»Rosemarie. Des deutschen Wunders liebstes Kind« erzählt von der berühmtesten Edelprostituierten der Bundesrepublik: Rosemarie Nitribitt. Mit ihrem teuren Cabrio war sie in der Wirtschaftsmetropole Frankfurt stadtbekannt. Für ein Mädchen, das mehrfach aus Erziehungsheimen ausgerissen war, hatte sie es zu einem erstaunlichen Vermögen gebracht. Ihre Ermordung im Herbst 1957 sorgte für einen Skandal: Wusste sie zu viel? War es einer ihrer Kunden aus den Kreisen der Bosse und Banker? Bis heute ist ihr Mörder nicht gefasst, und die Pannen bei den Ermittlungen bis hin zum zeitweiligen Verschwinden der Prozessakten befeuerten die Gerüchte darüber, was ihr zum Verhängnis wurde. Es sind diese Atmosphäre und dieser Zeitgeist, die Erich Kuby in seinem Roman einfängt. Seine temporeich erzählte Geschichte der Nitribitt, die auf seiner Mitwirkung am Drehbuch zu dem Film »Das Mädchen Rosemarie« (1958) aufbaut (und dem zahlreiche weitere Adaptionen folgten), wird zum fesselnden Porträt der Doppelmoral der damaligen Gesellschaft. Die Neuausgabe enthält einen Essay von Jürgen Kaube.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 09.08.2020Nichts Besseres denn fröhlich sein
Im Herbst 1957 wird die Edelprostituierte Rosemarie Nitribitt in ihrer Frankfurter Wohnung ermordet. Ein Buch von Erich Kuby über die Tote steht 63 Jahre später im Mittelpunkt des Festivals "Frankfurt liest ein Buch".
Von Ralf Euler
In den Grabstein auf dem Düsseldorfer Nordfriedhof ist ein Predigerwort aus dem Alten Testament gemeißelt. "Nichts Besseres darin ist, denn fröhlich sein und gütlich tun im Leben", heißt es dort. Hier ist Rosemarie Nitribitt beerdigt, vor 63 Jahren in Frankfurt ermordet, Symbol und Mahnbild der frühen deutschen Nachkriegsgeschichte und des Wirtschaftswunders. Wer sie im Oktober 1957, im Alter von nur 24 Jahren, umbrachte, konnte nie ermittelt werden.
Ihr Tod war einer der ersten großen Gesellschaftsskandale der jungen Bundesrepublik, nicht zuletzt weil die Frankfurter Edelprostituierte einflussreiche Männer aus Politik, Wirtschaft und Finanzwelt zu ihren Kunden zählte. Die genauen Umstände und Hintergründe des Verbrechens sind, ebenso wie die Identität des Täters, bis heute ungeklärt. Der Mordfall inspirierte bereits im Jahr 1958 den "Stern"-Journalisten Erich Kuby, die Geschichte des "Mädchens Rosemarie", wie die Verfilmung noch im selben Jahr betitelt war, so zu erzählen, wie er sie sich vorstellte: eine ehrgeizige, skrupellose junge Frau aus schwierigen Verhältnissen mit großen Plänen, die Opfer eines von ihr selbst initiierten Spiels mit einem der Mächtigen der frühen Bundesrepublik wird. So könnte es gewesen sein.
Kubys Porträt einer von Doppelmoral geprägten Gesellschaft liegt jetzt, ergänzt um einen Essay von F.A.Z.-Herausgeber Jürgen Kaube, in einer Neuausgabe vor (Erich Kuby: "Rosemarie", Verlag Schöffling & Co., 22 Euro). Der Roman, der 1958 mit dem Untertitel "Des deutschen Wunders liebstes Kind" erschienen war, steht im Mittelpunkt des Lesefestivals "Frankfurt liest ein Buch" vom 24. Oktober bis 1. November, nach der Frankfurter Buchmesse. Den ursprünglich geplanten Termin vom 27. April bis 10. Mai hatten die Veranstalter wegen der Corona-Pandemie abgesagt.
Maria Rosalia Auguste Nitribitt, genannt Rosemarie, wird am 1. Februar 1933 als uneheliches Kind einer Minderjährigen in Düsseldorf geboren. Den unbekannten Vater lernt sie nie kennen, zusammen mit ihren beiden jüngeren Halbschwestern wächst sie in ärmlichen Verhältnissen auf. Bereits 1936 entzieht das Jugendamt der überforderten und mehrfach straffällig gewordenen Mutter das Sorgerecht, zwei Jahre später wird Rosemarie in ein Kinderheim eingewiesen. Während des Krieges lebt sie in einer Pflegefamilie in der Eifel, wird 1944, im Alter von elf Jahren von einem achtzehnjährigen Nachbarsjungen vergewaltigt.
