In Briefen, Fragmenten, Zetteln und Erzählungen reflektiert der Band das Leben der polnischen Autorin in den letzten 50 Jahren. Die langen Schatten des Zweiten Weltkriegs, die Mühen der Volksrepublik, das Jahr 1968, die Ereignisse um die Gewerkschaft Solidarnosc und das Ende des Ostblocks schlagen sich darin ebenso nieder wie persönliche Ereignisse in ihrer Familie, langjährige Freundschaften, Konflikte mit der Zensur und zahlreiche Begegnungen mit den Protagonisten ihrer Reportagen. $Das Buch liest sich als Sammlung verschiedener Geschichten, aber auch als eine sehr persönliche Chronik. Es beginnt mit der Geburt der Tochter und endet mit dem Brief ihres Enkels aus Kanada. Zu Wort kommen Freunde und Arbeitskollegen wie Krzysztof Kieslowski, Marek Edelman, Mieczyslaw Rakowski, Adam Boniecki, Jan Kott und Leszek Kolakowski. Aber auch viele Unbekannte, die sich an die Autorin wenden, um von ihrem Leben zu berichten. $Wie so oft bei Hanna Krall kommt das Bedeutende leise und unmerklich daher. In einfacher Sprache spricht sie über Vorfälle von großer Bedeutung. Ein Zettel auf dem Tisch, ein Brief aus dem Schullandheim oder ein anonymes antisemitisches Schreiben kennzeichnen den Zustand der Republik bzw. ein bestimmtes Jahr.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 09.02.2012Je schrecklicher die Geschichte, desto leiser wird sie erzählt
Zeitchronik, Autobiographie und Werkstattbericht: Die Polin Hanna Krall schreibt von "Rosa Straußenfedern"
Man kann es als Besessenheit oder auch als Hartnäckigkeit bezeichnen, sie selbst würde wohl aber das Wort Konsequenz bevorzugen: Sie hat vor Jahren die Suche nach den Spuren polnischer Juden zu ihrem Hauptthema erklärt und ist seitdem diesem Vorsatz so bedingungslos treu, als würde ihr Leben davon abhängen. Hunderte von Geschichten hat Hanna Krall schon erzählt, manche in voller Länge, manche nur ansatzweise, und jede bedeutet für sie einen weiteren Menschen, dem sie sein Gesicht wiedergegeben hat. Ab und zu behauptet sie, damit aufhören zu wollen, um ein, zwei Jahre später doch eine neue Sammlung vorzulegen. Acht von ihnen sind auch auf Deutsch erschienen, zuletzt "Eine ausnehmend lange Linie" und "Herzkönig".
Ihren literarischen Stil macht keiner so schnell nach: Er ist sachlich, lakonisch, ohne jede Ornamentik. Sie enthält sich jeglichen Kommentars, zeigt keine Gefühle, lässt Fakten sprechen. "Je schrecklicher eine Geschichte ist, desto leiser, ruhiger soll man sie erzählen": Das hat sie in den Siebzigern gelernt, als sie mit Marek Edelman, dem letzten Anführer des Warschauer Gettoaufstands, sprach und anschließend ihren berühmten Bericht "Schneller als der liebe Gott" schrieb. Seitdem befolgt sie diese Regel in all ihren Texten.
Heute, am 9. Februar, wird sie für beides, ihre thematische Vorliebe und ihren Stil, mit dem Würth-Preis für Europäische Literatur in Höhe von 25 000 Euro ausgezeichnet. Ihre Reportagen seien "ein wichtiges Dokument ostmitteleuropäischer Geschichtserfahrung" und zeichneten sich durch eine "vorsätzliche Distanziertheit" und ein "pathosfreies Engagement der Genauigkeit" aus, befand die Jury. Ihre Achtung vor dem Detail, möchte man hinzufügen, hat oft zur Folge, dass die Schauplätze ihrer Bücher zweidimensional erscheinen: da der Mikrokosmos einer Straße oder eines Hauses - dort die große, weite Welt, in die ihre Bewohner entschwunden sind.
