Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 15.07.1995Spaß am Blankvers
Ein neuer Shakespeare, zweisprachig · Von Walter Klier
Fünfunddreißig Jahre hat der Deutsche Taschenbuch Verlag sich Zeit gelassen, um "seinen" Shakespeare herauszubringen. Jetzt ist es soweit. Unter dem Geleitschutz eines Beihefts haben nun mit "Othello", "Romeo und Julia" und dem "Sommernachtstraum" drei Prüfsteine das Licht des Buchhandels und der Studierstuben erblickt, übersetzt von Frank Günther, einem Anglisten, der "früher selbst als Dramaturg und Regisseur tätig" war. Das Ergebnis, wir nehmen es vorweg, ist ein befremdlicher Hybride aus traditioneller, das heißt altbackener Shakespeare-Forschung und einer aufgekratzten Hemdsärmeligkeit, der zum postmodernen Glück nur noch der illustrierende Comic strip fehlt.
Die begleitenden Texte, die der Übersetzer zum Beiheft und zu den einzelnen Bänden beisteuert, atmen den Geist der Schülervorstellung, wo der fortschrittliche Pädagoge, anstatt die Zöglinge wohl oder übel mit dem Ernst des (kulturellen) Lebens zu konfrontieren, sich mit ihnen unten im Parkett der Ignoranz gemein zu machen versucht. Dies gipfelt in Sätzen wie diesem: "Eine Generation, die sich für Rap begeistert, sollte auch am Blankvers einigen Spaß finden können." Beim Jungmenschen, dem Ziel solcher Attacken, kann nur abwehrendes Kichern die Konsequenz sein; den älteren Leser packt merkliches Unbehagen, das sich nicht mindert, wenn er vom Übersetzer erklärt bekommt, man könne aus Gründen der politischen Korrektheit den "Moor of Venice" nicht mehr mit "Mohr" übersetzen, weil "laut Duden das deutsche ,Mohr' veraltet, das Thema des Rassismus, mit dem dieser Begriff im Stück einhergeht, aber leider Gottes brandaktuell und real ist".
Das Exemplifizieren dessen, was in Seminaren und an Stadttheatern offenbar als "Spaß" empfunden wird, also die Anverwandlung an eine vorgestellte Sprache der Jugend, findet natürlich in erster Linie im Text der Übersetzung statt. Hier exekutiert Frank Günther seinen Vorsatz, das "Deftige" herauszustreichen, das, wie es scheint, die bisherigen Übersetzer zwischen Wieland und Fried stets unter den Tisch gekehrt haben. Und deftig wird es. Die Shakespearische Kunst, das Obszöne in der Schwebe des Wortspiels zu halten, kippt um in eine zugleich pubertäre und doch mit erhobenem Zeigefinger vorgetragene Obszönität, die an die allgegenwärtige, dramaturgisch wenig begründete Nacktheit in den Filmen der siebziger Jahre erinnert.
So wird auch bei Frank Günther Shakespeares Sprache aus den Schlegel-Tieckschen Fesseln der Wohlanständigkeit befreit: Da wimmelt es nun von "Huren" und "Schweinen", "geilen Stunden" (hours of lust) und "geilen Huren" (lewd minx); aus Rodrigos Anwurf wider Jago "O inhuman dog!" wird ein "Unmenschliches Schwein!" Die semantische Vielfalt, die Shakespeare für jenes Wort, das Desdemona nicht in den Mund nehmen will, zur Verfügung steht, verschwindet in der Insistenz, mit der Günther immer wieder "Hure" dazu einfällt. Bei Schlegel-Tieck war die "lewd minx" eine "büb'sche Dirne" gewesen, in der akademischen Version, die bei Reclam zu haben ist, wurde daraus eine "unzücht'ge Dirne". Wie unbefriedigend diese Lösungen auch erscheinen mögen, viel Gewinn scheint uns Günthers Grobheit nicht zu bringen.
Sein durchaus ehrenwerter Ansatz, einen deutschen Shakespeare zu erstellen, dessen Sprache die heutiger Menschen ist, kann nur insoweit als geglückt betrachtet werden, als seine Figuren nun so sprechen, wie man sich die Sprache der neunziger Jahre an einem subventionierten Stadt- oder Landestheater vorstellt, aber nicht, wie "man" heute spricht. "Man" sagt "heute" weder "pah!", noch sagt man: "Und wärn sie geißbockscharf, geil wie die Affen, / Brünstig wie wilde Wölfe und so plump / Wie dummgesoffne Narrn."
