Ein biographischer Abriss zu Robert Koch, dem Begründer der Bakteriologie in Deutschland. Der Band wertet den in Vergessenheit geratenen Nachlass aus und ermöglicht eine neue Sicht auf die Person und den Arbeitsstil des Nobelpreisträgers. Er enthält zudem erstmals einen vollständigen Katalog der Dokumente zum Lebenslauf und damit verbundener Auszeichnungen, Arbeitsmaterialien und der Briefe Robert Kochs. Für Bibliothekare und Archive ist das Werk auch wegen der Bestandsnachweise und Erschließungskriterien ein unverzichtbares Arbeitsmittel.
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 09.03.2004Krankheitserreger in Wort und Bild
Der Nachlass des großen Bakteriologen Robert Koch
Seine Unterschrift unter einen Vertrag über die Herstellung von Tuberkulin mit den Farbwerken Hoechst ist heute Sammlern mindestens 2000 Euro wert, wie der Katalog eines auf Handschriften spezialisierten Auktionshauses bezeugt. Wie umfangreich der Nachlass des berühmten Bakteriologen ist, macht eine Verzeichnung deutlich, die von der Deutschen Forschungsgemeinschaft finanziell gefördert wurde. Sie umfasst Bestände, die sich heute größtenteils in Berlin befinden, unter anderem die Nobelpreis-Urkunde, aber auch prosaische Quellen, wie z. B. die Akten über seinen Steuerstreit mit dem Berliner Finanzamt Anfang der 1890er Jahre. Dazu kommen zahlreiche Werkmanuskripte sowie ein umfangreicher Briefwechsel, der aber kaum Privatkorrespondenz beinhaltet. Auch lagern in Berlin über 3000 Fotografien sowie eine Vielzahl mikroskopischer Präparate. Diese sind im jetzt gedruckt vorliegenden Bestandsverzeichnis, nicht aufgenommen worden, weil darin nur der schriftliche Nachlass erfasst wird. Die Aufnahmen, die Kochs ganzer Stolz waren, sollen demnächst in einer digitalen Bilddatenbank erschlossen und der Forschung zugänglich gemacht werden.
An Material für eine neue, wissenschafts- und medizinhistorisch fundierte Biografie von Robert Koch fehlt es also nicht. Es braucht nur einen Autor, der sich dieser Herausforderung stellt. Ragnhild Münch, die das Bestandsverzeichnis erstellt hat und aus diesem Anlass auch eine kurze biografische Skizze zu Robert Koch verfasst, besitzt dazu leider nicht das Zeug. Dazu fehlen ihr Distanz und Überblick. So kommt beispielsweise die kritische Koch-Forschung in ihrem biografischen Abriss mit keiner Zeile zu Wort. So fehlt die Studie von Thomas Schlich zur Bildgläubigkeit, der auch Koch unterlag, indem er das neue Medium Fotografie für seine Zwecke zu nutzen wusste, ebenso Wolfgang U. Eckarts kritische Aufarbeitung der Afrika-Expeditionen Kochs. Der Tuberkulin-Skandal, der in die Zeit von Robert Kochs Ehekrise fällt, wird nur beiläufig erwähnt. Neuere Literatur dazu nicht genannt.
Dennoch hat die Kurzbiografie von Ragnhild Münch, die sozusagen eine Beigabe zum Bestandsverzeichnis ist, durchaus auch positive Seiten. Sie macht auf einige bislang wenig bekannte Fakten aufmerksam. So haben sich beispielsweise im Nachlass Dokumente erhalten, die belegen, dass nicht nur Koch Selbstversuche mit dem angeblichen Wundermittel Tuberkulin, einer Mischung aus abgeschwächten Tuberkelbazillen mit Glycerin und Wasser, Anfang der 1890er Jahre anstellte. Auch seine engsten Mitarbeiter, darunter der später ebenfalls mit dem Nobelpreis ausgezeichnete Paul Ehrlich (1854-1915), der wenige Jahre zuvor schwer an Tuberkulose erkrankt war, haben mit diesem Impfstoff experimentiert. Auch über Kochs eigenwilligen Arbeitsstil erfahren wir sehr viel Interessantes. Der frühere Landarzt, der zunächst unter heute kaum noch vorstellbaren Bedingungen den gefährlichen Milzbranderreger erforschte und später ein eigenes Institut mit zahlreichen Labors und exzellenten Assistenten bekam, nutzte schon früh innovative Techniken wie die Mikroskopie und Fotografie, um Krankheitserreger nachzuweisen.