Hanna Krall folgt ihnen überallhin, nach Israel, Amerika oder Kanada, und sie bekommt auch viele Briefe und Anrufe. Spuren dieser Begegnungen finden sich in ihrem neuen Buch wieder. Es heißt "Rosa Straußenfedern" und spricht, so hat sie es selbst zusammengefasst, "über das, was mir Menschen in fünfzig Jahren schrieben und erzählten". Die Formulierung "über das" ist wichtig, um nicht zu sagen: entscheidend. Denn diese fünfzig Jahre dokumentiert Krall in einer sehr fragmentarischen Form: Mal ist es ein Briefauszug, mal eine eigene Notiz oder ein Entwurf, mal eine auf dem Küchentisch hinterlassene Nachricht. "Das Mittagessen war gut, ich habe die Möhren aufgegessen. Wenn der Streik stattfindet, dann im Kulturpalast": Der 1980 hingekritzelte Zettel der Tochter liest sich heute wie ein zeithistorisches Dokument, genauso wie Zitate aus Kralls Sicherheitsdienst-Akte oder der Brief eines Verlegers, der ihr Buch ablehnt.
In den chronologisch geordneten Textfetzen kommen Unbekannte genauso oft zu Wort wie Familienmitglieder, Kollegen und Freunde: Marek Edelman, Krzysztof Kieslowski, Jan Kott oder Leszek Kolakowski. Doch wohlgemerkt ist diese Collage auch ein weiterer literarischer Text der Hanna Krall. Denn ihr "über das" bedeutet ferner, dass sie diese Fragmente nicht nur aneinanderreiht, sondern auch gewissermaßen formt. Manche zitiert sie im Wortlaut, manche gibt sie mit eigenen Worten wieder, dazwischen streut sie den Ansatz einer neuen Reportage, und in all dem klingt schon wieder ihr unverwechselbarer Erzählstil an. Man liest dieses schmale Buch gern, auch wenn man sich manchmal fragt, als was es im Endeffekt verstanden werden soll. Als Zeitchronik? Autobiographie? Werkstattbericht? Alles zugleich? Und wenn Letzteres, ob die Autorin bewusst den Spruch von Marc Aurel zitiert: "Wenn man wissentlich Unmögliches verlangt, gibt es keinen guten Ausweg mehr"?
MARTA KIJOWSKA
Hanna Krall: "Rosa Straußenfedern".
Aus dem Polnischen von Bernhard Hartmann. Verlag Neue Kritik, Frankfurt am Main 2012. 208 S., geb., 19,50 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Zeitchronik, Autobiographie und Werkstattbericht: Die Polin Hanna Krall schreibt von "Rosa Straußenfedern"
Man kann es als Besessenheit oder auch als Hartnäckigkeit bezeichnen, sie selbst würde wohl aber das Wort Konsequenz bevorzugen: Sie hat vor Jahren die Suche nach den Spuren polnischer Juden zu ihrem Hauptthema erklärt und ist seitdem diesem Vorsatz so bedingungslos treu, als würde ihr Leben davon abhängen. Hunderte von Geschichten hat Hanna Krall schon erzählt, manche in voller Länge, manche nur ansatzweise, und jede bedeutet für sie einen weiteren Menschen, dem sie sein Gesicht wiedergegeben hat. Ab und zu behauptet sie, damit aufhören zu wollen, um ein, zwei Jahre später doch eine neue Sammlung vorzulegen. Acht von ihnen sind auch auf Deutsch erschienen, zuletzt "Eine ausnehmend lange Linie" und "Herzkönig".
Ihren literarischen Stil macht keiner so schnell nach: Er ist sachlich, lakonisch, ohne jede Ornamentik. Sie enthält sich jeglichen Kommentars, zeigt keine Gefühle, lässt Fakten sprechen. "Je schrecklicher eine Geschichte ist, desto leiser, ruhiger soll man sie erzählen": Das hat sie in den Siebzigern gelernt, als sie mit Marek Edelman, dem letzten Anführer des Warschauer Gettoaufstands, sprach und anschließend ihren berühmten Bericht "Schneller als der liebe Gott" schrieb. Seitdem befolgt sie diese Regel in all ihren Texten.
