Produktdetails
  • Verlag: ROWOHLT, REINBEK
  • 1997.
  • Seitenzahl: 352
  • Abmessung: 225mm
  • Gewicht: 606g
  • ISBN-13: 9783498057442
  • ISBN-10: 3498057448
  • Artikelnr.: 08615891
Autorenporträt
Gero von Randow war stellvertretender Ressortleiter Politik bei der Wochenzeitung "Die Zeit" und ist jetzt Ressortleiter Wissenschaft der Sonntagszeitung der F.A.Z.. Er ist Autor zahlreicher Sachbücher und war Mitglied der Hautpjury des Deutschen Studienpreises.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 25.03.1997

Wir sind die Roboter
Arbeitsteilung unter nahen Verwandten / Von Hartmut Hänsel

Der Begriff "Roboter" taucht erstmals in Karel Capeks utopischem Drama "Rossum's Universal Robots" aus dem Jahr 1917 auf. Das Wort stammt von dem alttschechischen "robota", was soviel wie Fronarbeit heißt. 1942 erfand Isaac Asimov den Begriff der Robotik. Populäre Roboter sind Daniel Düsentriebs Helferlein, R2D2 und C3P0 aus "Star Wars" und Lt. Commander Data aus der Fernsehserie "Star Trek". Letzterer legt übrigens besonderen Wert auf die Feststellung, er sei kein Roboter, sondern ein Android.

Solche feinen Unterschiede macht Gero von Randow in seinem Buch über "unsere nächsten Verwandten" nicht. Er definiert Roboter als künstliche Automaten, die lebendig wirken, weil sie sich in gewisser Weise intelligent verhalten. Unter diese Beschreibung fallen sowohl die phantastischen Maschinen aus der Science-fiction als auch die ordinären Automaten, die derzeit wirtschaftlich genutzt werden.

Heute schuften schätzungsweise 770000 Industrieroboter in den Fabrikhallen dieser Welt, davon allein 445000 in Japan. In Deutschland rackern derzeit vermutlich 68000 Industrieroboter. Diese Maschinen arbeiten nach den Vorgaben ihrer Programmierer und erwecken kaum den Eindruck einer eigenen Intelligenz.

Programmiertes oder ferngesteuertes Gerät schwebt heute im Weltraum oder krabbelt am Meeresboden, baut, beobachtet, erntet, gräbt, inspiziert, klebt, lackiert, löscht, lötet, melkt, montiert, musiziert, pflückt, reinigt, schießt, schlachtet, schleppt, schneidet, schweißt, sprengt oder rollt Sushi. Kurz: Maschinen verrichten primitive, nasse oder rohe Arbeiten, die nur wenigen Menschen liegen. Das ist weit von den Schilderungen phantastischer Literatur und Filmen entfernt.

Ist der Abstand zwischen Fiktion und Realität aber möglicherweise nur ein zeitlicher? "Hochgradig funktionelle Mechanik, reichhaltiger Sensorinput und intellektuelle Fähigkeit ergeben zusammen die Geschicklichkeit des Menschen. Die maschinelle Geschicklichkeit dagegen leidet an Defiziten auf allen drei Gebieten." Der Robotiker Kenneth Salisbury bringt es auf den Punkt. Von Randow berichtet über den Stand der Technik auf den drei Gebieten.

Roboter unterscheiden sich je nach Aufgabe erheblich in ihrer Anatomie. Sie verfügen über Bauelemente, die die Natur nicht hervorgebracht hat, wie Räder, Ketten oder Gewindeschnecken. Entsprechend bedienen sie sich oft anderer Antriebsquellen und Kraftübertragungen als die Natur. Roboter, die sich selbständig fortbewegen können, haben Probleme mit Hindernissen. Die müssen sie entweder umgehen oder sich über sie hinwegsetzen können. Hier sehen sich die Konstrukteure vor schwierige Aufgaben gestellt, und oft suchen sie Lösungen in der Natur. Dabei wird der Roboter, wie von Randow es ausdrückt, zu einem Medium. Durch die Beschäftigung mit der Maschine lernt der Mensch die Natur besser verstehen und wertschätzen.

Damit sich eine Maschine nicht blindlings bewegt, braucht sie eine Menge Sensorinput, den sie obendrein auswerten muß. Auch hier wirkt die Natur inspirierend. Der Biokybernetiker Valentin Breitenberg zeigte in den frühen achtziger Jahren, daß aus wenigen Regeln ein kompliziertes Verhalten synthetisiert werden kann. Das Entdecken von Feinden, Opfern oder Geschlechtspartnern und die dazugehörigen Handlungen wie Weglaufen, Fangen, Fressen oder Kopulieren beherrschte die Natur schon lange, bevor Säugetiere mit komplizierten Gehirnen auftauchten.

Wie kompliziert ist zielstrebiges Verhalten? Bei Kakerlaken wurden drei Programme nachgewiesen, die auch ein Roboter heute ausführen könnte. Erstens: Sie laufen vom Licht ins Dunkle. Zweitens: Sie laufen so lange umher, bis vier Fünftel ihres Körpers Druckkontakt mit der Außenwelt haben. Drittens: Sie folgen bestimmten Gerüchen bis zur Quelle. Diese drei Programme bewirken die Neigung kleinerer Exemplare, schlafenden Menschen in die Ohren zu kriechen. Ein Psychoanalytiker würde in diesem Verhalten ein sexuelles Motiv entdecken. Sigmund Freud ging sogar so weit, daß er das Seelenleben des Menschen als eine triadische Programmstruktur - wie die der Kakerlake - auffaßte. Die drei Programmbausteine Freuds sind demnach die Triebstruktur Es, die bewußte Person Ich und die sozialen Erwartungen Über-Ich. So gesehen, ist der Psychoanalytiker ein Robotiker und umgekehrt.

