Produktdetails
- Verlag: Hoffmann und Campe
- Seitenzahl: 415
- Abmessung: 41mm x 146mm x 215mm
- Gewicht: 618g
- ISBN-13: 9783455113105
- ISBN-10: 3455113109
- Artikelnr.: 24152155
- Herstellerkennzeichnung Die Herstellerinformationen sind derzeit nicht verfügbar.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 13.02.2001Vereint im Haß
Kommunisten und Nationalsozialisten: Das schnelle Umschalten von "Antifaschismus" auf Zusammenarbeit
Thierry Wolton: Rot-Braun. Der Pakt gegen die Demokratie von 1939 bis heute. Aus dem Französischen von Hainer Kober. Hoffmann und Campe, Hamburg 2000. 416 Seiten, 44,90 Mark.
Glaubte man der kommunistischen Propaganda, so müßte man überzeugt sein, daß es keinen krasseren Gegensatz, keine schärfere Feindschaft geben könne als die zwischen Kommunismus und Nationalsozialismus/Faschismus. Der Begriff des Antifaschismus gehörte und gehört zu den kommunistischen Kernparolen. Diese grundsätzliche Haltung findet sich auch durch die konkrete Politik der Sowjetunion und der kommunistischen Parteien bestätigt: Hitler und das nationalsozialistische Deutschland waren lange Zeit das Hauptziel kommunistischer Propaganda.
Kommunisten und Nationalsozialisten lieferten sich Straßenschlachten in den letzten Jahren der Weimarer Republik. Während des "Großen Vaterländischen Krieges" stand die Sowjetunion an der Seite der Westalliierten gegen das nationalsozialistische Deutschland. Viele Kommunisten setzten im Kampf gegen Nationalsozialismus/Faschismus ihr Leben ein. Aber es gibt auch Gegenbeispiele. Das markanteste, aber durchaus nicht einzige ist der Nichtangriffspakt zwischen Deutschland und der Sowjetunion vom August 1939, mit seinem geheimen Zusatzprotokoll über die Aufteilung Osteuropas.
Der französische Publizist Thierry Wolton, Verfasser mehrerer Bücher über Kommunismus und Spionage, geht den Tatsachen nach, die weniger auf eine gegenseitige Bekämpfung als vielmehr auf eine Zusammenarbeit zwischen Kommunismus und Nationalsozialismus hinweisen. Diese Zusammenarbeit trat in unterschiedlichen Formen auf. So standen Kommunisten und Nationalsozialisten mehrfach Seite an Seite in ihrem Kampf gegen das "Weimarer System", gegen die als "Sozialfaschisten" verleumdete SPD.
Ideologisch versuchten rechts- und linksextreme Strömungen in einem kurzlebigen Nationalbolschewismus eine gemeinsame Grundlage zu finden. Durch die Zusammenarbeit zwischen Reichswehr und Roter Armee wurden Bestimmungen des Versailler Vertrages umgangen. Im Anschluß an den Vertrag vom August 1939 unterstützte die Sowjetunion das nationalsozialistische Deutschland politisch und wirtschaftlich, bis zum deutschen Angriff auf die Sowjetunion im Juni 1941.
Der Hitler-Stalin-Pakt
Alle diese Beispiele von Zusammenarbeit lassen sich durch taktische, opportunistische Überlegungen erklären. In bestimmten Situationen der internationalen oder der inneren Politik konnten die Vorteile einer Zusammenarbeit mit faschistischen Bewegungen gegenüber einer gemeinsamen Volksfront gegen den Nationalsozialismus überwiegen, und dann mußte der "Antifaschismus" als Generallinie eben zeitweilig zurücktreten. Solche Überlegungen spielten sicherlich beim Abschluß des Hitler-Stalin-Paktes - zur Ablenkung des Hitlerschen Aggressionswillens von der Sowjetunion - eine wichtige Rolle.
