Chance oder Ruin? Am Thema Europa scheiden sich die Geister. Am 25.3.1957 unterzeichneten die Regierungschefs und Außenminister sechs europäischer Staaten in Rom die Verträge über die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) und die Europäische Atomgememeinschaft (Euratom). Diese sogenannten "Römischen Verträge" stehen für eine erste politische und ökonomische Konsolidierung des westlichen Nachkriegs-Europas, dessen Perspektive für das nächste Jahrhundert die Europäische Union sein wird. Abschaulich stellt Franz Knipping die politische und wirtschaftliche Entwicklung der europäischen Integration und ihrer Gegenkräfte von 1945 bis in die Gegenwart dar.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 23.03.2004Väter der Tat
Eine kompakte Darstellung der politischen und wirtschaftlichen Einigung Europas
Franz Knipping: Rom, 25. März 1957. Die Einigung Europas. Deutscher Taschenbuch Verlag, München 2004. 366 Seiten, 15,- [Euro].
Nie zuvor hatten souveräne Staaten es gewagt, sich politisch und ökonomisch so eng zu verbinden: Die Unterzeichnung der Verträge zur Gründung der Europäischen Wirtschafts- und Atomgemeinschaft am 25. März 1957 in Rom leitete in der Geschichte Europas einen säkularen Paradigmenwechsel ein. Mag sie uns heute auch als gelungen erscheinen, weist sie bei genauerem Hinsehen neben manch fruchtbarem Abschnitt zahlreiche Perioden tiefer Krisen auf. Wer diese Geschichte verstehen und ihre Bewegungsgesetze ergründen möchte, dem sei die luzide Studie von Franz Knipping empfohlen.
Der Gedanke der europäischen Einigung reicht weit in die Vergangenheit zurück. Zu seiner Umsetzung kam es indes erst nach dem Zweiten Weltkrieg, als dieser "Vater der Tat" die zwingenden Rahmenbedingungen für eine Konkretisierung schuf. Machtpolitisch degradiert und physisch ruiniert, suchten die europäischen Nationalstaaten den Zusammenschluß, weil allein er Sicherheit, Einfluß und Wiederaufbau zu gewährleisten schien. Daß es ihnen gelang, die jahrhundertealten Partikularismen abzubauen, hing nicht unwesentlich mit den Vereinigten Staaten zusammen, die den Einigungsprozeß wohlwollend begleiteten. Der Erfolg war keineswegs programmiert. Schon die "Gründerzeit" weist jenes markante Zusammenspiel von Fortschritt und Rückschritt auf, das für die Geschichte der europäischen Gemeinschaft symptomatisch werden sollte. Nachdem mit der Verkündung des Schuman-Plans 1950 der Startschuß zu einer supranationalen Form der Einigung gegeben worden war, stellte das Scheitern der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft 1954 das Projekt der Integration wieder in Frage. Der Abschluß der Römischen Verträge beendete zwar die Phase der Unsicherheit, doch auch die 1957 beginnenden Aufbaujahre der EG und die 1969 einsetzende Epoche des "Aufbruchs zum Europa der zweiten Generation" erlebten neben großen Erfolgen schwere Mißerfolge.
Neue Dynamik erfaßte den Integrationsprozeß dann Mitte der achtziger Jahre. Die Verabschiedung der Einheitlichen Europäischen Akte 1986 "amendierte" die Gründungsverträge "substantiell"; die Unterzeichnung des Maastrichter Abkommens 1991/92 schuf eine "Europäische Union", die mittlerweile als "globale Währungsmacht" agiert und mit Hilfe ihres institutionalisierten Zusammenlebens einen Krieg unter den Mitgliedern undenkbar werden ließ. Diesen beachtlichen Leistungen stehen freilich ebenso bemerkenswerte Defizite gegenüber: die Vollendung des einheitlichen Wirtschaftsraums steht noch aus; die systematische Entwicklung einer europäischen Innenpolitik kam bisher nur zögerlich voran; die Formulierung einer gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik blieb weitgehend auf dem Papier. Dennoch stellt sich die Union mit der Ost-Erweiterung eine beispiellose neue Aufgabe. Und noch ehe diese welthistorische Herausforderung gelungen ist, plädieren einzelne Mitglieder bereits für eine weitere Öffnung, die nach Knipping zwar nicht die Existenz der EU bedrohen, wohl aber die Frage der europäischen Identität neu aufwerfen wird.
Als Frucht langjähriger Beschäftigung hat Knipping eine kaum überschaubare Fülle von Quellen und Studien zu einer konzisen Synthese gebündelt. Nüchtern und unprätentiös geschrieben, schildert sein kompakter Band die politische und wirtschaftliche Einigung Europas nach 1945, analysiert die Antriebskräfte und untersucht die Hemmnisse. Während sozialwissenschaftliche Arbeiten unter Hinweis auf die Transformation moderner Staatlichkeit die Bedeutung der europäischen Institutionen betonen und das Wirken individueller Handlungsträger ausblenden, zeigt Knipping nicht nur, wie weit die Nationalstaaten noch von einer Selbstaufgabe entfernt sind. Er legt auch überzeugend dar, daß für das Verstehen der Einigung Europas das Studium des möglicherweise "geheimnisvollsten Geschichtsfaktors" (Hans-Peter Schwarz), die Persönlichkeit, unabdingbar ist.
ULRICH LAPPENKÜPER
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Eine kompakte Darstellung der politischen und wirtschaftlichen Einigung Europas
Franz Knipping: Rom, 25. März 1957. Die Einigung Europas. Deutscher Taschenbuch Verlag, München 2004. 366 Seiten, 15,- [Euro].
