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Nach den Bänden über Franz Liszt und Frédéric Chopin legt der Autor nun seine dritte Chronik zu Leben und Schaffen eines Komponisten des 19. Jahrhunderts vor. Der ausführlichen Chronologie von Leben und Werk werden Betrachtungen wesentlicher biografischer und künstlerischer Aspekte an die Seite gestellt, etwa über Schumann als Pianist, Dirigent und Kritiker oder über sein Verhältnis zu Mendelssohn, Chopin, Liszt, Wagner und Brahms. Eine Vielzahl der Porträts und Dokumente wird zum ersten Mal veröffentlicht. Ausgezeichnet mit dem Deutschen Musikeditionspreis 1999.

Produktbeschreibung
Nach den Bänden über Franz Liszt und Frédéric Chopin legt der Autor nun seine dritte Chronik zu Leben und Schaffen eines Komponisten des 19. Jahrhunderts vor. Der ausführlichen Chronologie von Leben und Werk werden Betrachtungen wesentlicher biografischer und künstlerischer Aspekte an die Seite gestellt, etwa über Schumann als Pianist, Dirigent und Kritiker oder über sein Verhältnis zu Mendelssohn, Chopin, Liszt, Wagner und Brahms. Eine Vielzahl der Porträts und Dokumente wird zum ersten Mal veröffentlicht.
Ausgezeichnet mit dem Deutschen Musikeditionspreis 1999.
Autorenporträt
Ernst Burger lebt als Pianist und Autor in München. Als Verfasser preisgekrönter Dokumentarbiografien über Liszt, Chopin und Schumann hat er sich einen Ruf als herausragender Chronist des 19. Jahrhunderts erworben.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 06.03.1999

Klavierspiel und Kinderlärm
Ernst Burgers beeindruckende Lebenschronik Robert Schumanns · Von Gerhard R. Koch

Auf diesen Band hat man lange gewartet. Der Münchner Musikschriftsteller Ernst Burger hat 1986 und 1990 zwei voluminöse, prachtvolle Bild- und Dokumenten-Sammlungen über Liszt und Chopin veröffentlicht: "Lebenschroniken" höchst eigener Art, die überaus anschaulich anhand schier überreichen Text- wie Bild-Materials die Komponisten in ihrer Zeit, ihren Lebensumständen und in ihrem Werkzusammenhang darstellen. Wobei sich Burger natürlich nicht nur aufs Kompilieren von Materialien beschränkt, sondern diese auch erläutert, kommentiert, kurzum "interpretiert". Dennoch hält er unverkennbar Abstand zu ästhetischen Detail-Erörterungen, biographischer Spurensuche und erst recht zu psychologisierender Spekulation. An Sensationen, gar "Enthüllungen" irgendwelcher Art ist ihm keineswegs gelegen. Er liebt und verehrt die großen Komponisten, tut alles, um diese dem Interessierten näher zu bringen - und vertraut darauf, daß Schrift- wie Bild-Zeugnisse beredt genug für sich selber sprechen, sie dabei nur geringfügiger Verständnishilfen bedürfen. Die Prunk-Bände über Liszt und Chopin haben ihrem eigenen Anspruch nach Maßstäbe gesetzt.

Seit Jahren vernahm man, daß Ernst Burger an einem analogen Werk über Robert Schumann arbeite, unermüdlich auf der Suche und Jagd nach neuen Quellen war, keinerlei Mühe scheute, um an entlegensten Orten Manuskripte oder Bildnisse aufzustöbern. Solche Sammlerleidenschaft hat sich gelohnt, und Burger kann denn auch mit staunenswerten Erstveröffentlichungen von Autographen, Fotos, Faksimiles und anderen Funden aufwarten. Und nicht nur der Musikliebhaber und vollends Chopin-, Liszt- und Schumann-Verehrer kommt hier auf seine Kosten: Wer ein Faible für die Frühzeit der Fotografie hat, wird hier die erstaunlichsten Entdeckungen machen können.

