Anhand einer Vielzahl bislang nicht gezeigter Dokumente und anderer Zeugnisse der Zeit wird den Lebenswegen einer jüdischen Familie in Polen nachgegangen, die mit Rosa Luxemburg (1871-1919) eine der bekanntesten und berühmtesten Persönlichkeiten der Zeitgeschichte hervorgebracht hat.Der Bogen wird zeitlich gespannt von etwa 1830 bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs. Im Hintergrund stehen gleichermaßen die wechselvolle Geschichte Polens in dieser Zeit wie das Leben und das Werk Rosa Luxemburgs.Viele der in den einzelnen Episoden dargestellten Zusammenhänge werfen ein ganz neues Licht auf den Lebensweg Rosa Luxemburgs, weil der familiäre Kontext bislang meistens zu eng und zu statisch gefasst wurde.Die Herausgeber gingen auf die Spurensuche, als nationalistische Kreise in Polen plötzlich behaupteten, Rosa Luxemburg sei eine unverbesserliche Polenhasserin gewesen, weshalb sich jedes Erinnern an sie im öffentlichen Leben des Landes verbiete.
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Thomas Urban folgt den Spuren Rosa Luxemburgs und ihrer Familie in diesem von dem Journalisten Krzysztof Pilawski und dem Historiker Holger Politt herausgegebenen Band. Dass die Autoren Archive und Standesämter in Polen und der Westukraine konsultiert und das Material auf lebendige Weise verarbeitet haben, sodass "eine ganze Epoche" wiederersteht, scheint Urban beachtlich und lesenswert. Wie Luxemburgs Verwandtschaft sich zur polnischen Republik verhielt und für welche Leistung ihr Großvater einen Orden erhielt, kann der Leser hier nachlesen, so Urban.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 22.09.2020Die Aktivistin
aus Zamość
Dokumente und Funde
zur Familie Rosa Luxemburgs
Auf Druck des polnischen Kulturministeriums haben Gemeindearbeiter vor zwei Jahren eine Gedenkplatte an einem unscheinbaren Haus im Barockstädtchen Zamość entfernt: Sie erinnerte daran, dass dort 1871 Rosa Luxemburg, die Theoretikerin und Vorkämpferin der internationalen Arbeiterbewegung, geboren wurde. Dem nationalpatriotischen Lager an der Weichsel gilt sie traditionell als „Polenfeindin“, auch stammte die Gedenktafel aus der Zeit der Volksrepublik, Grund genug also für die nationalistischen Bilderstürmer, sie zu liquidieren.
Dieser Akt der Geschichtszensur war für den polnischen Journalisten Krzysztof Piławski, der viele Jahre Korrespondent links ausgerichteter Medien in Moskau war, und den Historiker Holger Politt, den Leiter des Warschauer Büros der Rosa-Luxemburg-Stiftung, der Anlass, den Spuren der Aktivistin der verbotenen polnischen Sozialdemokratie nachzugehen und auch die Geschichte ihrer Familie zu rekonstruieren. Obwohl den nächsten Verwandten ihre politischen Ziele eher fremd waren, hielt sie engen, herzlichen Kontakt zu ihnen. Die Autoren sind kreuz und quer durch Polen und die heutige Westukraine gereist, haben Standesamtsbücher sowie viele Zeitungen durchforstet und in ihrer überaus lesenswerten, lebendig geschriebenen Studie eine ganze Epoche wiederentstehen lassen.
Zamość gehörte seit den Teilungen Polens im achtzehnten Jahrhundert zum Zarenreich. Abraham Luxenburg (der Familienname schrieb sich zunächst mit „n“), der Großvater der Politikerin, war in Familientradition Tuchhändler, er versorgte die russische Armee mit Uniformen und bekam dafür sogar einen Orden. Doch geriet er wegen Differenzen über einen Liefervertrag in einen Konflikt mit der Wehrbehörde und zog es vor, mit seiner Familie in die damals zu Österreich gehörende Vielvölkerstadt Lemberg, das heute ukrainische Lwiw, überzusiedeln. Abraham Luxenburg war Schwager des berühmten Reformrabbiners Bernhard Löwenstein, der über die Vereinbarung von jüdischem Glauben und moderner Kultur predigte.
Wenig Glück als Geschäftsmann hatte auch Edward Luxenburg, der Vater der Revolutionärin, die später, wie einige ihrer Verwandten, den Familiennamen mit „m“ schrieb. Ihr Vater habe „armselige Groschengeschäfte“ betrieben, schrieb sie in einem Brief.