Wolton geht aber einen entscheidenden Schritt weiter. Nicht kurzfristige, opportunistische Gründe bildeten die Grundlage für die Zusammenarbeit, sondern eine tiefe geistige Verwandtschaft, eine Affinität in den ideologischen Wurzeln hätten ein schnelles Umschalten von "Antifaschismus" auf Zusammenarbeit ermöglicht. Die gemeinsame Grundlage sieht Wolton im totalitären Charakter beider Bewegungen, hervorgerufen und genährt durch Haß auf Demokratie, Liberalismus, Menschenrechte, Individualismus. "Rot und Braun" seien also letztlich keine Gegensätze, sondern Bewegungen aus den gleichen Quellen.
Diese Interpretation ist nicht neu, sondern übernimmt die Totalitarismus-Theorie der fünfziger Jahre. Die Tatsache, daß zwei Bewegungen den gleichen Feind bekämpfen - die Demokratie - und ähnliche Organisations- und Kampfformen anwenden, bedeutet jedoch nicht zwangsläufig, daß sie auch das gleiche Endziel ansteuern. Das ist für Kommunismus und Nationalsozialismus nicht identisch. Wolton weist selbst auf die offensichtliche Rivalität zwischen den beiden Bewegungen hin. Bei aller Affinität und geistiger Verwandtschaft konnte keine der Bewegungen ihr Ziel erreichen, ohne vorher die andere vernichtet zu haben.
Wolton wird durch seine These von der Wesensgleichheit der beiden Bewegungen gelegentlich zu weitgehenden Beurteilungen geführt, so wenn er feststellt, daß Stalin den Vertrag vom August 1939 "aus innerer Überzeugung" geschlossen habe; an anderer Stelle bezeichnet er den Vertrag als realpolitische Entscheidung. Und ob man den Rapallo-Vertrag von 1922 als Vorspiel zum Zweiten Weltkrieg bezeichnen kann, ist doch zweifelhaft.
Das Buch verfolgt die Etappen der kommunistisch-nationalsozialistischen Zusammenarbeit, die Entstehung totalitärer Ideologien und Bewegungen. Es weist auch auf die Verbindung zwischen Totalitarismus und Nationalismus hin; zwar werde eine totalitäre Bewegung auch durch eine entsprechende Ideologie gespeist. Wenn deren Versagen aber offenbar werde, bleibe der Nationalismus das alleinige Element, das Rückhalt bei den Massen verschaffe. Nationalistische Emotionen würden so in den postkommunistischen Staaten der ehemaligen Sowjetunion und Osteuropas ausgiebig genutzt, um Machtpositionen zu erhalten.
Die totalitäre Bedrohung
Mit der etwas vereinfachenden Formel "Demokratisierungsversuche + politische/wirtschaftliche Krise" versucht Wolton die Ursachen der totalitären Gefahr in den ehemals kommunistischen Ländern, aber auch in Entwicklungsländern zu erklären. Nationalsozialismus und Kommunismus seien als weltpolitische Kräfte zwar weitgehend verschwunden, die totalitäre Bedrohung sei damit jedoch nicht vollständig und endgültig beseitigt.
Woltons Buch zeigt die geistigen Wurzeln der beiden großen totalitären Bewegungen des 20. Jahrhunderts auf, ihre Affinitäten, die eine - zeitweilige - Zusammenarbeit ermöglichten, jedoch nicht - wie Wolton es nahelegt - sie zwangsläufig mit sich brachten. Der Anhang enthält unter anderem den Text des Vertrages vom August 1939, Auszüge aus den Meldungen des Spionagerings "Rote Kapelle" und eine Übersicht über sowjetische Versuche, zu einem Separatfrieden mit Deutschland zu gelangen. Das Buch ist ein Beitrag zu einem speziellen, aber wichtigen Aspekt der Zeitgeschichte.
HANS KLUTH
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Kommunisten und Nationalsozialisten: Das schnelle Umschalten von "Antifaschismus" auf Zusammenarbeit
Thierry Wolton: Rot-Braun. Der Pakt gegen die Demokratie von 1939 bis heute. Aus dem Französischen von Hainer Kober. Hoffmann und Campe, Hamburg 2000. 416 Seiten, 44,90 Mark.
