermutlich der politische Effekt verlieren. Oder eben auch nicht: Die entscheidende Frage, die Borries' Spaßguerrilla aufwirft, ist die, ob Revolution womöglich auch als ironisches Projekt funktionieren könnte. Was die Politik von der Kunst lernen kann, ist die Suspension der Authentizität. Kunst ist - wie Borries' Aktivismus - immer etwas, wovon man nicht weiß, wie es gemeint ist. Ihre Brisanz gewinnt sie daraus, dass immer offenbleibt, wo politische Intention aufhört und wo Satire anfängt. Vielleicht muss man gar nicht an die Möglichkeit einer Revolution glauben; vielleicht reicht es, wenn genügend Leute so tun, als würden sie die Welt verändern.
HARALD STAUN
Friedrich von Borries: "RLF". Suhrkamp, 252 Seiten, 13,99 Euro. Erscheint am 19. August
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur ZEIT-Rezension
Ganz schoen vielschichtig, das Ganze, staunt Elisabeth von Thadden über Friedrich von Borries' Roman "RLF". Denn die Geschichte über den Werber Jan, den Künstler Mikael und die Occupy-Aktivistin Slavia, die gemeinsam das Unternehmen RLF gründen, das den Kapitalismus mit seinen eigenen Mitteln schlagen will, bildet so etwas wie die fiktionalisierte Vorgeschichte für Borries' reales Unternehmen RLF, das eben das verspricht: Widerstand durch Konsum, fasst die Rezensentin zusammen. Doch dieses reale Unternehmen ist wiederum ein Zwitterwesen aus Protestkultur und Kunst mit Exponaten etwa am Hamburger Bahnhof in Berlin. Bei aller Mehrbödigkeit handelt es sich bei "RLF" jedoch nicht um "eines der langweiligen ironischen Zeichenspielchen mit Täuschung und Tarnung", versichert von Thadden, denn Borries verfolge auf allen Ebenen ein durchaus ernstes Anliegen, nämlich "Aufklärung durch ästhetische Irritation".
© Perlentaucher Medien GmbH
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Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 22.08.2013Ein Opportunist des Designs
Eher ungefährlich: Das Buch und Projekt „RLF“ ruft die Revolution mit den Mitteln des Kapitalismus aus
Es gab einmal, vor nicht allzu langer Zeit, eine vermeintliche Bewegung des Widerstands gegen den Zustand der Gesellschaft im Allgemeinen und gegen das Finanzkapital im Besonderen, die den Grund ihres schnellen Scheiterns schon in ihrem Namen trug: Occupy. Denn was heißt „Besetzen“ oder „in Besitz nehmen“? Es heißt nicht, dass sich in der Sache etwas ändern soll. Sondern dass sie weiterbestehen soll, unter einem neuen Besitzer. Für eine Bewegung des Protests hielt sich Occupy, und daran ist so viel richtig, als sie irgendwie dagegen war. Aber wogegen sie war oder gar aus welchen Gründen, das war von ihr, jenseits von ein paar Allerweltsformeln über globale Ungerechtigkeiten aller Art, nicht zu erfahren. Denn Occupy hatte die Kritik durch die Beschwerde ersetzt, und ihr Argument war die Vorführung von Betroffenheit. Es fehlte der Bewegung ein Begriff ihres Gegners.
Der Hamburger Architekt und Designtheoretiker Friedrich von Borries hat in diesen Tagen ein Buch mit dem Titel „RLF“ – er nennt es einen Roman – veröffentlicht, in dem Occupy nicht nur vorkommt, sondern auch das Verfahren vorgibt (Friedrich von Borries: RLF. Suhrkamp Verlag, Berlin 2013. 252 Seiten, 13,99 Euro) . „Wenn du etwas verändern willst, musst du aus der Idee ein attraktives Produkt machen, und dann verbreitet sie sich wie von selbst“, erklärt eine der drei Hauptfiguren des Buches. Verändert werden soll die Welt, die kapitalistische Gesellschaft, was auch immer, mit einer „Revolution“. Aus welchen Gründen die „falsche Welt vernichtet“ werden soll, kommt in diesem Werk in keiner Zeile vor. Es ist auch gleichgültig, weil jeder Krawall, jeder Protest, jede Form des Widerstands hier von vornherein im Recht sein soll. Die Plünderungen in Londoner Vorstädten, die Besetzung des Zuccotti Park nicht weit von der Wall Street, die halbnackten Frauen von Femen – sie alle haben sich in diesem Buch zu einer weltumspannenden Bewegung zu versammeln, für die vor allem eines gilt: Sie muss Avantgarde sein, im ästhetischen, vor allem aber im modischen Sinne. Jan, der unschwer als Figuration des Autors zu erkennende Held der Geschichte, ist der dazugehörige bedingungslose Opportunist des Protests.