In der überaus großzügigen Anlage und Ausstattung entspricht der Schumann-Band weitestgehend den Liszt- und Chopin-Vorgängern, nicht zuletzt im chronikalischen Aufbau. Unterm Triptychon-Aspekt erscheint dies völlig logisch; einzuwenden ist dagegen zumindest nichts. Gleichwohl taucht die Frage auf, ob solche Parallelität der unbestreitbaren Heterogenität der Komponisten vollkommen angemessen ist. Der "Nur-Musiker" Chopin, der revolutionäre "Beweger" schlechthin, Liszt, und Schumann, der Meister der "progressiven Universalpoesie" im Sinne Friedrich Schlegels - werden sie dadurch nicht latent ähnlicher gemacht, als sie sind, letztlich in fast monumentale Klassizität überführt?

Natürlich wäre es entschieden übertrieben, behauptete man, Burgers voluminöses Buch-Porträt transportiere Schumann ohne Umschweife in die Walhalla. Dazu ist sein gesamtes Vorgehen zu liebevoll akribisch; und selbstverständlich unterschlägt er keineswegs die Komplexität von Schumanns Charakter, die Brüche und Widersprüche in Person, Leben, Gedanken und Werk: Auch das Licht der Liebe läßt Schatten entstehen. Dennoch läßt sich nicht ganz die alte geisteswissenschaftliche Unterscheidung zwischen Sinnhuberei und Stoffhuberei verdrängen, zwischen Positivismus und Hermeneutik, Materialsammelleidenschaft und Deutungssuche, ja -sucht. Und Burger macht kein Hehl daraus, daß ihm das Faktisch-Dokumentarische näher liegt. Dabei täte man ihm unrecht, sähe man ihn ihm einzig den quasi seelenlosen Detailkrämer: Zu verzweigt sind seine Interessen, zu heterogen die Sphären, in denen er Schrift- wie Bildzeugnisse sucht und findet - und auch, wenn er seine eigene Subjektivität nicht unbedingt hervorkehrt, so outet er sich doch gelegentlich mit Werturteilen. Hält er Schumanns und Liszts Etüden-Adaption von Paganinis E-Dur-Caprice "La Chasse" nebeneinander, so weist er, darin seinem Idol gegenüber durchaus kritisch, darauf hin, um wie vieles origineller und wirkungsmächtiger die Liszt-Version ist. Sogar Momente überschwänglicher Identifikation ergeben sich. Notiert Schumann 1838 im Tagebuch: "Kreislerstück in G Moll im 6/ 8(-Takt) mit Trio in D Moll im Feuer componirt", so kommentiert Burger - und für jeden Schumannianer ist dies lustvoll nachvollziehbar: "Beim d-Moll-Mittelteil des letzten Stückes (von "Kreisleriana") kann man als Interpret in einen wahren Spielrausch geraten."

Aufschlußreiches weiß Burger auch über Schumanns fatale Finger-Lähmung mitzuteilen, die seine Virtuosenkarriere vereitelte, aber - fast im Sinne der Hegelschen "List der Vernunft" - die kompositorischen Kräfte kompensatorisch entscheidend aktivierte. Burger weist darauf hin, daß es nicht nur die abenteuerliche mechanische Hilfskonstruktion zum Zwecke der Fingerkräftigung war, die vermutlich die irreparable Sehnenscheidenentzündung verursachte, sondern daß vermutlich mindestens auch die Arsenik- und Quecksilber-Behandlung, die man dem an Syphilis Erkrankten zuteil werden ließ, die Lähmungserscheinungen bewirkten.

Daß man in Wort und Bild enorm viel über Schumann erfährt, steht außer Frage, und Burgers Kommentare sind in der Regel treffend, auch ausführlich genug. Aber so wie der Positivismus zur Überbewertung, also allzu "positiver" Sicht alles Faktischen führen kann, so führt auch hier die gewiß imponierende Fülle wie Vielfalt des Materials fast zwangsläufig in die Affirmation. Kritische Anmerkungen jedenfalls sind eher rar; den Abgründen zumindest, die sich mitunter auftun, wird kaum einmal ernsthafter nachgegangen. Dabei manifestiert sich manch Erschreckendes geradezu beiläufig. Betrachtet man das Titelblatt der Erstausgabe (1850) der "Waldszenen", so stellt man konsterniert fest, daß der Titel des Werkes inmitten einer romantisch stilisierten Waldlandschaft ausgerechnet auf einem Grabstein prangt. Wie mag Schumann zu Mute gewesen sein, als er seinen Klavierzyklus gleich beim Erscheinen quasi "beerdigt" vorfand? Doch da versagt sich Burger psychologisierende Erörterungen.