Noch sind die Robotiker weit davon entfernt, einen Roboter auf die Beine zu stellen, der es in seinen intellektuellen Fähigkeiten mit dem Menschen aufnehmen könnte, heutige Roboter befinden sich geistig eher auf der Höhe von Insekten. Trotzdem reicht das aus, um die Welt des Menschen zu verändern. So werden nicht nur Industrieroboter der Fabrikwelt angepaßt, sondern die Fabriken werden in Ko-Evolution auch den Robotern angepaßt. Dabei muß allerdings auch die Maschine Rückschläge in ihrer Evolution einstecken. In Japan werden Fertigungsroboter bereits wieder eingemottet, weil sie einen zu hohen Umrüstungsaufwand beim Produktwechsel erfordern. Die neuen EU-Arbeitsschutzvorschriften andererseits geben dem Einsatz von Robotern einen kräftigen Schub, denn in Zukunft dürfen Menschen nicht länger Lasten vom Boden heben, die mehr als zehn Kilogramm wiegen, auf Hüfthöhe werden es maximal 25 Kilo sein und am ausgestreckten Arm nur fünf.

Der Krieg ist der Vater vieler Roboter. Dabei ist der Gedanke, daß in Zukunft Maschinen die Kriege führten, und niemand müßte hin, reichlich naiv. Schon Carl von Clausewitz lehrte, daß Kriege geführt werden, um einem Gegner seinen Willen aufzuzwingen. Da ist es natürlich nicht mit der Vernichtung der gegnerischen Blechbüchsenarmee getan. Dennoch hat die Rüstungsrobotik Konjunktur. Die Vereinigten Staaten haben das Amt des Weltpolizisten übernommen, wollen aber dafür keinen hohen Blutzoll bei Einsätzen in Krisengebieten entrichten. Es werden daher möglichst viele Aufgaben an Maschinen delegiert.

Aus dem Golfkrieg sind noch die Bilder von treffsicheren, intelligenten Bomben in Erinnerung. Weniger spektakulär ist hingegen der Einsatz von ferngesteuerten Miniflugzeugen, sogenannten Drohnen, mit denen beispielsweise das Gelände erkundet wird. Am 27. Februar 1991 suchte eine Gruppe irakischer Soldaten ihr Heil in der Kapitulation, als sie eine solche Drohne heranbrummen sah. Das erste Mal in der Geschichte der Kriegführung hatten sich Menschen einem Roboter ergeben.

Ganz andere Anwendungen hatte Isaac Asimov vor Augen, als er vor über 45 Jahren die drei Gesetze der Roboterethik formulierte, die bis heute bestehen:

1. Ein Roboter darf kein menschliches Wesen verletzen und auch nicht durch Untätigkeit zulassen, daß ein menschliches Wesen verletzt wird.

2. Ein Roboter muß den vom Menschen gegebenen Befehlen gehorchen, es sei denn, sie kommen mit dem ersten Gesetz in Konflikt.

3. Ein Roboter muß seine eigene Existenz schützen, solange er nicht mit dem ersten oder zweiten Gesetz in Konflikt kommt.

In Deutschland läßt sich erst seit 1988 nachweisen, wie gut diese Gesetze funktionieren, denn in jenem Jahr wurden Roboterunfälle in die offiziellen Statistiken aufgenommen. Jährlich werden einige hundert dieser Ereignisse registriert. Die meisten geschehen nicht im Normalbetrieb, sondern wenn sich der Mensch dem Roboter nähert, um ihn zu programmieren oder zu warten. Der typische Roboterunfall spielt sich folgendermaßen ab: Das Opfer nähert sich der Maschine, die nur auf irgendein Sensorsignal wartet, um sich mit voller Kraft in Gang zu setzen oder ihren Laserstrahl auf den Menschen zu richten.

Roboter sind noch lange nicht so komplex, daß es Sinn hätte, ihnen etwas zu unterstellen, das der menschlichen Willensfreiheit gleichkommt - also auch der Freiheit, verbrecherisch zu handeln. Komplexität ist der historische Vorsprung des Homo sapiens vor seinen nächsten Verwandten. In den Robotergeschichten von Asimov ist den Robotern diese Komplexität gegeben, in der Wirklichkeit des Jahres 1997 klafft dagegen eine riesige Lücke zwischen Science und Fiction. Ein flüchtiges Nachzählen im Personen- und Roboterregister des vorliegenden Buches ergab eine magere Frauenquote von knapp über drei Prozent - bei den Personen. Vielleicht ist die Robotik eine Ersatzhandlung von Männern, die das weibliche Gebärmonopol attackieren wollen. Vielleicht sind Robotiker entzückt, vielleicht sind sie bedrückt, vielleicht auch ein bißchen verrückt.

Gero von Randow: "Roboter". Unsere nächsten Verwandten. Rowohlt Verlag, Reinbek 1997. 352 Seiten, 56 Abb., geb., 42,- DM.

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