Römisches Staatsrecht - Erster Band ist ein unveränderter, hochwertiger Nachdruck der Originalausgabe aus dem Jahr 1876.
Hansebooks ist Herausgeber von Literatur zu unterschiedlichen Themengebieten wie Forschung und Wissenschaft, Reisen und Expeditionen, Kochen und Ernährung, Medizin und weiteren Genres. Der Schwerpunkt des Verlages liegt auf dem Erhalt historischer Literatur. Viele Werke historischer Schriftsteller und Wissenschaftler sind heute nur noch als Antiquitäten erhältlich. Hansebooks verlegt diese Bücher neu und trägt damit zum Erhalt selten gewordener Literatur und historischem Wissen auch für die Zukunft bei.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 06.12.2017Schätze unter der Systemdecke
Theodor Mommsens "Römisches Staatsrecht" gilt als institutionenzentriert und antisozial. Aber wenn man es genau liest, dann bietet es eine überraschende Fülle an gesellschaftsgeschichtlichen Exkursen und kulturhistorischen Details. Plädoyer für eine Neubewertung.
Als sich der Promotionskandidat Max Weber am 1. August 1889 bei seinem juristischen Rigorosum gegen seine drei Prüfer verteidigt hatte, wandte er sich mit der Frage ans Publikum, ob noch jemand wage, seine Thesen zu kritisieren. Da erhob sich, "dürr wie eine Spinne", wie es bei Marianne Weber heißt, Theodor Mommsen aus den Zuschauerreihen und äußerte seine Zweifel an der Stichhaltigkeit von Webers Argumentation. Nach einem Streitgespräch zwischen dem jungen Weber und dem alten Mommsen schloss dieser, nicht vollends überzeugt, aber vom Elan seines jugendlichen Gegners beeindruckt, mit den versöhnlichen Worten: Die jüngere Generation habe oft neue Ideen, denen sich die ältere nicht sofort anschließen könne, aber "wenn ich einmal in die Grube fahren muss, so würde ich keinem lieber sagen: ,Sohn, da hast Du meinen Speer, mein Arm wird mir zu schwer' als dem von mir hochgeschätzten Max Weber".
Mommsens Deklamation einer Gedichtzeile des Dichters Friedrich Leopold zu Stolberg hat man mitunter zum Bannerspruch einer forschungsprogrammatischen Staffelübergabe stilisiert. Mommsen, als "Staatsrechtler" noch ohne Blick für die soziale Fragestellung, habe sich in seiner Forschung ausschließlich auf rechtliche Institutionen konzentriert. Das Interesse des neunzehnten Jahrhunderts am "Staat" wird von dem des zwanzigsten Jahrhunderts an der "Gesellschaft" abgelöst, das ist die gängige Stufenfolge nicht nur im Selbstverständnis der Alten Geschichte, sondern in der Eigenwahrnehmung der deutschen Geschichtswissenschaft insgesamt: von der Verfassungs- zur Sozialgeschichte, von Preußen nach Bielefeld.
Eine solche teleologische Sichtweise hat bisher verhindert, dass schon in Theodor Mommsen ein politischer Sozialhistoriker avant la lettre erkannt werden kann. Überraschenderweise finden sich gerade in seinem zwischen 1871 und 1888 veröffentlichten, kühl analysierenden "Staatsrecht" eine Vielzahl "sozialer Fakten". Ein Großteil der Forschung hat dieses dreitausendseitige Mammutwerk, in dem anhand der drei verfassungsrechtlichen Kernelemente "Magistratur", "Senat" und "Bürgerschaft" die tausendjährige Institutionengeschichte Roms systematisch abgehandelt wird, bisher als rein staatszentriert und "antisozial" abgetan. Besserwisserische Mommsen-Schelten gehören in der althistorischen Gelehrtenwelt schon lange zum guten Ton. Allerdings bemerkte schon 1890 ein anonymer Rezensent, dass bei Mommsen "eine Menge von Sachen behandelt sind, welche ihrer Natur nach einer juristischen Konstruktion nur teilweise fähig sind, da es sich um tatsächliche Verhältnisse und gesellschaftliche Konvenienzen handelt".
Wer das "Staatsrecht" im Ganzen liest und nicht nur als Nachschlagewerk behandelt, dem wird in der Tat auffallen, dass sich immer wieder Passagen in das staatsrechtliche System einschleichen, die historischen, ja sogar soziologischen Charakter haben. Wenn man die verschiedenen Belege zusammenführt, kann man ein gesellschaftsgeschichtliches Entwicklungsmodell rekonstruieren, das den Vergleich mit modernen sozialgeschichtlichen Ansätzen nicht scheuen braucht.