Wer wüßte tatsächlich anzugeben, wie solches heute zu sagen wäre? Der Fehler liegt wohl grundsätzlich in dem Versuch, das Kunstprodukt "deutscher Shakespeare im 20. Jahrhundert" gleichsam in ein Naturprodukt zu überführen. Von diesem unglücklichen Hang zum "Deftigen" (,Wenn die Pflaumen uns eine reinsemmeln, dann mach ich die zur Mücke": So redet das Volk in "Romeo und Julia") abgesehen, ist Frank Günther übrigens auf sehr ehrenwerte Weise gescheitert. Wäre er nicht so versessen darauf, uns Shakespeare in der Art eines literarischen Sozialarbeiters als Alltägliches vorzuführen, wäre das Ganze gewiß noch ehrenwerter ausgefallen.
Mißvergnüglich stimmt bei solch großem Unterfangen die Arbeit des Lektorats. Da springen schon im Eröffnungssonett von "Romeo und Julia" zwei Druckfehler ins Auge. Statt "with patient ears" sollen wir nun "with patient cars" dem Bühnenspiel folgen. Das Verhältnis zu Eigennamen ist ein generell lockeres. Besonders im Beiheft erwächst aus der Vermählung von höchster Eile und tiefster Ignoranz eine unfreiwillige "Ebene der Modernität": Aus dem Rebellen Jack Cade (aus "Heinrich VI.") wird da ein "John Cage", aus dem Lyriker Edmund Spenser ein "Edward Spencer".
Auch sonst ist die Haltung zu historischen Fakten stellenweise eine lässig-summarische; und so auch zum Thema der Autorschaft an Shakespeares Werken. Frank Günther meint, das Leben sei zu kurz, um es an "eine so müßige Frage zu verschwenden". Es muß ja nicht das ganze Leben sein. Bereits einige Stunden würden vielleicht so erhellend wirken, daß dann nicht, wie Günther zuvor festgestellt hat, das ganze Leben auf den König Lear verwendet werden müßte, sondern vielleicht bloß das halbe.
William Shakespeare: "Ein Sommernachtstraum". Zweisprachige Ausgabe. Mit einem Essay von Sonja Fielitz. 203 S., br., 15,90 DM.
"Romeo und Julia". Mit einem Essay von Kurt Tetzeli von Rosador. 294 S., br., 17,90 DM.
"Othello". Mit einem Essay von Dieter Mehl. 314 S., br., 18,90 DM.
Alle aus dem Englischen übersetzt von Frank Günther. Deutscher Taschenbuch Verlag, München 1995.
"William Shakespeare im dtv". Beiheft zur neuen Shakespeare-Ausgabe. Deutscher Taschenbuch Verlag, München 1995. 77 S., br., 3,-DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Ein neuer Shakespeare, zweisprachig · Von Walter Klier
Fünfunddreißig Jahre hat der Deutsche Taschenbuch Verlag sich Zeit gelassen, um "seinen" Shakespeare herauszubringen. Jetzt ist es soweit. Unter dem Geleitschutz eines Beihefts haben nun mit "Othello", "Romeo und Julia" und dem "Sommernachtstraum" drei Prüfsteine das Licht des Buchhandels und der Studierstuben erblickt, übersetzt von Frank Günther, einem Anglisten, der "früher selbst als Dramaturg und Regisseur tätig" war. Das Ergebnis, wir nehmen es vorweg, ist ein befremdlicher Hybride aus traditioneller, das heißt altbackener Shakespeare-Forschung und einer aufgekratzten Hemdsärmeligkeit, der zum postmodernen Glück nur noch der illustrierende Comic strip fehlt.
Die begleitenden Texte, die der Übersetzer zum Beiheft und zu den einzelnen Bänden beisteuert, atmen den Geist der Schülervorstellung, wo der fortschrittliche Pädagoge, anstatt die Zöglinge wohl oder übel mit dem Ernst des (kulturellen) Lebens zu konfrontieren, sich mit ihnen unten im Parkett der Ignoranz gemein zu machen versucht. Dies gipfelt in Sätzen wie diesem: "Eine Generation, die sich für Rap begeistert, sollte auch am Blankvers einigen Spaß finden können." Beim Jungmenschen, dem Ziel solcher Attacken, kann nur abwehrendes Kichern die Konsequenz sein; den älteren Leser packt merkliches Unbehagen, das sich nicht mindert, wenn er vom Übersetzer erklärt bekommt, man könne aus Gründen der politischen Korrektheit den "Moor of Venice" nicht mehr mit "Mohr" übersetzen, weil "laut Duden das deutsche ,Mohr' veraltet, das Thema des Rassismus, mit dem dieser Begriff im Stück einhergeht, aber leider Gottes brandaktuell und real ist".
