Der Journalist Leo Kainzer soll über die argentinische Präsidentenwahl berichten und eilt aus der Toskana ins herbstliche Buenos Aires. Doch statt auf Kundgebungen und Pressekonferenzen zu gehen, muss er sich auf die Spur des Ehemanns einer Jugendfreundin setzen - eines Experten für die Wasserreserven der Welt, der sich grußlos mit einer halben Million Dollar und viel Whisky im Gepäck in den patagonischen Regenwald abgesetzt hat. Kainzer kann nicht einmal annähernd ahnen, was auf dem gefährlichen Ritt durch die südliche Andenwildnis auf ihn zukommen wird: ein durchgeknallter Diplomat mit austrofaschistischer Gattin;ein bisexueller Naturanbeter aus dem Innviertel;ein zwergenhafter Schuhputzer und Fabulierer;eine trostbedürftige junge Frau aus Montevideo. Stets ein Phantom bleibt dabei Franz Melan, der Verschollene. Der schwelgt indessen, kaum aus dem Sattel, in patagonischen Gaumenfreuden und fällt bald in die Arme einer oft missbrauchten, vergeltungssüchtigen Mapuche. Eine bigotte, esoterische Initiationsreise, ein ironisch-patagonischer Western, ein redlicher Kampf um reines Süßwasser? Germán Kratochwil entführt in einen Urwald menschlicher Begierden und Sehnsüchte, wo gegensätzliche Interessen und widersprüchliche Charaktere aufeinanderstoßen. Er tut dies in einer saftigen Prosa, voll Scharfsinn und Humor.
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Nach der Lektüre von Germán Kratochwils neuem Roman "Río puro" ist Rezensent Wolfgang Schneider hin- und hergerissen. Nach dem hochgelobten Vorgänger "Scherbengedicht" folgt der Kritiker in diesem zweiten Teil der geplanten Patagonien-Trilogie einem alternden Journalisten, der auf einer Argentinien-Reise plötzlich als Privatdetektiv seinem alten Jugendfreund hinterherreisen muss, nachdem dieser mit einer halben Million Dollar untergetaucht ist. Schneider folgt den beiden in den Regenwald, liest von derart brutalen Vergewaltigungen, dass er zartbesaitete Leser warnen möchte, ergeht sich in Naturbeschreibungen von "Stifterscher Wucht" und amüsiert sich mit einem Ensemble kurioser Gestalten. Dennoch muss der Rezensent gestehen, dass ihm einige Passagen zu sehr in die Länge gezogen erscheinen: Neben der langwierigen Verfolgungsjagd hätte er in dieser ansonsten sehr gelungenen Persiflage auf Aussteigerromane auch auf die ein oder andere politisch-ökologische Ausführung verzichten können.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 20.05.2014Ab sofort wird nur noch mit der Machete gearbeitet
Ein Spottlied auf die Aussteigerromantik: "Río puro", der zweite Teil von Germán Kratochwils Patagonien-Trilogie
Vor zwei Jahren schaffte der Spätdebütant Germán Kratochwil auf Anhieb die Nominierung zum Deutschen Buchpreis. Sehr verdient, denn der weltläufige Vierundsiebzigjährige hatte mit dem Roman "Scherbengericht" eine furiose Gesellschaftskomödie über eine österreichische Auswanderergesellschaft in Patagonien vorgelegt, in der sich die Schicksalswege von Emigranten und entwichenen Nazis kreuzen. Das Buch überzeugte durch ungewohnte Schauplätze und Figuren, intelligente Dialoge sowie einen Stil, der auch unappetitliche Vorkommnisse gepflegt zum Ausdruck bringt und keineswegs verhehlt, dass der Autor Thomas Mann, Doderer, Broch und Stifter gründlich gelesen hat.
