Im Mai und im September 1976 erschüttern zwei schwere Erdbeben eine Landschaft im nordöstlichen Italien. An die tausend Menschen sterben unter den Trümmern, Unzählige sind ohne Obdach, viele verlassen ihre Heimat. In Esther Kinskys preisgekröntem Roman berichten sieben Bewohner eines abgelegenen Bergdorfs, Männer und Frauen, von ihrem Leben, in dem das Beben tiefe Spuren hinterlassen hat. Von der gemeinsamen Erfahrung von Angst und Verlust spleißen sich bald die Fäden individueller Erinnerung ab und werden zu eindringlichen und berührenden Erzählungen tiefer, älterer Versehrung.
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 30.12.2022Sasha Marianna Salzmann
schreibt
Sieben Stimmen beschwören die Erinnerung an zwei verheerende Erdbeben in Norditalien herauf und zeichnen gleichzeitig das Landschaftsporträt eines armen, abgeschiedenen Tals. Und mit der Erinnerung ist es nun einmal so: Sie ist voller ausgebleichter Fotografien und rätselhafter Wesen, voller tastender Monologe und immer neuen Anläufe, eine zersprengte, splittrige Welt zu einem Ganzen zusammenzufügen. Eingeschrieben in die Erinnerung sind auch die Legenden dieses vom Unglück heimgesuchten Tals: die von den buckligen Babe zum Beispiel, felsgewordene Frauengestalten, denen man nachsagt, einst einen Mann ins Verderben gestürzt zu haben und dafür in die Gipfel eines Gebirgszugs verwandelt worden zu sein. Oder jene von der schwarze Schlange Carbon, die, kommt der Mensch ihr zu nahe, sich selbst zu einem Ring formt, der Stromstöße versetzen kann. Oder die von der gigantischen Meerjungfrau Riba Faronika, die auf dem Meeresgrund schläft und, von einem Sandkorn aus Gottes Hand geweckt, mit dem Zucken ihres Schwanzes ein Erdbeben auslöst. Ich habe Esther Kinskys Roman „Rombo“ (Suhrkamp Verlag, Berlin 2022, 267 Seiten, 24 Euro) dieses Jahr dreimal gelesen, weil ich immer wieder zu diesen Erzählungen zurückkehren wollte.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
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Sieben Stimmen beschwören die Erinnerung an zwei verheerende Erdbeben in Norditalien herauf und zeichnen gleichzeitig das Landschaftsporträt eines armen, abgeschiedenen Tals. Und mit der Erinnerung ist es nun einmal so: Sie ist voller ausgebleichter Fotografien und rätselhafter Wesen, voller tastender Monologe und immer neuen Anläufe, eine zersprengte, splittrige Welt zu einem Ganzen zusammenzufügen. Eingeschrieben in die Erinnerung sind auch die Legenden dieses vom Unglück heimgesuchten Tals: die von den buckligen Babe zum Beispiel, felsgewordene Frauengestalten, denen man nachsagt, einst einen Mann ins Verderben gestürzt zu haben und dafür in die Gipfel eines Gebirgszugs verwandelt worden zu sein. Oder jene von der schwarze Schlange Carbon, die, kommt der Mensch ihr zu nahe, sich selbst zu einem Ring formt, der Stromstöße versetzen kann. Oder die von der gigantischen Meerjungfrau Riba Faronika, die auf dem Meeresgrund schläft und, von einem Sandkorn aus Gottes Hand geweckt, mit dem Zucken ihres Schwanzes ein Erdbeben auslöst. Ich habe Esther Kinskys Roman „Rombo“ (Suhrkamp Verlag, Berlin 2022, 267 Seiten, 24 Euro) dieses Jahr dreimal gelesen, weil ich immer wieder zu diesen Erzählungen zurückkehren wollte.
