Als der bayerische Märchenkönig Ludwig II. durch den Arzt Franz Carl Müller zufällig von dem delikaten Fall des Anastasius Rosenstengel erfährt, lässt ihn dessen eigentümliches Schicksal nicht mehr los. Er drängt den Mediziner, ihn in seine Recherchen einzuweihen, die Unglaubliches zutage fördern: Rosenstengel zog als Prophet umher, kämpfte als Musketier im Spanischen Erbfolgekrieg und heiratete mit kirchlichem Segen, um schließlich der Maskerade überführt zu werden - einer Maskerade, die alle Grenzen überschreitet. Denn Rosenstengel war in Wahrheit ein Weibsbild mit Namen Catharina Linck. Nachdem man auch noch eine »lederne Wurst« in ihrer Hose entdeckte, mit der sie die Ehe vollzogen und »unterschiedliche Wittwen caressiret« hatte, führte man sie 1721 dem Henker vor. Jedes Detail, das sich der faszinierte Monarch während nächtlicher Schlittenfahrten, in der Venusgrotte von Schloss Linderhof oder im tropischen Wintergarten der Münchner Residenz berichten lässt, bringt den jungenArzt und den einsamen König einander näher, bald geraten beide in einen Strudel tiefer Verwirrung: Wo verläuft die Grenze zwischen wissenschaftlicher Leidenschaft und verbotenem Begehren, Täuschung und Wahrheit, Perversion und Normalität, Mann und Weib, König und Untertan?Die emotionale Verunsicherung steigert sich im Angesicht höfischer Intrigen zur ernsthaften Gefahr, und Müller steht vor der Entscheidung, den König entmündigen zu lassen - oder ihn vor den Verschwörern zu retten.Mal zärtlich, mal deftig entwirft Angela Steidele einen atemberaubenden historischen Briefroman über Trug, Wahn, Leidenschaft und Irrsinn. Und über die Frage, wie viel Liebe das Leben und wie viele Leben die Liebe fassen kann.
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Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 03.12.2015Glühendes Leben
Angela Steidele erzählt in ihrem preisgekrönten Roman „Rosenstengel“
von Ludwig II. und einem Transsexuellen des frühen 18. Jahrhunderts
VON FRAUKE MEYER-GOSAU
Da hat sich aber jemand viel vorgenommen: nicht eine zentrale Geschichte zu erzählen, sondern in ein und demselben Roman gleich zwei, die zudem gut anderthalb Jahrhunderte auseinanderliegen. Und zu den darin aufgefächerten Intrigen in Politik, Kirche und Psychiatrie und zur Geschichte der frühen Sexualmedizin samt dem schäumenden Frauenhass ihrer Protagonisten endlich noch eine dritte über zwei religiös spintisierende Radikal-Pietistinnen zu stellen, die sich an Vorstellungen vom mann-weiblichen Wesen der Frau erhitzen. Dies alles in Form eines vielstimmigen Briefromans, der sich die Schriftsprache sowohl des frühen 18. als auch des späten 19. Jahrhunderts zu eigen machen muss.
Am Ende von Angela Steideles Roman „Rosenstengel“, der gerade mit dem Bayerischen Buchpreis ausgezeichnet wurde, kennen wir die letzten Lebensjahre Ludwigs II., und alle, die darin eine wesentliche Rolle spielten, stehen uns vor Augen: zweifelhafte Freunde, grausame Ärzte und machtgierige Politiker. Und die Geschichte der Transsexuellen Catharina Linck im frühen 18. Jahrhundert kennen wir auch, die zum Gegenstand von Berichten und ideologischen Kämpfen zumeist religiöser Eiferer wurde. Die Frau, die seit ihrem 15. Lebensjahr möglichst Männerkleider trug, nannte sich in ihrer männlichen Existenz Anastasius Rosenstengel, kämpfte als Musketier im Krieg und scheint ein Frauenheld und Herzensbrecher gewesen zu sein. Dreimal wurde er getauft (erst protestantisch, dann katholisch, dann wieder protestantisch), gleich zweimal heiratete er Susanna Elisabeth Mühlhahn (einmal nach protestantischem, einmal nach katholischem Ritus), zweimal wurde er zum Tode verurteilt. Gewaltsam gingen beide Leben zu Ende: Catharina Linck wurde 1721 hingerichtet. Der verschwendungssüchtige Ludwig, von seinem Onkel entmachtet, ertrank am 13. Juni 1886 im Starnberger See. Mord oder Selbstmord? Angela Steidele entwirft auch darauf gleich zwei mögliche Antworten, das letzte Wort hat hier „Sisi“, Kaiserin von Österreich und Ludwigs engste Freundin.