Ausgehend von der Vorstellung einer klaren Unterscheidung zwischen Bürger und Nichtbürger in archaischer Zeit wird die rechtliche Angleichung ehemals diskriminierter Personengruppen - der "Klienten" - als Effekt militärischer und politischer Integration dargestellt: Wer "mit dem Patrizier im Gliede stand und so gut wie er sich auf eigene Kosten die Rüstung beschaffte, mochte dessen Höriger noch heißen, konnte es aber der Sache nach nicht mehr sein". Die Einbeziehung des "Klienten" in den militärischen Dienst wirkt als ursprünglicher Katalysator für seine soziale Rollentransformation zum "Plebejer", militärisches Engagement als Soldat befeuert das Streben nach politischer Gleichberechtigung als Bürger, so Mommsens Vermutung.
Die grundsätzliche Oberschichten-Orientierung und Imitationsbereitschaft sozialer Aufsteiger beschreibt der Autor des "Staatsrechts" ebenso wie die soziopolitischen Diskriminierungen "bürgerrechtlich" gleichgestellter Personengruppen: Trotz formalrechtlicher Gleichheit galt den Patriziern das plebejische Neubürgerrecht, "lange nachdem es rechtlich zum Bürgerrecht geworden war, als nicht voll", schreibt Mommsen. Die "Vormachtstellung des Geschlechtsadels" habe "den Verlust seiner Privilegien und selbst die rechtliche Zurücksetzung weit überdauert".
Grundsätzlich steht die Darstellung der civitas, des städtischen "Rechts- und Integrationskreises", bei Mommsen im Vordergrund. Die Sphäre der familia wird nicht behandelt. Deshalb beschränkt sich die Untersuchung auf die männlichen, politisch vollberechtigten Bürger. Frauen, Kinder und Sklaven werden von vornherein ausgeschlossen. Neben diesem rechtlichen Schichtungskriterium richtet sich die individuelle Positionierung dann zunächst nach der Herkunft, wird "Adel" zur entscheidenden Kategorie. Auf der anderen Seite muss sich Adel immer auch über die Herkunft hinaus durch den militärischen oder politischen Dienst beweisen. Mommsen geht nicht von einer klassischen Ständegesellschaft aus, in der allein die Geburt den hohen Status legitimiert, sondern sieht soziale Exklusivität von Beginn an in Verbindung mit politischer Ämterausübung. Dadurch ist Mommsens Schichtungsmodell auch ein gewisses Maß an sozialer Mobilität eigen - die "Klienten" sichern sich durch den militärischen Dienst den Bürgerstatus, werden "Plebejer", die sich wiederum durch die Übernahme politischer Ämter zur sozialen Oberschicht, zur "Nobilität" Zugang verschaffen.
Trotz dieses soziodynamischen Elements bildet die Hypothese der kollektiven Akzeptanz einer Prestigehierarchie eine wesentliche Konstante in Mommsens Darstellung. Die Zugehörigkeit zu einer vornehmen Familie bevorzugt "gewohnheitsmäßig" den Kandidaten für ein politisches Amt. Ein irrationales Moment, nämlich der Glaube an die überragende Leistungsfähigkeit einer traditionsdefinierten Oberschicht, geht in die Argumentation des Staatsrechtlers ein. Allerdings herrscht gerade wegen der großen Bedeutung von individuellem Prestige im politischen Kontext auch die Notwendigkeit, den individuellen sozialen Status zu inszenieren.
Daher zeigt Mommsen im "Staatsrecht" auch Interesse an der römischen Kleiderordnung. Ursprünglich habe es in der Bekleidung keinen Unterschied zwischen Patriziern und Plebejern gegeben: "In der Tracht der Männer bei ihrem öffentlichen Erscheinen findet Bürgerrecht und Freiheit im Gegensatz zu Peregrinität und dem Sklavenstand sichtlichen Ausdruck." Noch die Kaiser hätten später eine normale Tracht getragen, um ihre republikanische Identität zu markieren. Zu jedem Mittel seien sie bei der modischen Beweisführung ihrer Bodenständigkeit dann allerdings doch nicht bereit gewesen: "Im Badekostüm aber oder im Hauskleid zeigte der Princeps natürlich sich nicht leicht."
