111 Rezepte vom Amuse-Gueule über Vorspeisen, Fisch und Krustentiere, Fleisch und Gemüse bis hin zu Desserts vermitteln einen wundervollenEinblick in die klassische Küche von Joël Robuchon. Zu jedem Rezept gibt es eine großformatige Aufnahme, aber auch über 10 Schritt-für-Schritt-Aufnahmen - damit wird jeder Arbeitsschritt leicht nachvollziehbar und es ist ein Vergnügen nach den Originalrezepten dieses legendären Kochs, der mit 26 Michelin-Sternen ausgezeichnet ist, zu kochen. Joël Robuchon hat die Essenz seines gesammelten Wissens und seiner langjährigen Erfahrung in diesem Buch zusammengefasst. 1990 ist die erste Version auf Japanisch erschienen. Alain Ducasse, der die Kochkunst von Robuchon bewundert, hat ihn dazu bewogen,das Buch zu überarbeiten, um es in seinem Verlag neu zu verlegen. Der wundervolle, großformatige, hochwertig ausgestattete Prachtband mit über 500 Seiten ist ein wahrer Schatz und eine Fundgrube für Köche und ambitionierte Hobbyköche.- 111 Rezepte mit über 1500 Schritt-für-Schritt-Aufnahmen- Die Klassiker von Joël Robuchon erstmals in deutscher Sprache- Die Rezepte sind durch die Vielzahl der Aufnahmen der einzelnen Arbeitsschritte leicht nachvollziehbar- Im großen Format 23 x 30 cm, hochwertig ausgestattet, mit über 500 Seiten (5 cm dick), ist der große Robuchon unschlagbar- Die Quintessenz der Robuchon-Küche in einem Buch
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 01.01.2012Der Triumph der Dilettanten
Hobbyköche mit Ambitionen verbringen ganze Tage am Herd, um Haute Cuisine zu spielen. Ist das Spaß oder Masochismus? Ein Bekenntnisbericht mit aktuellen Kochbüchern.
VON JAKOB STROBEL Y SERRA
Wir müssen an dieser Stelle ein Geständnis ablegen: Wir sind dekadent. Jedenfalls in den Augen der meisten Menschen in unserer Umgebung, weil wir am Wochenende am liebsten stundenlang in der Küche stehen, um Rezepte von Sterneköchen nachzukochen, dafür viel Haushaltsgeld verpulvern und darüber unsere Kinder jugendamtmeldepflichtig vernachlässigen - es sei denn, sie helfen uns beim Parieren und Pürieren, schließlich erziehen wir sie im Geiste des guten Essens und streng nach der Maxime, dass Haustiere in den Kühlschrank gehören. Bei unseren Orgien erleben wir Desaster, wahrlich, wir wissen, was Versagen und Verzweiflung ist. Doch wir kennen auch den Triumph, wenn wir ein Wildhasenfilet im Toastmantel mit grüner Geflügelfarce aus dem Ofen holen und es wundersamerweise genauso aussieht wie das Gemäldegericht im Kochbuch. Dann fließen Schaumwein und Glückshormone in Sturzbächen, während in unserem kulinarischen Privathimmel alle Glocken läuten. Und genau deswegen warten wir immer auf den Moment, wenn wieder ein Schwung neuer Kochbücher von Spitzenköchen herauskommt.
Zurzeit leben wir in bibliophiler Hinsicht mal wieder im Schlaraffenland. Wir greifen gleich nach den allerhellsten, riesengrößten Sternen und holen das neue, gefühlt drei Zentner schwere "Grand livre de cuisine" von Alain Ducasse hervor, die Selbstapotheose des berühmtesten Kochs der Gegenwart, die Summe seiner besten Rezepte, das Nonplusultra also. In einem letzten klaren Moment der Demut wählen wir ein vergleichsweise einfaches Rezept: Heiße Austern mit Champagner-Sabayon. Und wir lernen sogleich, dass der frauenfressende Franzosenkönig Heinrich IV. zwanzig Dutzend Austern auf einmal als Aphrodisiakum verschlingen konnte und Casanova Tag für Tag seine vierzig Schalentiere brauchte, um die Damenwelt nicht zu enttäuschen.
