Produktdetails
- Verlag: Franz Steiner Verlag
- ISBN-13: 9783515031561
- Artikelnr.: 24731912
- Herstellerkennzeichnung Die Herstellerinformationen sind derzeit nicht verfügbar.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 10.11.2011Ein Wunder, dass die Unterworfenen so willig waren
Géza Alföldy verteidigt seine römische Sozialgeschichte der Kaiserzeit gegen kritische Einreden
Als der unlängst verstorbene Géza Alföldy (F.A.Z. vom 9. November) vor gut fünfunddreißig Jahren seine "Römische Sozialgeschichte" vorlegte, war dies nur auf den ersten Blick ein Versuch, die Althistorie nachholend in einen damals aktuellen Trend einzufädeln. Gewiss, an der Ruhruniversität Bochum, wo der aus Ungarn Geflohene damals lehrte, mochte das Fehlen eines solchen Grundrisses stärker als anderswo wahrgenommen worden sein. Doch der junge Autor erkannte auch die Chancen des Unternehmens: Die überall sichtbar ausgeprägten Hierarchien als Hauptmerkmal der römischen Gesellschaft legten es nahe, deren soziale Strukturen als Organisation akzeptierter Ungleichheit zu fassen und davon ausgehend die einzelnen Gruppen, ihre Beziehungen zueinander, die Durchlässigkeit der Schichtung und die stabilisierende oder destabilisierende Wirkung des politischen Rahmens in den Blick zu nehmen.
Da Römer verschiedenster Stellung, zumal seit der frühen Kaiserzeit, immer wieder ihre Position in der jeweiligen Hierarchie markierten, konnte der Kenner der lateinischen Inschriften die häufig vorgebrachte Ausrede, für eine römische Sozialgeschichte im modernen Sinn fehle es an Quellen, als nicht fundiert zurückweisen. Das gilt heute noch viel mehr als damals.
Hinter der relativ konventionellen Epocheneinteilung steckte eine klare historische Anschauung. Zu Beginn der römischen Geschichte und in der Kaiserzeit mündete jeweils eine Expansion in Neuformierungen, gegen Ende der Republik und im dritten Jahrhundert nach Christus wirkten erodierende Kräfte zeitweise sehr stark, ohne jedoch die Grundstrukturen angreifen zu können. Dies geschah erst, als der äußere Rahmen der politischen Ordnung zerbrach und das, was ihn ersetzte, anders als zum Ende der Republik nicht mehr römisch war. Der Preis für diese Konzeption liegt in einer bisweilen teleologischen Sichtweise; dass Augustus und Diokletian nicht nur die Macht erobern, sondern auch die Ordnung für vergleichsweise lange Dauer stabilisieren konnten, war jedoch keineswegs abzusehen und nicht einmal wahrscheinlich.
Mehr als zweieinhalb Dezennien nach der dritten, stark überarbeiteten Auflage, die in acht Sprachen übersetzt wurde, liegt nun eine auf den doppelten Umfang angewachsene Neuausgabe vor; der aus Vorlesungen entstandene Grundriss ist zum Handbuch (mit leider zu vielen Druckfehlern) geworden, das auf über fünfzig Seiten die neuere Literatur verzeichnet. Für die Zeit der Republik liegen die Fortschritte der Forschung eher außerhalb von Alföldys Radar, dafür konnte er das Bild der Kaiserzeit - maßgeblich auf der Basis eigener wie angeleiteter Arbeiten - noch erheblich reicher und differenzierter gestalten. Sich auf die klassische Sozialgeschichte zu beschränken ist begründungsbedürftig geworden, da sich das Gebiet ausgeweitet hat und inzwischen auch Themen wie Geschlechterbeziehungen, Familie, Sozialisation oder Randgruppen umfasst. Alföldy liefert die Begründung implizit, durch eine Monographie mit klaren Linien und aus einem Guss. Das ist überzeugender als eine gelegentliche Fußnotensottise gegen "die heute modischen Fragen der Sozialanthropologie".
Alföldys Stände-Schichten-Modell der römischen Sozialstruktur in der Kaiserzeit, suggestiv in eine graphische Pyramide übersetzt, kann als weitgehend akzeptiert gelten, weshalb sich sein Schöpfer gelassen und offen mit den Einreden auseinandersetzen kann; die zwanzig Seiten dazu zählen zu den besten des Buches. Gewiss spielte die Einbindung des Einzelnen in Familie und Gemeinde eine wesentliche Rolle für den Zusammenhalt der Gesellschaft, doch es war eben nicht gleichgültig, ob man arm oder reich war, Macht ausüben konnte oder nicht und ob man angesehen war oder zur großen Masse gehörte. Und auf der Ebene des Gesamtreiches wurde die Integration lokaler Eliten durch die strikte soziale Hierarchie gefördert, da die Bereitschaft, sich anzupassen, berechenbar belohnt wurde. Dass die zuvor blutig Unterworfenen das soziopolitische und soziokulturelle System der Römer so weitgehend akzeptierten, erscheint Alföldy "fast wie ein Wunder" römischer Staatskunst. Was davon zu erklären ist, findet sich in diesem Buch vorbildlich ausgebreitet.
