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Gudrun Ensslin und Andreas Baader in einer Geschichte, die jeder zu kennen glaubt: Es geht um zwei Menschen, wie sie gegensätzlicher nicht sein könnten, um Kampf, Flucht und Liebe. Oder ist alles ganz anders gewesen? Leander Scholz erfindet die Geschichte der beiden neu und erzählt eine Liebesgeschichte, wo eigentlich eine politische Geschichte erwartet wird. "In der Deutschen Oper wurde Mozart gegeben. Eine Kamera fuhr durch die Menge der schreienden Studenten. Sie hoben die Fäuste und skandierten Parolen in den lauen Frühsommer des Jahres 1967." Andreas Baader, der junge Mann mit der…mehr

Produktbeschreibung
Gudrun Ensslin und Andreas Baader in einer Geschichte, die jeder zu kennen glaubt: Es geht um zwei Menschen, wie sie gegensätzlicher nicht sein könnten, um Kampf, Flucht und Liebe. Oder ist alles ganz anders gewesen? Leander Scholz erfindet die Geschichte der beiden neu und erzählt eine Liebesgeschichte, wo eigentlich eine politische Geschichte erwartet wird.
"In der Deutschen Oper wurde Mozart gegeben. Eine Kamera fuhr durch die Menge der schreienden Studenten. Sie hoben die Fäuste und skandierten Parolen in den lauen Frühsommer des Jahres 1967." Andreas Baader, der junge Mann mit der Schmalfilmkamera, wartet auf brauchbare Bilder. Tomaten und Farbeier fliegen. Dann der Aufmarsch der Polizei. Schüsse fallen: Tödlich getroffen sinkt Benno Ohnesorg zu Boden. Mitten in diesem Chaos zwischen Wasserwerfern und Sprechchören, Gummiknüppeln und Pflastersteinen begegnet Baader Gudrun Ensslin, der behüteten Tochter aus einer protestantischen Pfarrersfamilie. Eine Liebesgeschichte beginnt...
Autorenporträt
Leander Scholz, 1969 in Aachen geboren, lebt in Bonn. Er studierte Philosophie in Bonn und Paris.
Rezensionen
"Es geht Scholz nicht darum, die Taten des Terroristenpärchens zu rechtfertigen. 'Ich wollte sie einfach in die Privatheit holen', sagt er, 'ich wollte ein Märchen zu Ende erzählen und mit der Sehnsucht abschließen, mit der wir uns als Jugendliche selbst betrogen haben.' So schöne Früchte wie sein Roman trägt der Selbstbetrug nur selten." Nina Freydag im 'Kultur-Spiegel'

'Rosenfest' ist "ein Ereignis. Denn anders als die gleichaltrigen Kollegen, die im wunschlosen Glück ihrer eigenen Lebensgeschichte rühren und in den Federmäppchen mit den Geha- und Pelikanfüllern kramen, hat Scholz einen Plan. Er bezweifelt, dass alles, was besteht, wert ist, dass es so weitergeht. Er ist von der konsumversessenen Gegenwart enttäuscht, das Paradies nach vorn scheint ihm verschlossen. Also steigt er hinab ins Totenreich, in die Vergangenheit, zu den unerbittlichen Neinsagern und Verweigerungshelden der RAF, die der Zufriedenheitskultur von heute zumindest literarisch, zumindest in diesem Roman, die infantile Affirmation austreiben sollen." Iris Radisch in der 'Zeit'

"In seinem ersten Roman gelingt Leander Scholz eine packende, mitreißende Zusammenführung von authentischen Geschehnissen und Zitaten, realen Personen und fiktiven Handlungsabläufen." Buchkultur

