Produktdetails
- Verlag: Rowohlt, Berlin
- Seitenzahl: 254
- Abmessung: 215mm
- Gewicht: 339g
- ISBN-13: 9783871344015
- ISBN-10: 387134401X
- Artikelnr.: 24169343
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 17.10.2000Hannibal überquert den Kaukasus
Wilhelm Dichter erzählt eine jüdische Jugend im Warschau der Nachkriegszeit / Von Felicitas von Lovenberg
Die Kommunisten haben immer recht, sagt Herr Rosenthal, denn sie lassen sich vom Verstand leiten, nicht von Gefühlen. Aus diesem Grund wissen sie immer genau, was richtig war, richtig ist und richtig sein wird. Diktatur und Gewalt sind vorübergehende Erscheinungen, sagt Herr Rosenthal, auf längere Sicht ohne Bedeutung. Der Junge Wilhelm, den seine Freunde und Familie "Wilek" nennen, ist sich nicht sicher, ob Herr Rosenthal mit seiner Auslegung der Geschichte und der menschlichen Natur recht hat. Aber er widerspricht ihm nicht, sondern schluckt seine Zweifel hinunter: Wer überlebt hat, sollte nicht zu viele Fragen stellen.
Auch Herr Rosenthal und seine deutsche Frau haben den Krieg überlebt, ebenso wie die anderen polnischen Juden, die in Warschau den Freundeskreis von Wileks Eltern ausmachen. Doch viele, viele andere sind umgekommen - erst Wileks Großmutter, dann sein Vater, frühere Schulkameraden sind spurlos verschwunden, selbst vertraute Gesichter in der Menge gibt es nicht mehr. Sie alle haben Lücken in Wileks Leben hinterlassen, die Phantomschmerzen wie nach einer Amputation verursachen. Das Nachkriegspolen ist getränkt mit Ideologien, die Wilek gierig aufsaugt, weil sie ihm die Verluste zu erklären scheinen.
Solange es für alles Erklärungen gibt, kann man alles verstehen, denkt Wilek - und damit auch lernen, sich anzupassen. Der dialektische Materialismus beispielsweise erklärt die Geschichte mit unerhörter Leichtigkeit; wie ein Dietrich paßt er in jede Epoche. Und tatsächlich, so lehrt ihn Herr Rosenthal, die Welt strotzt nur so vor Erklärungen, politischen zumal: Die Astrophysik erklärt das Sonnensystem, die Genetik den Menschen. Über allem jedoch schwebt die Revolution als höchstes Gesetz. Aufmerksam lauscht der Junge Herrn Rosenthals Losungen von der Diktatur des Proletariats. Der überzeugte Komintern-Stalinist wird zu seinem Mentor, der ihm die Klassiker zu lesen gibt und klare Antworten auf die meisten seiner Fragen bereithält. Schließlich begreift Wilek, "hätten die Bolschewiki Europa erobert, hätte es keinen Hitler gegeben". Und dann wäre seine Familie noch am Leben.
"Rosenthals Vermächtnis" ist die eigenständige Fortsetzung von Wilhelm Dichters autobiographischem Romandebüt "Das Pferd Gottes", das 1998 bei uns erschien. Erst spät begann Dichter, seine Kindheitserinnerungen aufzuschreiben. 1935 im galizischen Boryslaw geboren, das heute zur Ukraine gehört, überlebte das Kind Wilhelm die deutsche Besatzung zunächst unter einem Bett verborgen, dann in einem Karton auf dem Dachboden eines Bekannten, später in einem Brunnenversteck. Die auch nach dem Krieg nicht abreißenden antisemitischen Kampagnen in Polen veranlassen ihn schließlich zur Emigration. 1968 wandert er aus in die Vereinigten Staaten, wo er heute als Computerspezialist in der Nähe von Boston lebt. Dichter bleibt seinem in "Das Pferd Gottes" geprägten Erzählstil treu; auch in "Rosenthals Vermächtnis" verarbeitet er Erinnerungsfetzen, Traumfragmente und geschilderte Erlebnisse zu einer dichten Collage.