So reichhaltig differenziert der Reigen der Texte und Abbildungen auch ist, so wenig trägt er letztlich zur Schärfung der Tiefenperspektive bei. Dabei stellen sich gerade bei Schumann Fragen über Fragen: Wie ist es um die immer wieder vorgebrachte These von der nachlassenden Kraft des "Spätwerks" wirklich bestellt? War die genuin klavieristische Inspiration nicht auch eine ganz zentrale kompositorische? Und das Verhältnis Robert-Clara? Waren sie tatsächlich einzig "das hohe Paar der deutschen Romantik"? Oder war die Beziehung nicht doch weitaus gespannter und problematischer? Immerhin hat Robert die Komponistin unterdrückt, sie ihn in Bürgerlichkeit und Klassizität gedrängt. Schumanns Alkoholismus, aber auch seine Erotomanie (einschließlich dem Hang zu pedantischer Tagebuchnotate über den ehelichen Verkehr) - bei gleichwohl verdrängten und abgewehrten homophilen Neigungen -, die Clara eine Schwangerschaft nach der anderen bescherte, Roberts Störungen beim Komponieren durch Kinderlärm und Klavierspiel, Claras Einschränkungen beim Üben, während sie gleichzeitig vermehrt konzertieren mußte, um die Familie zu ernähren: So ausschließlich ideal harmonisch war diese Ehe wohl doch nicht. Und der junge Brahms? Ahnte Schumann etwas von der Zuneigung, die Clara und der geniale Norddeutsche füreinander empfanden? War der Ausbruch seiner "Geisteskrankheit" womöglich sogar auch Ausdruck einer Art Flucht vor einem für ihn unlösbaren Konflikt?

Daß Burger seinem "objektivistischen" Ansatz treu bleibt, spricht nicht gegen ihn. Und niemand wird ernstlich von ihm tüftelige kompositionstechnische Analysen, fundamentale ästhetische Diskurse, zeitgeschichtliche Untersuchungen, psychologisierende biographische Mutmaßungen oder gar schlüpfrige Schlüsselloch-Spekulationen verlangen. Sowohl Burgers Zurückhaltung als auch der Verzicht auf dilettierende Behauptungen, erst recht Enthüllungen sind durchaus respektabel. Mit gutem Grund wartet er nicht mit Sensationen und Sensatiönchen auf. Aber die Ambivalenzen Schumanns wirken doch unterbelichtet. Beispielsweise ist der genialische Überschwang des genuinen Musik-Schriftstellers immer wieder ein Ereignis - und doch lebt er mitunter auch aus der Enge einer nicht minder authentischen deutsch-provinziellen Perspektive. Seine Geringschätzung für Paris, fast für das gesamte Theater(un)wesen, damit auch für den barsch abgekanzelten Meyerbeer ist nicht seine beste Seite, zeugt zumindest von erheblichen Vorurteilen auch des Protestanten gegen die katholisch-weltliche Sphäre. Zur Helden-Verehrung gehört stets auch die Tendenz zur Verklärung. Doch wem ist damit eigentlich gedient?

Nun liegen die Prachtbände über Liszt, Chopin und Schumann vor, stehen womöglich bald nebeneinander im Regal. Man kann sich gar nicht an ihnen sattsehen. Denkt indes der Schumannianer an die leise in der Tiefe verhallenden Schlüsse mancher Werke, so fragt er sich, wie solch geheimes Verschwinden im Einklang mit solch editorischer Opulenz stehen kann. Keineswegs zufällig heißt eines der aufgewühlt-überwältigendsten Klavierstücke Schumanns "In der Nacht". Zwischen Orkus und Hochglanz-Akribie liegen eben immer noch Welten.

Ernst Burger: "Robert Schumann. Eine Lebenschronik in Bildern und Dokumenten". Schott Musik International, Mainz 1999. 356 S., 626 Abb., geb., 198,- DM.

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