Das Exemplifizieren dessen, was in Seminaren und an Stadttheatern offenbar als "Spaß" empfunden wird, also die Anverwandlung an eine vorgestellte Sprache der Jugend, findet natürlich in erster Linie im Text der Übersetzung statt. Hier exekutiert Frank Günther seinen Vorsatz, das "Deftige" herauszustreichen, das, wie es scheint, die bisherigen Übersetzer zwischen Wieland und Fried stets unter den Tisch gekehrt haben. Und deftig wird es. Die Shakespearische Kunst, das Obszöne in der Schwebe des Wortspiels zu halten, kippt um in eine zugleich pubertäre und doch mit erhobenem Zeigefinger vorgetragene Obszönität, die an die allgegenwärtige, dramaturgisch wenig begründete Nacktheit in den Filmen der siebziger Jahre erinnert.
So wird auch bei Frank Günther Shakespeares Sprache aus den Schlegel-Tieckschen Fesseln der Wohlanständigkeit befreit: Da wimmelt es nun von "Huren" und "Schweinen", "geilen Stunden" (hours of lust) und "geilen Huren" (lewd minx); aus Rodrigos Anwurf wider Jago "O inhuman dog!" wird ein "Unmenschliches Schwein!" Die semantische Vielfalt, die Shakespeare für jenes Wort, das Desdemona nicht in den Mund nehmen will, zur Verfügung steht, verschwindet in der Insistenz, mit der Günther immer wieder "Hure" dazu einfällt. Bei Schlegel-Tieck war die "lewd minx" eine "büb'sche Dirne" gewesen, in der akademischen Version, die bei Reclam zu haben ist, wurde daraus eine "unzücht'ge Dirne". Wie unbefriedigend diese Lösungen auch erscheinen mögen, viel Gewinn scheint uns Günthers Grobheit nicht zu bringen.
Sein durchaus ehrenwerter Ansatz, einen deutschen Shakespeare zu erstellen, dessen Sprache die heutiger Menschen ist, kann nur insoweit als geglückt betrachtet werden, als seine Figuren nun so sprechen, wie man sich die Sprache der neunziger Jahre an einem subventionierten Stadt- oder Landestheater vorstellt, aber nicht, wie "man" heute spricht. "Man" sagt "heute" weder "pah!", noch sagt man: "Und wärn sie geißbockscharf, geil wie die Affen, / Brünstig wie wilde Wölfe und so plump / Wie dummgesoffne Narrn."
Wer wüßte tatsächlich anzugeben, wie solches heute zu sagen wäre? Der Fehler liegt wohl grundsätzlich in dem Versuch, das Kunstprodukt "deutscher Shakespeare im 20. Jahrhundert" gleichsam in ein Naturprodukt zu überführen. Von diesem unglücklichen Hang zum "Deftigen" (,Wenn die Pflaumen uns eine reinsemmeln, dann mach ich die zur Mücke": So redet das Volk in "Romeo und Julia") abgesehen, ist Frank Günther übrigens auf sehr ehrenwerte Weise gescheitert. Wäre er nicht so versessen darauf, uns Shakespeare in der Art eines literarischen Sozialarbeiters als Alltägliches vorzuführen, wäre das Ganze gewiß noch ehrenwerter ausgefallen.
Mißvergnüglich stimmt bei solch großem Unterfangen die Arbeit des Lektorats. Da springen schon im Eröffnungssonett von "Romeo und Julia" zwei Druckfehler ins Auge. Statt "with patient ears" sollen wir nun "with patient cars" dem Bühnenspiel folgen. Das Verhältnis zu Eigennamen ist ein generell lockeres. Besonders im Beiheft erwächst aus der Vermählung von höchster Eile und tiefster Ignoranz eine unfreiwillige "Ebene der Modernität": Aus dem Rebellen Jack Cade (aus "Heinrich VI.") wird da ein "John Cage", aus dem Lyriker Edmund Spenser ein "Edward Spencer".