Der Autor des "Staatsrechts" hat eine scharfe Wahrnehmung für den auratischen Gehalt von Kleidung als Distinktionsmittel in einer face to face society. Am Gewand ist für Mommsen das symbolische Kapital eines Individuums ablesbar. Die trabea, das ritterliche Oberkleid, aber insbesondere der angustus clavus, der schmale rote Streifen am Untergewand, sei das entscheidende äußerliche Merkmal, das die Stellung des "Ritters" deutlich von der des "Senators" unterscheide. Der Goldring (anulus aureus) und die Goldkapsel (bulla) für die Nachkommen der Ritter hätten als weitere Statussymbole zu gelten. Mommsen geht von der Existenz einer magistratischen Aufsicht aus, welche die unberechtigte Führung des Goldrings bestraft hätte. Denn immer wieder hätten Freigelassene das vornehme Symbol genutzt, um ihre "soziale Zurücksetzung" zu überspielen.
Ständische Distinktion drückt sich für Mommsen ebenso im senatorischen Schuhwerk (calceus) aus, das sich durch eine besondere Wadenschnürung vom gewöhnlichen Schuh unterscheidet. Mommsen verweist auf eine inneraristokratische Distinktion, die am Schuh deutlich werde: "Die plebejischen Senatoren haben also von den patrizischen sich stets durch die Schuhe unterschieden, indem vermutlich die Riemen hier an Knöpfen von Metall statt an jenem elfenbeinernen Halbmond befestigt, auch wohl in abweichender Weise geschnürt wurden." Die Plebejer schnüren anders als die Patrizier, der halbmondförmige Knöchelhalter wird als ein weiterer Beleg für die andauernde patrizische Privilegierung gewertet. Die Akkuratesse, mit der Mommsen die Manifestationen sozialer Distinktion beschreibt, ist erstaunlich. Eine statusabhängige Tracht bietet Orientierung, indem sie das besondere Prestige kenntlich macht. Erst an seiner Purpursaumbreite oder seinem Knöchelhalter erkennt der Römer den Römer, weiß, wie er sein Gegenüber sozial einzuordnen hat.
Gegen Mommsens Kritiker muss man also anführen, dass es im "Staatsrecht" nicht nur um "Staat" und "Recht", sondern auch um das Bindungsmittel zwischen beidem - modern gesprochen: die "Gesellschaft" - geht (selbst wenn der Begriff wahrscheinlich aus wohlüberlegten Gründen nie fällt). Gerade wegen seiner sozial- und kulturhistorischen Analysen ist Mommsen für heutige Fragestellungen anschlussfähig geblieben. Man muss nur genug Ausdauer haben, um sich einen Weg durch das steinige Terrain seiner Systemsprache zu bahnen. Dann wird man mit reichen Schätzen belohnt.
SIMON STRAUSS
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Theodor Mommsens "Römisches Staatsrecht" gilt als institutionenzentriert und antisozial. Aber wenn man es genau liest, dann bietet es eine überraschende Fülle an gesellschaftsgeschichtlichen Exkursen und kulturhistorischen Details. Plädoyer für eine Neubewertung.
Als sich der Promotionskandidat Max Weber am 1. August 1889 bei seinem juristischen Rigorosum gegen seine drei Prüfer verteidigt hatte, wandte er sich mit der Frage ans Publikum, ob noch jemand wage, seine Thesen zu kritisieren. Da erhob sich, "dürr wie eine Spinne", wie es bei Marianne Weber heißt, Theodor Mommsen aus den Zuschauerreihen und äußerte seine Zweifel an der Stichhaltigkeit von Webers Argumentation. Nach einem Streitgespräch zwischen dem jungen Weber und dem alten Mommsen schloss dieser, nicht vollends überzeugt, aber vom Elan seines jugendlichen Gegners beeindruckt, mit den versöhnlichen Worten: Die jüngere Generation habe oft neue Ideen, denen sich die ältere nicht sofort anschließen könne, aber "wenn ich einmal in die Grube fahren muss, so würde ich keinem lieber sagen: ,Sohn, da hast Du meinen Speer, mein Arm wird mir zu schwer' als dem von mir hochgeschätzten Max Weber".
Mommsens Deklamation einer Gedichtzeile des Dichters Friedrich Leopold zu Stolberg hat man mitunter zum Bannerspruch einer forschungsprogrammatischen Staffelübergabe stilisiert. Mommsen, als "Staatsrechtler" noch ohne Blick für die soziale Fragestellung, habe sich in seiner Forschung ausschließlich auf rechtliche Institutionen konzentriert. Das Interesse des neunzehnten Jahrhunderts am "Staat" wird von dem des zwanzigsten Jahrhunderts an der "Gesellschaft" abgelöst, das ist die gängige Stufenfolge nicht nur im Selbstverständnis der Alten Geschichte, sondern in der Eigenwahrnehmung der deutschen Geschichtswissenschaft insgesamt: von der Verfassungs- zur Sozialgeschichte, von Preußen nach Bielefeld.
