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Eine junge Frau wird von einer Sekunde auf die andere blind. Auf einer Party, irgendwo in New York. Erst sieht sie Rot, dann ist alles grau und sie erkennt nur noch Schemen. Die Ärzte hatten sie gewarnt, dennoch war sie auf den Moment nicht vorbereitet. Sie wird Hilfe brauchen ab jetzt, angewiesen sein auf ihren Freund, der im Nebenraum feiert und noch nichts ahnt. In diesem autobiografisch inspirierten Roman erzählt Lina Meruane mit messerscharfer Sprache, was es heißt, wenn plötzlich die gewohnte Orientierung fehlt, sich der Blick statt nach außen nach innen richtet und man nur noch…mehr

Produktbeschreibung
Eine junge Frau wird von einer Sekunde auf die andere blind. Auf einer Party, irgendwo in New York. Erst sieht sie Rot, dann ist alles grau und sie erkennt nur noch Schemen. Die Ärzte hatten sie gewarnt, dennoch war sie auf den Moment nicht vorbereitet. Sie wird Hilfe brauchen ab jetzt, angewiesen sein auf ihren Freund, der im Nebenraum feiert und noch nichts ahnt. In diesem autobiografisch inspirierten Roman erzählt Lina Meruane mit messerscharfer Sprache, was es heißt, wenn plötzlich die gewohnte Orientierung fehlt, sich der Blick statt nach außen nach innen richtet und man nur noch Erinnerungen sieht, wenn die übrigen Sinne Purzelbäume schlagen. Was es bedeutet, abhängig zu sein von der Familie, den Freunden, den Ärzten - und wenn eine Operation mit ungewissem Ausgang darüber entscheidet, wie das Leben weitergeht.
Autorenporträt
Meruane, Lina
Lina Meruane, geboren 1970 in Santiago de Chile, ist Kulturjournalistin und Professorin für Allgemeine und lateinamerikanische Literatur sowie Kreatives Schreiben an der New York University. 'Rot vor Augen' ist ihr vierter Roman, der 2016 in den USA auch auf Englisch erschien und in viele Sprachen übersetzt wird. Neben Auszeichnungen in ihrer Heimat Chile erhielt sie 2011 den Anna-Seghers-Preis für Internationale Literatur. 2017 bekam sie ein Stipendium des Berliner Künstlerprogramms des DAAD.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 10.06.2018

Diese Besessenheit, gesund zu werden
Die Macht der Blinden - die chilenische Schriftstellerin Lina Meruane und ihr Roman "Rot vor Augen"

Es beginnt mit einem Knall. "Da war ein Feuerwerk durch meinen Kopf gegangen", heißt es gleich zu Anfang von Lina Meruanes Roman "Rot vor Augen". "Doch nicht Feuer sah ich, sondern Blut, das sich in meinem Auge ergoss." Auf einer Party mit lauter Musik und Freunden, die so betrunken sind, dass sie nichts mehr merken, füllen die Augen der Erzählerin sich mit Blut. "Blut, so erschaudernd schön, wie ich es nie zuvor gesehen hatte. So ungeheuerlich. So erschreckend", sagt sie nach dem Unglück. Und von da an wird es immer noch erschreckender, die Sprache wütender; das Buch rast wie ein extravaganter Krimi ohne Mord und Mörder seinem drastischen Ende entgegen.

Die chilenische Schriftstellerin Lina Meruane hat einen beängstigenden und faszinierenden Roman geschrieben. "Rot vor Augen", vor kurzer Zeit beim Arche-Verlag in der ausgezeichneten deutschen Übersetzung von Susanne Lange erschienen, erzählt von einer jungen Frau. Lina kommt, wie die Autorin, aus Chile und lebt in New York. Sie muss damit klar kommen, dass sie nach dem Platzen von Blutgefäßen in der Netzhaut blind geworden ist. Der Roman habe zwar eine "stark autobiographische Basis", sagt Meruane, die als Stipendiatin des DAAD gerade in Berlin wohnt. "Wie die Erzählerin leide ich unter Diabetes. Wie sie komme ich aus einer Familie von Ärzten. Und die Situation, die ich am Anfang des Romans beschreibe, ist mir selbst vor einigen Jahren passiert." Doch eine Autobiographie sei ihr Buch nicht.

Schon damals habe sie gedacht, dass die Erfahrung der Erblindung, die in Meruanes Fall nur vorübergehend war, ein einzigartiger literarischer Stoff sei. "Ich wollte darüber schreiben, wie wichtig das Sehen in unserer Kultur ist", sagt sie, "aber auch über Macht und wie diese innerhalb von persönlichen Beziehungen ausgeübt wird. Ich wollte wissen, welche Tricks, welche Manipulationen eine angeblich machtlose Kranke, die wegen ihrer Krankheit als schwach gilt, anwenden könnte. Wie könnte eine blinde Protagonistin mächtig werden?"

Und so ändert der literarisch-klinische Bericht in der ersten Person bald seinen Ton. Er wird zunächst zu einer scharfen Betrachtung des Wechselspiels von Macht und Ohnmacht in Momenten der Krise. Lina, die sich in der heftigen und sachlichen Sprache, mit der sie ihre Geschichte erzählt, als sehr resolute Frau zeigt, verstrickt sich schnell in verschiedene Formen der Abhängigkeit: von ihrem mysteriösen Augenarzt, der es schafft, besorgt und gleichzeitig desinteressiert zu wirken; vom amerikanischen Gesundheitssystem, das entscheiden soll, ob eine Operation, die Lina zurück in die Welt der Sehenden bringen könnte, bezahlt wird oder nicht; und vor allem von ihrem Freund Ignacio, der überfordert ist, aber stets liebevoll, der allmählich die Macht verliert, die Linas Unglück ihm scheinbar verliehen hatte.