Viel historische Gelehrsamkeit ist nötig, um die Geschichten vom Leben und Ableben eines einstigen Waisenkinds und eines bayerischen Königs von allen Seiten zu beleuchten – die Bibliografie der wissenschaftlichen Quellen im Anhang des Buches ist eindrucksvoll. Und doch fragt man sich, je länger man liest, weshalb die Verschränkung dieser grundverschiedenen Biografien überhaupt sein musste. Wäre nicht eine von ihnen allein bewegend genug gewesen? Im Roman selbst findet sich ein Hinweis, den Angela Steidele dem Juristen und Aufklärer Christian Thomasius in einen Brief hineingeschrieben hat: „Anastasius Rosenstengel tauget (. . .) allenfalls zur Heldin eines noch zu schreibenden Romans, in welchem allerley Schertze verstecket, welche jedoch auch unentdecket vorübergehen mögen, ohne daß der Lehr sonderlich ein Abbruch damit geschähe.“
Ein Lehrstück also ist des Rätsels Lösung. Wohl, damit nicht der Eindruck entsteht, bei Rosenstengel handle es sich um einen historischen Sonderfall, wird sein Schicksal verzahnt mit der Geschichte des Märchenkönigs, ihr gemeinsamer Fixpunkt ist die Sexualität: Ist Rosenstengel ein Transsexueller des frühen 18., so Ludwig ein Schwuler des späten 19. Jahrhunderts. Beide erleiden Ausgrenzung und Gewalt seitens ihrer Zeitgenossen.
Mit einem Kunstgriff verdrahtet Steidele ihre beiden Lehr-Beispiele durch den jungen Nervenarzt Franz-Carl Müller, der (abweichend von der realen Geschichte) zum Geliebten des Bayernkönigs wird, während er sich mittels der historischen Briefe in die wissenschaftliche Erforschung des Falles Rosenstengel vertieft. Ludwig selbst formuliert derweil das Schreib-Ideal für Steideles Roman: „Mit Bewunderung hat es mich stets erfüllt, wie jener begnadete Schriftsteller“ – gemeint ist (kleiner anachronistischer Scherz!) Wolfgang Hildesheimer mit seiner fiktiven Biografie „Marbot“– „aus oft so spröder, todter Materie einen wahren, lebenglühenden Menschen gestaltet, wie er den kargen Stoff, ohne ihn in seinem historischen Bestand zu verletzen, durch selbstschaffende Kraft bereichert und poetisch verklärt. So muß man es machen!“
Hat Angela Steidele es selbst auch so gemacht? Dramaturgisch triftig zeigt sie im Wechsel der Briefstimmen, wie sich die Schlinge des religiösen, wissenschaftlichen und politischen Zugriffs um die Hälse von Rosenstengel und Ludwig zusammenzieht, durch „selbstschaffende Kraft“ hat sie reale Handlungen und Lebensweisen ihrer Protagonisten ihren Erzählabsichten angepasst, und ein einigermaßen „lebenglühender Mensch“ ist dabei in Gestalt der witzig-realistischen Kaiserin Elisabeth auch herausgekommen.
Und doch möchte man irgendwann rufen: Wir haben verstanden! Der Mensch an sich ist ein ziemlich fieses Tier (außer Sisi)! Vorsicht vor Wissenschaftlern! Politiker sind Schweine (außer Bismarck)! Kirchenleuten ist nicht zu trauen! Denn alle zusammen jagen, verfolgen und entrechten die Homosexuellen, ganz gleich, ob Mann oder Frau, egal, in welchem Jahrhundert! – Es ist nicht nur die Überfülle an Text und Material, es ist ein sich allmählich steigernder agitatorischer Impetus, der diesem Roman die Lebenskraft nimmt.
Zweifelhafte Freunde, grausame
Ärzte umgeben den König
Ludwig II. in Gestalt von O. W. Fischer umarmt seinen Bruder Prinz Otto von Bayern, dargestellt von Klaus Kinski im Film „Glanz und Ende eines Königs“ von Helmut Käutner aus dem Jahr 1954.