Nach dem Krieg beginnt die junge Frau, als Prostituierte zu arbeiten, zu ihren ersten Kunden zählen amerikanische und französische Soldaten. Mehrfach wird sie von der Polizei aufgegriffen, kommt in Heime, Besserungsanstalten und in Jugendhaft. Im April 1953 zieht sie nach Frankfurt, um sich dort im Rotlichtmilieu zu etablieren. Schnell steigt sie in der Hierarchie der Prostituierten auf. Die Freigiebigkeit reicher Freier ermöglicht ihr einen gehobenen Lebensstil, sie kann sich ein Auto kaufen, wird in den Urlaub ans Mittelmeer eingeladen und bekommt Kontakt zu Rechtsanwälten, Ärzten, Politikern und Unternehmern. Die Industriellensöhne Harald Quandt und Gunter Sachs sollen ebenso zu ihren Kunden gehört haben wie Harald von Bohlen und Halbach aus der Krupp-Dynastie.
Rosemarie Nitribitt ist keine Schönheit, aber sie wirkt auf Männer, und sie weiß diese Wirkung für sich zu nutzen. 1956 erlauben ihr die Einnahmen aus der Prostitution die Anschaffung eines offenen schwarzen Mercedes 190 SL, mit roten Ledersitzen und Weißwandreifen, bar bezahlt, der zu ihrem Markenzeichen wird. Nitribitt kann zwar kaum richtig schreiben, nimmt aber Benimmunterricht, lernt Englisch und Französisch, sie kleidet sich schick, firmiert als Mannequin, bezieht eine Neubauwohnung am Eschenheimer Turm in Frankfurt und schafft sich einen Pudel an. Als "die Nitribitt" wird sie zur bekanntesten Prostituierten der Stadt - eine Mischung aus Domina und liebenswertem Mädchen.
Am 1. November 1957 finden Polizisten die berühmte Halbweltdame tot in ihrem Zweizimmer-Apartment. Die Leiche liegt auf dem Boden mit blutverschmiertem Gesicht. Bis zuletzt muss sie sich gewehrt haben, ein Schlag oder Sturz auf den Hinterkopf macht sie wehrlos, dann erdrosselt sie ihr Mörder, legt aber, wie als eine letzte hilfreiche Geste, ein gefaltetes Handtuch unter den Kopf der Toten. "Blonde Rosemarie, Stadtbekannte Frau in Frankfurt erwürgt", titelt die "Frankfurter Nachtausgabe".
Bei den Mordermittlungen gibt es zahlreiche Pannen. Schon der Todeszeitpunkt lässt sich nicht mehr genau klären, weil die Ermittler wegen des Gestanks der schon seit Tagen in der geheizten Wohnung liegenden Leiche die Fenster aufreißen. Ein Bekannter Nitribitts, ein homosexueller Handelsvertreter, wird als Täter verhaftet und vor Gericht gestellt. Er soll die Frau im Streit um Geld getötet haben. Doch am Ende kommt der Mann aus Mangel an Beweisen frei. Zeugen geben an, die Nitribitt noch gesehen zu haben, als sie nach Ansicht der Ermittler bereits tot war. Eine Blamage für Polizei und Staatsanwaltschaft.
Die kaum erklärbare Pannenserie lässt den Verdacht aufkommen, einflussreiche Kreise aus Wirtschaft und Politik hätten interveniert; möglicherweise sei gar einer der prominenten Liebhaber Nitribitts selbst gewalttätig geworden. Kuby entschärft diesen Verdacht in seinem Buch, indem er die Ehefrau eines Industriellen sagen lässt: "Ich kann nicht sagen, was es da zu erpressen gab. Wir wissen doch alle, wie unsere Männer herumschlafen."
Möglicherweise ist Rosemarie Nitribitt gar nicht einem ihrer Freier, sondern einem Raubmörder zum Opfer gefallen. Die Prostituierte, die sich ihre Dienste teuer bezahlen ließ, war fleißig und sparsam. Bei ihrem Tod soll sie in ihrer Wohnung mehrere tausend Mark aufbewahrt haben, weitere 90 000 Mark fanden sich auf ihrem Konto. Ihr Apartment an der Frankfurter Stiftstraße entpuppt sich auf Fotos aus dem Privatbesitz der Prostituierten als Inbegriff der Spießigkeit, mit Blümchenkissen und Pudel auf dem Sofa, die Verkörperung des prüden Deutschlands der fünfziger Jahre. Erich Kuby schreibt nach dem Mord in Frankfurt in der "Süddeutschen Zeitung": "In der Tat würde dieser Sprengstoff mit dem Vornamen Rosemarie einen ansehnlichen Teil der westdeutschen Gesellschaft in die Luft sprengen, wenn es außer einer wirtschaftlichen Krise etwas gäbe, was diese Gesellschaft wirklich berühren könnte."