Wir hingegen bleiben vorerst tugendhaft und machen uns züchtig ans Kochwerk: Für die Champagner-Sabayon schlagen wir Eigelb, Champagner, Wasser und Salz bei mittlerer Hitze zu einer Creme auf und lassen unter ständigem Rühren geklärte Butter einfließen - kein Hexenwerk, eher eine Geduldsprobe. Dann öffnen wir die Austern mit unserem Austernmesser, auch das geht spätestens beim fünften Tier leicht von der Hand. Wir fangen das Austernwasser auf und reinigen, wie es das Rezept verlangt, die schönere Schalenhälfte sorgfältig, was zu anregenden Diskussionen in der Küche über die Schönheit von Austernschalen und die Ästhetik der Feinschmeckerei führt. Danach wird eine feingeschnittene Schalotte - drei Vertikal- und zwei Horizontalschnitte, ganz wie bei den Profis -, in Butter angeschwitzt, mit Weißwein abgelöscht und die Flüssigkeit auf die Hälfte reduziert. Austernwasser dazugeben, Austern hinein, drei Minuten lang pochieren, abtropfen lassen. Das läuft ja wie geschmiert, die Küche dampft und duftet, wie geht's weiter, Maître?
Den Ofen sollen wir vorheizen, die pochierten Austern auf den Austernhälften drapieren, währenddessen geschlagene Sahne und den restlichen Champagner zur Sabayon hinzugeben - hoppla, welchen restlichen Champagner? Da müssen wir wohl ganz schnell eine neue Flasche aufmachen. Die Masse wird nun großzügig über die Austern gegeben, um sie drei Minuten lang zu gratinieren, bis die Sabayon goldbraun ist.
Und fertig ist die Meeresfrucht aus der Feinschmeckerschnellküche, die den Kindern allerdings gar nicht gefällt. Auch wir Herddilettanten ziehen die Augenbrauen hoch und die Mundwinkel herunter. Wir müssen einen schlimmen Anfängerfehler gemacht haben, ein paar Grad zu viel, ein paar Sekunden zu lang, und das Rezept hat uns nicht davor bewahrt - wie so oft, denn Spitzenköche haben beim Schreiben fast nie den Laien im Kopf, sondern setzen Selbstverständlichkeiten voraus, die für uns Geheimnisse sind. Die Austern jedenfalls schmecken nicht nach fleischgewordenen Schaumkronen, sondern eher nach widerspenstigem Oktopus, die Sabayon ist nicht goldbraun, sondern braunkohlebraun, und Ducasse würde jetzt bestimmt die Kasserolle nach uns schmeißen.
Hobbyköche sind Dilettanten, doch Dilettanten sind keine Idioten, sondern ehrenhafte Amateure. Trotzdem sind sie denselben charakterlichen Fallgruben ausgesetzt wie alle Menschen, die fanatisch einer Freizeitbeschäftigung nachgehen. Die Liste der Verfehlungen ist lang: Hochmut, Größenwahn, Besserwisserei, Angebertum, Realitätsverlust. Ein halbwegs gelungenes Gericht, und schon wähnt man sich auf Augenhöhe mit den Göttern des Kocholymps.
Die ehrenhafte Aufgabe, uns die kulinarischen Federn zu stutzen, überlassen wir heute dem hochdekorierten Meisterkoch Nils Henkel, der gerade sein erstes Kochbuch mit dem Titel "Pure Nature" herausgebracht hat. Es gibt bergischen Rehbock mit allerlei drum und dran, und aller Anfang ist leicht: Wir parieren pfeifend das Filet mit der Akribie eines Handchirurgen - wir haben Hirsch, Reh war aus -, rösten Haselnüsse, Pfefferkörner und Zimtblüten an, zermahlen sie im Mörser, mischen Pilzpulver unter, wälzen das Fleisch in der Würzmischung, schlagen es in Frischhalte- und Alufolie ein, drehen das Ganze zum Bonbon zu und werden es neun Minuten lang bei 85 Grad mit einer Kerntemperatur von maximal 48 Grad pochieren. Das klingt ein bisschen alchimistisch, ist aber im Grunde kinderleicht. Man muss nur darauf achten, dass die Bonbons ganz von Wasser umgeben sind, sonst wird das Fleisch nicht regelmäßig gar.