Auch sonst ist die Haltung zu historischen Fakten stellenweise eine lässig-summarische; und so auch zum Thema der Autorschaft an Shakespeares Werken. Frank Günther meint, das Leben sei zu kurz, um es an "eine so müßige Frage zu verschwenden". Es muß ja nicht das ganze Leben sein. Bereits einige Stunden würden vielleicht so erhellend wirken, daß dann nicht, wie Günther zuvor festgestellt hat, das ganze Leben auf den König Lear verwendet werden müßte, sondern vielleicht bloß das halbe.
William Shakespeare: "Ein Sommernachtstraum". Zweisprachige Ausgabe. Mit einem Essay von Sonja Fielitz. 203 S., br., 15,90 DM.
"Romeo und Julia". Mit einem Essay von Kurt Tetzeli von Rosador. 294 S., br., 17,90 DM.
"Othello". Mit einem Essay von Dieter Mehl. 314 S., br., 18,90 DM.
Alle aus dem Englischen übersetzt von Frank Günther. Deutscher Taschenbuch Verlag, München 1995.
"William Shakespeare im dtv". Beiheft zur neuen Shakespeare-Ausgabe. Deutscher Taschenbuch Verlag, München 1995. 77 S., br., 3,-DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 25.04.2013Verlorene
Liebesmüh?
Shakespeare-Übersetzer Frank Günther und der Brand
William Shakespeare und Brand-Katastrophen gehören offenbar zusammen. 1613, drei Jahre vor seinem Tod, brannte das Londoner Globe Theatre, dessen Miteigentümer er war, vollständig ab, und zwar, wie es die Ironie des Schicksals wollte, während einer Vorstellung von „Heinrich VIII.“. Das Feuer war ein schwerer Schlag für Shakespeare und seine Truppe, die von einem Tag auf den anderen ihre Spielstätte und damit ihre Einnahmequelle verloren hatten. Ein Jahr später wurde das Theater zwar wieder aufgebaut, aber Shakespeare war nicht mehr dabei. Er hatte seine Anteile an die Kollegen verkauft. Offenbar fühlte er sich zu alt, um noch einmal neu anzufangen. „Aber“, sagt Frank Günther, „man müsste es ihm ja nicht nachmachen“.
Seit den Siebzigerjahren übersetzt Günther, geboren 1947, Shakespeares Gesamtwerk ins Deutsche. Angefangen hat dieses Mammutprojekt ganz harmlos, als er, damals noch Regisseur, „Viel Lärm um nichts“ in Angriff nahm, eine Auftragsarbeit, die der studierte Anglist mit Gewalt und einer gehörigen Portion Naivität in zwei Wochen durchpeitschte. Gut dreißig Jahre später ist eine Lebensleistung daraus geworden: Ende 2015 soll endlich der letzte der auf 39 Bände angelegten Ausgabe herauskommen, von denen 34 bereits erschienen sind, damit die Edition rechtzeitig zu Shakespeares 400. Todestag komplett vorliegt.
Günther wäre dann der erste, der den ganzen Shakespeare allein ins Deutsche übersetzt hat. Seine Übertragungen werden als Taschenbücher bei DTV verlegt und in einer aufwendig ausgestatteten bibliophilen Ausgabe bei ars vivendi in Cadolzburg, einem kleinen Verlag, der mit ungeheurem Idealismus ein großes Werk zu seiner Sache gemacht hat.
Frank Günther wirkt im Gespräch mit der SZ erstaunlich gefasst, wenn man bedenkt, dass bei dem Lagerbrand in der Nähe von Leipzig sein Lebenswerk in Flammen aufgegangen ist. Von 22 Bänden der Ausgabe ist fast der gesamte Bestand betroffen, allerdings unterschiedlich schwer. Rund fünfzig Prozent sind durch Feuer, Löschwasser und Ruß unbrauchbar geworden, ein anderer Teil der Auflage „stinkt nur“, so Günther. Dieser kontaminierte Restbestand, dessen Umfang noch unklar ist, kann eventuell durch entsprechende chemische Aufbereitung noch gerettet werden. Auf 1,2 Millionen Euro beläuft sich der gesamte Schaden.