Aus der Sicht Kubys ist die Nitribitt die "Verkörperung eines gesellschaftlichen Zustandes", dem der fünfziger Jahre. Dass es eine Hure nicht nur zu Wohlstand bringen, sondern auch Kontakte zu gesellschaftlich hochrangigen Kreisen haben konnte, ist damals für viele unvorstellbar. Noch zum zehnten Todestag Nitribitts schreibt die "Frankfurter Neue Presse": "Die große Sünderin hat grässlich gebüßt."
Mit seinem Buch über Aufstieg und Fall der Nitribitt zielte Kuby auf "eine Erschütterung des Ansehens, welches die Rosemarie-Kunden als Leitbilder unserer Gesellschaft skandalöserweise genießen". Der Fall Nitribitt steht für den deutschen Wiederaufstieg nach dem Ende der Nazi-Diktatur, für eine Gesellschaft, die frei von Verantwortung für die Verbrechen der Jahre 1933 bis 1945 sein wollte, für Prüderie und Doppelmoral, für den Einfluss des Kapitals und der Männer, aber auch für ein neues Selbstbewusstsein der Frauen. Und genau wegen dieser Ambivalenz und Vielschichtigkeit ist Kubys Roman auch mehr als 60 Jahre seit seinem Erscheinen noch lesenswert.
"Ihre Leben war banal", schrieb die Frankfurter Allgemeine Zeitung zehn Jahre nach Nitribitts Tod. "Sie war schwach, begabt, krank und nicht einmal besonders attraktiv. Wohl war sie geschäftstüchtig und leistete sich einen Sportwagen - aber ist das in diesem Gewerbe so außergewöhnlich?" Trotzdem wurde sie zur Legende. Der Tod hat Rosemarie Nitribitt unsterblich gemacht. Ihre sterblichen Überreste wurden am 11. November 1957 auf dem Nordfriedhof ihrer Geburtsstadt Düsseldorf beerdigt. Erst im Dezember 2007 gab die Frankfurter Staatsanwaltschaft den Schädel der Toten frei. Der war bis dahin im Frankfurter Kriminalmuseum aufbewahrt und, wegen der gut sichtbaren schweren Schädelverletzungen, als Anschauungsobjekt für den Kripo-Nachwuchs genutzt worden. Wenige Wochen später wurde der Kopf im Düsseldorfer Grab beigesetzt. Die Akte Nitribitt ruht im hessischen Hauptstaatsarchiv in Wiesbaden.
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Im Herbst 1957 wird die Edelprostituierte Rosemarie Nitribitt in ihrer Frankfurter Wohnung ermordet. Ein Buch von Erich Kuby über die Tote steht 63 Jahre später im Mittelpunkt des Festivals "Frankfurt liest ein Buch".
Von Ralf Euler
In den Grabstein auf dem Düsseldorfer Nordfriedhof ist ein Predigerwort aus dem Alten Testament gemeißelt. "Nichts Besseres darin ist, denn fröhlich sein und gütlich tun im Leben", heißt es dort. Hier ist Rosemarie Nitribitt beerdigt, vor 63 Jahren in Frankfurt ermordet, Symbol und Mahnbild der frühen deutschen Nachkriegsgeschichte und des Wirtschaftswunders. Wer sie im Oktober 1957, im Alter von nur 24 Jahren, umbrachte, konnte nie ermittelt werden.
Ihr Tod war einer der ersten großen Gesellschaftsskandale der jungen Bundesrepublik, nicht zuletzt weil die Frankfurter Edelprostituierte einflussreiche Männer aus Politik, Wirtschaft und Finanzwelt zu ihren Kunden zählte. Die genauen Umstände und Hintergründe des Verbrechens sind, ebenso wie die Identität des Täters, bis heute ungeklärt. Der Mordfall inspirierte bereits im Jahr 1958 den "Stern"-Journalisten Erich Kuby, die Geschichte des "Mädchens Rosemarie", wie die Verfilmung noch im selben Jahr betitelt war, so zu erzählen, wie er sie sich vorstellte: eine ehrgeizige, skrupellose junge Frau aus schwierigen Verhältnissen mit großen Plänen, die Opfer eines von ihr selbst initiierten Spiels mit einem der Mächtigen der frühen Bundesrepublik wird. So könnte es gewesen sein.
