Kurt Prinzhorn ist zu einem Schriftstellertreffen nach Innsbruck eingeladen, wo ihm Merkwürdiges widerfährt: Jemand muss während seiner Abwesenheit ein ausgiebiges Schaumbad in der Wanne seines Hotelzimmers genommen und dort bewusst Spuren hinterlassen haben. Die Chipkartenschließanlage der Tür zeigt jedoch kein fremdes Eindringen an. Als nächstes verschwindet der Schlüsselbund des zunehmend ratlosen Autors. Während einer Moskau-Reise wenige Tage später kommt es zu neuen Unerklärlichkeiten, und auch in Madrid, wo Prinzhorn einer früheren Geliebten wiederbegegnet, reißt die Kette seltsamer Geschehnisse nicht ab - bis ihm durch Zufall das Puzzle der Erinnerung zu einem Bild zusammenfällt, das ihn weit in die eigene Biographie zurückführt. Am nächsten Morgen klingelt die Polizei an der Tür seiner Berliner Wohnung, denn unter dem Fenster von Prinzhorns Zimmer in Madrid wurde eine tote Frau gefunden.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 04.10.2017Dieses schamlose Obst!
Campus-Krimi ohne Campus: Gerhard Falkners Roman "Romeo oder Julia"
Würde man meinen, ein Mann, der eine Frau schon kurz nach dem Kennenlernen zum "Orgasmusfrühstück" einlädt, sei ein Womanizer? Würde man nicht. Ist aber so. Behauptet jedenfalls der Erzähler dieses zweiten Romans von Gerhard Falkner. Eine Frau, die er damit vor langer Zeit beeindrucken konnte, wird süchtig nach derlei Gaumenfreuden. Wen wundert's? Sie hat "Brustwarzen wie junge Himbeeren". Es nimmt kein gutes Ende mit ihr. Aber wir wollen nicht vorgreifen.
Zunächst einmal wollen wir mit dem Erzähler etwas begreifen. Ein gewisser Kurt Prinzhorn, intertextuellerweise nach einer berühmten Sammlung geisteskranker Kunst benannt, ist Teilnehmer eines Literaturkongresses zwischen Patscherkoferl und Karwendelgebirge. Es geht bei diesem Innsbrucker Gipfeltreffen um das Gehen bei Adalbert Stifter und Thomas Bernhard. Als Kurt Prinzhorn nun am nächsten Morgen aus dem Frühstücksraum in sein Hotelzimmer zurückkehrt, findet er lange schwarze Haare, vermischt mit Seifenschaumresten, in seiner Badewanne vor. Ist jemand bei ihm eingestiegen? Auch sein Schlüsselbund ist perdu. Ebenso eine Mappe mit Notizbüchern. Was ist geschehen? Wohin führt uns diese unerhörte Begebenheit?
Bekannt wurde Falkner in den achtziger Jahren mit experimenteller Lyrik. Seine postmoderne Neigung zum Kalauer fand damals bereits erste treue Anhänger. Dann, elf Jahre nach Rainald Goetz' Klagenfurter Stirnschnitt, rüttelte er den Betrieb mit seinem Thesentext "Vom Unwert des Gedichts" auf, der die rebellische Ankündigung enthielt, sich aus der Literaturwelt zurückziehen zu wollen. Auch Wolf Wondratschek, in seinem literarischen Machismo durchaus ein Seelenverwandter Falkners, hat jüngst noch in einem Interview erklärt, die Leser interessierten ihn nicht, weswegen er nun schon den zweiten Roman unpubliziert in der Schublade liegen habe.
Anders Falkner. Er hat seinen Rückzug irgendwann revidiert. Es folgten zwei Romane. Beide landeten prompt auf der Longlist des Deutschen Buchpreises, der vorliegende nun sogar auf der Shortlist. Beide spalteten die Kritik. Auf der einen Seite die Fans, auf der anderen die Bedenkenträger. Und beide kann man irgendwie verstehen. Denn die Situationsbeschreibungskomik dieses Literaturkongress-Filous, die ist oft wirklich zum Totlachen. Der Himmel, heißt es zum Beispiel einmal - unser Held befindet sich inzwischen auf einer Lesereise in Moskau -, der Himmel wirke so "grün im Gesicht, als sei er noch immer vom Kommunismus verkatert". Lustig ist auch, wie ein Tagungsflirt zu Prinzhorn sagt: "Bin ich für dich jetzt ein bisschen wie ein aufgetauter Fisch, den man nicht aufbrauchen, aber auch nicht wieder einfrieren kann?" Aber lacht man da als Leserin nicht mit dem Gammelfischproduzenten?