Dieser Held, Kreativdirektor von Beruf, entwirft zu Beginn die Kampagne für einen Turnschuh mit dem Namen „Urban Force“. Er soll, scheinbar kostbar, teuer, schwarz, zum begehrenswertesten Gut einer Jugend werden, die ihr Stilideal in der Stadtguerilla findet. Und weil diese Kampagne zunächst Erfolg verspricht, wird der Gedanke ausgeweitet: Das Volk soll sich die Revolution nicht nur kaufen, sondern sie soll sich ihm in Gestalt der attraktivsten Konsumartikel anbieten. „Wir bieten Lifestyle-Produkte an, mit denen die Leute als Konsumenten aktive Teilnehmer einer Revolution werden können, weil sie den Ort der Macht finanzieren.“ Aus der Werbekampagne mit dem Turnschuh wird so ein Geschäftsmodell, ein Versandhaus oder ein Warenhaus, in dessen gedanklicher Mitte die scheinbare Veredelung des Daseins durch das Design steht, die Verkunstung des Lebens durch geliehene Originalität – ein Verfahren, das im Buch selbst praktiziert wird, in einer Mischung von Erzählung, Lexikon und Interviews.
Deswegen trägt das Buch den Titel „RLF“, der eine Umkehrung des bekanntesten Satzes enthalten soll, den der kulturkritische Philosoph Theodor W. Adorno je formulierte: Aus „es gibt kein richtiges Leben im falschen“ wird „richtiges Leben im falschen“. Vielleicht bedeutet die Abkürzung auch „Real Life Fiction“. Die Unterschiede spielen, der im englischen Titel anklingenden Ironie zum Trotz, keine Rolle: Jan, der Held der Geschichte, ist der dazugehörige bedingungslose Opportunist des Designs.
Das viele Geld, das man mit dem Design des Protests soll verdienen können, wozu soll es dienen? Eine „Mikronation“ soll gegründet werden, „eine temporäre autonome Zone“, „eine Insel des Richtigen im Falschen“. Da ist sie wieder, die begriffliche Hilflosigkeit einer Bewegung namens Occupy. Denn was ist eine Nation, wenn nicht die Einheit von Staatsvolk und Volksstaat, nach außen abgegrenzt und nach Innen auf Identifikation angelegt, eine Wiederholung dessen also, was man durch eine Revolution hatte überwinden wollen?Eine „Rekuperation der Rekuperation“ hatte der engste Mitarbeiter Jans den Gedanken genannt, den großen Umsturz mit den Mitteln der avancierten Warenwirtschaft zu betreiben. Das Verfahren ist eine modernisierte Variante des Marsches durch die Institutionen, den Rudi Dutschke im Jahr 1967 propagierte. Herausgekommen ist, aus naheliegenden Gründen, ein Marsch der Institutionen durch die Revolutionäre. Mehr als die einfache „Rekuperation“, in aller ihrer Schäbigkeit, kommt nicht dabei heraus. Jan, der Held der Geschichte, ist der dazugehörige bedingungslose Opportunist der Macht.
Jan, das darf man bei einem Thesenroman verraten, stirbt am Ende des Buches. Sein Projekt aber, das Unternehmen „RLF“, besteht nicht nur in einer Geschichte und einem Buch, sondern auch in einer Ausstellung, die in diesen Tagen eröffnet werden wird, in einem Film, den der Kultursender „Arte“ ausstrahlen wird, und sogar das Kaufhaus gibt es, an der Potsdamer Straße in Berlin. Das Unternehmen ist aber auch nicht mehr da: „RLF tritt nach außen nicht als Unternehmen auf, sondern als Kunstwerk. Konzeptkunst, die sich als Unternehmen ausgibt. Und Kunst ist nicht billig, das weiß jeder. Aber wir nehmen die Kunst in die Pflicht, unsere Kunst soll was bewegen, was verändern. Alles klar?“ Solche Kunst gibt es, sie fällt unter den „erweiterten Kunstbegriff“ und beruht auf Deklarationen: Kunst ist, was der Kurator zu Kunst erklärt. Sie hat den Vorteil, dass man niemanden dafür verantwortlich machen kann. Sie ist deswegen aber auch nicht gefährlich. Hier endlich tritt Friedrich von Borries, der Erfinder dieses Kunstunternehmens, auf: als Opportunist aller Opportunismen. Kein Wunder, dass diese Figur Karriere macht.