„Ich bin jetzt 65“, sagt Frank Günther mit Galgenhumor, „die Krebswerte steigen“, und sein Alkoholkonsum habe seit der Nachricht erkennbar zugenommen. Aber sich zu motivieren, am große Shakespeare-Buch weiter zu schreiben, das im nächsten Jahr bei DTV geplant ist, falle ihm gerade nicht ganz leicht. Andererseits sei die Günthersche Shakespeare-Ausgabe ja nicht aus der Welt, „die Subskriptionsexemplare sind ausgeliefert und die öffentlichen Bibliotheken bestückt. Jetzt kommt alles darauf an, dass die Versicherung einspringt und den Schaden reguliert.“ Denn aus eigener Kraft könne ein so kleiner Verlag wie ars vivendi den Nachdruck nicht stemmen.
Laut ars vivendi -Verleger Norbert Treuheit habe die Allianz die Deckung zugesagt, „aber nur wenn die Versicherung zeitnah überweist“, sagt er gegenüber der SZ, „können wir unseren Zeitplan einhalten und nachproduzieren“. Insgesamt 191 Titel seines Verlages sind betroffen. Als ihn vor zwei Wochen die Nachricht erreichte, sei er, so Treuheit, erst mal in Schockstarre verfallen. „Aber wir sind Kämpfer“, und deshalb werde er alles tun, damit die Shakespeare-Ausgabe zum Jubiläum, auf das sie gezirkelt ist, vollständig vorliegt.
Aber selbst wenn alles gut geht, steht dem Verleger eine Heidenarbeit bevor: „Wir müssen erneut die verschiedenen Fassungen zusammentragen und die Korrekturen abgleichen“, denn Druckvorlagen in dem Sinne gebe es schließlich heutzutage nicht mehr. So wirkt sich die Digitalisierung, die dem gedruckten Buch ohnehin zusetzt, in diesem Fall mit doppelter Härte aus. Besonders schwer sei der Schlag für ihn gewesen, sagt Norbert Treuheit noch, weil das Projekt schon in der Vergangenheit zwei Rückschläge verkraften musste. Krankheitsbedingt war der Abschluss der Edition mehrmals verschoben worden, sie stand bereits kurz vor dem Scheitern. Nachdem 2014, der 450. Geburtstag Shakespeares, als Termin nicht zu halten war, wäre eine neuerliche Verzögerung fatal.
Im Gegensatz zu Shakespeare, der vor dem Feuer kapitulierte, wollen seine deutschen Sachwalter standhaft bleiben. Kein zweites Mal soll er seine Bühne verlieren, zumindest nicht seine verlegerische bei ars vivendi.
CHRISTOPHER SCHMIDT
Frank Günther in seinem Haus in Rot an der Rot bei Biberach.
FOTO: ARS VIVENDI
William Shakespeare:
Romeo und Julia.
Aus dem Englischen von Frank Günther. Band 5
der Gesamtausgabe.
Verlag ars vivendi,
Cadolzburg, 1. Auflage 2000. 296 Seiten, 30 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Liebesmüh?
Shakespeare-Übersetzer Frank Günther und der Brand
William Shakespeare und Brand-Katastrophen gehören offenbar zusammen. 1613, drei Jahre vor seinem Tod, brannte das Londoner Globe Theatre, dessen Miteigentümer er war, vollständig ab, und zwar, wie es die Ironie des Schicksals wollte, während einer Vorstellung von „Heinrich VIII.“. Das Feuer war ein schwerer Schlag für Shakespeare und seine Truppe, die von einem Tag auf den anderen ihre Spielstätte und damit ihre Einnahmequelle verloren hatten. Ein Jahr später wurde das Theater zwar wieder aufgebaut, aber Shakespeare war nicht mehr dabei. Er hatte seine Anteile an die Kollegen verkauft. Offenbar fühlte er sich zu alt, um noch einmal neu anzufangen. „Aber“, sagt Frank Günther, „man müsste es ihm ja nicht nachmachen“.
Seit den Siebzigerjahren übersetzt Günther, geboren 1947, Shakespeares Gesamtwerk ins Deutsche. Angefangen hat dieses Mammutprojekt ganz harmlos, als er, damals noch Regisseur, „Viel Lärm um nichts“ in Angriff nahm, eine Auftragsarbeit, die der studierte Anglist mit Gewalt und einer gehörigen Portion Naivität in zwei Wochen durchpeitschte. Gut dreißig Jahre später ist eine Lebensleistung daraus geworden: Ende 2015 soll endlich der letzte der auf 39 Bände angelegten Ausgabe herauskommen, von denen 34 bereits erschienen sind, damit die Edition rechtzeitig zu Shakespeares 400. Todestag komplett vorliegt.