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»Was diese Schrift birgt, das geht nicht verloren. Sie manifestiert Gedächtnis, konserviert, was durch den Wandel der Zeit und nicht zuletzt durch das Erdbeben physisch ausgelöscht oder umgestaltet wurde. ... Alles Dasein hält sich in unabsehbarer Evolution. Nur dieses Buch, Rombo, es dürfte den Sog der Vergänglichkeit überdauern.« Björn Hayer neues deutschland 20220324
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Rezensentin Christiane Pöhlmann lässt sich von Esther Kinskys Text ins Friaul von 1976 zurückführen, als dort die Erde bebte und hunderte Menschen starben. Was genau der Text leistet, vermag Pöhlmann nur schwer zu erfassen. Eine Geschichte gibt es nicht, und Natur und Figuren bleiben blass, meint sie. Was Kinsky "auf metaphorischer Ebene" leistet, scheint Pöhlmann allerdings bemerkenswert. Die knappen Erinnerungsfragmente über Land und Leute, teils aus allwissender, teils aus Ich-Perspektive der Figuren erzählt, wie die Rezensentin erläutert, tippen laut Pöhlmann Themen wie Arbeitsmigration oder Folklore an. Ein erzählerisches Ganzes aber wird daraus nicht, so die Rezensentin.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 31.03.2022Akribische Achtlosigkeit
Italien im Jahr 1976: Mit ihrem neuen Roman "Rombo" wagt sich Esther Kinsky an eine seismische Erinnerungsfotografie.
Goethe geht ja immer, aber Brecht war vielleicht nie so nah wie nach diesem neuen Roman von Esther Kinsky. Dem alten Meister ist mit seinem "Denn unfühlend / Ist die Natur: / Es leuchtet die Sonne / Über Bös' und Gute, / Und dem Verbrecher / Glänzen wie dem Besten / Der Mond und die Sterne" nicht viel entgegenzusetzen, doch der moderne Lyriker drängt sich nun vor, wenig edel zwar, womöglich aber hilfreich, und mault: mehr Mensch!
Der Reihe nach. Im Mai und September 1976 zerstören im Friaul Erdbeben ganze Orte, Hunderte von Menschen sterben. Kinskys Roman "Rombo" ist nach dem Geräusch benannt, das diesem Beben vorausgeht. Er beginnt mit einem italienischen Zitat aus Dantes "Göttlicher Komödie", dem kein Hinweis auf die Übersetzung am Ende beigegeben ist, im Anschluss wechseln sich Auslassungen zu naturwissenschaftlichen Themen mit den Beobachtungen einer quasi allwissenden Person ab, die Land und Leute beschreibt. Die einzelnen Fragmente sind recht kurz. Im Schaffen Kinskys ist all das kein Novum, zu denken ist an den preisgekrönten Geländeroman "Hain" oder an die Gedichtsammlung "Schiefern". Doch gilt bei jedem Werk aufs Neue: You never get a second chance to make a first impression. Und hier ist der erste, der anfängliche Eindruck schlecht.
Da mäandert die Sprache der Natur hinterher, da weiß jemand um ihr Fühlen. "Beim Eintritt aus den Bergen in die Moränenlandschaft knickt der Fluss von seinem Verlauf nach Osten in Richtung Süden ab und nimmt die Fella von Norden auf, zögernd, unschlüssig beide, türkis und weiß, die Unschlüssigkeit hat ein riesiges dreieckiges Kiesel- und Schotterfeld entstehen lassen, das die Karnischen Alpen von den Julischen Voralpen trennt, eine helle Fläche wie Versehrung, ein Zögerraum vor dem Hintergrund der Bergtäler, vor den abgeschiedenen Zonen mit ihren eigenen, von schwindender Nutzung abgestumpften Sprachen, ihren schrillen, hilflosen Liedern und ihren vertrackten Tänzen." Bei Kontinentalplatten, denen "so, wie sie liegen, nicht wohl ist", geht es personal zur Sache, während kurz darauf der Blick der beobachtenden Person auf einen Mann mit weißem Haar und schlimmen Zähnen fällt, der meint, die "Erinnerung ist ein Tier, das aus vielen Mäulern bellt".