THOMAS STEINFELD
Kurator des Umsturzes ist
der Kunsthochschulprofessor
Friedrich von Borries
Mit dem richtigen Turnschuh hier gewinnen: Unruhen auf der High Road in Tottenham, 2011, einem Schauplatz von „RLF“.
FOTO: LEON NEAL/AFP
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Eher ungefährlich: Das Buch und Projekt „RLF“ ruft die Revolution mit den Mitteln des Kapitalismus aus
Es gab einmal, vor nicht allzu langer Zeit, eine vermeintliche Bewegung des Widerstands gegen den Zustand der Gesellschaft im Allgemeinen und gegen das Finanzkapital im Besonderen, die den Grund ihres schnellen Scheiterns schon in ihrem Namen trug: Occupy. Denn was heißt „Besetzen“ oder „in Besitz nehmen“? Es heißt nicht, dass sich in der Sache etwas ändern soll. Sondern dass sie weiterbestehen soll, unter einem neuen Besitzer. Für eine Bewegung des Protests hielt sich Occupy, und daran ist so viel richtig, als sie irgendwie dagegen war. Aber wogegen sie war oder gar aus welchen Gründen, das war von ihr, jenseits von ein paar Allerweltsformeln über globale Ungerechtigkeiten aller Art, nicht zu erfahren. Denn Occupy hatte die Kritik durch die Beschwerde ersetzt, und ihr Argument war die Vorführung von Betroffenheit. Es fehlte der Bewegung ein Begriff ihres Gegners.
Der Hamburger Architekt und Designtheoretiker Friedrich von Borries hat in diesen Tagen ein Buch mit dem Titel „RLF“ – er nennt es einen Roman – veröffentlicht, in dem Occupy nicht nur vorkommt, sondern auch das Verfahren vorgibt (Friedrich von Borries: RLF. Suhrkamp Verlag, Berlin 2013. 252 Seiten, 13,99 Euro) . „Wenn du etwas verändern willst, musst du aus der Idee ein attraktives Produkt machen, und dann verbreitet sie sich wie von selbst“, erklärt eine der drei Hauptfiguren des Buches. Verändert werden soll die Welt, die kapitalistische Gesellschaft, was auch immer, mit einer „Revolution“. Aus welchen Gründen die „falsche Welt vernichtet“ werden soll, kommt in diesem Werk in keiner Zeile vor. Es ist auch gleichgültig, weil jeder Krawall, jeder Protest, jede Form des Widerstands hier von vornherein im Recht sein soll. Die Plünderungen in Londoner Vorstädten, die Besetzung des Zuccotti Park nicht weit von der Wall Street, die halbnackten Frauen von Femen – sie alle haben sich in diesem Buch zu einer weltumspannenden Bewegung zu versammeln, für die vor allem eines gilt: Sie muss Avantgarde sein, im ästhetischen, vor allem aber im modischen Sinne. Jan, der unschwer als Figuration des Autors zu erkennende Held der Geschichte, ist der dazugehörige bedingungslose Opportunist des Protests.
Dieser Held, Kreativdirektor von Beruf, entwirft zu Beginn die Kampagne für einen Turnschuh mit dem Namen „Urban Force“. Er soll, scheinbar kostbar, teuer, schwarz, zum begehrenswertesten Gut einer Jugend werden, die ihr Stilideal in der Stadtguerilla findet. Und weil diese Kampagne zunächst Erfolg verspricht, wird der Gedanke ausgeweitet: Das Volk soll sich die Revolution nicht nur kaufen, sondern sie soll sich ihm in Gestalt der attraktivsten Konsumartikel anbieten. „Wir bieten Lifestyle-Produkte an, mit denen die Leute als Konsumenten aktive Teilnehmer einer Revolution werden können, weil sie den Ort der Macht finanzieren.“ Aus der Werbekampagne mit dem Turnschuh wird so ein Geschäftsmodell, ein Versandhaus oder ein Warenhaus, in dessen gedanklicher Mitte die scheinbare Veredelung des Daseins durch das Design steht, die Verkunstung des Lebens durch geliehene Originalität – ein Verfahren, das im Buch selbst praktiziert wird, in einer Mischung von Erzählung, Lexikon und Interviews.