"Leander Scholz ist Jahrgang 1969. Als die Polizei, 1967, während der Schah-Demonstrationen in Berlin, den Studenten Benno Ohnesorg erschoss, als Andreas Baader sich als Frankfurter Kaufhaus-Brandstifter erstmals einen Namen machte [...], war er noch gar nicht auf der Welt; und er war noch ein Kind, als der Versuch einer Stadtguerilla à la Baader-Meinhof endgültig scheiterte. Was interessiert Scholz an diesem Stoff? Der linke Umsturz-Traum? Das Pathos des gewaltsamen Protests? Die Romantik des politischen Untergrund-Kampfes? [...] Nichts von alledem. Scholz will 'ein Märchen zu Ende erzählen'. Nur das. [...] Die RAF-Geschichte als privates Liebesmärchen zu erzählen, bedeutet zunächst eine Menge Verluste. Eigentlich wird damit auf alles verzichtet, was diesen Stoff auszeichnet - auf die Generationsgeschichte, die Zeithistorie am Kipp-Punkt zwischen Studentenrevolte und Terrorismus, die öffentlichen Schaltungen zwischen Staat und Gewalt [...]" Sigrid Löffler in 'Literaturen'…mehr

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 16.02.2001

Die Ballade von Gudrun und Andreas
Zwischen Angestrengtheit und Trivialität: Leander Scholz’ Terroristen-Roman über Ensslin/Baader
Berlin 1967. Der Schah und seine Klatschspaltengöttin bringen Glanz in die Stadt. Die Polizei drischt unterdessen auf protestierende Bürger ein, weil sich das nach dem allgemein verbreiteten Staatsverständnis so gehört. Am 2. Juni wird von einem Polizisten der Student Benno Ohnesorg erschossen – und das angeschlagene Vertrauen der Jugend ins Land ihrer Väter war auf Jahre hin ruiniert. Und konnte man da nicht auch schon Andreas Baader und Gudrun Ensslin, von Greiftrupps gejagt, durch die Straßen hetzen sehen? Hand in Hand bei ihrem ersten Abenteuer, schon durch Eros und Revolte füreinander bestimmt?
Genau genommen nicht. Aber die erzählerische Freiheit macht es möglich. Leander Scholz springt in seinem ersten Roman „Rosenfest” gleich mitten hinein in eine Schlüsselszene der Zeitenwende. Dass er damit zugleich in eine schäumende Debatte geraten würde, war bei der Niederschrift kaum zu ahnen, dürfte aber der Reklame günstig sein. Eine andere Frage ist, ob der Roman sich im Kontext der plötzlich aufgefrischten Erinnerungen wird behaupten können.
Denn Scholz hat sich auf vermintes Gelände begeben, wie jeder, der einen hochbrisanten Stoff aus jüngerer Vergangenheit aufgreift. Gudrun Ensslin und Andreas Baader sind seine Protagonisten. Diese verteufelten oder idealisierten Legendenfiguren will er wieder herausholen aus der Sphäre von politischem Kampf, Terror und Isolationshaft, wo mit ihnen selbst auch ihr öffentliches Bild zur beklemmenden Grimasse erstarrte. Er will sie mit fiktionaler Imagination zurückholen in die Sphäre des Menschlichen, der Jugend mit fliegenden Haaren, der Berührungen, der Gefühle. Ensslin und Baader sind hier durchweg Gudrun und Andreas. Außerdem treten noch ein paar weitere Kampfgefährten auf, Peggy, Georg, Peter; sie weisen Züge von Astrid und Thorwald Proll sowie des Verfassungsschutzagenten Peter Urbach auf. Auch sie bekommen ein Stückchen Privatleben zurück. Hier eine kleine Bumserei im Grünen, dort Eifersucht und Männerkonkurrenz; man vernimmt Beziehungsgeflüster, aus dem am Ende revolutionäre Kader hervorgehen. Passend zu dieser Fokussierung ist der Rahmen von Zeit und Handlung ausgemessen. Das reicht von der Begegnung des Heldenpaares 1967 in Berlin bis zu ihren kurz aufeinander folgenden Verhaftungen im Sommer 1972.