Der Krieg ist vorbei. Es gibt nicht mehr viele jüdische Kinder. Wilek kennt seinesgleichen eigentlich nur vom Sehen im Park oder aber von alten Fotografien. Zu Hause ist die Politik zwar Tagesthema, doch selten Streitpunkt zwischen der Mutter und Stiefvater Michal, einem Vizedirektor im Außenhandelsministerium, dessen Stellung der Familie ein Leben in bescheidenem Wohlstand erlaubt. Über die - durchaus vorhandenen - ideologischen Differenzen wird im Bekanntenkreis der Eltern kaum debattiert. Ob der Kommunismus Polens Zukunft sichern kann, bleibt dahingestellt. Doch daß Juden auch unter Kommunisten personae non gratae waren, wird nicht nur zwischen den Zeilen deutlich. Herr Rosenthal teilt die Skepsis der Mutter nicht, und so scheint es Wilek nur folgerichtig, ihm zuzuhören, um sich besser zurechtzufinden. Mit erhobenem Zeigefinger lehrt Rosenthal: "Verrat erwächst aus Irrtümern" - die Gegner der Diktatur des Proletariats seien dafür der beste Beweis. Plechanows "Persönlichkeit" gibt er ihm trotz ideologischer Vorbehalte zu lesen, auch Majakowskis "Wladimir Iljitsch Lenin", aus dem Wilek auswendig zu zitieren lernt. Kein Wunder, daß ihm Kameraden ideologische Reife bescheinigen.
Wie aber geht die ideologische Indoktrination zusammen mit dem, was anderswo gepredigt wird? Wilek ist fasziniert von der Lateinlehrerin, die sagt: "Jeder sollte das Recht auf ein Leben in Würde haben." Von ihr lernt er auch, daß der Mensch sich kaum verändert - warum sonst verstünde er heute Livius oder befaßte sich mit den Punischen Kriegen? Wenn sich der Mensch aber nicht verändert, wie kann dann der Sozialismus gelingen, der doch eine Umformung des Menschen in kurzer Zeit verlangt? Solche Fragen quälen Wilek ebenso wie die Bedeutung des ersten Newtonschen Axioms. Doch die stellt er Herrn Rosenthal lieber nicht - es gibt Antworten, die man nicht hören möchte. Wozu nach universaler Erkenntnis suchen, wenn eine der Antworten lautet: "Es gibt keine absolute Wahrheit und Moral. Jede Klasse besitzt ihre eigene."
Es ist nicht Dichters Sache, bei einzelnen Momenten der Erinnerung länger zu verweilen. Wie ein Lichtkegel über dunkles Terrain flackert seine Beschreibung, wie ein angerissenes Zündholz, das gleich darauf verlischt, erhellt es die Szenerie einen Augenblick lang, nur um das Dunkel gleich darauf noch schwärzer erscheinen zu lassen. Dabei geht Dichter nie sentimental oder melancholisch vor, im Gegenteil. Sein Tonfall ist so lakonisch, daß der Leser die großen und kleineren Katastrophen manchmal nur am Rande mitbekommt und sich erst einige Seiten später ihres Ausmaßes bewußt wird. Ganz behutsam bringt Dichter es dahin, daß sich aus den zahlreichen Szenen in der Schule und den Gesprächen daheim ein Bild zusammensetzt von einer polnischen Kindheit zwischen klassischer Bildung und politischer Ideologie. Mit der Wahl des erzählten Fragments löst sich der Autor von der klassischen Form der Autobiographie, obschon er offenkundig Erlebtes schildert, ohne etwas hinzuzuerfinden.
Wilek steht kurz vor der Matura, nachdem er von seiner alten Schule, wo die Mitschüler ihn als "russischen Lakai" und "Kommunisten" beschimpften, in eine konfessionslose, eben sozialistische Schule gebracht wurde. Doch die Reifeprüfung verlangt mehr als nur schulisches Können. Wilek, gerade sechzehn Jahre alt, ist kein kleiner Junge mehr, seine Wahrnehmung von keinerlei Infantilität getrübt. Dichter läßt seine ganz persönliche Welt von damals wiederauferstehen. Eine verwirrende Welt, in der man immer fürchten mußte, etwas zu verraten - sich selbst oder die politische Gesinnung.