Und dann wird es kompliziert, denn so harmlos die Rezepte der Haute Cuisine auf den ersten Blick aussehen, so heimtückisch verästeln sie sich in immer feingliedrigere Komponenten. Wir machen brav unser Champignonpüree, wobei wir es mit ordinärer Speisestärke binden, denn wir hatten keine Zeit, uns das vorgeschriebene Profibindemittel Xanthan im Chemikalienfachhandel zu besorgen. Wir lassen buchstabengetreu den Lorbeerjus stundenlang schmurgeln, selbst beim Sellerieconfit werden wir nicht fahnenflüchtig. Doch dann heißt es ganz unschuldig im Rezeptkapitel "Anrichten": Sellerieconfit temperieren und mit einem rechteckigen Rahmen auf den Teller legen, Champignongelee darauf plazieren, Pfifferlinge sautieren und auf dem Gelee drapieren. Wo kommt das denn alles her? Plötzlich taucht auch noch ein Selleriegelee auf, das einen weiteren halben Tag Arbeit kostet, und von der enzyklopädischen Laboratoriumsanweisung für den Rehbeuschel mit Sellerieschaum schweigen wir jetzt lieber ganz.
Wir haben keinen Stern und reduzieren deshalb radikal: Eine Nocke Champignonpüree und eine weitere Nocke Sellerieconfit werden dekorativ auf den Teller gelegt, gleichzeitig braten wir das Filet ganz kurz in aufgeschäumter Butter nach, legen es - die Kinder wollen satt werden - auf ein Nudelbettchen und nappieren es mit dem Lorbeerjus. Das sieht alles recht konfus aus, ganz anders als auf dem Foto, kein Zen-Garten aus Gelee und Confit, eher ein Komposthaufen aus Sellerie- und Champignon-Klecksen mit einem Brocken Hirschfilet dazwischen.
Aber es duftet und schmeckt, dass uns das Herz hüpft: Die geröstetem Nüsse und Gewürze umschmeicheln das elfenzarte Fleisch wie ein Gedicht aus Röstaromenreimen, die Pürees singen feinsinnig zweistimmig den Refrain dazu, und der Lorbeerjus gibt dem Ganzen einen wunderbar schwermütigen Grundton. Die Kinder schmatzen vor Glück, es sei ihnen ausnahmsweise gestattet; Herr Henkel schwebt als guter Geist um den Esstisch herum, wahrscheinlich verdreht er gerade fürchterlich die Augen; die Eltern heben die Gläser, halten sich zumindest eines verbeulten Blechsterns für würdig und sagen sich selig, dass es halb so schlimm wäre, wenn jetzt die Welt unterginge - aber nur halb, denn es fehlt ja noch das Desert.
Wir vertrauen uns zum großen Finale demutsvoll jenem Mann an, der nichts weniger als der Imperator maximus der Haute Cuisine ist: Joël Robuchon, Herrscher über ein Weltreich des Hochgeschmacks, in dem sechsundzwanzig Michelin-Sterne funkeln und die Sonne niemals untergeht. Seit kurzem liegen seine legendären Küchenklassiker auf Deutsch vor, und wir entscheiden uns für ein Fondant au chocolat mit Sauerkirschen, machen einen schönen Schokoladenteig, füllen ihn in einen Edelstahlring, fügen die Kirschen hinzu, bedecken sie mit der restlichen Masse, lassen das Ganze auskühlen, basteln uns blitzschnell eine Schokoladensauce und sind vollkommen verblüfft darüber, was Robuchon mit ein bisschen Wasser, Sahne, Butter, Kakao, Schokolade und Früchten aus dem Chapeau zaubert: ein virtuoses Spiel aus Süßem und Sauren, Festem und Flüssigen, Schmelzendem und Schmeichelnden, das wir uns niemals hätten ausdenken können. Dazu reicht unsere kulinarische Intelligenz bei weitem nicht aus.
Doch das macht noch lange keinen Menschen zum kulinarischen Analphabeten. Nein, die Lektion dieses Abends ist eine ganz andere. Wir haben sie auch ohne Profiausstattung mit Pacojet oder Thermomix begriffen und für viel weniger Geld bekommen, als uns irgendein Nullachtfuffzehnnobelitaliener abknöpft. Und das verlangt dringend nach einem Toast für Monsieur Robuchon und auch für Maître Ducasse und für Herrn Henkel sowieso, denn jetzt wissen wir: Aus der Distanz betrachtet, scheinen die Sterne der Haute Cuisine unendlich fern am Feinschmeckerfirnament zu funkeln. Wenn man sich aber auf die Zehenspitzen stellt, sind sie plötzlich ganz nah, so nah, dass sie jeder pflücken und sich auf seinen Teller legen kann.