Darauf folgt ein "Anselmo" betiteltes Stück, das ebendiesen alten Mann vorstellt. "Er verwickelt die Grabbesucher gern in Plaudereien und bietet sich auswärtigen Hinterbliebenen als Vertrauensperson an." Weitere Erinnerungsfragmente liefern Lina, Mara, Olga, Silvia, Gigi und Toni, gleichwohl bleibt alles Tun der Menschen lange passiv dargestellt: "Vieh wurde auf Almen getrieben, Kalksteine zum Brennen gebracht, geschlagenes Holz wird zu Tal geführt." Ein Netz von Spuren dagegen "führt um Schluchten herum und sucht Furten". Erst nach etwa einem Viertel des Romans gesteht Kinsky ihren Figuren die Ich-Perspektive zu. Die Geschichten, die sie dann erzählen, sind brüchig; vereinzelt schimmert durch, dass einige miteinander befreundet oder verwandt waren, das meiste bleibt jedoch Stichwort: italienische und slowenische Partisanen, Arbeitsmigration, Träume, Scheidungen, Sprache. Am deutlichsten wird noch die Folklore erhellt. Den Eindruck vom Anfang können sie nicht mehr wettmachen, entscheidend ist jedoch ihre Beliebigkeit: Die Erinnerungsfundstücke bedeuten keinen Perspektivwechsel und fügen sich nicht zu einem Ganzen. Fiele eines weg, würde das nur den Umfang des Textes ändern.
"Fundstücke" titelt Kinsky am Ende des Romans auch einige Fragmente, die Fotos beschreiben. Die Fotografie musste lange darum kämpfen, als Kunst anerkannt zu werden. In "Rombo" wird schlaglichtartig auf ihre Frühform eingegangen und mit dem Bild aus der Sofortbildkamera eine Brücke zum Selfie der Gegenwart geschlagen. Im Grunde fotografiert Kinsky die Landschaft verbal ab und belichtet dabei die Natur über, die Menschen unter: "Im Frühling die hellgrünen Primeln, dann die gelben Trugdolden des Euphorbium, die später ins Rötliche wechseln, wie rostig. Skabiosen. Storchenschnabel. Margeriten. Kleinblütiger Thymian, Schafgarbe, Wiesenkerbel, wilder Majoran. Wickenartige, gelb. Glockenblumen. Knabenkraut." Doch Silvia kann nur sagen: "Ich habe ein gutes Gedächtnis, ich kann Dinge leicht behalten." Deshalb erinnert sie sich an einen Streit der Eltern noch vor dem Erdbeben, als im Fernsehen der Schlagerwettbewerb von San Remo übertragen wird. Das war mehr als 25 Jahre her. "Aber das Lied weiß ich bis heute, und bis heute meine ich, es handelt vom Streit meiner Eltern." Mehr nicht, kein Titel.
Es ist nicht das Geringste dagegen einzuwenden, wenn Kinsky der Krone der Schöpfung einen Zacken herausbricht. Der hochartifiziellen Struktur ihres Romans steht, als die sieben Personen endlich eine eigene Stimme erhalten, eine bewusst geformte, wiewohl sehr einfache Sprache gegenüber. Die übrigen Fragmente bringen das erwartbare Raunen - "Der Himmel gibt sich dunkelstimmig, der Rombo ist nie weit" -, sprechen dezent von allgemeiner Unbehaustheit und universeller Katastrophe. Auf metaphorischer Ebene gibt der Roman einiges her, eine Geschichte erzählt er nicht. Schon gar keine vielschichtige.
Nur eine Erinnerung Linas fast am Ende des Romans ist individueller und plastischer geprägt. Ihre jüngere Schwester wird nach dem Erdbeben im Mai von einem Soldaten aus den Hilfstrupps schwanger. Der lässt sie sitzen, weder Kräuter noch Bäder mit Seifenlauge helfen. Dann folgt im September das zweite Beben, das weniger Opfer verlangt. "Und auch meine Schwester hat Glück gehabt, in all dem Hin und Her und dem Schreck und der Angst ist es ihr abgegangen, was sie da im Bauch hatte. Sie hat es mir am nächsten Abend gesagt, sie hat arg geblutet, aber es ging schon besser, und sie hat gelacht und geweint, es war ja auch alles so ein Schreck."