Die Hoffnung stirbt immer zuletzt. Polen ist nicht Rußland. Hier vergessen die Jungen, "was Juden sind", prophezeit Michal. "Die Menschen ändern sich." Die Realität aber ist noch immer Diskriminierung. In der neuen Schule sieht Wilek sich verzweifelt nach seinesgleichen um. "Wenn mir einer ein Jude zu sein schien, ging ich auf ihn zu und stellte mich laut vor, wobei ich darauf wartete, daß er mich fragen würde, wo ich überlebt hatte. Nichts. Nicht das geringste Interesse." Und warum? "Die Schule ist ein Tropfen Sozialismus!"
Wer es eilig hat, wird Herrn Rosenthal nicht kennenlernen und Wileks Dilemma als Heranwachsender zwischen den ideologischen Stühlen nicht ermessen können. Er wird nur Schemen wahrnehmen, die undeutlich bleiben in den vielen kleinen Puzzleteilen, die Wilhelm Dichter so beiläufig erzählt, als habe er kein Buch schreiben wollen. Kurz vor Beginn der Maturaprüfungen stirbt Herr Rosenthal, und Wilek erwacht wie aus einem langen Traum. Die Reifeprüfung besteht er im doppelten Sinn: Er besteht die Matura und schlägt Rosenthals Vermächtnis, den Glauben an das realsozialistische Dogma, aus.
Wilhelm Dichter: "Rosenthals Vermächtnis". Roman. Aus dem Polnischen übersetzt von Martin Pollack. Rowohlt Berlin Verlag, Berlin 2000. 254 S., geb., 38,- DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Wilhelm Dichter erzählt eine jüdische Jugend im Warschau der Nachkriegszeit / Von Felicitas von Lovenberg
Die Kommunisten haben immer recht, sagt Herr Rosenthal, denn sie lassen sich vom Verstand leiten, nicht von Gefühlen. Aus diesem Grund wissen sie immer genau, was richtig war, richtig ist und richtig sein wird. Diktatur und Gewalt sind vorübergehende Erscheinungen, sagt Herr Rosenthal, auf längere Sicht ohne Bedeutung. Der Junge Wilhelm, den seine Freunde und Familie "Wilek" nennen, ist sich nicht sicher, ob Herr Rosenthal mit seiner Auslegung der Geschichte und der menschlichen Natur recht hat. Aber er widerspricht ihm nicht, sondern schluckt seine Zweifel hinunter: Wer überlebt hat, sollte nicht zu viele Fragen stellen.
Auch Herr Rosenthal und seine deutsche Frau haben den Krieg überlebt, ebenso wie die anderen polnischen Juden, die in Warschau den Freundeskreis von Wileks Eltern ausmachen. Doch viele, viele andere sind umgekommen - erst Wileks Großmutter, dann sein Vater, frühere Schulkameraden sind spurlos verschwunden, selbst vertraute Gesichter in der Menge gibt es nicht mehr. Sie alle haben Lücken in Wileks Leben hinterlassen, die Phantomschmerzen wie nach einer Amputation verursachen. Das Nachkriegspolen ist getränkt mit Ideologien, die Wilek gierig aufsaugt, weil sie ihm die Verluste zu erklären scheinen.
Solange es für alles Erklärungen gibt, kann man alles verstehen, denkt Wilek - und damit auch lernen, sich anzupassen. Der dialektische Materialismus beispielsweise erklärt die Geschichte mit unerhörter Leichtigkeit; wie ein Dietrich paßt er in jede Epoche. Und tatsächlich, so lehrt ihn Herr Rosenthal, die Welt strotzt nur so vor Erklärungen, politischen zumal: Die Astrophysik erklärt das Sonnensystem, die Genetik den Menschen. Über allem jedoch schwebt die Revolution als höchstes Gesetz. Aufmerksam lauscht der Junge Herrn Rosenthals Losungen von der Diktatur des Proletariats. Der überzeugte Komintern-Stalinist wird zu seinem Mentor, der ihm die Klassiker zu lesen gibt und klare Antworten auf die meisten seiner Fragen bereithält. Schließlich begreift Wilek, "hätten die Bolschewiki Europa erobert, hätte es keinen Hitler gegeben". Und dann wäre seine Familie noch am Leben.