Sterneküche für zu Hause: "Ducasse - die besten Rezepte: Grand Livre de Cuisine" von Alain Ducasse, Matthaes Verlag, Stuttgart 2011, 718 Seiten, 98 Euro. "Pure Nature" von Nils Henkel, Fackelträger Verlag, Köln 2011, 288 Seiten, 69 Euro. "Die Klassiker: Grand livre de cuisine" von Joël Robuchon, Matthaes Verlag, Stuttgart 2011, 460 Seiten, 88 Euro. Weitere aktuelle Bücher von Spitzenköchen: "Das Familienessen" von Ferran Adrià (Phaidon/Edel Verlag), "Sven Elverfeld" von Sven Elverfeld (Collection Rolf Heyne), "bau.stil" von Christian Bau (Umschau Verlag) und "Kulinarische Überflieger" von Roland Trettl (Collection Rolf Heyne).
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Hobbyköche mit Ambitionen verbringen ganze Tage am Herd, um Haute Cuisine zu spielen. Ist das Spaß oder Masochismus? Ein Bekenntnisbericht mit aktuellen Kochbüchern.
VON JAKOB STROBEL Y SERRA
Wir müssen an dieser Stelle ein Geständnis ablegen: Wir sind dekadent. Jedenfalls in den Augen der meisten Menschen in unserer Umgebung, weil wir am Wochenende am liebsten stundenlang in der Küche stehen, um Rezepte von Sterneköchen nachzukochen, dafür viel Haushaltsgeld verpulvern und darüber unsere Kinder jugendamtmeldepflichtig vernachlässigen - es sei denn, sie helfen uns beim Parieren und Pürieren, schließlich erziehen wir sie im Geiste des guten Essens und streng nach der Maxime, dass Haustiere in den Kühlschrank gehören. Bei unseren Orgien erleben wir Desaster, wahrlich, wir wissen, was Versagen und Verzweiflung ist. Doch wir kennen auch den Triumph, wenn wir ein Wildhasenfilet im Toastmantel mit grüner Geflügelfarce aus dem Ofen holen und es wundersamerweise genauso aussieht wie das Gemäldegericht im Kochbuch. Dann fließen Schaumwein und Glückshormone in Sturzbächen, während in unserem kulinarischen Privathimmel alle Glocken läuten. Und genau deswegen warten wir immer auf den Moment, wenn wieder ein Schwung neuer Kochbücher von Spitzenköchen herauskommt.
Zurzeit leben wir in bibliophiler Hinsicht mal wieder im Schlaraffenland. Wir greifen gleich nach den allerhellsten, riesengrößten Sternen und holen das neue, gefühlt drei Zentner schwere "Grand livre de cuisine" von Alain Ducasse hervor, die Selbstapotheose des berühmtesten Kochs der Gegenwart, die Summe seiner besten Rezepte, das Nonplusultra also. In einem letzten klaren Moment der Demut wählen wir ein vergleichsweise einfaches Rezept: Heiße Austern mit Champagner-Sabayon. Und wir lernen sogleich, dass der frauenfressende Franzosenkönig Heinrich IV. zwanzig Dutzend Austern auf einmal als Aphrodisiakum verschlingen konnte und Casanova Tag für Tag seine vierzig Schalentiere brauchte, um die Damenwelt nicht zu enttäuschen.
Wir hingegen bleiben vorerst tugendhaft und machen uns züchtig ans Kochwerk: Für die Champagner-Sabayon schlagen wir Eigelb, Champagner, Wasser und Salz bei mittlerer Hitze zu einer Creme auf und lassen unter ständigem Rühren geklärte Butter einfließen - kein Hexenwerk, eher eine Geduldsprobe. Dann öffnen wir die Austern mit unserem Austernmesser, auch das geht spätestens beim fünften Tier leicht von der Hand. Wir fangen das Austernwasser auf und reinigen, wie es das Rezept verlangt, die schönere Schalenhälfte sorgfältig, was zu anregenden Diskussionen in der Küche über die Schönheit von Austernschalen und die Ästhetik der Feinschmeckerei führt. Danach wird eine feingeschnittene Schalotte - drei Vertikal- und zwei Horizontalschnitte, ganz wie bei den Profis -, in Butter angeschwitzt, mit Weißwein abgelöscht und die Flüssigkeit auf die Hälfte reduziert. Austernwasser dazugeben, Austern hinein, drei Minuten lang pochieren, abtropfen lassen. Das läuft ja wie geschmiert, die Küche dampft und duftet, wie geht's weiter, Maître?