Kurioserweise bleibt an "Rombo" alles blass, selbst die kleinteilig beschriebene Natur. Es ist Lina, die ihr fast noch Mitgefühl entgegenbringt, denn "die Landschaft vergisst nicht, was ihr zugestoßen ist". Schade, dass die Natur nicht lesen kann. CHRISTIANE PÖHLMANN
Esther Kinsky: "Rombo". Roman.
Suhrkamp Verlag, Berlin 2022. 267 S., geb., 24,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Italien im Jahr 1976: Mit ihrem neuen Roman "Rombo" wagt sich Esther Kinsky an eine seismische Erinnerungsfotografie.
Goethe geht ja immer, aber Brecht war vielleicht nie so nah wie nach diesem neuen Roman von Esther Kinsky. Dem alten Meister ist mit seinem "Denn unfühlend / Ist die Natur: / Es leuchtet die Sonne / Über Bös' und Gute, / Und dem Verbrecher / Glänzen wie dem Besten / Der Mond und die Sterne" nicht viel entgegenzusetzen, doch der moderne Lyriker drängt sich nun vor, wenig edel zwar, womöglich aber hilfreich, und mault: mehr Mensch!
Der Reihe nach. Im Mai und September 1976 zerstören im Friaul Erdbeben ganze Orte, Hunderte von Menschen sterben. Kinskys Roman "Rombo" ist nach dem Geräusch benannt, das diesem Beben vorausgeht. Er beginnt mit einem italienischen Zitat aus Dantes "Göttlicher Komödie", dem kein Hinweis auf die Übersetzung am Ende beigegeben ist, im Anschluss wechseln sich Auslassungen zu naturwissenschaftlichen Themen mit den Beobachtungen einer quasi allwissenden Person ab, die Land und Leute beschreibt. Die einzelnen Fragmente sind recht kurz. Im Schaffen Kinskys ist all das kein Novum, zu denken ist an den preisgekrönten Geländeroman "Hain" oder an die Gedichtsammlung "Schiefern". Doch gilt bei jedem Werk aufs Neue: You never get a second chance to make a first impression. Und hier ist der erste, der anfängliche Eindruck schlecht.
Da mäandert die Sprache der Natur hinterher, da weiß jemand um ihr Fühlen. "Beim Eintritt aus den Bergen in die Moränenlandschaft knickt der Fluss von seinem Verlauf nach Osten in Richtung Süden ab und nimmt die Fella von Norden auf, zögernd, unschlüssig beide, türkis und weiß, die Unschlüssigkeit hat ein riesiges dreieckiges Kiesel- und Schotterfeld entstehen lassen, das die Karnischen Alpen von den Julischen Voralpen trennt, eine helle Fläche wie Versehrung, ein Zögerraum vor dem Hintergrund der Bergtäler, vor den abgeschiedenen Zonen mit ihren eigenen, von schwindender Nutzung abgestumpften Sprachen, ihren schrillen, hilflosen Liedern und ihren vertrackten Tänzen." Bei Kontinentalplatten, denen "so, wie sie liegen, nicht wohl ist", geht es personal zur Sache, während kurz darauf der Blick der beobachtenden Person auf einen Mann mit weißem Haar und schlimmen Zähnen fällt, der meint, die "Erinnerung ist ein Tier, das aus vielen Mäulern bellt".