Eine solche teleologische Sichtweise hat bisher verhindert, dass schon in Theodor Mommsen ein politischer Sozialhistoriker avant la lettre erkannt werden kann. Überraschenderweise finden sich gerade in seinem zwischen 1871 und 1888 veröffentlichten, kühl analysierenden "Staatsrecht" eine Vielzahl "sozialer Fakten". Ein Großteil der Forschung hat dieses dreitausendseitige Mammutwerk, in dem anhand der drei verfassungsrechtlichen Kernelemente "Magistratur", "Senat" und "Bürgerschaft" die tausendjährige Institutionengeschichte Roms systematisch abgehandelt wird, bisher als rein staatszentriert und "antisozial" abgetan. Besserwisserische Mommsen-Schelten gehören in der althistorischen Gelehrtenwelt schon lange zum guten Ton. Allerdings bemerkte schon 1890 ein anonymer Rezensent, dass bei Mommsen "eine Menge von Sachen behandelt sind, welche ihrer Natur nach einer juristischen Konstruktion nur teilweise fähig sind, da es sich um tatsächliche Verhältnisse und gesellschaftliche Konvenienzen handelt".
Wer das "Staatsrecht" im Ganzen liest und nicht nur als Nachschlagewerk behandelt, dem wird in der Tat auffallen, dass sich immer wieder Passagen in das staatsrechtliche System einschleichen, die historischen, ja sogar soziologischen Charakter haben. Wenn man die verschiedenen Belege zusammenführt, kann man ein gesellschaftsgeschichtliches Entwicklungsmodell rekonstruieren, das den Vergleich mit modernen sozialgeschichtlichen Ansätzen nicht scheuen braucht.
Ausgehend von der Vorstellung einer klaren Unterscheidung zwischen Bürger und Nichtbürger in archaischer Zeit wird die rechtliche Angleichung ehemals diskriminierter Personengruppen - der "Klienten" - als Effekt militärischer und politischer Integration dargestellt: Wer "mit dem Patrizier im Gliede stand und so gut wie er sich auf eigene Kosten die Rüstung beschaffte, mochte dessen Höriger noch heißen, konnte es aber der Sache nach nicht mehr sein". Die Einbeziehung des "Klienten" in den militärischen Dienst wirkt als ursprünglicher Katalysator für seine soziale Rollentransformation zum "Plebejer", militärisches Engagement als Soldat befeuert das Streben nach politischer Gleichberechtigung als Bürger, so Mommsens Vermutung.
Die grundsätzliche Oberschichten-Orientierung und Imitationsbereitschaft sozialer Aufsteiger beschreibt der Autor des "Staatsrechts" ebenso wie die soziopolitischen Diskriminierungen "bürgerrechtlich" gleichgestellter Personengruppen: Trotz formalrechtlicher Gleichheit galt den Patriziern das plebejische Neubürgerrecht, "lange nachdem es rechtlich zum Bürgerrecht geworden war, als nicht voll", schreibt Mommsen. Die "Vormachtstellung des Geschlechtsadels" habe "den Verlust seiner Privilegien und selbst die rechtliche Zurücksetzung weit überdauert".
Grundsätzlich steht die Darstellung der civitas, des städtischen "Rechts- und Integrationskreises", bei Mommsen im Vordergrund. Die Sphäre der familia wird nicht behandelt. Deshalb beschränkt sich die Untersuchung auf die männlichen, politisch vollberechtigten Bürger. Frauen, Kinder und Sklaven werden von vornherein ausgeschlossen. Neben diesem rechtlichen Schichtungskriterium richtet sich die individuelle Positionierung dann zunächst nach der Herkunft, wird "Adel" zur entscheidenden Kategorie. Auf der anderen Seite muss sich Adel immer auch über die Herkunft hinaus durch den militärischen oder politischen Dienst beweisen. Mommsen geht nicht von einer klassischen Ständegesellschaft aus, in der allein die Geburt den hohen Status legitimiert, sondern sieht soziale Exklusivität von Beginn an in Verbindung mit politischer Ämterausübung. Dadurch ist Mommsens Schichtungsmodell auch ein gewisses Maß an sozialer Mobilität eigen - die "Klienten" sichern sich durch den militärischen Dienst den Bürgerstatus, werden "Plebejer", die sich wiederum durch die Übernahme politischer Ämter zur sozialen Oberschicht, zur "Nobilität" Zugang verschaffen.