Doch einer ihrer Onkel wurde reich: Das von ihm gegründete Warschauer Handelshaus Luxemburg KG exportierte Waren nach England und Frankreich, es vertrieb Fahrkarten für Schiffsreisen nach Amerika; der Firmengründer war auch erfolgreicher Spendensammler für die Große Synagoge in Warschau.
Aber längst nicht alle Verwandten engagierten sich so sehr für ihren Glauben. Es gab Übertritte zu den protestantischen Gemeinschaften und auch zur katholischen Kirche, möglicherweise Reaktionen auf das zunehmend judenfeindliche Klima in Osteuropa.
Die Wiedergründung Polens 1918 nach 123 Jahren der Teilungen ging einher mit antisemitischen Ausschreitungen in Warschau und vor allem in Lemberg. Den Juden wurde unterstellt, sie seien nicht an der Unabhängigkeit Polens interessiert; in der Tat hatten Vertreter jüdischer Vereine auf eine demokratische Zukunft Russlands gesetzt, nachdem der Zar in der Februarrevolution 1917 gestürzt worden war und die neue Regierung alle diskriminierenden Verordnungen aufgehoben hatte. Auch Rosa Luxemburg hatte sich energisch gegen nationale Alleingänge ausgesprochen.
Doch die meisten ihrer Angehörigen standen loyal zur neugegründeten polnischen Republik. Ihr älterer Bruder Maxymilian, ein Facharzt für Infektionskrankheiten, hat als Ministerialbeamter an den Gesetzen über den Achtstundentag sowie Unfall- und Krankenversicherung für Arbeitnehmer mitgewirkt. Der Sohn eines Cousins wurde Staatsanwalt, der Verfahren ausgerechnet gegen Aktivisten der kommunistischen Partei führte. Jan Luxenburg, der Sohn eines anderen Cousins, wurde polnischer Fußballnationalspieler. Die männlichen Familienmitglieder leisteten Wehrdienst in der polnischen Armee. Im Zweiten Weltkrieg gerieten mehrere von ihnen in sowjetische Gefangenschaft; der Reserveleutnant Jerzy Luxenburg, im Zivilberuf Zahnarzt, gehörte zu den Opfern der Geheimpolizei Stalins im Wald von Katyn, andere Mitglieder der Familie wurden nach Sibirien deportiert.
Noch mehr Luxemburgs und Luxenburgs aber fanden den Tod durch die deutschen Besatzer, im Warschauer Ghetto oder in einem Konzentrationslager – so wie Rosa Luxemburg 1919 auch von rechtsradikalen deutschen Judenhassern ermordet wurde.
THOMAS URBAN
Krzysztof Pilawski/Holger Politt (Hrsg.): Rosa Luxemburg: Spurensuche. Dokumente und Zeugnisse einer jüdischen Familie. VSA-Verlag Hamburg 2020. 152 Seiten, 19,80 Euro
Der Großvater Abraham
Luxenburg war in
Familientradition Tuchhändler
Die meisten Familienangehörigen
standen loyal zur neuen
polnischen Republik
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aus Zamość
Dokumente und Funde
zur Familie Rosa Luxemburgs
Auf Druck des polnischen Kulturministeriums haben Gemeindearbeiter vor zwei Jahren eine Gedenkplatte an einem unscheinbaren Haus im Barockstädtchen Zamość entfernt: Sie erinnerte daran, dass dort 1871 Rosa Luxemburg, die Theoretikerin und Vorkämpferin der internationalen Arbeiterbewegung, geboren wurde. Dem nationalpatriotischen Lager an der Weichsel gilt sie traditionell als „Polenfeindin“, auch stammte die Gedenktafel aus der Zeit der Volksrepublik, Grund genug also für die nationalistischen Bilderstürmer, sie zu liquidieren.
Dieser Akt der Geschichtszensur war für den polnischen Journalisten Krzysztof Piławski, der viele Jahre Korrespondent links ausgerichteter Medien in Moskau war, und den Historiker Holger Politt, den Leiter des Warschauer Büros der Rosa-Luxemburg-Stiftung, der Anlass, den Spuren der Aktivistin der verbotenen polnischen Sozialdemokratie nachzugehen und auch die Geschichte ihrer Familie zu rekonstruieren. Obwohl den nächsten Verwandten ihre politischen Ziele eher fremd waren, hielt sie engen, herzlichen Kontakt zu ihnen. Die Autoren sind kreuz und quer durch Polen und die heutige Westukraine gereist, haben Standesamtsbücher sowie viele Zeitungen durchforstet und in ihrer überaus lesenswerten, lebendig geschriebenen Studie eine ganze Epoche wiederentstehen lassen.