Glaubte man der kommunistischen Propaganda, so müßte man überzeugt sein, daß es keinen krasseren Gegensatz, keine schärfere Feindschaft geben könne als die zwischen Kommunismus und Nationalsozialismus/Faschismus. Der Begriff des Antifaschismus gehörte und gehört zu den kommunistischen Kernparolen. Diese grundsätzliche Haltung findet sich auch durch die konkrete Politik der Sowjetunion und der kommunistischen Parteien bestätigt: Hitler und das nationalsozialistische Deutschland waren lange Zeit das Hauptziel kommunistischer Propaganda.
Kommunisten und Nationalsozialisten lieferten sich Straßenschlachten in den letzten Jahren der Weimarer Republik. Während des "Großen Vaterländischen Krieges" stand die Sowjetunion an der Seite der Westalliierten gegen das nationalsozialistische Deutschland. Viele Kommunisten setzten im Kampf gegen Nationalsozialismus/Faschismus ihr Leben ein. Aber es gibt auch Gegenbeispiele. Das markanteste, aber durchaus nicht einzige ist der Nichtangriffspakt zwischen Deutschland und der Sowjetunion vom August 1939, mit seinem geheimen Zusatzprotokoll über die Aufteilung Osteuropas.
Der französische Publizist Thierry Wolton, Verfasser mehrerer Bücher über Kommunismus und Spionage, geht den Tatsachen nach, die weniger auf eine gegenseitige Bekämpfung als vielmehr auf eine Zusammenarbeit zwischen Kommunismus und Nationalsozialismus hinweisen. Diese Zusammenarbeit trat in unterschiedlichen Formen auf. So standen Kommunisten und Nationalsozialisten mehrfach Seite an Seite in ihrem Kampf gegen das "Weimarer System", gegen die als "Sozialfaschisten" verleumdete SPD.
Ideologisch versuchten rechts- und linksextreme Strömungen in einem kurzlebigen Nationalbolschewismus eine gemeinsame Grundlage zu finden. Durch die Zusammenarbeit zwischen Reichswehr und Roter Armee wurden Bestimmungen des Versailler Vertrages umgangen. Im Anschluß an den Vertrag vom August 1939 unterstützte die Sowjetunion das nationalsozialistische Deutschland politisch und wirtschaftlich, bis zum deutschen Angriff auf die Sowjetunion im Juni 1941.
Der Hitler-Stalin-Pakt
Alle diese Beispiele von Zusammenarbeit lassen sich durch taktische, opportunistische Überlegungen erklären. In bestimmten Situationen der internationalen oder der inneren Politik konnten die Vorteile einer Zusammenarbeit mit faschistischen Bewegungen gegenüber einer gemeinsamen Volksfront gegen den Nationalsozialismus überwiegen, und dann mußte der "Antifaschismus" als Generallinie eben zeitweilig zurücktreten. Solche Überlegungen spielten sicherlich beim Abschluß des Hitler-Stalin-Paktes - zur Ablenkung des Hitlerschen Aggressionswillens von der Sowjetunion - eine wichtige Rolle.
Wolton geht aber einen entscheidenden Schritt weiter. Nicht kurzfristige, opportunistische Gründe bildeten die Grundlage für die Zusammenarbeit, sondern eine tiefe geistige Verwandtschaft, eine Affinität in den ideologischen Wurzeln hätten ein schnelles Umschalten von "Antifaschismus" auf Zusammenarbeit ermöglicht. Die gemeinsame Grundlage sieht Wolton im totalitären Charakter beider Bewegungen, hervorgerufen und genährt durch Haß auf Demokratie, Liberalismus, Menschenrechte, Individualismus. "Rot und Braun" seien also letztlich keine Gegensätze, sondern Bewegungen aus den gleichen Quellen.