Denn das wird schnell klar, Kurt Prinzhorn hat viele Frauen, behandelt sie aber auch nicht anders als die vielen Bücher aus seiner Bibliothek, die er wahllos herauszuziehen scheint, um irgendetwas daraus zu zitieren. Dieses Medley aus hochkulturellen Referenzen (der Straßenhund Raskolnikow!), souveränem Popwissen ("Killing Me Softly") und Pennälerwitz ("Das Obst wurde so schamlos betrachtet, als könnte es jeden Moment abspritzen") liefert den Sound dieser Erzählung, die man besser Novelle, nicht Roman nennen sollte. Für die innere Entwicklung des Helden ist dieser Mehrklang eher irrelevant. Wobei die eigentliche, die literaturkritische Frage wohl die wäre: Gibt es in diesem Buch eigentlich so etwas wie eine Entwicklung?
Gerhard Falkner hat einen Campus-Krimi außerhalb des Campus geschrieben. Es gibt darin reichlich verstockte Intellektuelle, die ihre Libido auf sprachlicher Ebene ausagieren (Sex gleich Schreibtischtätigkeit), und eine Spur, die zunächst ins Leere führt - schließlich aber tief ins sündige Ich der Hauptfigur. Doch als es endlich dazu kommt, ist das Buch auch schon aus. So bleibt ein Held, der seine Leser auf drei Stationen seiner literarischen Drei-Wetter-Taft-Existenz mitnimmt und über dies und das geistreich plaudert, manchmal reflektiert. Seine innere Verfasstheit bezeichnet er als "trans-existenzialistische Baustelle", seine geistige Tätigkeit wird mit dem Falten von Papierschiffchen verglichen.
In Moskau kommt es zu Zwischenfällen. Eine Frau im grauen Hoodie benimmt sich verdächtig. Unter der Hotelzimmertür werden Postkarten mit schweinischen Andeutungen durchgereicht. In Madrid, wo Kurt Prinzhorn auf Einladung des Goethe-Instituts residiert - und von wo aus er seine Leser mit lustigen Seitenhieben gegen die deutsche Exportkultur zum Kichern bringt -, trifft er eine ehemalige Geliebte. Und zwar zum durchaus heiteren Orgasmusfrühstück. Gekränkt, wie offenbar alle Prinzhorn-Frauen, hätte sie dennoch ein Rachemotiv.
Am Ende, so viel darf verraten werden, führt die Spur der Haare aber zu einer viel weiter zurückliegenden Liebesakte. Die betreffende Dame trug früher blond. Es geht emotional zur Sache; von toten Kindern und toten Schwänen ist die Rede. Ausgerechnet im Prado, vor einem der meistdiskutierten Werke der Kunstgeschichte, geht Prinzhorn ein Licht auf. Im Angesicht von Velázquez' "Las Meninas", einem Gemälde, auf dem es sehr verkürzt darum geht, wer wen sieht und damit beherrscht, lebt Gerhard Falkner die sich schon lange anbahnende Erinnyen-Phantasie seines Helden aus. Das rachsüchtige Weib! Verrückt geworden und unberechenbar. Und am Ende auch noch selbstmörderisch.
Doch was ist das eigentlich für ein Frauenbild? Und was für ein Männerbild? Und vor allem: Was folgt daraus für den Helden? Seltsamerweise nichts. Zumindest verheimlicht er es gut vor den Lesern. So ein Orgasmusfrühstück, davon wäre jetzt auszugehen, ist kein Zuckerschlecken.
KATHARINA TEUTSCH
Gerhard Falkner: "Romeo oder Julia". Roman.
