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Der österreichische Autor Robert Musil (1880-1942) war Militär, Ingenieur und promovierter Philosoph. Er hat neben seinem fragmentarischen Roman Der Mann ohne Eigenschaften (1930/32) Dramen, Erzählungen, Essays, Rezensionen sowie einen umfangreichen Nachlass hinterlassen. Das Handbuch bietet LiteraturwissenschaftlerInnen wie interessierten Laien eine umfassende Übersicht zu Leben, Werk und Wirkung Musils. Zugleich werden Forschungsperspektiven auf eines der wichtigsten Werke der deutschsprachigen klassischen Moderne eröffnet, das einen diskursiven Querschnitt durch Kultur- und…mehr

Produktbeschreibung
Der österreichische Autor Robert Musil (1880-1942) war Militär, Ingenieur und promovierter Philosoph. Er hat neben seinem fragmentarischen Roman Der Mann ohne Eigenschaften (1930/32) Dramen, Erzählungen, Essays, Rezensionen sowie einen umfangreichen Nachlass hinterlassen. Das Handbuch bietet LiteraturwissenschaftlerInnen wie interessierten Laien eine umfassende Übersicht zu Leben, Werk und Wirkung Musils. Zugleich werden Forschungsperspektiven auf eines der wichtigsten Werke der deutschsprachigen klassischen Moderne eröffnet, das einen diskursiven Querschnitt durch Kultur- und Wissensgeschichte, zeitgenössische Philosophie, Ästhetik, Natur- und Technikwissenschaft präsentiert.

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Autorenporträt
Birgit Nübel, Universität Hannover; Norbert Christian Wolf, Universität Salzburg, Österreich.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 07.07.2017