Foto: picture alliance
Angela Steidele: Rosenstengel. Ein Manuskript
aus dem Umfeld Ludwigs II. Matthes & Seitz Verlag, Berlin 2015. 383 Seiten,
28 Euro. E-Book 24,99 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Angela Steidele erzählt in ihrem preisgekrönten Roman „Rosenstengel“
von Ludwig II. und einem Transsexuellen des frühen 18. Jahrhunderts
VON FRAUKE MEYER-GOSAU
Da hat sich aber jemand viel vorgenommen: nicht eine zentrale Geschichte zu erzählen, sondern in ein und demselben Roman gleich zwei, die zudem gut anderthalb Jahrhunderte auseinanderliegen. Und zu den darin aufgefächerten Intrigen in Politik, Kirche und Psychiatrie und zur Geschichte der frühen Sexualmedizin samt dem schäumenden Frauenhass ihrer Protagonisten endlich noch eine dritte über zwei religiös spintisierende Radikal-Pietistinnen zu stellen, die sich an Vorstellungen vom mann-weiblichen Wesen der Frau erhitzen. Dies alles in Form eines vielstimmigen Briefromans, der sich die Schriftsprache sowohl des frühen 18. als auch des späten 19. Jahrhunderts zu eigen machen muss.
Am Ende von Angela Steideles Roman „Rosenstengel“, der gerade mit dem Bayerischen Buchpreis ausgezeichnet wurde, kennen wir die letzten Lebensjahre Ludwigs II., und alle, die darin eine wesentliche Rolle spielten, stehen uns vor Augen: zweifelhafte Freunde, grausame Ärzte und machtgierige Politiker. Und die Geschichte der Transsexuellen Catharina Linck im frühen 18. Jahrhundert kennen wir auch, die zum Gegenstand von Berichten und ideologischen Kämpfen zumeist religiöser Eiferer wurde. Die Frau, die seit ihrem 15. Lebensjahr möglichst Männerkleider trug, nannte sich in ihrer männlichen Existenz Anastasius Rosenstengel, kämpfte als Musketier im Krieg und scheint ein Frauenheld und Herzensbrecher gewesen zu sein. Dreimal wurde er getauft (erst protestantisch, dann katholisch, dann wieder protestantisch), gleich zweimal heiratete er Susanna Elisabeth Mühlhahn (einmal nach protestantischem, einmal nach katholischem Ritus), zweimal wurde er zum Tode verurteilt. Gewaltsam gingen beide Leben zu Ende: Catharina Linck wurde 1721 hingerichtet. Der verschwendungssüchtige Ludwig, von seinem Onkel entmachtet, ertrank am 13. Juni 1886 im Starnberger See. Mord oder Selbstmord? Angela Steidele entwirft auch darauf gleich zwei mögliche Antworten, das letzte Wort hat hier „Sisi“, Kaiserin von Österreich und Ludwigs engste Freundin.
Viel historische Gelehrsamkeit ist nötig, um die Geschichten vom Leben und Ableben eines einstigen Waisenkinds und eines bayerischen Königs von allen Seiten zu beleuchten – die Bibliografie der wissenschaftlichen Quellen im Anhang des Buches ist eindrucksvoll. Und doch fragt man sich, je länger man liest, weshalb die Verschränkung dieser grundverschiedenen Biografien überhaupt sein musste. Wäre nicht eine von ihnen allein bewegend genug gewesen? Im Roman selbst findet sich ein Hinweis, den Angela Steidele dem Juristen und Aufklärer Christian Thomasius in einen Brief hineingeschrieben hat: „Anastasius Rosenstengel tauget (. . .) allenfalls zur Heldin eines noch zu schreibenden Romans, in welchem allerley Schertze verstecket, welche jedoch auch unentdecket vorübergehen mögen, ohne daß der Lehr sonderlich ein Abbruch damit geschähe.“
Ein Lehrstück also ist des Rätsels Lösung. Wohl, damit nicht der Eindruck entsteht, bei Rosenstengel handle es sich um einen historischen Sonderfall, wird sein Schicksal verzahnt mit der Geschichte des Märchenkönigs, ihr gemeinsamer Fixpunkt ist die Sexualität: Ist Rosenstengel ein Transsexueller des frühen 18., so Ludwig ein Schwuler des späten 19. Jahrhunderts. Beide erleiden Ausgrenzung und Gewalt seitens ihrer Zeitgenossen.