Berlin Verlag, Berlin 2017. 272 S., geb., 22,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Campus-Krimi ohne Campus: Gerhard Falkners Roman "Romeo oder Julia"
Würde man meinen, ein Mann, der eine Frau schon kurz nach dem Kennenlernen zum "Orgasmusfrühstück" einlädt, sei ein Womanizer? Würde man nicht. Ist aber so. Behauptet jedenfalls der Erzähler dieses zweiten Romans von Gerhard Falkner. Eine Frau, die er damit vor langer Zeit beeindrucken konnte, wird süchtig nach derlei Gaumenfreuden. Wen wundert's? Sie hat "Brustwarzen wie junge Himbeeren". Es nimmt kein gutes Ende mit ihr. Aber wir wollen nicht vorgreifen.
Zunächst einmal wollen wir mit dem Erzähler etwas begreifen. Ein gewisser Kurt Prinzhorn, intertextuellerweise nach einer berühmten Sammlung geisteskranker Kunst benannt, ist Teilnehmer eines Literaturkongresses zwischen Patscherkoferl und Karwendelgebirge. Es geht bei diesem Innsbrucker Gipfeltreffen um das Gehen bei Adalbert Stifter und Thomas Bernhard. Als Kurt Prinzhorn nun am nächsten Morgen aus dem Frühstücksraum in sein Hotelzimmer zurückkehrt, findet er lange schwarze Haare, vermischt mit Seifenschaumresten, in seiner Badewanne vor. Ist jemand bei ihm eingestiegen? Auch sein Schlüsselbund ist perdu. Ebenso eine Mappe mit Notizbüchern. Was ist geschehen? Wohin führt uns diese unerhörte Begebenheit?
Bekannt wurde Falkner in den achtziger Jahren mit experimenteller Lyrik. Seine postmoderne Neigung zum Kalauer fand damals bereits erste treue Anhänger. Dann, elf Jahre nach Rainald Goetz' Klagenfurter Stirnschnitt, rüttelte er den Betrieb mit seinem Thesentext "Vom Unwert des Gedichts" auf, der die rebellische Ankündigung enthielt, sich aus der Literaturwelt zurückziehen zu wollen. Auch Wolf Wondratschek, in seinem literarischen Machismo durchaus ein Seelenverwandter Falkners, hat jüngst noch in einem Interview erklärt, die Leser interessierten ihn nicht, weswegen er nun schon den zweiten Roman unpubliziert in der Schublade liegen habe.
Anders Falkner. Er hat seinen Rückzug irgendwann revidiert. Es folgten zwei Romane. Beide landeten prompt auf der Longlist des Deutschen Buchpreises, der vorliegende nun sogar auf der Shortlist. Beide spalteten die Kritik. Auf der einen Seite die Fans, auf der anderen die Bedenkenträger. Und beide kann man irgendwie verstehen. Denn die Situationsbeschreibungskomik dieses Literaturkongress-Filous, die ist oft wirklich zum Totlachen. Der Himmel, heißt es zum Beispiel einmal - unser Held befindet sich inzwischen auf einer Lesereise in Moskau -, der Himmel wirke so "grün im Gesicht, als sei er noch immer vom Kommunismus verkatert". Lustig ist auch, wie ein Tagungsflirt zu Prinzhorn sagt: "Bin ich für dich jetzt ein bisschen wie ein aufgetauter Fisch, den man nicht aufbrauchen, aber auch nicht wieder einfrieren kann?" Aber lacht man da als Leserin nicht mit dem Gammelfischproduzenten?
Denn das wird schnell klar, Kurt Prinzhorn hat viele Frauen, behandelt sie aber auch nicht anders als die vielen Bücher aus seiner Bibliothek, die er wahllos herauszuziehen scheint, um irgendetwas daraus zu zitieren. Dieses Medley aus hochkulturellen Referenzen (der Straßenhund Raskolnikow!), souveränem Popwissen ("Killing Me Softly") und Pennälerwitz ("Das Obst wurde so schamlos betrachtet, als könnte es jeden Moment abspritzen") liefert den Sound dieser Erzählung, die man besser Novelle, nicht Roman nennen sollte. Für die innere Entwicklung des Helden ist dieser Mehrklang eher irrelevant. Wobei die eigentliche, die literaturkritische Frage wohl die wäre: Gibt es in diesem Buch eigentlich so etwas wie eine Entwicklung?