Zamość gehörte seit den Teilungen Polens im achtzehnten Jahrhundert zum Zarenreich. Abraham Luxenburg (der Familienname schrieb sich zunächst mit „n“), der Großvater der Politikerin, war in Familientradition Tuchhändler, er versorgte die russische Armee mit Uniformen und bekam dafür sogar einen Orden. Doch geriet er wegen Differenzen über einen Liefervertrag in einen Konflikt mit der Wehrbehörde und zog es vor, mit seiner Familie in die damals zu Österreich gehörende Vielvölkerstadt Lemberg, das heute ukrainische Lwiw, überzusiedeln. Abraham Luxenburg war Schwager des berühmten Reformrabbiners Bernhard Löwenstein, der über die Vereinbarung von jüdischem Glauben und moderner Kultur predigte.
Wenig Glück als Geschäftsmann hatte auch Edward Luxenburg, der Vater der Revolutionärin, die später, wie einige ihrer Verwandten, den Familiennamen mit „m“ schrieb. Ihr Vater habe „armselige Groschengeschäfte“ betrieben, schrieb sie in einem Brief.
Doch einer ihrer Onkel wurde reich: Das von ihm gegründete Warschauer Handelshaus Luxemburg KG exportierte Waren nach England und Frankreich, es vertrieb Fahrkarten für Schiffsreisen nach Amerika; der Firmengründer war auch erfolgreicher Spendensammler für die Große Synagoge in Warschau.
Aber längst nicht alle Verwandten engagierten sich so sehr für ihren Glauben. Es gab Übertritte zu den protestantischen Gemeinschaften und auch zur katholischen Kirche, möglicherweise Reaktionen auf das zunehmend judenfeindliche Klima in Osteuropa.
Die Wiedergründung Polens 1918 nach 123 Jahren der Teilungen ging einher mit antisemitischen Ausschreitungen in Warschau und vor allem in Lemberg. Den Juden wurde unterstellt, sie seien nicht an der Unabhängigkeit Polens interessiert; in der Tat hatten Vertreter jüdischer Vereine auf eine demokratische Zukunft Russlands gesetzt, nachdem der Zar in der Februarrevolution 1917 gestürzt worden war und die neue Regierung alle diskriminierenden Verordnungen aufgehoben hatte. Auch Rosa Luxemburg hatte sich energisch gegen nationale Alleingänge ausgesprochen.
Doch die meisten ihrer Angehörigen standen loyal zur neugegründeten polnischen Republik. Ihr älterer Bruder Maxymilian, ein Facharzt für Infektionskrankheiten, hat als Ministerialbeamter an den Gesetzen über den Achtstundentag sowie Unfall- und Krankenversicherung für Arbeitnehmer mitgewirkt. Der Sohn eines Cousins wurde Staatsanwalt, der Verfahren ausgerechnet gegen Aktivisten der kommunistischen Partei führte. Jan Luxenburg, der Sohn eines anderen Cousins, wurde polnischer Fußballnationalspieler. Die männlichen Familienmitglieder leisteten Wehrdienst in der polnischen Armee. Im Zweiten Weltkrieg gerieten mehrere von ihnen in sowjetische Gefangenschaft; der Reserveleutnant Jerzy Luxenburg, im Zivilberuf Zahnarzt, gehörte zu den Opfern der Geheimpolizei Stalins im Wald von Katyn, andere Mitglieder der Familie wurden nach Sibirien deportiert.
Noch mehr Luxemburgs und Luxenburgs aber fanden den Tod durch die deutschen Besatzer, im Warschauer Ghetto oder in einem Konzentrationslager – so wie Rosa Luxemburg 1919 auch von rechtsradikalen deutschen Judenhassern ermordet wurde.
THOMAS URBAN
Krzysztof Pilawski/Holger Politt (Hrsg.): Rosa Luxemburg: Spurensuche. Dokumente und Zeugnisse einer jüdischen Familie. VSA-Verlag Hamburg 2020. 152 Seiten, 19,80 Euro
Der Großvater Abraham
Luxenburg war in
Familientradition Tuchhändler
Die meisten Familienangehörigen
standen loyal zur neuen
polnischen Republik
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