Es sind Bilder wie aus einem anderen Jahrhundert. Die Lanthalers leben auf 1700 Höhenmetern im Südtiroler Passeiertal auf einem Berghof, der aus dem Felsen zu wachsen scheint. Der Bruder des derzeitigen Besitzers ist 1962 hier in den Tod gestürzt und auch sonst waren Unglücke nicht selten. Bis heute
leben und arbeiten die Lanthalers mit ihren acht Kühen, einigen Schafen und Hühnern als…mehrEs sind Bilder wie aus einem anderen Jahrhundert. Die Lanthalers leben auf 1700 Höhenmetern im Südtiroler Passeiertal auf einem Berghof, der aus dem Felsen zu wachsen scheint. Der Bruder des derzeitigen Besitzers ist 1962 hier in den Tod gestürzt und auch sonst waren Unglücke nicht selten. Bis heute leben und arbeiten die Lanthalers mit ihren acht Kühen, einigen Schafen und Hühnern als Selbstversorger und unter Bedingungen, die sich kaum von denen im 19. Jahrhundert unterscheiden. Sie nutzen keine modernen Hilfsmittel, außer einer Stromleitung, die sie mit elektrischem Licht versorgt und die Verwendung eines Staubsaugers erlaubt. Gekocht wird, wie seit Generationen auf dem Holzherd, Bäume werden gefällt und zu Feuerholz gehackt, das Heu wird auf den Bergwiesen im Herbst gemäht und im Winter aus dem Schober am Berg in den Stall geholt. Es ist eine unglaublich anstrengende körperliche Arbeit, die im Gesicht des 75-jährigen Seniors tiefe Gräben gezogen und seinen Rücken gebeugt hat. Der Sohn wird den Hof übernehmen, aber von der Almwirtschaft alleine kann schon lange niemand mehr leben. Ohne EU-Subventionen würden die Lahnthalers schlichtweg verhungern.
Roland Reinstadler ist ganz in der Nähe aufgewachsen und hat über Jahre hinweg den Berghof und seine Bewohner fotografisch begleitet. Dabei sind ihm intime Einblicke in eine Lebenswelt gewährt worden, die er sensibel dokumentiert und mit viel Empathie ins Bild setzt. Natur und Mensch stehen hier nicht auf Augenhöhe, sondern die Umwelt wird als stete Bedrohung wahrgenommen, der man das eigene Lebensrecht abtrotzen muss. Im Winter ist das Gehöft völlig isoliert und abgeschnitten. Dann ziehen die Frauen und Kinder ins Tal, die Männer bleiben im Gebirge bei den Tieren.
Ich habe ähnliche Lebensumstände im Himalaya gesehen, hätte mir aber nicht im Traum vorstellen können, dass es in Europa noch Menschen gibt, die sich diesen Entbehrungen unterwerfen. Die eigentlichen Gründe dafür erfährt der Leser in den kurzen Bildkommentaren zwar nicht, aber die Verbundenheit mit den Vorfahren wird eine nicht geringe Rolle spielen. Der Gspellhof ist 1629 erstmals erwähnt und seitdem in Familienbesitz. Wie viele Generationen sich dies noch antun, weiß nur der Gekreuzigte im Herrgottswinkel, aber der Untertitel dieses einzigartigen Bildbandes, der mich an die frühe Sozialfotografie des 19. Jahrhunderts erinnert hat, lässt dennoch keinen Zweifel an der mittelfristigen Zukunft: Die Lahnthalers sind die letzten ihrer Art.