Deswegen trägt das Buch den Titel „RLF“, der eine Umkehrung des bekanntesten Satzes enthalten soll, den der kulturkritische Philosoph Theodor W. Adorno je formulierte: Aus „es gibt kein richtiges Leben im falschen“ wird „richtiges Leben im falschen“. Vielleicht bedeutet die Abkürzung auch „Real Life Fiction“. Die Unterschiede spielen, der im englischen Titel anklingenden Ironie zum Trotz, keine Rolle: Jan, der Held der Geschichte, ist der dazugehörige bedingungslose Opportunist des Designs.
Das viele Geld, das man mit dem Design des Protests soll verdienen können, wozu soll es dienen? Eine „Mikronation“ soll gegründet werden, „eine temporäre autonome Zone“, „eine Insel des Richtigen im Falschen“. Da ist sie wieder, die begriffliche Hilflosigkeit einer Bewegung namens Occupy. Denn was ist eine Nation, wenn nicht die Einheit von Staatsvolk und Volksstaat, nach außen abgegrenzt und nach Innen auf Identifikation angelegt, eine Wiederholung dessen also, was man durch eine Revolution hatte überwinden wollen?Eine „Rekuperation der Rekuperation“ hatte der engste Mitarbeiter Jans den Gedanken genannt, den großen Umsturz mit den Mitteln der avancierten Warenwirtschaft zu betreiben. Das Verfahren ist eine modernisierte Variante des Marsches durch die Institutionen, den Rudi Dutschke im Jahr 1967 propagierte. Herausgekommen ist, aus naheliegenden Gründen, ein Marsch der Institutionen durch die Revolutionäre. Mehr als die einfache „Rekuperation“, in aller ihrer Schäbigkeit, kommt nicht dabei heraus. Jan, der Held der Geschichte, ist der dazugehörige bedingungslose Opportunist der Macht.
Jan, das darf man bei einem Thesenroman verraten, stirbt am Ende des Buches. Sein Projekt aber, das Unternehmen „RLF“, besteht nicht nur in einer Geschichte und einem Buch, sondern auch in einer Ausstellung, die in diesen Tagen eröffnet werden wird, in einem Film, den der Kultursender „Arte“ ausstrahlen wird, und sogar das Kaufhaus gibt es, an der Potsdamer Straße in Berlin. Das Unternehmen ist aber auch nicht mehr da: „RLF tritt nach außen nicht als Unternehmen auf, sondern als Kunstwerk. Konzeptkunst, die sich als Unternehmen ausgibt. Und Kunst ist nicht billig, das weiß jeder. Aber wir nehmen die Kunst in die Pflicht, unsere Kunst soll was bewegen, was verändern. Alles klar?“ Solche Kunst gibt es, sie fällt unter den „erweiterten Kunstbegriff“ und beruht auf Deklarationen: Kunst ist, was der Kurator zu Kunst erklärt. Sie hat den Vorteil, dass man niemanden dafür verantwortlich machen kann. Sie ist deswegen aber auch nicht gefährlich. Hier endlich tritt Friedrich von Borries, der Erfinder dieses Kunstunternehmens, auf: als Opportunist aller Opportunismen. Kein Wunder, dass diese Figur Karriere macht.
THOMAS STEINFELD
Kurator des Umsturzes ist
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Friedrich von Borries
Mit dem richtigen Turnschuh hier gewinnen: Unruhen auf der High Road in Tottenham, 2011, einem Schauplatz von „RLF“.
FOTO: LEON NEAL/AFP
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»Es wird klar: RLF ist ein Kapitel der Weltverbesserungsmaschine, zu lesen unter dem Gold der Oberflächen, gegen die Angst. Eine berückende Idee, an der man sich, für ein Weilchen, die Finger vergoldet, wenn man sich mit ihr befasst.« Elisabeth von Thadden DIE ZEIT 20130822