Günther wäre dann der erste, der den ganzen Shakespeare allein ins Deutsche übersetzt hat. Seine Übertragungen werden als Taschenbücher bei DTV verlegt und in einer aufwendig ausgestatteten bibliophilen Ausgabe bei ars vivendi in Cadolzburg, einem kleinen Verlag, der mit ungeheurem Idealismus ein großes Werk zu seiner Sache gemacht hat.
Frank Günther wirkt im Gespräch mit der SZ erstaunlich gefasst, wenn man bedenkt, dass bei dem Lagerbrand in der Nähe von Leipzig sein Lebenswerk in Flammen aufgegangen ist. Von 22 Bänden der Ausgabe ist fast der gesamte Bestand betroffen, allerdings unterschiedlich schwer. Rund fünfzig Prozent sind durch Feuer, Löschwasser und Ruß unbrauchbar geworden, ein anderer Teil der Auflage „stinkt nur“, so Günther. Dieser kontaminierte Restbestand, dessen Umfang noch unklar ist, kann eventuell durch entsprechende chemische Aufbereitung noch gerettet werden. Auf 1,2 Millionen Euro beläuft sich der gesamte Schaden.
„Ich bin jetzt 65“, sagt Frank Günther mit Galgenhumor, „die Krebswerte steigen“, und sein Alkoholkonsum habe seit der Nachricht erkennbar zugenommen. Aber sich zu motivieren, am große Shakespeare-Buch weiter zu schreiben, das im nächsten Jahr bei DTV geplant ist, falle ihm gerade nicht ganz leicht. Andererseits sei die Günthersche Shakespeare-Ausgabe ja nicht aus der Welt, „die Subskriptionsexemplare sind ausgeliefert und die öffentlichen Bibliotheken bestückt. Jetzt kommt alles darauf an, dass die Versicherung einspringt und den Schaden reguliert.“ Denn aus eigener Kraft könne ein so kleiner Verlag wie ars vivendi den Nachdruck nicht stemmen.
Laut ars vivendi -Verleger Norbert Treuheit habe die Allianz die Deckung zugesagt, „aber nur wenn die Versicherung zeitnah überweist“, sagt er gegenüber der SZ, „können wir unseren Zeitplan einhalten und nachproduzieren“. Insgesamt 191 Titel seines Verlages sind betroffen. Als ihn vor zwei Wochen die Nachricht erreichte, sei er, so Treuheit, erst mal in Schockstarre verfallen. „Aber wir sind Kämpfer“, und deshalb werde er alles tun, damit die Shakespeare-Ausgabe zum Jubiläum, auf das sie gezirkelt ist, vollständig vorliegt.
Aber selbst wenn alles gut geht, steht dem Verleger eine Heidenarbeit bevor: „Wir müssen erneut die verschiedenen Fassungen zusammentragen und die Korrekturen abgleichen“, denn Druckvorlagen in dem Sinne gebe es schließlich heutzutage nicht mehr. So wirkt sich die Digitalisierung, die dem gedruckten Buch ohnehin zusetzt, in diesem Fall mit doppelter Härte aus. Besonders schwer sei der Schlag für ihn gewesen, sagt Norbert Treuheit noch, weil das Projekt schon in der Vergangenheit zwei Rückschläge verkraften musste. Krankheitsbedingt war der Abschluss der Edition mehrmals verschoben worden, sie stand bereits kurz vor dem Scheitern. Nachdem 2014, der 450. Geburtstag Shakespeares, als Termin nicht zu halten war, wäre eine neuerliche Verzögerung fatal.
Im Gegensatz zu Shakespeare, der vor dem Feuer kapitulierte, wollen seine deutschen Sachwalter standhaft bleiben. Kein zweites Mal soll er seine Bühne verlieren, zumindest nicht seine verlegerische bei ars vivendi.
CHRISTOPHER SCHMIDT
Frank Günther in seinem Haus in Rot an der Rot bei Biberach.
FOTO: ARS VIVENDI
William Shakespeare:
Romeo und Julia.
Aus dem Englischen von Frank Günther. Band 5
der Gesamtausgabe.
Verlag ars vivendi,
Cadolzburg, 1. Auflage 2000. 296 Seiten, 30 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de