"Rosenthals Vermächtnis" ist die eigenständige Fortsetzung von Wilhelm Dichters autobiographischem Romandebüt "Das Pferd Gottes", das 1998 bei uns erschien. Erst spät begann Dichter, seine Kindheitserinnerungen aufzuschreiben. 1935 im galizischen Boryslaw geboren, das heute zur Ukraine gehört, überlebte das Kind Wilhelm die deutsche Besatzung zunächst unter einem Bett verborgen, dann in einem Karton auf dem Dachboden eines Bekannten, später in einem Brunnenversteck. Die auch nach dem Krieg nicht abreißenden antisemitischen Kampagnen in Polen veranlassen ihn schließlich zur Emigration. 1968 wandert er aus in die Vereinigten Staaten, wo er heute als Computerspezialist in der Nähe von Boston lebt. Dichter bleibt seinem in "Das Pferd Gottes" geprägten Erzählstil treu; auch in "Rosenthals Vermächtnis" verarbeitet er Erinnerungsfetzen, Traumfragmente und geschilderte Erlebnisse zu einer dichten Collage.
Der Krieg ist vorbei. Es gibt nicht mehr viele jüdische Kinder. Wilek kennt seinesgleichen eigentlich nur vom Sehen im Park oder aber von alten Fotografien. Zu Hause ist die Politik zwar Tagesthema, doch selten Streitpunkt zwischen der Mutter und Stiefvater Michal, einem Vizedirektor im Außenhandelsministerium, dessen Stellung der Familie ein Leben in bescheidenem Wohlstand erlaubt. Über die - durchaus vorhandenen - ideologischen Differenzen wird im Bekanntenkreis der Eltern kaum debattiert. Ob der Kommunismus Polens Zukunft sichern kann, bleibt dahingestellt. Doch daß Juden auch unter Kommunisten personae non gratae waren, wird nicht nur zwischen den Zeilen deutlich. Herr Rosenthal teilt die Skepsis der Mutter nicht, und so scheint es Wilek nur folgerichtig, ihm zuzuhören, um sich besser zurechtzufinden. Mit erhobenem Zeigefinger lehrt Rosenthal: "Verrat erwächst aus Irrtümern" - die Gegner der Diktatur des Proletariats seien dafür der beste Beweis. Plechanows "Persönlichkeit" gibt er ihm trotz ideologischer Vorbehalte zu lesen, auch Majakowskis "Wladimir Iljitsch Lenin", aus dem Wilek auswendig zu zitieren lernt. Kein Wunder, daß ihm Kameraden ideologische Reife bescheinigen.
Wie aber geht die ideologische Indoktrination zusammen mit dem, was anderswo gepredigt wird? Wilek ist fasziniert von der Lateinlehrerin, die sagt: "Jeder sollte das Recht auf ein Leben in Würde haben." Von ihr lernt er auch, daß der Mensch sich kaum verändert - warum sonst verstünde er heute Livius oder befaßte sich mit den Punischen Kriegen? Wenn sich der Mensch aber nicht verändert, wie kann dann der Sozialismus gelingen, der doch eine Umformung des Menschen in kurzer Zeit verlangt? Solche Fragen quälen Wilek ebenso wie die Bedeutung des ersten Newtonschen Axioms. Doch die stellt er Herrn Rosenthal lieber nicht - es gibt Antworten, die man nicht hören möchte. Wozu nach universaler Erkenntnis suchen, wenn eine der Antworten lautet: "Es gibt keine absolute Wahrheit und Moral. Jede Klasse besitzt ihre eigene."
Es ist nicht Dichters Sache, bei einzelnen Momenten der Erinnerung länger zu verweilen. Wie ein Lichtkegel über dunkles Terrain flackert seine Beschreibung, wie ein angerissenes Zündholz, das gleich darauf verlischt, erhellt es die Szenerie einen Augenblick lang, nur um das Dunkel gleich darauf noch schwärzer erscheinen zu lassen. Dabei geht Dichter nie sentimental oder melancholisch vor, im Gegenteil. Sein Tonfall ist so lakonisch, daß der Leser die großen und kleineren Katastrophen manchmal nur am Rande mitbekommt und sich erst einige Seiten später ihres Ausmaßes bewußt wird. Ganz behutsam bringt Dichter es dahin, daß sich aus den zahlreichen Szenen in der Schule und den Gesprächen daheim ein Bild zusammensetzt von einer polnischen Kindheit zwischen klassischer Bildung und politischer Ideologie. Mit der Wahl des erzählten Fragments löst sich der Autor von der klassischen Form der Autobiographie, obschon er offenkundig Erlebtes schildert, ohne etwas hinzuzuerfinden.