Daheim in vielen Disziplinen
Möglichkeitssinn und Gestaltlosigkeit: Ein Handbuch erschließt das Werk Robert Musils
Handbücher sind für Verlage immer noch eine recht sichere Sache. Sie kommen dem Bedürfnis akademischer Leser entgegen, die zwischen einer ungeheuren Publikationsflut und ihren institutionellen Verpflichtungen eingeklemmt sind. Wenn Kleist, Schiller, Büchner, Thomas Mann und viele mehr eines Handbuchs für würdig gehalten wurden, es zu Goethe gar ein neunbändiges Handbuch gibt, wird es niemand für überflüssig halten, wenn nun auch Robert Musil, einer der wichtigsten Autoren der Moderne, mit einem tausendseitigen eng bedruckten Handbuch bedacht wird. Kuratiert von Birgit Nübel und Norbert Christian Wolf haben daran 44 Autoren mitgearbeitet. Das Handbuch ist schon deswegen willkommen, weil der in mehreren Natur- und Technikwissenschaften graduierte Musil ein in der Tat kommentarbedürftiges Werk hinterlassen hat.
Das hat viele Gründe. Sein Hauptwerk, der Roman „Der Mann ohne Eigenschaften“, ist ein Riesenfragment. Hinter den publizierten Teilen stehen im Nachlass viele Tausend Seiten Entwürfe, Reflexionen, Studien, Exzerpte. Zudem ist der Roman vollgesogen mit Allusionen, Reflexionen, Ironien auf zahllose Wissenschaften, philosophische und literarische Traditionen, umlaufende Diskurse und Ideologien. So wird der Roman selbst zu einem gewaltigen Wissens- und Reflexionskompendium der Moderne. Das aber stellt an die Fähigkeit, die intertextuellen Verwebungen auch nur wahrzunehmen, höchste Ansprüche. Und es schränkt die Rezipierbarkeit eines Autors ein, der zwischen rhizomatischer Vergrübelung und wunderbarer Luzidität selten zu einem Ausgleich gekommen ist.
Für Musil ist die Moderne einerseits ein extrem dynamisches System, andererseits aber zersplittert in zahllose Optionen, Denkbarkeiten, Widersprüche, Praktiken, Ordnungsmuster, Lebenswelten. Kein Wissenschaftler kann diese Hintergründe des Romans allein entschlüsseln. So versammelt das Handbuch die in Jahrzehnten erarbeiteten Forschungsergebnisse zu einer Art von kollektiver Schwarmintelligenz. Dazu gehört, dass der unterdessen elektronisch greifbare Nachlass eigens behandelt wird und auch in den Darstellungen des veröffentlichten Werks präsent ist. Mit diesem Handbuch können die Tiefenstaffelungen des Werkes so umfassend wie nie zuvor zusammengesehen werden.
Freilich ruft nicht nur der „Mann ohne Eigenschaften“ nach Kommentaren. Die beiden fast nie aufgeführten Dramen „Die Schwärmer“ und „Vincenz und die Freundin bedeutender Männer“, die Novellenbände „Vereinigungen“ und „Drei Frauen“, auch viele der kleinen Erzählungen im „Nachlaß zu Lebzeiten“ lassen sich ohne philologische und kognitive Mühen kaum erschließen. Selbst der frühe Roman „Die Verwirrungen des Zöglings Törleß“, der es vorübergehend in Lehrpläne schaffte, bedarf einer sorgsamen psychologischen und philosophischen Kommentierung.
Ferner erfasst das Handbuch auch die naturwissenschaftlichen Arbeiten Musils, die Opuscula, Briefe, Essays, Feuilletons, Tagebücher, selbst die militär- und technikwissenschaftlichen Schriften. Nach einer Übersicht über die Biografie und über die „Epochalen Figurationen“ wird das gesamte Werk durchschritten. Die zweite Hälfte des Handbuchs aber – und das ist bei diesem poeta doctus notwendig – sortiert das Gesamtwerk nach „Systematischen Aspekten“. Das Kapitel „Wissen und Wissenschaft“ demonstriert, welche Wissenschaften Musil studiert, rezipiert und in seinem Werk verarbeitet hat: es sind weit mehr als zwanzig. Andere Formen des „Wissens“ werden allerdings kaum behandelt. Das Kapitel „Kultur und Gesellschaft“ reicht von Stadt über Geschlechterverhältnisse, Sport und Mode bis zum Krieg. Es sind die soziologischen Felder, die im „Mann ohne Eigenschaften“ (und teilweise auch im übrigen Werk) dem ästhetischen Universum Musils eingewoben werden. Aus der Kultur werden Kapitel jeweils zu Literatur, Künsten und Neuen Medien (Fotografie, Film) gebildet.
Eigenartig knapp bemessen folgt der Überblick über jene „Mentalen Konstruktionen“, die Musil als seine eigene begriffliche und theoretische Physiognomie entwickelt hat. Sie stehen durchaus quer zu den eher konventionellen Kartierungen, für die sich die Herausgeber bei den „Systematischen Aspekten“ in Wissenschaften, Gesellschaft und Künsten entschieden haben. Nur fünfundzwanzig Seiten also für den intellektuellen Selbstentwurf Musils, sechzig Seiten für seine stilistischen und intertextuellen Verfahren, gegenüber dem 200-seitigen Kursus durch Sachgebiete, die den Ordnungen der Herausgeber folgen. Das ohnehin meistbehandelte erste Kapitel des „Mann ohne Eigenschaften“ nimmt ein Drittel des Raums ein, der den „Mentalen Konstruktionen“ Musils, der Mystik, dem Anderen Zustand, der Gestaltlosigkeit, dem Möglichkeitssinn, dem Essayismus und der Utopie gewidmet wird.
Diese Lässlichkeiten führen indes auf ein ernstes Problem: Als Musil-Leser reibt man sich die Augen, wenn der „Mann ohne Eigenschaften“ vorrangig nach dem Prinzip „Männerfiguren“ – „Frauenfiguren“ abgehandelt wird. Denn ist Musil nicht der Autor, der anstelle von Personen und Identitäten, von Substanzen und Institutionen, von finiten Narrativen und stabilen Sinnmustern etwas Neues, spezifisch Modernes in den Roman hineinbringt? Der ihm Systeme und Funktionen, Strukturen und Prozesse, Kontingenzen und Unordnungen, Kräfte und Energien, Relationen und Netze erschließt? Musil hat erkannt, dass derartige systemische Strukturen und Dynamiken an die Stelle klassischer Ordnungsgefüge treten und darum auch die Verfassung des modernen Erzählens und seine Ästhetik neu zu formatieren haben.
Erst diese Einsichten und ihre Umsetzung in poetische Verfahren machen Musil zu einem der großen Autoren des zwanzigsten Jahrhunderts. Es ist lobenswert, wenn das Handbuch die „Systematischen Aspekte“ des Werks ausführlich behandelt; doch ist es befremdlich, dass „System“ hier hauptsächlich als Einteilung in „Stoffe“ verstanden wird, aber nicht in dem zugleich abstrakteren und moderneren Sinn, wie ihn Musil entwickelt hat. So wird ein wichtiger Aspekt zu wenig berücksichtigt, zu dessen frühesten Diagnostikern Musil gehörte, die Durchdringung von Gesellschaft und Kultur, Alltag und Lebensformen durch die Naturwissenschaften.
Nimmt man diese Neigung, Gesellschaft und Wissenschaft zu trennen und traditionellen Kategorien zu unterstellen, in Kauf, dann ist dieses opulente Handbuch ein außerordentlich informatives, philologisch zuverlässiges und für die Interpretation des Werks unverzichtbares Werk.
HARTMUT BÖHME
Musils Moderne ist ein extrem
dynamisches System – und
zersplittert in Denkbarkeiten
Birgit Nübel, Norbert Christian Wolf (Hrsg.): Robert-Musil-Handbuch. Walter de Gruyter, Berlin 2016. 1064 Seiten, 179,95 Euro. E-Book 179,95 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
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"Das nun vorliegende, von Birgit Nubel und Norbert Christian Wolf vorbildlich edierte Handbuch mit Beitragen von insgesamt 44 internationalen Experten und Expertinnen aus den verschiedensten Disziplinen tragt dem neuesten Stand der Forschung und Edition Rechnung und durft e durch seine Struktur und seinen interdisziplinaren Ansatz auch fur die Forschung zukunftsweisend sein. "
Birthe Hoffmann in: Journal of Austrian Studies 50/3-4 (2018), 135-138

[...] für jeden Musil-Leser unerlässlich [...]"
Dirk Pilz in: Berliner Zeitung 27. 07.2017, S. 22

"[...] dieses opulente Handbuch [ist] ein außerordentlich informatives, philologisch zuverlässiges und für die Interpretation des Werks unverzichtbares Werk."
Hartmut Böhme in: Süddeutsche Zeitung 07.07.2017