Nie zuvor hatten souveräne Staaten es gewagt, sich politisch und ökonomisch so eng zu verbinden: Die Unterzeichnung der Verträge zur Gründung der Europäischen Wirtschafts- und Atomgemeinschaft am 25. März 1957 in Rom leitete in der Geschichte Europas einen säkularen Paradigmenwechsel ein. Mag sie uns heute auch als gelungen erscheinen, weist sie bei genauerem Hinsehen neben manch fruchtbarem Abschnitt zahlreiche Perioden tiefer Krisen auf. Wer diese Geschichte verstehen und ihre Bewegungsgesetze ergründen möchte, dem sei die luzide Studie von Franz Knipping empfohlen.
Der Gedanke der europäischen Einigung reicht weit in die Vergangenheit zurück. Zu seiner Umsetzung kam es indes erst nach dem Zweiten Weltkrieg, als dieser "Vater der Tat" die zwingenden Rahmenbedingungen für eine Konkretisierung schuf. Machtpolitisch degradiert und physisch ruiniert, suchten die europäischen Nationalstaaten den Zusammenschluß, weil allein er Sicherheit, Einfluß und Wiederaufbau zu gewährleisten schien. Daß es ihnen gelang, die jahrhundertealten Partikularismen abzubauen, hing nicht unwesentlich mit den Vereinigten Staaten zusammen, die den Einigungsprozeß wohlwollend begleiteten. Der Erfolg war keineswegs programmiert. Schon die "Gründerzeit" weist jenes markante Zusammenspiel von Fortschritt und Rückschritt auf, das für die Geschichte der europäischen Gemeinschaft symptomatisch werden sollte. Nachdem mit der Verkündung des Schuman-Plans 1950 der Startschuß zu einer supranationalen Form der Einigung gegeben worden war, stellte das Scheitern der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft 1954 das Projekt der Integration wieder in Frage. Der Abschluß der Römischen Verträge beendete zwar die Phase der Unsicherheit, doch auch die 1957 beginnenden Aufbaujahre der EG und die 1969 einsetzende Epoche des "Aufbruchs zum Europa der zweiten Generation" erlebten neben großen Erfolgen schwere Mißerfolge.
Neue Dynamik erfaßte den Integrationsprozeß dann Mitte der achtziger Jahre. Die Verabschiedung der Einheitlichen Europäischen Akte 1986 "amendierte" die Gründungsverträge "substantiell"; die Unterzeichnung des Maastrichter Abkommens 1991/92 schuf eine "Europäische Union", die mittlerweile als "globale Währungsmacht" agiert und mit Hilfe ihres institutionalisierten Zusammenlebens einen Krieg unter den Mitgliedern undenkbar werden ließ. Diesen beachtlichen Leistungen stehen freilich ebenso bemerkenswerte Defizite gegenüber: die Vollendung des einheitlichen Wirtschaftsraums steht noch aus; die systematische Entwicklung einer europäischen Innenpolitik kam bisher nur zögerlich voran; die Formulierung einer gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik blieb weitgehend auf dem Papier. Dennoch stellt sich die Union mit der Ost-Erweiterung eine beispiellose neue Aufgabe. Und noch ehe diese welthistorische Herausforderung gelungen ist, plädieren einzelne Mitglieder bereits für eine weitere Öffnung, die nach Knipping zwar nicht die Existenz der EU bedrohen, wohl aber die Frage der europäischen Identität neu aufwerfen wird.
Als Frucht langjähriger Beschäftigung hat Knipping eine kaum überschaubare Fülle von Quellen und Studien zu einer konzisen Synthese gebündelt. Nüchtern und unprätentiös geschrieben, schildert sein kompakter Band die politische und wirtschaftliche Einigung Europas nach 1945, analysiert die Antriebskräfte und untersucht die Hemmnisse. Während sozialwissenschaftliche Arbeiten unter Hinweis auf die Transformation moderner Staatlichkeit die Bedeutung der europäischen Institutionen betonen und das Wirken individueller Handlungsträger ausblenden, zeigt Knipping nicht nur, wie weit die Nationalstaaten noch von einer Selbstaufgabe entfernt sind. Er legt auch überzeugend dar, daß für das Verstehen der Einigung Europas das Studium des möglicherweise "geheimnisvollsten Geschichtsfaktors" (Hans-Peter Schwarz), die Persönlichkeit, unabdingbar ist.
ULRICH LAPPENKÜPER
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Sehr überzeugend findet Rezensent Ulrich Lappenküper diese "luzide Studie" von Franz Knipping, die die politische und wirtschaftliche Einigung Europas nach 1945 schildert und Antriebskräfte und Hemmnisse dieses Einigungsprozesses untersucht. Wie Lappenküper berichtet, gelingt es dem Autor, die kaum überschaubare Fülle von Quellen und Studien zum Thema zu einer "konzisen Synthese" zu bündeln, und dabei im Ton im "nüchtern und unprätentiös" zu bleiben. Lappenküper hebt hervor, dass Knipping nicht nur zeigt, wie weit die Nationalstaaten noch von einer Selbstaufgabe entfernt sind, sondern auch, dass für das Verstehen der Einigung Europas das Studium des möglicherweise "geheimnisvollsten Geschichtsfaktors", die Persönlichkeit, unabdingbar sei. Allen, die die Geschichte der europäischen Einigung besser verstehen und ihre Bewegungsgesetze ergründen möchten, kann Lappenküper diese Arbeit nur ans Herz legen.
© Perlentaucher Medien GmbH
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