Gerhard Falkner hat einen Campus-Krimi außerhalb des Campus geschrieben. Es gibt darin reichlich verstockte Intellektuelle, die ihre Libido auf sprachlicher Ebene ausagieren (Sex gleich Schreibtischtätigkeit), und eine Spur, die zunächst ins Leere führt - schließlich aber tief ins sündige Ich der Hauptfigur. Doch als es endlich dazu kommt, ist das Buch auch schon aus. So bleibt ein Held, der seine Leser auf drei Stationen seiner literarischen Drei-Wetter-Taft-Existenz mitnimmt und über dies und das geistreich plaudert, manchmal reflektiert. Seine innere Verfasstheit bezeichnet er als "trans-existenzialistische Baustelle", seine geistige Tätigkeit wird mit dem Falten von Papierschiffchen verglichen.
In Moskau kommt es zu Zwischenfällen. Eine Frau im grauen Hoodie benimmt sich verdächtig. Unter der Hotelzimmertür werden Postkarten mit schweinischen Andeutungen durchgereicht. In Madrid, wo Kurt Prinzhorn auf Einladung des Goethe-Instituts residiert - und von wo aus er seine Leser mit lustigen Seitenhieben gegen die deutsche Exportkultur zum Kichern bringt -, trifft er eine ehemalige Geliebte. Und zwar zum durchaus heiteren Orgasmusfrühstück. Gekränkt, wie offenbar alle Prinzhorn-Frauen, hätte sie dennoch ein Rachemotiv.
Am Ende, so viel darf verraten werden, führt die Spur der Haare aber zu einer viel weiter zurückliegenden Liebesakte. Die betreffende Dame trug früher blond. Es geht emotional zur Sache; von toten Kindern und toten Schwänen ist die Rede. Ausgerechnet im Prado, vor einem der meistdiskutierten Werke der Kunstgeschichte, geht Prinzhorn ein Licht auf. Im Angesicht von Velázquez' "Las Meninas", einem Gemälde, auf dem es sehr verkürzt darum geht, wer wen sieht und damit beherrscht, lebt Gerhard Falkner die sich schon lange anbahnende Erinnyen-Phantasie seines Helden aus. Das rachsüchtige Weib! Verrückt geworden und unberechenbar. Und am Ende auch noch selbstmörderisch.
Doch was ist das eigentlich für ein Frauenbild? Und was für ein Männerbild? Und vor allem: Was folgt daraus für den Helden? Seltsamerweise nichts. Zumindest verheimlicht er es gut vor den Lesern. So ein Orgasmusfrühstück, davon wäre jetzt auszugehen, ist kein Zuckerschlecken.
KATHARINA TEUTSCH
Gerhard Falkner: "Romeo oder Julia". Roman.
Berlin Verlag, Berlin 2017. 272 S., geb., 22,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur FR-Rezension
Ulrich Seidler schwelgt mit Gerhard Falkner in dessen ausgesuchten Formulierungen, verliert sich etwa im "grünen Gebüsch" eines Blicks und lässt sich dann gehörig aufs Glatteis führen durch eine unerklärliche Begebenheit, die das gut getaktete Leben eines Schriftstellers durcheinanderbringt. Schwungvoll ist das zwar, versichert Seidler, doch nicht allzu ennervierend. Zeit genug, Falkners Feinschmeckerprosa zu probieren, hat der Rezensent. Dass das Ende des Buches eher lustlos daherkommt, kann er gar nicht verstehen. Es bleibt ein fader Nachgeschmack, meint Seidler.
© Perlentaucher Medien GmbH
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»Ein moderner Schauerroman, der vor Anspielungen und Zitaten aus Literatur, Film, Musik und anderen kulturellen Bereichen nur so strotzt. 'Romeo oder Julia' ist ein hervorragend komponierter Roman, stilistisch, wie von Falkner gewohnt, in bester Qualität geschrieben, der sich höchst unterhaltsam als Literaturbetriebsfarce liest.« soundsandbooks.com 20171125