Heute, am 9. Februar, wird sie für beides, ihre thematische Vorliebe und ihren Stil, mit dem Würth-Preis für Europäische Literatur in Höhe von 25 000 Euro ausgezeichnet. Ihre Reportagen seien "ein wichtiges Dokument ostmitteleuropäischer Geschichtserfahrung" und zeichneten sich durch eine "vorsätzliche Distanziertheit" und ein "pathosfreies Engagement der Genauigkeit" aus, befand die Jury. Ihre Achtung vor dem Detail, möchte man hinzufügen, hat oft zur Folge, dass die Schauplätze ihrer Bücher zweidimensional erscheinen: da der Mikrokosmos einer Straße oder eines Hauses - dort die große, weite Welt, in die ihre Bewohner entschwunden sind.
Hanna Krall folgt ihnen überallhin, nach Israel, Amerika oder Kanada, und sie bekommt auch viele Briefe und Anrufe. Spuren dieser Begegnungen finden sich in ihrem neuen Buch wieder. Es heißt "Rosa Straußenfedern" und spricht, so hat sie es selbst zusammengefasst, "über das, was mir Menschen in fünfzig Jahren schrieben und erzählten". Die Formulierung "über das" ist wichtig, um nicht zu sagen: entscheidend. Denn diese fünfzig Jahre dokumentiert Krall in einer sehr fragmentarischen Form: Mal ist es ein Briefauszug, mal eine eigene Notiz oder ein Entwurf, mal eine auf dem Küchentisch hinterlassene Nachricht. "Das Mittagessen war gut, ich habe die Möhren aufgegessen. Wenn der Streik stattfindet, dann im Kulturpalast": Der 1980 hingekritzelte Zettel der Tochter liest sich heute wie ein zeithistorisches Dokument, genauso wie Zitate aus Kralls Sicherheitsdienst-Akte oder der Brief eines Verlegers, der ihr Buch ablehnt.
In den chronologisch geordneten Textfetzen kommen Unbekannte genauso oft zu Wort wie Familienmitglieder, Kollegen und Freunde: Marek Edelman, Krzysztof Kieslowski, Jan Kott oder Leszek Kolakowski. Doch wohlgemerkt ist diese Collage auch ein weiterer literarischer Text der Hanna Krall. Denn ihr "über das" bedeutet ferner, dass sie diese Fragmente nicht nur aneinanderreiht, sondern auch gewissermaßen formt. Manche zitiert sie im Wortlaut, manche gibt sie mit eigenen Worten wieder, dazwischen streut sie den Ansatz einer neuen Reportage, und in all dem klingt schon wieder ihr unverwechselbarer Erzählstil an. Man liest dieses schmale Buch gern, auch wenn man sich manchmal fragt, als was es im Endeffekt verstanden werden soll. Als Zeitchronik? Autobiographie? Werkstattbericht? Alles zugleich? Und wenn Letzteres, ob die Autorin bewusst den Spruch von Marc Aurel zitiert: "Wenn man wissentlich Unmögliches verlangt, gibt es keinen guten Ausweg mehr"?
MARTA KIJOWSKA
Hanna Krall: "Rosa Straußenfedern".
Aus dem Polnischen von Bernhard Hartmann. Verlag Neue Kritik, Frankfurt am Main 2012. 208 S., geb., 19,50 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Marta Kijowska fällt es schwer, das jüngste Buch der polnischen Schriftstellerin Hanna Krall, die heute für ihre Reportagen über die Schicksale polnischer Juden mit dem Würth-Preis für Europäische Literatur ausgezeichnet wird, einzuordnen: Historische Chronik, autobiografische Erinnerung oder Bericht aus der Werkstatt, all dies findet man in ihrer literarischen Collage “Rosa Straußenfedern" mit Textfragmenten, die die letzten fünfzig Jahre dokumentieren, erklärt die Rezensentin. Dabei fügt sie aufbewahrte Zettelchen, Gehörtes oder eigene Erinnerungen zusammen und erzeugt damit doch den speziellen lakonisch-sachlichen Ton, den schon ihre Reportagen auszeichnen, so Kijowska, die dieses Buch “gern gelesen" hat, wie sie betont.
© Perlentaucher Medien GmbH
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