Diese Interpretation ist nicht neu, sondern übernimmt die Totalitarismus-Theorie der fünfziger Jahre. Die Tatsache, daß zwei Bewegungen den gleichen Feind bekämpfen - die Demokratie - und ähnliche Organisations- und Kampfformen anwenden, bedeutet jedoch nicht zwangsläufig, daß sie auch das gleiche Endziel ansteuern. Das ist für Kommunismus und Nationalsozialismus nicht identisch. Wolton weist selbst auf die offensichtliche Rivalität zwischen den beiden Bewegungen hin. Bei aller Affinität und geistiger Verwandtschaft konnte keine der Bewegungen ihr Ziel erreichen, ohne vorher die andere vernichtet zu haben.
Wolton wird durch seine These von der Wesensgleichheit der beiden Bewegungen gelegentlich zu weitgehenden Beurteilungen geführt, so wenn er feststellt, daß Stalin den Vertrag vom August 1939 "aus innerer Überzeugung" geschlossen habe; an anderer Stelle bezeichnet er den Vertrag als realpolitische Entscheidung. Und ob man den Rapallo-Vertrag von 1922 als Vorspiel zum Zweiten Weltkrieg bezeichnen kann, ist doch zweifelhaft.
Das Buch verfolgt die Etappen der kommunistisch-nationalsozialistischen Zusammenarbeit, die Entstehung totalitärer Ideologien und Bewegungen. Es weist auch auf die Verbindung zwischen Totalitarismus und Nationalismus hin; zwar werde eine totalitäre Bewegung auch durch eine entsprechende Ideologie gespeist. Wenn deren Versagen aber offenbar werde, bleibe der Nationalismus das alleinige Element, das Rückhalt bei den Massen verschaffe. Nationalistische Emotionen würden so in den postkommunistischen Staaten der ehemaligen Sowjetunion und Osteuropas ausgiebig genutzt, um Machtpositionen zu erhalten.
Die totalitäre Bedrohung
Mit der etwas vereinfachenden Formel "Demokratisierungsversuche + politische/wirtschaftliche Krise" versucht Wolton die Ursachen der totalitären Gefahr in den ehemals kommunistischen Ländern, aber auch in Entwicklungsländern zu erklären. Nationalsozialismus und Kommunismus seien als weltpolitische Kräfte zwar weitgehend verschwunden, die totalitäre Bedrohung sei damit jedoch nicht vollständig und endgültig beseitigt.
Woltons Buch zeigt die geistigen Wurzeln der beiden großen totalitären Bewegungen des 20. Jahrhunderts auf, ihre Affinitäten, die eine - zeitweilige - Zusammenarbeit ermöglichten, jedoch nicht - wie Wolton es nahelegt - sie zwangsläufig mit sich brachten. Der Anhang enthält unter anderem den Text des Vertrages vom August 1939, Auszüge aus den Meldungen des Spionagerings "Rote Kapelle" und eine Übersicht über sowjetische Versuche, zu einem Separatfrieden mit Deutschland zu gelangen. Das Buch ist ein Beitrag zu einem speziellen, aber wichtigen Aspekt der Zeitgeschichte.
HANS KLUTH
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Wenn der Rezensent Hans Kluth zu dem Schluss gelangt, dass "das Buch ein Beitrag zu einem speziellen, aber wichtigen Aspekt der Zeitgeschichte" ist, wissen wir, dass das Verhältnis von Faschismus und Kommunismus zwar ein wichtiges Thema ist, genauso liegt aber auch der Schluss nahe, dass das Buch nicht unbedingt ein wichtiger "Beitrag" zu diesem "wichtigen" zeitgeschichtlichen Thema darstellt. Und genauso fällt dann auch das Urteil der Rezension aus: Woltons Thesen werden mit der Totalitarismus-Theorie der fünfziger Jahre in Zusammenhang gebracht, und der Rezensent wirft Wolton an manchen Stellen sogar vereinfachende Pauschalierungen vor.
© Perlentaucher Medien GmbH
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