Kubys Porträt einer von Doppelmoral geprägten Gesellschaft liegt jetzt, ergänzt um einen Essay von F.A.Z.-Herausgeber Jürgen Kaube, in einer Neuausgabe vor (Erich Kuby: "Rosemarie", Verlag Schöffling & Co., 22 Euro). Der Roman, der 1958 mit dem Untertitel "Des deutschen Wunders liebstes Kind" erschienen war, steht im Mittelpunkt des Lesefestivals "Frankfurt liest ein Buch" vom 24. Oktober bis 1. November, nach der Frankfurter Buchmesse. Den ursprünglich geplanten Termin vom 27. April bis 10. Mai hatten die Veranstalter wegen der Corona-Pandemie abgesagt.
Maria Rosalia Auguste Nitribitt, genannt Rosemarie, wird am 1. Februar 1933 als uneheliches Kind einer Minderjährigen in Düsseldorf geboren. Den unbekannten Vater lernt sie nie kennen, zusammen mit ihren beiden jüngeren Halbschwestern wächst sie in ärmlichen Verhältnissen auf. Bereits 1936 entzieht das Jugendamt der überforderten und mehrfach straffällig gewordenen Mutter das Sorgerecht, zwei Jahre später wird Rosemarie in ein Kinderheim eingewiesen. Während des Krieges lebt sie in einer Pflegefamilie in der Eifel, wird 1944, im Alter von elf Jahren von einem achtzehnjährigen Nachbarsjungen vergewaltigt.
Nach dem Krieg beginnt die junge Frau, als Prostituierte zu arbeiten, zu ihren ersten Kunden zählen amerikanische und französische Soldaten. Mehrfach wird sie von der Polizei aufgegriffen, kommt in Heime, Besserungsanstalten und in Jugendhaft. Im April 1953 zieht sie nach Frankfurt, um sich dort im Rotlichtmilieu zu etablieren. Schnell steigt sie in der Hierarchie der Prostituierten auf. Die Freigiebigkeit reicher Freier ermöglicht ihr einen gehobenen Lebensstil, sie kann sich ein Auto kaufen, wird in den Urlaub ans Mittelmeer eingeladen und bekommt Kontakt zu Rechtsanwälten, Ärzten, Politikern und Unternehmern. Die Industriellensöhne Harald Quandt und Gunter Sachs sollen ebenso zu ihren Kunden gehört haben wie Harald von Bohlen und Halbach aus der Krupp-Dynastie.
Rosemarie Nitribitt ist keine Schönheit, aber sie wirkt auf Männer, und sie weiß diese Wirkung für sich zu nutzen. 1956 erlauben ihr die Einnahmen aus der Prostitution die Anschaffung eines offenen schwarzen Mercedes 190 SL, mit roten Ledersitzen und Weißwandreifen, bar bezahlt, der zu ihrem Markenzeichen wird. Nitribitt kann zwar kaum richtig schreiben, nimmt aber Benimmunterricht, lernt Englisch und Französisch, sie kleidet sich schick, firmiert als Mannequin, bezieht eine Neubauwohnung am Eschenheimer Turm in Frankfurt und schafft sich einen Pudel an. Als "die Nitribitt" wird sie zur bekanntesten Prostituierten der Stadt - eine Mischung aus Domina und liebenswertem Mädchen.
Am 1. November 1957 finden Polizisten die berühmte Halbweltdame tot in ihrem Zweizimmer-Apartment. Die Leiche liegt auf dem Boden mit blutverschmiertem Gesicht. Bis zuletzt muss sie sich gewehrt haben, ein Schlag oder Sturz auf den Hinterkopf macht sie wehrlos, dann erdrosselt sie ihr Mörder, legt aber, wie als eine letzte hilfreiche Geste, ein gefaltetes Handtuch unter den Kopf der Toten. "Blonde Rosemarie, Stadtbekannte Frau in Frankfurt erwürgt", titelt die "Frankfurter Nachtausgabe".
Bei den Mordermittlungen gibt es zahlreiche Pannen. Schon der Todeszeitpunkt lässt sich nicht mehr genau klären, weil die Ermittler wegen des Gestanks der schon seit Tagen in der geheizten Wohnung liegenden Leiche die Fenster aufreißen. Ein Bekannter Nitribitts, ein homosexueller Handelsvertreter, wird als Täter verhaftet und vor Gericht gestellt. Er soll die Frau im Streit um Geld getötet haben. Doch am Ende kommt der Mann aus Mangel an Beweisen frei. Zeugen geben an, die Nitribitt noch gesehen zu haben, als sie nach Ansicht der Ermittler bereits tot war. Eine Blamage für Polizei und Staatsanwaltschaft.