UWE WALTER
Géza Alföldy: "Römische Sozialgeschichte".
Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2011. 399 S., br., 21,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Géza Alföldy verteidigt seine römische Sozialgeschichte der Kaiserzeit gegen kritische Einreden
Als der unlängst verstorbene Géza Alföldy (F.A.Z. vom 9. November) vor gut fünfunddreißig Jahren seine "Römische Sozialgeschichte" vorlegte, war dies nur auf den ersten Blick ein Versuch, die Althistorie nachholend in einen damals aktuellen Trend einzufädeln. Gewiss, an der Ruhruniversität Bochum, wo der aus Ungarn Geflohene damals lehrte, mochte das Fehlen eines solchen Grundrisses stärker als anderswo wahrgenommen worden sein. Doch der junge Autor erkannte auch die Chancen des Unternehmens: Die überall sichtbar ausgeprägten Hierarchien als Hauptmerkmal der römischen Gesellschaft legten es nahe, deren soziale Strukturen als Organisation akzeptierter Ungleichheit zu fassen und davon ausgehend die einzelnen Gruppen, ihre Beziehungen zueinander, die Durchlässigkeit der Schichtung und die stabilisierende oder destabilisierende Wirkung des politischen Rahmens in den Blick zu nehmen.
Da Römer verschiedenster Stellung, zumal seit der frühen Kaiserzeit, immer wieder ihre Position in der jeweiligen Hierarchie markierten, konnte der Kenner der lateinischen Inschriften die häufig vorgebrachte Ausrede, für eine römische Sozialgeschichte im modernen Sinn fehle es an Quellen, als nicht fundiert zurückweisen. Das gilt heute noch viel mehr als damals.
Hinter der relativ konventionellen Epocheneinteilung steckte eine klare historische Anschauung. Zu Beginn der römischen Geschichte und in der Kaiserzeit mündete jeweils eine Expansion in Neuformierungen, gegen Ende der Republik und im dritten Jahrhundert nach Christus wirkten erodierende Kräfte zeitweise sehr stark, ohne jedoch die Grundstrukturen angreifen zu können. Dies geschah erst, als der äußere Rahmen der politischen Ordnung zerbrach und das, was ihn ersetzte, anders als zum Ende der Republik nicht mehr römisch war. Der Preis für diese Konzeption liegt in einer bisweilen teleologischen Sichtweise; dass Augustus und Diokletian nicht nur die Macht erobern, sondern auch die Ordnung für vergleichsweise lange Dauer stabilisieren konnten, war jedoch keineswegs abzusehen und nicht einmal wahrscheinlich.
Mehr als zweieinhalb Dezennien nach der dritten, stark überarbeiteten Auflage, die in acht Sprachen übersetzt wurde, liegt nun eine auf den doppelten Umfang angewachsene Neuausgabe vor; der aus Vorlesungen entstandene Grundriss ist zum Handbuch (mit leider zu vielen Druckfehlern) geworden, das auf über fünfzig Seiten die neuere Literatur verzeichnet. Für die Zeit der Republik liegen die Fortschritte der Forschung eher außerhalb von Alföldys Radar, dafür konnte er das Bild der Kaiserzeit - maßgeblich auf der Basis eigener wie angeleiteter Arbeiten - noch erheblich reicher und differenzierter gestalten. Sich auf die klassische Sozialgeschichte zu beschränken ist begründungsbedürftig geworden, da sich das Gebiet ausgeweitet hat und inzwischen auch Themen wie Geschlechterbeziehungen, Familie, Sozialisation oder Randgruppen umfasst. Alföldy liefert die Begründung implizit, durch eine Monographie mit klaren Linien und aus einem Guss. Das ist überzeugender als eine gelegentliche Fußnotensottise gegen "die heute modischen Fragen der Sozialanthropologie".
Alföldys Stände-Schichten-Modell der römischen Sozialstruktur in der Kaiserzeit, suggestiv in eine graphische Pyramide übersetzt, kann als weitgehend akzeptiert gelten, weshalb sich sein Schöpfer gelassen und offen mit den Einreden auseinandersetzen kann; die zwanzig Seiten dazu zählen zu den besten des Buches. Gewiss spielte die Einbindung des Einzelnen in Familie und Gemeinde eine wesentliche Rolle für den Zusammenhalt der Gesellschaft, doch es war eben nicht gleichgültig, ob man arm oder reich war, Macht ausüben konnte oder nicht und ob man angesehen war oder zur großen Masse gehörte. Und auf der Ebene des Gesamtreiches wurde die Integration lokaler Eliten durch die strikte soziale Hierarchie gefördert, da die Bereitschaft, sich anzupassen, berechenbar belohnt wurde. Dass die zuvor blutig Unterworfenen das soziopolitische und soziokulturelle System der Römer so weitgehend akzeptierten, erscheint Alföldy "fast wie ein Wunder" römischer Staatskunst. Was davon zu erklären ist, findet sich in diesem Buch vorbildlich ausgebreitet.
UWE WALTER
Géza Alföldy: "Römische Sozialgeschichte".
Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2011. 399 S., br., 21,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main