Inzwischen ist der zweite Roman von Kratochwils geplanter "patagonischer Trilogie" erschienen. Ein alternder Journalist ist die Hauptfigur. Leo Kainzer bildet sich einiges auf den saftig-kühlen Realismus seiner Reportagen ein, verkraftet seinen Abstieg in die Freiberuflichkeit aber nur schwer. Jetzt soll er aus Argentinien von den Präsidentenwahlen berichten; die Handlung spielt im Jahr 2003. Kaum in Buenos Aires gelandet, kommt etwas dazwischen: Livia, die Frau von Kainzers Jugendfreund Franz Melan, ist verzweifelt. Franz ist mit einer halben Million Dollar verschwunden. Hat sich der fettleibige Mann in den Regenwald abgesetzt?
Leo Kainzer reist ihm wie ein Privatdetektiv hinterher. Seine erste Recherche-Station: der österreichische Honorarkonsul Aegidius Gruber und seine Gattin Erika, eine unflätig schimpfende, notorisch antisemitische Frau. Der Abend beim Hirschragout wird zur Qual, als die Gruberova sich mit einem letzten Fluch von ihrem Mann zur Nachtruhe verabschiedet ("Du Birnmostschädel!") und der in Lederhose gekleidete und in Adorno-Zitaten schwelgende Diplomat freie Bahn hat, die Früchte seiner Privatgelehrsamkeit auszubreiten: Der Geschichte des Universums vor dem Urknall ist er auf der Spur und hat bereits ein kosmologisches Werk im Selbstverlag publiziert.
Fortan wechseln die Kainzer-Abschnitte mit Kapiteln über Franz Melan, der ihm immer ein paar Tagesreisen voraus ist. Sein Ziel scheint Timothy Meyllonet, ein über den Wolken thronender amerikanischer Kapitalist, der sich die Menschen im Regenwald gefügig machen will, zu gutem Zweck, versteht sich. Mit dem Vermögen, das ihm seine Fastfood-, Tankstellen- und Wäscherei-Ketten eingebracht haben, will er die größten Süßwasserreserven der Erde retten und alle Motorsägen aus dem Regenwald verbannen; nur noch Macheten sollen erlaubt sein. Meyllonets Projekt bleibt allerdings so schemenhaft wie die Absicht, mit der sich Franz Melan über Anden-Pfade hinaufquält zum erhabenen Waldsitz des Kettenkönigs, der seinerseits den Privathubschrauber bevorzugt.
Ein Motto von Adalbert Stifter ist dem Buch vorangestellt, und auch in der Mitte des Romans wird dieser österreichische Klassiker zitiert: "Und doch ist es zuletzt wieder die Seele allein, die alle ihre innere Größe hinaus in das Gleichnis der Natur legt." Dieses Verhältnis verliert bei Kratochwils Regenwaldgängern die Proportionen. Zwar haben die Naturbeschreibungen bisweilen Stiftersche Wucht; von großen Seelen kann aber gerade nicht die Rede sein. Die haben hier vielmehr etwas ausgesprochen Unterholziges, Vermoostes, ungut Verwuchertes, um im Gleichnis zu bleiben. Da gibt es zum Beispiel den Wasserexperten und Wald-Philosophen Gregor Hold ("Don Chold"), dessen Name den Unhold bereits ankündigt. Seine Frau Marta hat er die Treppe hinuntergestoßen und ihr gebrochenes Bein in Heimarbeit so dilettantisch geschient, dass eine schmerzhafte Verkrüppelung daraus resultierte.
Von seltsamen Lüsten, von Vergewaltigung und Quälerei erzählt der Roman in der zweiten Hälfte mit einer geradezu faunischen Freude am Verqueren. Franz Melan kommt nie an sein Ziel, denn vorher wird er Opfer der Rache einer missbrauchten und stark behaarten Mapuche-Frau, in einer garstigen Sexszene, die selbst Hartgesottene auf die Probe stellt. "Sein Skrotum ist zerfleischt, als hätte man Hunde auf ihn angesetzt" - so das Resultat. Die olfaktorische Genauigkeit der Beschreibungen ist im Übrigen auffallend, etwa bei der Geruchsmischung, die für das patagonische Landvolk charakteristisch sein soll: "dieses Gemenge aus ranzigem Fett, durchschwitztem Leder, Holzfeuerrauch, Pferdeausdünstung, Tabak, Achselschweiß, Urin und Exkrementen." Río puro? "Pur" und "rein" ist hier nichts.