Die kaum erklärbare Pannenserie lässt den Verdacht aufkommen, einflussreiche Kreise aus Wirtschaft und Politik hätten interveniert; möglicherweise sei gar einer der prominenten Liebhaber Nitribitts selbst gewalttätig geworden. Kuby entschärft diesen Verdacht in seinem Buch, indem er die Ehefrau eines Industriellen sagen lässt: "Ich kann nicht sagen, was es da zu erpressen gab. Wir wissen doch alle, wie unsere Männer herumschlafen."
Möglicherweise ist Rosemarie Nitribitt gar nicht einem ihrer Freier, sondern einem Raubmörder zum Opfer gefallen. Die Prostituierte, die sich ihre Dienste teuer bezahlen ließ, war fleißig und sparsam. Bei ihrem Tod soll sie in ihrer Wohnung mehrere tausend Mark aufbewahrt haben, weitere 90 000 Mark fanden sich auf ihrem Konto. Ihr Apartment an der Frankfurter Stiftstraße entpuppt sich auf Fotos aus dem Privatbesitz der Prostituierten als Inbegriff der Spießigkeit, mit Blümchenkissen und Pudel auf dem Sofa, die Verkörperung des prüden Deutschlands der fünfziger Jahre. Erich Kuby schreibt nach dem Mord in Frankfurt in der "Süddeutschen Zeitung": "In der Tat würde dieser Sprengstoff mit dem Vornamen Rosemarie einen ansehnlichen Teil der westdeutschen Gesellschaft in die Luft sprengen, wenn es außer einer wirtschaftlichen Krise etwas gäbe, was diese Gesellschaft wirklich berühren könnte."
Aus der Sicht Kubys ist die Nitribitt die "Verkörperung eines gesellschaftlichen Zustandes", dem der fünfziger Jahre. Dass es eine Hure nicht nur zu Wohlstand bringen, sondern auch Kontakte zu gesellschaftlich hochrangigen Kreisen haben konnte, ist damals für viele unvorstellbar. Noch zum zehnten Todestag Nitribitts schreibt die "Frankfurter Neue Presse": "Die große Sünderin hat grässlich gebüßt."
Mit seinem Buch über Aufstieg und Fall der Nitribitt zielte Kuby auf "eine Erschütterung des Ansehens, welches die Rosemarie-Kunden als Leitbilder unserer Gesellschaft skandalöserweise genießen". Der Fall Nitribitt steht für den deutschen Wiederaufstieg nach dem Ende der Nazi-Diktatur, für eine Gesellschaft, die frei von Verantwortung für die Verbrechen der Jahre 1933 bis 1945 sein wollte, für Prüderie und Doppelmoral, für den Einfluss des Kapitals und der Männer, aber auch für ein neues Selbstbewusstsein der Frauen. Und genau wegen dieser Ambivalenz und Vielschichtigkeit ist Kubys Roman auch mehr als 60 Jahre seit seinem Erscheinen noch lesenswert.
"Ihre Leben war banal", schrieb die Frankfurter Allgemeine Zeitung zehn Jahre nach Nitribitts Tod. "Sie war schwach, begabt, krank und nicht einmal besonders attraktiv. Wohl war sie geschäftstüchtig und leistete sich einen Sportwagen - aber ist das in diesem Gewerbe so außergewöhnlich?" Trotzdem wurde sie zur Legende. Der Tod hat Rosemarie Nitribitt unsterblich gemacht. Ihre sterblichen Überreste wurden am 11. November 1957 auf dem Nordfriedhof ihrer Geburtsstadt Düsseldorf beerdigt. Erst im Dezember 2007 gab die Frankfurter Staatsanwaltschaft den Schädel der Toten frei. Der war bis dahin im Frankfurter Kriminalmuseum aufbewahrt und, wegen der gut sichtbaren schweren Schädelverletzungen, als Anschauungsobjekt für den Kripo-Nachwuchs genutzt worden. Wenige Wochen später wurde der Kopf im Düsseldorfer Grab beigesetzt. Die Akte Nitribitt ruht im hessischen Hauptstaatsarchiv in Wiesbaden.
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»Ein überraschend zeitloses Lesevergnügen.«Kristina Maidt-Zinke, Süddeutsche Zeitung»Kuby schillert vor Originalität und Genauigkeit.«Jamal Tuschick, Der Freitag»Kuby zeichnet seine Figur Rosemarie als Spiegelbild des deutschen Wirtschaftswunders schlechthin.«Reinhard Kalb, Nürnberger Zeitung