Gefroren wie Champagner
Wie systematisch und überlegt Koch dabei vorging, macht Münchs Analyse der noch im Archiv vorhandenen Unterlagen zur Choleraforschung deutlich; denn sein für damalige Verhältnisse ungewöhnlicher Arbeitsstil erschließt sich nur mittelbar aus Kochs Veröffentlichungen. Dieser war sowohl experimentell als auch analytisch. „Methodisch-experimentell”, so Münch, „verfuhr Koch trotz wechselnder Themen nach dem gleichen Schema, der Sammlung von Material, Bestimmung der spezifischen Krankheit durch Benennung von Charakteristika, ggf. durch temporäre Abgrenzung in der Formulierung , um ein klares Bild zu gewinnen.” Am Ende stand dann meist eine bahnbrechende Veröffentlichung, die noch heute einen Meilenstein in der Medizingeschichte darstellt.
Kochs Schüler Georg Gaffky (1850- 1918) hat in seiner Gedächtnisrede diese Arbeitsweise auf den Punkt gebracht: „Hypothesen waren ihm nach dem Goetheschen Worte nur Gerüste, die er abtrug, wenn das Gebäude fertig war.” Auch über Kochs Abneigung gegen das Schreiben erfahren wir in dieser biografischen Skizze Neues. Der berühmte Bakteriologe, über den ein Schüler einmal sagte, er sei ein „Mann gefroren wie Champagner” gewesen, war kein Mann der großen Worte, jedenfalls kein Autor umfangreicher Hand- oder gar Lehrbücher. Aber die Kunst, die Ergebnisse seiner experimentellen Arbeiten knapp, präzise und vor allem überzeugend darzustellen, beherrschte Koch meisterhaft. Auch war er, wie Münch anhand von Funden im Nachlass ausführt, kein schlechter Redner, wenngleich er Vorlesungen angeblich nicht besonders gern gehalten haben soll.
Zu kurz kommt in dieser biografischen Skizze leider der Mensch Robert Koch. Über seine Ehekrise und die Wiederverheiratung erfahren wir nur das Notwendigste. Auch an der Etikettierung von Koch als „unpolitischer” Arzt wird man wohl seine Zweifel anmelden müssen.
ROBERT JÜTTE
RAGNHILD MÜNCH: Robert Koch und sein Nachlass in Berlin. Walter de Gruyter Verlag, Berlin 2003. 380 Seiten, 98 Euro.
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Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.diz-muenchen.de
Der Nachlass des großen Bakteriologen Robert Koch
Seine Unterschrift unter einen Vertrag über die Herstellung von Tuberkulin mit den Farbwerken Hoechst ist heute Sammlern mindestens 2000 Euro wert, wie der Katalog eines auf Handschriften spezialisierten Auktionshauses bezeugt. Wie umfangreich der Nachlass des berühmten Bakteriologen ist, macht eine Verzeichnung deutlich, die von der Deutschen Forschungsgemeinschaft finanziell gefördert wurde. Sie umfasst Bestände, die sich heute größtenteils in Berlin befinden, unter anderem die Nobelpreis-Urkunde, aber auch prosaische Quellen, wie z. B. die Akten über seinen Steuerstreit mit dem Berliner Finanzamt Anfang der 1890er Jahre. Dazu kommen zahlreiche Werkmanuskripte sowie ein umfangreicher Briefwechsel, der aber kaum Privatkorrespondenz beinhaltet. Auch lagern in Berlin über 3000 Fotografien sowie eine Vielzahl mikroskopischer Präparate. Diese sind im jetzt gedruckt vorliegenden Bestandsverzeichnis, nicht aufgenommen worden, weil darin nur der schriftliche Nachlass erfasst wird. Die Aufnahmen, die Kochs ganzer Stolz waren, sollen demnächst in einer digitalen Bilddatenbank erschlossen und der Forschung zugänglich gemacht werden.
An Material für eine neue, wissenschafts- und medizinhistorisch fundierte Biografie von Robert Koch fehlt es also nicht. Es braucht nur einen Autor, der sich dieser Herausforderung stellt. Ragnhild Münch, die das Bestandsverzeichnis erstellt hat und aus diesem Anlass auch eine kurze biografische Skizze zu Robert Koch verfasst, besitzt dazu leider nicht das Zeug. Dazu fehlen ihr Distanz und Überblick. So kommt beispielsweise die kritische Koch-Forschung in ihrem biografischen Abriss mit keiner Zeile zu Wort. So fehlt die Studie von Thomas Schlich zur Bildgläubigkeit, der auch Koch unterlag, indem er das neue Medium Fotografie für seine Zwecke zu nutzen wusste, ebenso Wolfgang U. Eckarts kritische Aufarbeitung der Afrika-Expeditionen Kochs. Der Tuberkulin-Skandal, der in die Zeit von Robert Kochs Ehekrise fällt, wird nur beiläufig erwähnt. Neuere Literatur dazu nicht genannt.