Die wesentlichen Stationen der Handlung sind: die Berliner Anti-Schah-Demo, deren Beschreibung zu den gelungeneren Teilen des Romans gehört; die Frankfurter Kaufhausbrandstiftung, welche Scholz als Abrechnung mit einer ganzen monsterzeugenden „Epoche der bundesdeutschen Schlafzimmergeschichte” interpretiert; Flucht nach Paris zur Stippvisite im 68er Mai, in dem die Phantasie an die Macht gebracht werden sollte, was die Roman-Gudrun zu einer einzigen, dafür tiefgründigen Bemerkung veranlasst: „Sieh mal, so sind die Menschen. Um sie herum bricht die Welt auseinander, und sie diskutieren. ” Ansonsten werden Tauben beobachtet und spaßige Fotos im Café geschossen. Dann Flucht nach Italien, Ferienstimmung, Sonne auf der Haut, Liebesbekenntnisse und eine von Andreas gekillte Spinne, die Unglück verheißt, was mehrmals erwähnt wird. Zwischendrin gibt es unverhofft immer wieder Rückblenden auf Andreas’ traumatisierende Strichererfahrungen, damit begreiflich wird, warum der Mann so seltsam ist.
Von Italien geht es dann mit echter Gewaltbereitschaft zurück nach Deutschland. Obwohl Gudrun noch an der Paaridentität arbeiten will, drängt Andreas zu Knarre und Sprengstoff. Das Wort soll Tat und Körper werden, die jungen Körper verwandeln sich in Waffen gegen das System. Bei Springer explodieren Bomben. Verhaftung. Der Roman schließt mit Gudruns Worten: „Vielen Dank. ” Leander Scholz wagt eigenwillige Sehweisen. Trotzdem bleibt das Gesamtbild blass.
Direkt oder indirekt hat die RAF-Thematik schon in etlichen Romanen Niederschlag gefunden: unter anderem bei F. C. Delius, Christian Geissler, Peter-Jürgen Boock und Rainald Goetz. Bei keinem dieser Bücher musste man allerdings rätseln, wo die Absichten der Autoren lagen. Bei Scholz dagegen bleiben etliche Fragen offen. Denn seine durchaus erkennbare Absicht, den Figuren erzählerisch auf den Leib zu rücken, will nicht überzeugend gelingen.
Fehlende Inspiration
In einer Nachbemerkung betont der Autor: „Dieser Text ist ein fiktionaler, auch wenn seine Protagonisten reale Personen waren. ” Tatsächlich liegen die Dinge etwas anders. Der Text lebt von seinen Realitätsverweisen (Baader, Ensslin und etliche Handlungsdetails), auch wenn er zugleich die Freiheit der Fiktion in Anspruch nimmt. 1969 geboren, zeigt Scholz einen postmodern gelockerten Umgang mit Stoff und Material. Doch dummerweise entfalten die Tatsachenzitate, was bei diesem Sujet nicht verwundern kann, eine wesentlich größere evokatorische Kraft als jede Erfindung. Scholz’ fiktionale Gegengeschichte kann den immer durchscheinenden realen Vorbildern wenig entgegensetzen. Sie bietet zwar manche Einfälle und Spekulationen auf, entfaltet aber keine eigene Stringenz. Und für die wirklich starke Geschichte einer Liebe, die unter Polizeischlagstöcken beginnt und einem revolutionären Wahn geopfert wird, fehlen die Inspirationen und Einsichten, obwohl der Autor ganz ungeniert den unbegrenzten Ein- und Überblick des allwissenden Erzählers markiert.
Bei einem Genreroman, einem Politthriller wäre das akzeptabel, doch hier geht es um einen subtileren Ansatz. Streckenweise verschmelzen sogar Erzähler- und Figurenperspektive in der erlebten Rede. Mit zuweilen rätselhaften Ergebnissen. Was soll es wohl bedeuten, wenn dabei – und nicht etwa zitathaft – die berühmte „Leberwurst-Taktik” des Berliner Polizeichefs in den Gedankenfluss von Andreas Baader gerät?