Den Ofen sollen wir vorheizen, die pochierten Austern auf den Austernhälften drapieren, währenddessen geschlagene Sahne und den restlichen Champagner zur Sabayon hinzugeben - hoppla, welchen restlichen Champagner? Da müssen wir wohl ganz schnell eine neue Flasche aufmachen. Die Masse wird nun großzügig über die Austern gegeben, um sie drei Minuten lang zu gratinieren, bis die Sabayon goldbraun ist.
Und fertig ist die Meeresfrucht aus der Feinschmeckerschnellküche, die den Kindern allerdings gar nicht gefällt. Auch wir Herddilettanten ziehen die Augenbrauen hoch und die Mundwinkel herunter. Wir müssen einen schlimmen Anfängerfehler gemacht haben, ein paar Grad zu viel, ein paar Sekunden zu lang, und das Rezept hat uns nicht davor bewahrt - wie so oft, denn Spitzenköche haben beim Schreiben fast nie den Laien im Kopf, sondern setzen Selbstverständlichkeiten voraus, die für uns Geheimnisse sind. Die Austern jedenfalls schmecken nicht nach fleischgewordenen Schaumkronen, sondern eher nach widerspenstigem Oktopus, die Sabayon ist nicht goldbraun, sondern braunkohlebraun, und Ducasse würde jetzt bestimmt die Kasserolle nach uns schmeißen.
Hobbyköche sind Dilettanten, doch Dilettanten sind keine Idioten, sondern ehrenhafte Amateure. Trotzdem sind sie denselben charakterlichen Fallgruben ausgesetzt wie alle Menschen, die fanatisch einer Freizeitbeschäftigung nachgehen. Die Liste der Verfehlungen ist lang: Hochmut, Größenwahn, Besserwisserei, Angebertum, Realitätsverlust. Ein halbwegs gelungenes Gericht, und schon wähnt man sich auf Augenhöhe mit den Göttern des Kocholymps.
Die ehrenhafte Aufgabe, uns die kulinarischen Federn zu stutzen, überlassen wir heute dem hochdekorierten Meisterkoch Nils Henkel, der gerade sein erstes Kochbuch mit dem Titel "Pure Nature" herausgebracht hat. Es gibt bergischen Rehbock mit allerlei drum und dran, und aller Anfang ist leicht: Wir parieren pfeifend das Filet mit der Akribie eines Handchirurgen - wir haben Hirsch, Reh war aus -, rösten Haselnüsse, Pfefferkörner und Zimtblüten an, zermahlen sie im Mörser, mischen Pilzpulver unter, wälzen das Fleisch in der Würzmischung, schlagen es in Frischhalte- und Alufolie ein, drehen das Ganze zum Bonbon zu und werden es neun Minuten lang bei 85 Grad mit einer Kerntemperatur von maximal 48 Grad pochieren. Das klingt ein bisschen alchimistisch, ist aber im Grunde kinderleicht. Man muss nur darauf achten, dass die Bonbons ganz von Wasser umgeben sind, sonst wird das Fleisch nicht regelmäßig gar.
Und dann wird es kompliziert, denn so harmlos die Rezepte der Haute Cuisine auf den ersten Blick aussehen, so heimtückisch verästeln sie sich in immer feingliedrigere Komponenten. Wir machen brav unser Champignonpüree, wobei wir es mit ordinärer Speisestärke binden, denn wir hatten keine Zeit, uns das vorgeschriebene Profibindemittel Xanthan im Chemikalienfachhandel zu besorgen. Wir lassen buchstabengetreu den Lorbeerjus stundenlang schmurgeln, selbst beim Sellerieconfit werden wir nicht fahnenflüchtig. Doch dann heißt es ganz unschuldig im Rezeptkapitel "Anrichten": Sellerieconfit temperieren und mit einem rechteckigen Rahmen auf den Teller legen, Champignongelee darauf plazieren, Pfifferlinge sautieren und auf dem Gelee drapieren. Wo kommt das denn alles her? Plötzlich taucht auch noch ein Selleriegelee auf, das einen weiteren halben Tag Arbeit kostet, und von der enzyklopädischen Laboratoriumsanweisung für den Rehbeuschel mit Sellerieschaum schweigen wir jetzt lieber ganz.