Der Roman ist ein Spott auf jede Wald- und Aussteigerromantik. Kratochwils Patagonien bietet ein modriges, bedrückendes Schattenreich, das im Menschen ein dringendes Verlangen nach Licht und Sonne weckt: Nur raus hier! Leider gilt das am Ende auch für diesen Roman. Er hat sehr gelungene Passagen, etwa den Auftritt eines kleinwüchsigen Schuhputzers in der Montur eines südamerikanischen Caudillos, der auch in seiner cleveren Gesprächigkeit an die Zwerge aus Thomas Manns Josephsromanen erinnert. Aber mit Blick auf das Ganze muss man feststellen: Der Autor verfügt hier durchaus über die Mittel, aber nicht über die Ökonomie des Erzählens. In der zweiten Hälfte verliert man das Interesse an der Verfolgungsjagd, zumal der Lauf der Handlung immer wieder aufgestaut wird durch politisch-ökologische Ausführungen. Beim dritten Teil seiner Trilogie sollte Germán Kratochwil deshalb erzählerischen Wildwuchs vermeiden, auch wenn die Geschichte in der Wildnis spielt. Es muss ja nicht gleich die Motorsäge sein, aber die Machete eines guten Lektors kann Wunder wirken.
WOLFGANG SCHNEIDER.
Germán Kratochwil: "Río puro". Roman. Picus Verlag, Wien 2013. 302 S., geb., 22,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Ein Spottlied auf die Aussteigerromantik: "Río puro", der zweite Teil von Germán Kratochwils Patagonien-Trilogie
Vor zwei Jahren schaffte der Spätdebütant Germán Kratochwil auf Anhieb die Nominierung zum Deutschen Buchpreis. Sehr verdient, denn der weltläufige Vierundsiebzigjährige hatte mit dem Roman "Scherbengericht" eine furiose Gesellschaftskomödie über eine österreichische Auswanderergesellschaft in Patagonien vorgelegt, in der sich die Schicksalswege von Emigranten und entwichenen Nazis kreuzen. Das Buch überzeugte durch ungewohnte Schauplätze und Figuren, intelligente Dialoge sowie einen Stil, der auch unappetitliche Vorkommnisse gepflegt zum Ausdruck bringt und keineswegs verhehlt, dass der Autor Thomas Mann, Doderer, Broch und Stifter gründlich gelesen hat.
Inzwischen ist der zweite Roman von Kratochwils geplanter "patagonischer Trilogie" erschienen. Ein alternder Journalist ist die Hauptfigur. Leo Kainzer bildet sich einiges auf den saftig-kühlen Realismus seiner Reportagen ein, verkraftet seinen Abstieg in die Freiberuflichkeit aber nur schwer. Jetzt soll er aus Argentinien von den Präsidentenwahlen berichten; die Handlung spielt im Jahr 2003. Kaum in Buenos Aires gelandet, kommt etwas dazwischen: Livia, die Frau von Kainzers Jugendfreund Franz Melan, ist verzweifelt. Franz ist mit einer halben Million Dollar verschwunden. Hat sich der fettleibige Mann in den Regenwald abgesetzt?
Leo Kainzer reist ihm wie ein Privatdetektiv hinterher. Seine erste Recherche-Station: der österreichische Honorarkonsul Aegidius Gruber und seine Gattin Erika, eine unflätig schimpfende, notorisch antisemitische Frau. Der Abend beim Hirschragout wird zur Qual, als die Gruberova sich mit einem letzten Fluch von ihrem Mann zur Nachtruhe verabschiedet ("Du Birnmostschädel!") und der in Lederhose gekleidete und in Adorno-Zitaten schwelgende Diplomat freie Bahn hat, die Früchte seiner Privatgelehrsamkeit auszubreiten: Der Geschichte des Universums vor dem Urknall ist er auf der Spur und hat bereits ein kosmologisches Werk im Selbstverlag publiziert.