Mit einem Kunstgriff verdrahtet Steidele ihre beiden Lehr-Beispiele durch den jungen Nervenarzt Franz-Carl Müller, der (abweichend von der realen Geschichte) zum Geliebten des Bayernkönigs wird, während er sich mittels der historischen Briefe in die wissenschaftliche Erforschung des Falles Rosenstengel vertieft. Ludwig selbst formuliert derweil das Schreib-Ideal für Steideles Roman: „Mit Bewunderung hat es mich stets erfüllt, wie jener begnadete Schriftsteller“ – gemeint ist (kleiner anachronistischer Scherz!) Wolfgang Hildesheimer mit seiner fiktiven Biografie „Marbot“– „aus oft so spröder, todter Materie einen wahren, lebenglühenden Menschen gestaltet, wie er den kargen Stoff, ohne ihn in seinem historischen Bestand zu verletzen, durch selbstschaffende Kraft bereichert und poetisch verklärt. So muß man es machen!“
Hat Angela Steidele es selbst auch so gemacht? Dramaturgisch triftig zeigt sie im Wechsel der Briefstimmen, wie sich die Schlinge des religiösen, wissenschaftlichen und politischen Zugriffs um die Hälse von Rosenstengel und Ludwig zusammenzieht, durch „selbstschaffende Kraft“ hat sie reale Handlungen und Lebensweisen ihrer Protagonisten ihren Erzählabsichten angepasst, und ein einigermaßen „lebenglühender Mensch“ ist dabei in Gestalt der witzig-realistischen Kaiserin Elisabeth auch herausgekommen.
Und doch möchte man irgendwann rufen: Wir haben verstanden! Der Mensch an sich ist ein ziemlich fieses Tier (außer Sisi)! Vorsicht vor Wissenschaftlern! Politiker sind Schweine (außer Bismarck)! Kirchenleuten ist nicht zu trauen! Denn alle zusammen jagen, verfolgen und entrechten die Homosexuellen, ganz gleich, ob Mann oder Frau, egal, in welchem Jahrhundert! – Es ist nicht nur die Überfülle an Text und Material, es ist ein sich allmählich steigernder agitatorischer Impetus, der diesem Roman die Lebenskraft nimmt.
Zweifelhafte Freunde, grausame
Ärzte umgeben den König
Ludwig II. in Gestalt von O. W. Fischer umarmt seinen Bruder Prinz Otto von Bayern, dargestellt von Klaus Kinski im Film „Glanz und Ende eines Königs“ von Helmut Käutner aus dem Jahr 1954.
Foto: picture alliance
Angela Steidele: Rosenstengel. Ein Manuskript
aus dem Umfeld Ludwigs II. Matthes & Seitz Verlag, Berlin 2015. 383 Seiten,
28 Euro. E-Book 24,99 Euro.
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Rezensentin Frauke Meyer-Gosau ist nicht so recht überzeugt von Angela Steideles preisgekröntem Roman "Rosenstengel". Zu viel steckt die Autorin nach Ansicht der Rezensentin in ihren Briefroman, der nicht nur von der Homosexualität des Märchenkönigs Ludwig II. und dem Schicksal der Transsexuellen Catharina Linck im 18. Jahrhundert erzählt, sondern neben allerhand Intrigen in Politik, Kirche und Psychiatrie auch noch die Geschichte der frühen Sexualmedizin unterbringt. Und wenn in dem in der Schriftsprache des 18. und 19. Jahrhunderts erzählten Roman dann auch noch Kaiserin Sissi und spintisierende Radikal-Pietistinnen auftauchen, wird der Rezensentin schließlich ganz schwindelig. Zwar bewundert Meyer-Gosau die mit zahlreichen Quellen im Anhang des Buches belegte historische Gelehrsamkeit der Autorin. Und auch die Verzahnung der verschiedenen Schicksale findet sie durchaus "kunstvoll". Steideles agitatorischer Drang macht die Lektüre schließlich aber doch ziemlich mühsam, meint die Rezensentin.
© Perlentaucher Medien GmbH
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"Zwei Lebens-Schicksale aus zwei Jahrhunderten werden, kunstvoll auf der Folie zweifelsfrei hoher historischer Gelehrsamkeit verbunden und durch ihre 'conträren' Sexualdispositionen verknüpft. Der zweifarbige Druck lässt den Leser beide tragischen 'Geschichten' mühelos unterscheiden. Weder Irrenärzte (insbesonderheit Dr. von Gudden) noch Regierende, Kirchenvertreter oder Pietisten rund um August Hermann Francke kommen bei Steidele gut weg. - Für Leser mit langem Atem und Sinn für verschlüsselte historische (Halb-)Wahrheiten ein Vergnügen.« - Hans Gärtner, Bayern im Buch, Mai 2016 Hans Gärtner Bayern im Buch 20160501