Scholz’ Versuch, all seine Interpretationen und Spekulationen in der Figurendarstellung unterzubringen, führt zu plakativ überladenen Künstlichkeiten wie im folgenden Fall: Gudrun und Andreas lesen sich im italienischen Ferienhaus aus den Zeitungen vor: Sturm auf Springer, Mord an Che Guevara, die angeblichen Taten der Baader-Bande usw. Andreas lässt Zeitungsblätter auf Gudrun „rieseln”. Diese fühlt sich wie Schneewittchen im Sarg aus Nachrichten, das „wachgeküßt” werden will. Dann, nachdem sich der Buchstabenwald mit seinem kriegerischen Vokabular verdüstert und verdichtet hat, können Hänsel und Gretel – das waren in der RAF die Tarnnamen der beiden – nur noch durch lautes Rufen zueinander finden. So drängeln sich Schneewittchen, Dornröschen, Hänsel und Gretel auf nur vier Seiten und darin eingepackt eine These: dass diese ungebärdigen Kinder, die sich von einem Märchen ins andere phantasierten, hauptsächlich von den Medien in die böse Geschichte des Terrors hineingepresst wurden. Aparte Idee, nicht völlig daneben und medientheoretisch fast chic. So ehrgeizig geht es in den dichtesten Passagen des Romans zu.
Trotzdem kann das narrative Spielmaterial der komplexen Realgeschichte nicht die Balance halten. Und auch sprachlich gibt es jede Menge Pappmaché: „,Hier bin ich, mein lieber Hänsel!‘ Gudrun streckt ihre Arme mit geöffneten Händen durch den Papierwust. Andreas lässt sich zu ihr hinunter und sucht nach ihrem Gesicht. ” Wer solch beladene Figuren schafft, gerät in die Klemme zwischen Angestrengtheit und Trivialität.
Oft sind es bloße Tricks anstatt literarischer Technik, welche den Roman voranbringen. Wenn etwa die Kulissen der Handlung mit Versatzstücken von unbestimmter Funktion ausgeschmückt werden, Reiseführerinformationen oder breit ausgewalzten Alltäglichkeiten. Den Zeitgeist, der ein methodisch unbeschwertes Erzählen favorisiert, mag das wenig stören. Doch unverkennbar bleibt diese narrative Konstruktion zu schwach für das, was sie alles zu tragen hat: die historischen Fakten, das heutige Interesse daran, die Konstruktion einer anderen, fiktiven Sicht und nicht zuletzt deren Begründung.
In der Frankfurter Rundschau hat der Autor kürzlich verraten, worüber der Roman keine rechte Klarheit schaffen kann: seine Intentionen. „Dieses auf die einsamen Helden zentrierte Geschichtsbild”, „das Epos der 68er”, sei in den achtziger Jahren dominant gewesen – für ihn und seine Generation. Daraus und im Rückblick aufs eigene Geburtsjahr sei die Idee des Romans entstanden. Das aber heißt nichts anderes, als dass Scholz den falschen Roman geschrieben hat. Denn das „Rosenfest” thematisiert ja nicht all diese hochinteressanten Beziehungen, Bedeutungen und Überlegungen. Stattdessen läuft ein narratives Illusionstheater ab, das Wissen vorspiegelt, wo man nichts weiß, und Fakten durch Veränderung entwertet, die andernfalls erhellend sein könnten. Ein so großer Erzähler ist Leander Scholz aber noch nicht, als dass er diese doppelte Ungenauigkeit in literarisches Gold verwandeln könnte.
EBERHARD FALCKE
LEANDER SCHOLZ: Rosenfest. Roman. Carl Hanser Verlag, München, Wien 2001. 247 Seiten, 35 Mark.
So sind die Menschen: Um sie herum bricht die Welt auseinander, und sie lieben sich. Gudrun Ensslin und Andreas Baader während des Brandstifter-Prozesses 1968 in Frankfurt am Main
Foto: AP
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 13.02.2001