Dennoch hat die Kurzbiografie von Ragnhild Münch, die sozusagen eine Beigabe zum Bestandsverzeichnis ist, durchaus auch positive Seiten. Sie macht auf einige bislang wenig bekannte Fakten aufmerksam. So haben sich beispielsweise im Nachlass Dokumente erhalten, die belegen, dass nicht nur Koch Selbstversuche mit dem angeblichen Wundermittel Tuberkulin, einer Mischung aus abgeschwächten Tuberkelbazillen mit Glycerin und Wasser, Anfang der 1890er Jahre anstellte. Auch seine engsten Mitarbeiter, darunter der später ebenfalls mit dem Nobelpreis ausgezeichnete Paul Ehrlich (1854-1915), der wenige Jahre zuvor schwer an Tuberkulose erkrankt war, haben mit diesem Impfstoff experimentiert. Auch über Kochs eigenwilligen Arbeitsstil erfahren wir sehr viel Interessantes. Der frühere Landarzt, der zunächst unter heute kaum noch vorstellbaren Bedingungen den gefährlichen Milzbranderreger erforschte und später ein eigenes Institut mit zahlreichen Labors und exzellenten Assistenten bekam, nutzte schon früh innovative Techniken wie die Mikroskopie und Fotografie, um Krankheitserreger nachzuweisen.
Gefroren wie Champagner
Wie systematisch und überlegt Koch dabei vorging, macht Münchs Analyse der noch im Archiv vorhandenen Unterlagen zur Choleraforschung deutlich; denn sein für damalige Verhältnisse ungewöhnlicher Arbeitsstil erschließt sich nur mittelbar aus Kochs Veröffentlichungen. Dieser war sowohl experimentell als auch analytisch. „Methodisch-experimentell”, so Münch, „verfuhr Koch trotz wechselnder Themen nach dem gleichen Schema, der Sammlung von Material, Bestimmung der spezifischen Krankheit durch Benennung von Charakteristika, ggf. durch temporäre Abgrenzung in der Formulierung , um ein klares Bild zu gewinnen.” Am Ende stand dann meist eine bahnbrechende Veröffentlichung, die noch heute einen Meilenstein in der Medizingeschichte darstellt.
Kochs Schüler Georg Gaffky (1850- 1918) hat in seiner Gedächtnisrede diese Arbeitsweise auf den Punkt gebracht: „Hypothesen waren ihm nach dem Goetheschen Worte nur Gerüste, die er abtrug, wenn das Gebäude fertig war.” Auch über Kochs Abneigung gegen das Schreiben erfahren wir in dieser biografischen Skizze Neues. Der berühmte Bakteriologe, über den ein Schüler einmal sagte, er sei ein „Mann gefroren wie Champagner” gewesen, war kein Mann der großen Worte, jedenfalls kein Autor umfangreicher Hand- oder gar Lehrbücher. Aber die Kunst, die Ergebnisse seiner experimentellen Arbeiten knapp, präzise und vor allem überzeugend darzustellen, beherrschte Koch meisterhaft. Auch war er, wie Münch anhand von Funden im Nachlass ausführt, kein schlechter Redner, wenngleich er Vorlesungen angeblich nicht besonders gern gehalten haben soll.
Zu kurz kommt in dieser biografischen Skizze leider der Mensch Robert Koch. Über seine Ehekrise und die Wiederverheiratung erfahren wir nur das Notwendigste. Auch an der Etikettierung von Koch als „unpolitischer” Arzt wird man wohl seine Zweifel anmelden müssen.
ROBERT JÜTTE
RAGNHILD MÜNCH: Robert Koch und sein Nachlass in Berlin. Walter de Gruyter Verlag, Berlin 2003. 380 Seiten, 98 Euro.
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Viel Material zu dem Bakteriologen Robert Koch bietet sein in Berlin lagernder Nachlass, der nun erschlossen und in einem Bestandsverzeichnis dokumentiert wurde, berichtet Robert Jütte. Genug allemal für eine neue fundierte Biografie, versichert unser Rezensent und bedauert zugleich, dass die Autorin Ragnhild Münch für diese Aufgabe nicht die Richtige sei. Denn zwar führe sie in ihrer das Bestandsverzeichnis ergänzenden biografischen Skizze Kochs "eigenwilligen Arbeitsstil" eindrücklich vor Augen - wobei man sich als medizingeschichtlich Unkundiger schon fragt, was an der Sammlung von Daten und der "Bestimmung der spezifischen Krankheit durch Benennung von Charakteristika", von der Jütte berichtet, so "eigenwillig" ist -, indessen fehlt dem Rezensenten sowohl die Auseinandersetzung mit der reichhaltigen kritischen Forschung zu dem berühmten Bakteriologen als auch die Beschäftigung mit dem Menschen Koch.
© Perlentaucher Medien GmbH
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"Das faktenreiche Buch ist ein wichtiger Beitrag zur Wissenschafts- und Medizingeschichte."
Manfred Stürzbecher in: Jahrbuch für brandenburgische Landesgeschichte 2005
Manfred Stürzbecher in: Jahrbuch für brandenburgische Landesgeschichte 2005