Trotz dieses soziodynamischen Elements bildet die Hypothese der kollektiven Akzeptanz einer Prestigehierarchie eine wesentliche Konstante in Mommsens Darstellung. Die Zugehörigkeit zu einer vornehmen Familie bevorzugt "gewohnheitsmäßig" den Kandidaten für ein politisches Amt. Ein irrationales Moment, nämlich der Glaube an die überragende Leistungsfähigkeit einer traditionsdefinierten Oberschicht, geht in die Argumentation des Staatsrechtlers ein. Allerdings herrscht gerade wegen der großen Bedeutung von individuellem Prestige im politischen Kontext auch die Notwendigkeit, den individuellen sozialen Status zu inszenieren.
Daher zeigt Mommsen im "Staatsrecht" auch Interesse an der römischen Kleiderordnung. Ursprünglich habe es in der Bekleidung keinen Unterschied zwischen Patriziern und Plebejern gegeben: "In der Tracht der Männer bei ihrem öffentlichen Erscheinen findet Bürgerrecht und Freiheit im Gegensatz zu Peregrinität und dem Sklavenstand sichtlichen Ausdruck." Noch die Kaiser hätten später eine normale Tracht getragen, um ihre republikanische Identität zu markieren. Zu jedem Mittel seien sie bei der modischen Beweisführung ihrer Bodenständigkeit dann allerdings doch nicht bereit gewesen: "Im Badekostüm aber oder im Hauskleid zeigte der Princeps natürlich sich nicht leicht."
Der Autor des "Staatsrechts" hat eine scharfe Wahrnehmung für den auratischen Gehalt von Kleidung als Distinktionsmittel in einer face to face society. Am Gewand ist für Mommsen das symbolische Kapital eines Individuums ablesbar. Die trabea, das ritterliche Oberkleid, aber insbesondere der angustus clavus, der schmale rote Streifen am Untergewand, sei das entscheidende äußerliche Merkmal, das die Stellung des "Ritters" deutlich von der des "Senators" unterscheide. Der Goldring (anulus aureus) und die Goldkapsel (bulla) für die Nachkommen der Ritter hätten als weitere Statussymbole zu gelten. Mommsen geht von der Existenz einer magistratischen Aufsicht aus, welche die unberechtigte Führung des Goldrings bestraft hätte. Denn immer wieder hätten Freigelassene das vornehme Symbol genutzt, um ihre "soziale Zurücksetzung" zu überspielen.
Ständische Distinktion drückt sich für Mommsen ebenso im senatorischen Schuhwerk (calceus) aus, das sich durch eine besondere Wadenschnürung vom gewöhnlichen Schuh unterscheidet. Mommsen verweist auf eine inneraristokratische Distinktion, die am Schuh deutlich werde: "Die plebejischen Senatoren haben also von den patrizischen sich stets durch die Schuhe unterschieden, indem vermutlich die Riemen hier an Knöpfen von Metall statt an jenem elfenbeinernen Halbmond befestigt, auch wohl in abweichender Weise geschnürt wurden." Die Plebejer schnüren anders als die Patrizier, der halbmondförmige Knöchelhalter wird als ein weiterer Beleg für die andauernde patrizische Privilegierung gewertet. Die Akkuratesse, mit der Mommsen die Manifestationen sozialer Distinktion beschreibt, ist erstaunlich. Eine statusabhängige Tracht bietet Orientierung, indem sie das besondere Prestige kenntlich macht. Erst an seiner Purpursaumbreite oder seinem Knöchelhalter erkennt der Römer den Römer, weiß, wie er sein Gegenüber sozial einzuordnen hat.
Gegen Mommsens Kritiker muss man also anführen, dass es im "Staatsrecht" nicht nur um "Staat" und "Recht", sondern auch um das Bindungsmittel zwischen beidem - modern gesprochen: die "Gesellschaft" - geht (selbst wenn der Begriff wahrscheinlich aus wohlüberlegten Gründen nie fällt). Gerade wegen seiner sozial- und kulturhistorischen Analysen ist Mommsen für heutige Fragestellungen anschlussfähig geblieben. Man muss nur genug Ausdauer haben, um sich einen Weg durch das steinige Terrain seiner Systemsprache zu bahnen. Dann wird man mit reichen Schätzen belohnt.
SIMON STRAUSS
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