Terror und Stil
Wir basteln eine RAF: "Rosenfest" von Leander Scholz

Jedermann darf sich von der Geschichte seine eigenen Vorstellungen machen. Vor allem von den Schriftstellern fordern wir, daß sie die beschatteten oder scheinbar gut konturierten Stellen der Geschehnisse, die sich im Diskurs des Konsenses finden, aufhellen, oder daß sie die Schatten vertiefen: Daß sie eine "Gegengeschichte" erzählen, gehört zu ihrem Beruf. Und auch Leander Scholz macht sich eine Vorstellung von der Geschichte der "Roten Armee Fraktion". Vermag sie den Leser zu überzeugen? Die Namen Andreas Baader und Gudrun Ensslin geben seinem Roman das Gerüst. Er beginnt am 2. Juni 1967 mit der Erschießung des Studenten Benno Ohnesorg während einer Demonstration gegen den Schah von Persien, er endet mit der Festnahme von Gudrun Ensslin in einer Hamburger Boutique. Die Daten der Geschichte aber werden neu gemischt, die Wirklichkeit wird zum Spielmaterial der Fiktion: Aha, die Postmoderne.

Leander Scholz verfertigt sich eine eigene Chronologie. Im Roman lernen sich Baader und Ensslin am Abend des 2. Juni kennen, auf der hektischen, chaotischen Flucht vor der Polizei. "Baader" schreibt danach ein Flugblatt, das den Brand eines Brüsseler Kaufhauses feiert: "Burn, warehouse, burn" - tatsächlich wurde es von der "Kommune I" verfaßt (und der Literaturwissenschaftler Peter Szondi schrieb für den Prozeß, der folgte, ein entlastendes Gutachten). Danach fährt die kleine Gruppe um Baader und Ensslin nach Frankfurt und besucht einen SDS-Kongreß. Am Abend deponiert Baader einen Brandsatz im Kaufhaus Schneider, die unwissende Gudrun Ensslin wird - anders als in der Wirklichkeit - erst in letzter Minute zur Mittäterin. Aber diese fiktive Rollenverteilung zwischen dem "bösen" Baader und der "guten", engagierten Pastorentochter hat mit einer Gegengeschichte nichts zu tun. Im Gegenteil: Diese Vorstellung entspricht aufs Haar der öffentlichen Meinung von 1970.

Der dritte Name, der der Wirklichkeit entnommen wird, ist der des legendären, 1970 bei einem Autounfall verunglückten Frankfurter Studentenführers Hans Jürgen Krahl. Im Roman wird am Morgen nach dem Brandanschlag bereits mit Fotos nach Baader und Ensslin gefahndet, die in Krahls Wagen nach Frankreich fliehen. Tatsächlich waren Baader, Ensslin und ihre Mitverschworenen am nächsten Tag verhaftet worden; ein Kleinkrimineller, damals in der Szene unter dem Namen "Biber" bekannt, hatte in einer Wohngemeinschaft ihre Gespräche mitgehört und seine Erkenntnisse an die Polizei gemeldet.

Zu den abstrusen Theorien, die die Protagonisten von Scholz ventilieren, gehört der Verdacht, Krahl habe ihnen nicht nur geholfen, sondern auch die Polizei informiert. Weiter in der Roman-Chronologie: Baader und Ensslin werden in Paris Zeugen der Revolte und hören vom Dutschke-Attentat in Berlin: Der Mai liegt hier deutlich vor Ostern. Dann flieht das Paar samt Peggy nach Italien, nachdem Peggys lascher und auch als Liebhaber untauglicher Bruder Georg noch angeregt hatte, sich den deutschen Behörden zu stellen. Aus Italien kehrt die Gruppe nach Deutschland zurück, mit dem Sprengstoff, den ein V-Agent der Polizei liefert - Baader schlägt ihn später in einer Kneipe zusammen -, wird der Springer-Verlag in Hamburg angegriffen. Blutiges Show-down, Gudrun Ensslin wird verhaftet. In Wahrheit lagen zwischen der Frankfurter Brandstiftung und den Verhaftungen vier Jahre. Darf ein Schriftsteller sie ausblenden? Was gewinnt und was verliert er, wenn er es tut?