Später, um beim Warten auf die Operation nicht verrückt zu werden, fliegt Lina zu ihren Eltern nach Santiago de Chile: "Sie warf sich mir an den Hals, meine Mutter. Eine Meduse, eine Qualle, ein Geißeltierchen, ein Organismus mit gallertartigem Körper und Tentakeln, die Nesselfieber auslösen. Sie war nicht abzuschütteln." In Chile wird der Wahnsinn nur größer und der Roman zu einer kleinen Studie über die ausgesprochenen und unausgesprochenen Vorwürfe zwischen Eltern und Kindern und über die Ohnmacht der Liebe, etwas, was in einem zerbrochen ist, wiedergutzumachen.

"Rot vor Augen" ist ein vielschichtiger Roman: Krankheitsliteratur, ironische Selbstbeobachtung, schmerzliche Reflexion über die Abgründe der Liebe. Und eine raffinierte Horrorgeschichte dazu. Inmitten des ganzen Dramas bleibt auch Platz für einige schelmische interkulturelle Seitenhiebe: "Die Gringos sind keine Nachtschwärmer wie wir, das Gegenteil von Partylöwen", denkt Lina nach ihrer Erblindung. "Protestanten sind das, die protestierten, wenn wir sie um ihren Schlaf brachten. Jenseits der Wände, über unseren Köpfen und unter unseren Füßen, empörten sich all diese Gringos, die schon im Morgengrauen die Sonne erwarteten, die Socken angezogen, die Senkel geschnürt. Gringos, die sich Tag für Tag mit lupenreiner Unterwäsche und gebügeltem Gesicht hinsetzten und ihre Cornflakes mit kalter Milch frühstückten." Später dann zeigt die Beschreibung der Prozedur vor Linas Augenchirurgie, die absurde Litanei der Fragen, die sie im Krankenhaus beantworten muss, Meruanes besonderen Sinn für Humor: witzig und bedrückend zugleich.

Lina Meruane ist eine der originellsten Stimmen der heutigen Literatur in Lateinamerika. Sie ist in Santiago de Chile geboren, mit palästinensischen und italienischen Wurzeln. In Chile schrieb sie jahrelang für Zeitungen, bevor sie 2004 nach New York ging, wo sie heute noch lebt und als Dozentin für lateinamerikanische Kultur und kreatives Schreiben an der New York University arbeitet. Ihr Roman "Fruta podrida" ("Faules Obst", 2007) erzählt von der schwierigen, besser: krankhaften Beziehung zwischen zwei Schwestern, eine von ihnen ist Diabetikerin. Es war das erste einer Reihe von Büchern, die von Krankheit erzählen. "Rot vor Augen" erschien im Original bereits 2012, und im selben Jahr publizierte Meruane den Essay "Viajes virales" ("Virale Reisen") über die Rolle von Aids in der lateinamerikanischen Literatur. "Ich tue immer so, als sei das ein Witz, aber es ist die Wahrheit, dass meine erste Sprache die Sprache der Medizin war", sagt Meruane. "Bei uns zu Hause spricht man immer am Esstisch, die ganze Zeit, über Medizin. Wir sprechen über irgendwas, und plötzlich erzählt mein Vater, ein Mann habe dieses und jenes Problem, und legt los mit seiner klinischen Geschichte. Es gab eine Zeit, wo ich die Fernsehserie ,Dr. House' anguckte und immer schon vor dem Ende der Folge wusste, unter welcher Krankheit der Patient litt." Krankheit und "diese Besessenheit, gesund zu werden, egal zu welchem Preis", sagt Meruane, bieten einen besonderen Zugang zur Beobachtung menschlichen Verhaltens.

Krankheit ist jedoch nicht Meruanes einziges Thema. 2014 veröffentlichte sie "Volverse Palestina" (was sowohl "Palästina werden" als auch "Palästinenserin werden" bedeuten kann), einen bewegenden Essay über das Land ihrer Vorfahren und ihre eigene Beziehung zu ihm, über das, was Meruane das "Überdauern der kolonialen Ära" nennt, und zugleich eine Art literarisches Gespräch mit Figuren wie Susan Sontag, David Grossman oder dem palästinensischen Dichter Mourid Barghouti. Dieses Jahr ist ein weiterer polemischer Essay erschienen: "Contra los hijos" ("Gegen die Kinder"), in dem Meruane Vorstellungen des Körpers und der Rolle der Frau untersucht. Man mag nicht immer mit Lina Meruane einverstanden sein. Klar ist aber: Jedes ihrer Bücher eröffnet eine neue, unerwartete Perspektive auf die Welt.

Es ist bedauerlich, dass bisher nur "Rot vor Augen" ins Deutsche übersetzt worden ist. Und selbst das hat gedauert. Was ist das für ein Gefühl, wenn ein Buch, dass man vor langer Zeit geschrieben hat, erst Jahre später bekannt wird? "Die Tatsache, dass das Buch in unregelmäßigen Abständen in einer anderen Sprache erfolgreich wurde, hat mich dazu gezwungen, jahrelang über denselben Roman zu sprechen. Das ist seltsam, manchmal etwas mühselig, und gleichzeitig bin ich sehr dankbar", sagt Meruane. "Auf jeden Fall verfolgt mich dieses Buch. Ich kann es nicht vergessen. Es lässt mich nicht los." Das ist im Übrigen eine genaue Beschreibung der Wirkung des Romans - und von Lina Meruanes literarischer Stimme.

HERNÁN D. CARO

Lina Meruane: "Rot vor Augen". Aus dem Spanischen von Susanne Lange. Arche-Verlag, 208 Seiten, 20 Euro

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"Ein beängstigender und faszinierender Roman." Hernán D. Caro, Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung