Die Fotoarbeiten von Rosemarie Zens, Grenzgängerin zwischen Fotografie und Literatur, sind Zeugnisse über die zur Legende gewordene Route 66 und das damit verbundene kollektive Erinnern an ein Lebensgefühl der 60er-Jahre. Vor u¨ber 40 Jahren ist sie selbst dem Ruf von Freiheit 'on the road' gefolgt und erlebt in der Wiederholung dieser Reise im Jahr 2010 die Wandlung dieser Straße zu einer Art Museum. Aus einer Mixtur von privaten Erinnerungen und dem Spiel mit gesellschaftlichen Ideologien und medialen Mythen entwickelt die Fotografin eine eigene Bildsprache. Dabei interessiert sie vor allem, wie die Mythen der Straße in ein Verhältnis gebracht werden können - vom Bild zum Abbild zum Bild - zu einer leicht absurd-surrealen und kontemplativen Sichtweise.'Von Anfang an diese Frage: ist es möglich, einen Mythos zu unterlaufen, ohne ihn ironisch zu brechen, ihn zu modifizieren durch eigene Einlassungen? Dieser Mythos - längst Bestandteil unseres kollektiven Gedächtnisses - bewahrt im Unterbewusstsein die Bilder von John Steinbecks sozialkritischem Roman Fru¨chte des Zorns (1939), verwoben zum all-American going on the road - there's always something to find that is better, there is something new down the road, around the bend.'
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 14.03.2013Mit sechsundsechzig Jahren
Manchmal braucht es einen Grund für eine Reise, einen Anstoß, einen ganz kleinen nur, wie damals, als Rosemarie Zens zum ersten Mal die Route 66 abfuhr, damals: im Jahr 1966. Das war als Idee fast zu naheliegend. Aber es war ja auch die Zeit. Die Umbruchzeit der Aufbruchstimmung, geprägt von dem unbedingten Glauben, wie Rosemarie Zens nun schreibt, dass alles möglich sei. "Die individualisierten Formen von Protest, Widerstand und Emanzipation." Ihr Reisetagebuch, in das sie derlei Gedanken und Vokabeln notierte, hat sie noch immer - und während sie darin blättert und liest und über die Texte von Country-Stücken und Rocksongs schaut, die sie damals an den Rand gekritzelt hat, diese Programme der "politischen, sexuellen und spirituellen Befreiung", wie sie es nennt, kommt ihr eine neue Idee, für ein Experiment, "durch Erinnern/Wiederholen/Reisen anzuknüpfen an das Lebensgefühl der 1960er Jahre". Sie wird noch einmal fahren. Noch einmal Amerika durchqueren auf dieser mythenträchtigsten aller Straßen. Und unterwegs wird sie Geburtstag feiern. Ihren sechsundsechzigsten. Zahlenspiele sind wunderbar. Und als Argument bisweilen unschlagbar.
Rosemarie Zens ist Lyrikerin. "Als gingen wir vorüber", heißt einer ihrer Bände mit Gedichten. Und nun, da Rosemarie Zens auch fotografiert hat, fast nur fotografiert hat für ihren Bildband "Journeying 66", und viel zu wenig geschrieben, da wäre das auch ein schöner Titel für die Bilderfolgen gewesen, denn darum geht es - ums Vorübergehen. Und eben nicht ums Vorbeifahren, auch wenn dann und wann der Rahmen der Fahrertür oder die Reflexion im Seitenspiegel zu sehen sind. Oder wenn sie vom Flow spricht, während der Fahrt, dem Rausch, der Entgrenzung. "Die Straße", schreibt sie, "das bin ich." Das klingt schon fast nach Walt Whitman.
Rosemarie Zens blickt nicht nostalgisch auf die Motels und Läden und Tankstellen entlang der Landstraße, nicht verklärt auf chromblitzende Sportwagen und Motorräder. Was sie zeigt, sind Orte, in denen die Zeit sich nicht mehr bewegt. Der Mobilitätsgedanke, das Heilsversprechen Amerikas, schimmert vor allem durch die Abwesenheit von Menschen durch ihre Motive. Hier die staubtrockene Wüste, da die Schlucht des Grand Canyon und dort eine verbrannte Bude am Straßenrand - Ruine seit immer. "Save Main Street" steht auf der Wand eines heruntergekommenen Theaters im Nirgendwo - und: "If we build it, they will come." Aber jene, die kommen, gehen doch wieder nur vorüber. (F.L.)
"Journeying 66" von Rosemarie Zens. Mit einem Nachwort von Wolfgang Zurborn. Kehrer Verlag, Heidelberg 2012. 96 Seiten, 43 Farbfotografien. Gebunden, 35 Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Manchmal braucht es einen Grund für eine Reise, einen Anstoß, einen ganz kleinen nur, wie damals, als Rosemarie Zens zum ersten Mal die Route 66 abfuhr, damals: im Jahr 1966. Das war als Idee fast zu naheliegend. Aber es war ja auch die Zeit. Die Umbruchzeit der Aufbruchstimmung, geprägt von dem unbedingten Glauben, wie Rosemarie Zens nun schreibt, dass alles möglich sei. "Die individualisierten Formen von Protest, Widerstand und Emanzipation." Ihr Reisetagebuch, in das sie derlei Gedanken und Vokabeln notierte, hat sie noch immer - und während sie darin blättert und liest und über die Texte von Country-Stücken und Rocksongs schaut, die sie damals an den Rand gekritzelt hat, diese Programme der "politischen, sexuellen und spirituellen Befreiung", wie sie es nennt, kommt ihr eine neue Idee, für ein Experiment, "durch Erinnern/Wiederholen/Reisen anzuknüpfen an das Lebensgefühl der 1960er Jahre". Sie wird noch einmal fahren. Noch einmal Amerika durchqueren auf dieser mythenträchtigsten aller Straßen. Und unterwegs wird sie Geburtstag feiern. Ihren sechsundsechzigsten. Zahlenspiele sind wunderbar. Und als Argument bisweilen unschlagbar.
Rosemarie Zens ist Lyrikerin. "Als gingen wir vorüber", heißt einer ihrer Bände mit Gedichten. Und nun, da Rosemarie Zens auch fotografiert hat, fast nur fotografiert hat für ihren Bildband "Journeying 66", und viel zu wenig geschrieben, da wäre das auch ein schöner Titel für die Bilderfolgen gewesen, denn darum geht es - ums Vorübergehen. Und eben nicht ums Vorbeifahren, auch wenn dann und wann der Rahmen der Fahrertür oder die Reflexion im Seitenspiegel zu sehen sind. Oder wenn sie vom Flow spricht, während der Fahrt, dem Rausch, der Entgrenzung. "Die Straße", schreibt sie, "das bin ich." Das klingt schon fast nach Walt Whitman.
Rosemarie Zens blickt nicht nostalgisch auf die Motels und Läden und Tankstellen entlang der Landstraße, nicht verklärt auf chromblitzende Sportwagen und Motorräder. Was sie zeigt, sind Orte, in denen die Zeit sich nicht mehr bewegt. Der Mobilitätsgedanke, das Heilsversprechen Amerikas, schimmert vor allem durch die Abwesenheit von Menschen durch ihre Motive. Hier die staubtrockene Wüste, da die Schlucht des Grand Canyon und dort eine verbrannte Bude am Straßenrand - Ruine seit immer. "Save Main Street" steht auf der Wand eines heruntergekommenen Theaters im Nirgendwo - und: "If we build it, they will come." Aber jene, die kommen, gehen doch wieder nur vorüber. (F.L.)
"Journeying 66" von Rosemarie Zens. Mit einem Nachwort von Wolfgang Zurborn. Kehrer Verlag, Heidelberg 2012. 96 Seiten, 43 Farbfotografien. Gebunden, 35 Euro.
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