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Die "Rote Lackn", ein See am oberen Ende eines Gebirgstales, wird zum Ausgangspunkt einer Spurensuche: Die Ich-Erzählerin, die mit dem Tal und seinen Bewohnern seit ihrer Kindheit verbunden ist, folgt verschlungenen Lebensläufen und verwobenen Schicksalen, holt kleines Glück und großes Leid ans Licht, schildert Begegnungen und hinterfragt ihre eigene Erinnerung. Es sind vor allem Frauen, denen die Autorin ihre Aufmerksamkeit schenkt: die Bäuerin, die sich zu Tode schindet; die Sennerin, die im "Narrenturm" endet; unten in der Stadt die "alte Dame aus dem Französischkurs", deren Sohn ein…mehr

Produktbeschreibung
Die "Rote Lackn", ein See am oberen Ende eines Gebirgstales, wird zum Ausgangspunkt einer Spurensuche: Die Ich-Erzählerin, die mit dem Tal und seinen Bewohnern seit ihrer Kindheit verbunden ist, folgt verschlungenen Lebensläufen und verwobenen Schicksalen, holt kleines Glück und großes Leid ans Licht, schildert Begegnungen und hinterfragt ihre eigene Erinnerung.
Es sind vor allem Frauen, denen die Autorin ihre Aufmerksamkeit schenkt: die Bäuerin, die sich zu Tode schindet; die Sennerin, die im "Narrenturm" endet; unten in der Stadt die "alte Dame aus dem Französischkurs", deren Sohn ein bekannter Professor in Deutschland ist und in der Heimat eine berührende Liebesgeschichte erlebt; die Sportlerin aus der DDR, die über die Todesgrenze hierher geschmuggelt wird; und Marie, deren Geschichte dort endet, wo die Erzählung ihren Ausgang genommen hat: bei der Kapelle an der "Roten Lackn", errichtet zum Gedächtnis an drei Gehängte und eine junge Frau, die sich und ihrem Kind das Leben nahm. Sanft wie "das Rot durchs Leben sickert", kommt die Erzählung daher. Aber ihre eindringliche, unaufgeregte Sprache geht unter die Haut, entwickelt mit stetem Rhythmus und der poetischen Kraft ihrer Bilder einen Sog, dem man sich nur schwer entziehen kann.
Autorenporträt
Brita Steinwendtner, geboren 1942 in Wels, Studium der Geschichte, Germanistik und Philosophie in Wien und Paris. Freie Mitarbeiterin des ORF und anderer Rundfunkanstalten. Leiterin der Rauriser Literaturtage. Brita Steinwendtner lebt als Autorin, Regisseurin und Feuilletonistin in Salzburg.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 17.08.1999

Rot sickert durchs Leben
Aus dem Schatten heraus: Brita Steinwendtners Romandebüt

Ein bekanntes Bild: Das Leben im Schatten großer Berggipfel ist hart, Bauern und Sennen finden dort über Generationen hinweg nur ein karges Auskommen, und die Schatthof-Bäuerin arbeitet sich buchstäblich zu Tode. Ihr kranker Mann aber muss am Ende hilflos zusehen, wie der Hof von einer alternativen Wohngemeinschaft übernommen wird, die es - ganz im Trend der Zeit - auf die Produktion von Schafswolle und -käse abgesehen hat. Ein moderner Ganghofer also?

Brita Steinwendtners erster Roman erinnert zuweilen tatsächlich an kritische Heimatliteratur, aber dieses griffige Etikett wird dem Buch kaum gerecht. Denn wenn die Autorin auch realistisch den rauen Alltag in dem kleinen Tal schildert, so erschöpft sie sich dennoch nicht in heimatkundlichen Betrachtungen. Ihr erzählerischer Gang durch das enge Tal wird vielmehr zu einer eindringlichen Beschreibung verschiedener Lebenslinien, die nebeneinander herlaufen, sich kreuzen und zu komplizierten Knoten verschlingen.