Wir haben keinen Stern und reduzieren deshalb radikal: Eine Nocke Champignonpüree und eine weitere Nocke Sellerieconfit werden dekorativ auf den Teller gelegt, gleichzeitig braten wir das Filet ganz kurz in aufgeschäumter Butter nach, legen es - die Kinder wollen satt werden - auf ein Nudelbettchen und nappieren es mit dem Lorbeerjus. Das sieht alles recht konfus aus, ganz anders als auf dem Foto, kein Zen-Garten aus Gelee und Confit, eher ein Komposthaufen aus Sellerie- und Champignon-Klecksen mit einem Brocken Hirschfilet dazwischen.
Aber es duftet und schmeckt, dass uns das Herz hüpft: Die geröstetem Nüsse und Gewürze umschmeicheln das elfenzarte Fleisch wie ein Gedicht aus Röstaromenreimen, die Pürees singen feinsinnig zweistimmig den Refrain dazu, und der Lorbeerjus gibt dem Ganzen einen wunderbar schwermütigen Grundton. Die Kinder schmatzen vor Glück, es sei ihnen ausnahmsweise gestattet; Herr Henkel schwebt als guter Geist um den Esstisch herum, wahrscheinlich verdreht er gerade fürchterlich die Augen; die Eltern heben die Gläser, halten sich zumindest eines verbeulten Blechsterns für würdig und sagen sich selig, dass es halb so schlimm wäre, wenn jetzt die Welt unterginge - aber nur halb, denn es fehlt ja noch das Desert.
Wir vertrauen uns zum großen Finale demutsvoll jenem Mann an, der nichts weniger als der Imperator maximus der Haute Cuisine ist: Joël Robuchon, Herrscher über ein Weltreich des Hochgeschmacks, in dem sechsundzwanzig Michelin-Sterne funkeln und die Sonne niemals untergeht. Seit kurzem liegen seine legendären Küchenklassiker auf Deutsch vor, und wir entscheiden uns für ein Fondant au chocolat mit Sauerkirschen, machen einen schönen Schokoladenteig, füllen ihn in einen Edelstahlring, fügen die Kirschen hinzu, bedecken sie mit der restlichen Masse, lassen das Ganze auskühlen, basteln uns blitzschnell eine Schokoladensauce und sind vollkommen verblüfft darüber, was Robuchon mit ein bisschen Wasser, Sahne, Butter, Kakao, Schokolade und Früchten aus dem Chapeau zaubert: ein virtuoses Spiel aus Süßem und Sauren, Festem und Flüssigen, Schmelzendem und Schmeichelnden, das wir uns niemals hätten ausdenken können. Dazu reicht unsere kulinarische Intelligenz bei weitem nicht aus.
Doch das macht noch lange keinen Menschen zum kulinarischen Analphabeten. Nein, die Lektion dieses Abends ist eine ganz andere. Wir haben sie auch ohne Profiausstattung mit Pacojet oder Thermomix begriffen und für viel weniger Geld bekommen, als uns irgendein Nullachtfuffzehnnobelitaliener abknöpft. Und das verlangt dringend nach einem Toast für Monsieur Robuchon und auch für Maître Ducasse und für Herrn Henkel sowieso, denn jetzt wissen wir: Aus der Distanz betrachtet, scheinen die Sterne der Haute Cuisine unendlich fern am Feinschmeckerfirnament zu funkeln. Wenn man sich aber auf die Zehenspitzen stellt, sind sie plötzlich ganz nah, so nah, dass sie jeder pflücken und sich auf seinen Teller legen kann.
Sterneküche für zu Hause: "Ducasse - die besten Rezepte: Grand Livre de Cuisine" von Alain Ducasse, Matthaes Verlag, Stuttgart 2011, 718 Seiten, 98 Euro. "Pure Nature" von Nils Henkel, Fackelträger Verlag, Köln 2011, 288 Seiten, 69 Euro. "Die Klassiker: Grand livre de cuisine" von Joël Robuchon, Matthaes Verlag, Stuttgart 2011, 460 Seiten, 88 Euro. Weitere aktuelle Bücher von Spitzenköchen: "Das Familienessen" von Ferran Adrià (Phaidon/Edel Verlag), "Sven Elverfeld" von Sven Elverfeld (Collection Rolf Heyne), "bau.stil" von Christian Bau (Umschau Verlag) und "Kulinarische Überflieger" von Roland Trettl (Collection Rolf Heyne).
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