Darauf folgt ein "Anselmo" betiteltes Stück, das ebendiesen alten Mann vorstellt. "Er verwickelt die Grabbesucher gern in Plaudereien und bietet sich auswärtigen Hinterbliebenen als Vertrauensperson an." Weitere Erinnerungsfragmente liefern Lina, Mara, Olga, Silvia, Gigi und Toni, gleichwohl bleibt alles Tun der Menschen lange passiv dargestellt: "Vieh wurde auf Almen getrieben, Kalksteine zum Brennen gebracht, geschlagenes Holz wird zu Tal geführt." Ein Netz von Spuren dagegen "führt um Schluchten herum und sucht Furten". Erst nach etwa einem Viertel des Romans gesteht Kinsky ihren Figuren die Ich-Perspektive zu. Die Geschichten, die sie dann erzählen, sind brüchig; vereinzelt schimmert durch, dass einige miteinander befreundet oder verwandt waren, das meiste bleibt jedoch Stichwort: italienische und slowenische Partisanen, Arbeitsmigration, Träume, Scheidungen, Sprache. Am deutlichsten wird noch die Folklore erhellt. Den Eindruck vom Anfang können sie nicht mehr wettmachen, entscheidend ist jedoch ihre Beliebigkeit: Die Erinnerungsfundstücke bedeuten keinen Perspektivwechsel und fügen sich nicht zu einem Ganzen. Fiele eines weg, würde das nur den Umfang des Textes ändern.
"Fundstücke" titelt Kinsky am Ende des Romans auch einige Fragmente, die Fotos beschreiben. Die Fotografie musste lange darum kämpfen, als Kunst anerkannt zu werden. In "Rombo" wird schlaglichtartig auf ihre Frühform eingegangen und mit dem Bild aus der Sofortbildkamera eine Brücke zum Selfie der Gegenwart geschlagen. Im Grunde fotografiert Kinsky die Landschaft verbal ab und belichtet dabei die Natur über, die Menschen unter: "Im Frühling die hellgrünen Primeln, dann die gelben Trugdolden des Euphorbium, die später ins Rötliche wechseln, wie rostig. Skabiosen. Storchenschnabel. Margeriten. Kleinblütiger Thymian, Schafgarbe, Wiesenkerbel, wilder Majoran. Wickenartige, gelb. Glockenblumen. Knabenkraut." Doch Silvia kann nur sagen: "Ich habe ein gutes Gedächtnis, ich kann Dinge leicht behalten." Deshalb erinnert sie sich an einen Streit der Eltern noch vor dem Erdbeben, als im Fernsehen der Schlagerwettbewerb von San Remo übertragen wird. Das war mehr als 25 Jahre her. "Aber das Lied weiß ich bis heute, und bis heute meine ich, es handelt vom Streit meiner Eltern." Mehr nicht, kein Titel.
Es ist nicht das Geringste dagegen einzuwenden, wenn Kinsky der Krone der Schöpfung einen Zacken herausbricht. Der hochartifiziellen Struktur ihres Romans steht, als die sieben Personen endlich eine eigene Stimme erhalten, eine bewusst geformte, wiewohl sehr einfache Sprache gegenüber. Die übrigen Fragmente bringen das erwartbare Raunen - "Der Himmel gibt sich dunkelstimmig, der Rombo ist nie weit" -, sprechen dezent von allgemeiner Unbehaustheit und universeller Katastrophe. Auf metaphorischer Ebene gibt der Roman einiges her, eine Geschichte erzählt er nicht. Schon gar keine vielschichtige.
Nur eine Erinnerung Linas fast am Ende des Romans ist individueller und plastischer geprägt. Ihre jüngere Schwester wird nach dem Erdbeben im Mai von einem Soldaten aus den Hilfstrupps schwanger. Der lässt sie sitzen, weder Kräuter noch Bäder mit Seifenlauge helfen. Dann folgt im September das zweite Beben, das weniger Opfer verlangt. "Und auch meine Schwester hat Glück gehabt, in all dem Hin und Her und dem Schreck und der Angst ist es ihr abgegangen, was sie da im Bauch hatte. Sie hat es mir am nächsten Abend gesagt, sie hat arg geblutet, aber es ging schon besser, und sie hat gelacht und geweint, es war ja auch alles so ein Schreck."
Kurioserweise bleibt an "Rombo" alles blass, selbst die kleinteilig beschriebene Natur. Es ist Lina, die ihr fast noch Mitgefühl entgegenbringt, denn "die Landschaft vergisst nicht, was ihr zugestoßen ist". Schade, dass die Natur nicht lesen kann. CHRISTIANE PÖHLMANN
Esther Kinsky: "Rombo". Roman.
Suhrkamp Verlag, Berlin 2022. 267 S., geb., 24,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main