Die ehemalige Sennerin Franziska lebt im "Narrenturm", weil sie über der Erinnerung an die systematische Ermordung von Geisteskranken unter Hitler ihren Verstand verloren hat. Im Irrenhaus aber arbeitet auch Theresa aus Sachsen, einst eine gefeierte Sportlerin, die auf abenteuerliche Weise dem sozialistischen Regime entflohen ist und nun erfährt, wie schwer sich auf dieser einen Heldentat ein neues Leben aufbauen lässt. Der berühmte Literaturprofessor schließlich kehrt in das Tal seiner Kindheit zurück, weil ihn die Frage nach der Schuld seiner Eltern nicht loslässt, die den neunjährigen Knaben auf eine nationalsozialistische Eliteschule geschickt hatten.

"Jeder hat eine Geschichte", lautet das Programm der Erzählerin, das individuelle Schicksale untrennbar mit der großen Weltgeschichte verquickt. Bis in die Abgeschiedenheit der österreichischen Berge zieht sich eine Spur von Flucht, Verfolgung und Tod, denn Gewalt kennt keine landschaftlichen Schranken. Dabei macht es für die Verfasserin am Ende keinen Unterschied, ob es sich um Bauern-, Konfessions- und Eroberungskriege vergangener Jahrhunderte handelt oder um die Vernichtungs- und Rassenkriege der jüngsten Geschichte. Unrecht bleibt Unrecht, ganz gleich, welche Parole die Täter auf ihre Fahnen geschrieben haben.

Ein Symbol der allgegenwärtigen Bedrohung ist das rötliche Wasser des kleinen Bergsees, in dem nur sorglose Touristen baden. Die Talbewohner meiden diesen geheimnisvollen Ort, den die Überlieferung mit Hoffnung, Verzweiflung, Mord und tiefer Schuld dunkel verbindet. Die verstörende Farbe des Sees mit dem Namen "Rote Lackn" wird zu einem Leitmotiv, das die verschiedenen Erzählstränge miteinander verknüpft: "Das Rot sickert durch das Leben."

Die Stärke des Romans liegt in seiner Komposition und der Knappheit seiner Sprache. Geschichten von Verfolgten und Opfern hat man schon oft gelesen, und dass das Leben in der österreichischen Provinz alles andere als ein Vergnügen sein kann, gehört spätestens seit den Büchern von Thomas Bernhard und Elfriede Jelinek zum Wissen einer europäischen Literaturgeographie. Und doch ist Brita Steinwendtner hier ein kleines unaufdringliches Meisterstück gelungen. Als Erzählerin wahrt sie eine fast scheue Distanz zu ihren Figuren und belässt es oft genug bei Andeutungen, statt sich zu Pathos oder Gefühlsseligkeit hinreißen zu lassen. Nur auf den ersten Blick könnten die schlichten Sätze allzu kunstlos wirken; bei näherem Hinsehen jedoch, das besser noch ein Hinhören sein sollte, offenbart sich ihr harmonischer Rhythmus, der immer wieder an ein Prosagedicht denken lässt. Selbst die Montage von einzelnen Versen Hölderlins in den Erzählfluss ist hier kein peinlicher Stilbruch, sondern verstärkt den poetischen Charakter dieses Buches, das so lakonisch von den Grausamkeiten des Alltags berichtet.

Brita Steinwendtner, Jahrgang 1942, hat sich für ihr Prosadebüt Zeit genommen, obwohl sie sich schon lange mit Literatur beschäftigt. Für den Österreichischen Rundfunk hat sie in den vergangenen Jahrzehnten zahlreiche Schriftsteller porträtiert, und als Leiterin der Rauriser Literaturtage kann sie vermutlich oft beobachten, dass gute Literatur Zeit zum Wachsen und Reifen braucht. Kein Zweifel, dass sich bei diesem Buch die Wartezeit gelohnt hat.

SABINE DOERING

Brita Steinwendtner: "Rote Lackn". Roman. Haymon-Verlag, Innsbruck 1999. 127 S., geb. 27,- DM.

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