Drei der Frankfurter Brandstifter standen am Rand der Kunst: Horst Söhnlein war Schauspieler, Thorwald Proll schrieb Gedichte, Baader kam aus der Schwabinger Boheme. Mag sein, daß der Brand ein Kunstwerk sein sollte: Nero trifft Fluxus. Scholz sieht den Anschlag, der der Bettenabteilung des Kaufhauses galt, als Angriff auf die Ordnung der Nachkriegsfamilie - kein schlechter Gedanke, aber leider auch der einzige. Die Flucht nach Frankreich fand gut eineinhalb Jahre später statt, als im Roman fingiert wird. Und vor allem: Die "Rote Armee Fraktion" gibt es bei Scholz eigentlich nicht. Keine Baader-Befreiung in Berlin Anfang 1970, bei der ein Institutsangestellter angeschossen wurde. Keine Ausbildung in Jordanien. Keine Banküberfälle - von denen heißt es hier, sie seien von dunklen Kräften der Gruppe "in die Schuhe geschoben" worden. Und auch die Toten der Frankfurter und Heidelberger Attentate im Frühjahr 1972 sind für Scholz kein Thema.

Die Gegengeschichten der Literatur haben ihren guten Sinn, wenn sie gegenüber dem Geltenden eine komplexere Version erzählen. Leander Scholz indes, der die Ereignisse beschleunigt und zusammenzieht, vereinfacht sie auch, er bringt die Geschichte um ihre Schärfe, am Ende um ihre Tragik. Warum? 1969 war das Jahr der Entscheidung. Aus der Gruppe der Kaufhausbrandstifter ging im Spätsommer 1969, nachdem die Haftverschonung für die Täter aufgehoben worden war, die Keimzelle der RAF hervor. Leander Scholz wurde 1969 geboren. Das Buch endet mit der Verhaftung Gudrun Ensslins, die tatsächlich in das Jahr 1972 fiel. Damals war sie zweiunddreißig Jahre alt. Zweiunddreißig Jahre alt ist Leander Scholz heute. Was er in Wahrheit erzählt, ist die Geschichte vom Ende einer Jugend. Aus den Spielen des Verführers Baader - hier gelingen Scholz einige gute Vignetten - wird plötzlich Ernst. Immer wieder stößt man auf Passagen, in denen die Protagonisten über eine Existenz nach der Leichtigkeit der ersten drei Lebensjahrzehnte reflektieren.

Es gehört zum angeborenen Narzißmus der Schriftsteller, die Konstellation zu analysieren, unter der sie ins Leben getreten sind. Scholz ist da keine Ausnahme. Nicht dies ist Gegenstand der Kritik - nur die banale Erzählung, die den Gedankenspielen mit der Gewalt hier zuteil wird. Krahl, dessen Reden die Sprache von Hölderlin mit der von Marx und Lenin kurzschlossen, spricht bei Scholz mit "dünner" und "flacher" Stimme einen hanebüchenen Unsinn zusammen, mit dem er damals das Podium nicht lange gehalten hätte: "Es geht um den Hitler in uns. Geschichte kann man erzählen. Geschichte ist das, was gemacht, was erst im Rückblick zur Prophezeihung wird. Aber jeder von uns hat John F. Kennedy erschossen, hat Benno Ohnesorg auf dem Asphalt niedergestreckt. Jeder von uns." Ferne sei uns die nachträgliche Heldenverehrung. Aber jeder Seminarmarxismus von '68 ist spannender als die Besinnungsprosa, die Scholz sich hier zurechtgelegt hat.

Und auch wenn es keiner mehr glaubt: Die Wendung "Sinn machen" ist kein Ausdruck der Studentenrevolte. Was also erzählt Scholz? Die Geschichte eines klaustrophobischen Paar- und Jugendautismus, in dem sich "Baader" und "Ensslin" verfangen. Sein Buch kreuzt die Geschichte der RAF mit der Erinnerung an die zeitgenössischen Filme, in denen das fliehende Gangsterpärchen im Zentrum stand: Belmondo und Jean Seberg, Faye Dunaway und Warren Beatty: Radical Chic. Die Geschichte wird in einen zeitlich und menschlich engen Kreis hineingezwängt. "Ängsten sie mein Herz nicht; die engsten Zimmer sind die schlimmsten." Das Motto, das dem Roman vorangestellt ist, stammt aus dem "Neuen Abc- und Lesebuch" von Karl Philipp Moritz. Es trifft das Buch von Leander Scholz ziemlich genau.

LORENZ JÄGER

Leander Scholz: "Rosenfest". Roman. Carl Hanser Verlag, München 2001. 246 S., geb., 35,- DM.

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