Wilek steht kurz vor der Matura, nachdem er von seiner alten Schule, wo die Mitschüler ihn als "russischen Lakai" und "Kommunisten" beschimpften, in eine konfessionslose, eben sozialistische Schule gebracht wurde. Doch die Reifeprüfung verlangt mehr als nur schulisches Können. Wilek, gerade sechzehn Jahre alt, ist kein kleiner Junge mehr, seine Wahrnehmung von keinerlei Infantilität getrübt. Dichter läßt seine ganz persönliche Welt von damals wiederauferstehen. Eine verwirrende Welt, in der man immer fürchten mußte, etwas zu verraten - sich selbst oder die politische Gesinnung.
Die Hoffnung stirbt immer zuletzt. Polen ist nicht Rußland. Hier vergessen die Jungen, "was Juden sind", prophezeit Michal. "Die Menschen ändern sich." Die Realität aber ist noch immer Diskriminierung. In der neuen Schule sieht Wilek sich verzweifelt nach seinesgleichen um. "Wenn mir einer ein Jude zu sein schien, ging ich auf ihn zu und stellte mich laut vor, wobei ich darauf wartete, daß er mich fragen würde, wo ich überlebt hatte. Nichts. Nicht das geringste Interesse." Und warum? "Die Schule ist ein Tropfen Sozialismus!"
Wer es eilig hat, wird Herrn Rosenthal nicht kennenlernen und Wileks Dilemma als Heranwachsender zwischen den ideologischen Stühlen nicht ermessen können. Er wird nur Schemen wahrnehmen, die undeutlich bleiben in den vielen kleinen Puzzleteilen, die Wilhelm Dichter so beiläufig erzählt, als habe er kein Buch schreiben wollen. Kurz vor Beginn der Maturaprüfungen stirbt Herr Rosenthal, und Wilek erwacht wie aus einem langen Traum. Die Reifeprüfung besteht er im doppelten Sinn: Er besteht die Matura und schlägt Rosenthals Vermächtnis, den Glauben an das realsozialistische Dogma, aus.
Wilhelm Dichter: "Rosenthals Vermächtnis". Roman. Aus dem Polnischen übersetzt von Martin Pollack. Rowohlt Berlin Verlag, Berlin 2000. 254 S., geb., 38,- DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Ohne viel Verstellung hat der polnische Schriftsteller hier die Fortsetzung seines ersten "Lebensromans" "Das Pferd Gottes" vorgelegt, schreibt Agnes Hüfner. Es geht um den Oberschüler Willek, der das Vermächtnis Rosenthals, nämlich die Programmatik eines kämpfenden Sozialismus zu seiner eigenen zu machen, verweigert oder doch gern verweigern will. Seine Kindheit hat ihn schon gelehrt, dass er so den Widersprüchen und Anwürfen, beispielsweise als Jude "Lakai der Russen" zu sein, doch nicht entkommen wird. Es würde sie nicht wundern, so die Rezensentin, wenn Dichter in einem dritten Buch die Geschichte, die unverstellt seine eigene ist, fortführt bis zur 1967 erfolgten Auswanderung aus Polen. Zwar hat Goethe solch ein Unternehmen, also Dichtung und Wahrheit in eins zu setzen, einmal als "immer bedenklich" charakterisiert, schreibt Hüfner; aber die Geschichte selbst hat dafür gesorgt, dass persönliche Erinnerungen im Kanon unserer Literatur einen neuen Stellenwert bekommen haben. Zu Sprache, Übersetzung, Stil oder Lesbarkeit erfährt man außer durch ein die Besprechung abschließendes Zitat weiter nichts.
© Perlentaucher Medien GmbH
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