Fortan wechseln die Kainzer-Abschnitte mit Kapiteln über Franz Melan, der ihm immer ein paar Tagesreisen voraus ist. Sein Ziel scheint Timothy Meyllonet, ein über den Wolken thronender amerikanischer Kapitalist, der sich die Menschen im Regenwald gefügig machen will, zu gutem Zweck, versteht sich. Mit dem Vermögen, das ihm seine Fastfood-, Tankstellen- und Wäscherei-Ketten eingebracht haben, will er die größten Süßwasserreserven der Erde retten und alle Motorsägen aus dem Regenwald verbannen; nur noch Macheten sollen erlaubt sein. Meyllonets Projekt bleibt allerdings so schemenhaft wie die Absicht, mit der sich Franz Melan über Anden-Pfade hinaufquält zum erhabenen Waldsitz des Kettenkönigs, der seinerseits den Privathubschrauber bevorzugt.
Ein Motto von Adalbert Stifter ist dem Buch vorangestellt, und auch in der Mitte des Romans wird dieser österreichische Klassiker zitiert: "Und doch ist es zuletzt wieder die Seele allein, die alle ihre innere Größe hinaus in das Gleichnis der Natur legt." Dieses Verhältnis verliert bei Kratochwils Regenwaldgängern die Proportionen. Zwar haben die Naturbeschreibungen bisweilen Stiftersche Wucht; von großen Seelen kann aber gerade nicht die Rede sein. Die haben hier vielmehr etwas ausgesprochen Unterholziges, Vermoostes, ungut Verwuchertes, um im Gleichnis zu bleiben. Da gibt es zum Beispiel den Wasserexperten und Wald-Philosophen Gregor Hold ("Don Chold"), dessen Name den Unhold bereits ankündigt. Seine Frau Marta hat er die Treppe hinuntergestoßen und ihr gebrochenes Bein in Heimarbeit so dilettantisch geschient, dass eine schmerzhafte Verkrüppelung daraus resultierte.
Von seltsamen Lüsten, von Vergewaltigung und Quälerei erzählt der Roman in der zweiten Hälfte mit einer geradezu faunischen Freude am Verqueren. Franz Melan kommt nie an sein Ziel, denn vorher wird er Opfer der Rache einer missbrauchten und stark behaarten Mapuche-Frau, in einer garstigen Sexszene, die selbst Hartgesottene auf die Probe stellt. "Sein Skrotum ist zerfleischt, als hätte man Hunde auf ihn angesetzt" - so das Resultat. Die olfaktorische Genauigkeit der Beschreibungen ist im Übrigen auffallend, etwa bei der Geruchsmischung, die für das patagonische Landvolk charakteristisch sein soll: "dieses Gemenge aus ranzigem Fett, durchschwitztem Leder, Holzfeuerrauch, Pferdeausdünstung, Tabak, Achselschweiß, Urin und Exkrementen." Río puro? "Pur" und "rein" ist hier nichts.
Der Roman ist ein Spott auf jede Wald- und Aussteigerromantik. Kratochwils Patagonien bietet ein modriges, bedrückendes Schattenreich, das im Menschen ein dringendes Verlangen nach Licht und Sonne weckt: Nur raus hier! Leider gilt das am Ende auch für diesen Roman. Er hat sehr gelungene Passagen, etwa den Auftritt eines kleinwüchsigen Schuhputzers in der Montur eines südamerikanischen Caudillos, der auch in seiner cleveren Gesprächigkeit an die Zwerge aus Thomas Manns Josephsromanen erinnert. Aber mit Blick auf das Ganze muss man feststellen: Der Autor verfügt hier durchaus über die Mittel, aber nicht über die Ökonomie des Erzählens. In der zweiten Hälfte verliert man das Interesse an der Verfolgungsjagd, zumal der Lauf der Handlung immer wieder aufgestaut wird durch politisch-ökologische Ausführungen. Beim dritten Teil seiner Trilogie sollte Germán Kratochwil deshalb erzählerischen Wildwuchs vermeiden, auch wenn die Geschichte in der Wildnis spielt. Es muss ja nicht gleich die Motorsäge sein, aber die Machete eines guten Lektors kann Wunder wirken.
WOLFGANG SCHNEIDER.
Germán Kratochwil: "Río puro". Roman. Picus Verlag, Wien 2013. 302 S., geb., 22,90 [Euro].
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