Produktdetails
  • Verlag: Links, Ch
  • ISBN-13: 9783861532460
  • ISBN-10: 3861532468
  • Artikelnr.: 09878203
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 11.02.2002

Abrechnung mit den Herrenmenschen
Wie die sowjetische Besatzungsmacht nach 1945 den kommunistischen Führungsanspruch in Ostdeutschland erzwang
ILKO-SASCHA KOWALCZUK/STEFAN WOLLE: Roter Stern über Deutschlan, Ch. Links Verlag, Berlin 2001. 256 Seiten, 15,50 Euro.
Das Buch ist als Begleitwerk zur gleichnamigen ARD- Fernsehdokumentation erschienen. Die Kombination zweier Medien bestimmt deshalb Darstellungen und Aufbau dieser populären Geschichte über die 45- jährige Präsenz der Sowjetunion in „ihrem Deutschland”.
Das Verhältnis zwischen Russen und Deutschen gründete sich 1945 im doppelten Sinn auf Gewalt: „Die Russen hatten während der deutschen Besatzungszeit erfahren müssen, dass sie als ,Untermenschen‘ behandelt worden waren. Dies geschah vor allem durch deutsche Männer. Nun kamen sie in das Land der ,Herrenmenschen‘ und rächten sich. Und zwar nicht allein an den Frauen”, so die Autoren. Die sowjetische Kriegspropaganda von 1945 reduzierte sich dabei auf den berühmt-berüchtigten Aufruf von Ilja Ehrenburg an die sowjetischen Soldaten: „Töte!”
Die Autoren erinnern aber daran, dass wenige Tage vor der Schlacht um Berlin im April 1945 in der Prawda diese Agitation vom Chef der Propagandaabteilung des ZK der KPdSU, G.F. Alexandrow, ausdrücklich zurückgewiesen wurde. In Moskau begannen die Nachkriegsplanungen. Alexandrow verwies daher darauf, dass Stalin bereits 1942 ausdrücklich dagegen votiert hatte, die Hitler-Clique mit dem ganzen deutschen Volk gleichzusetzen: „Die geschichtliche Erfahrung zeigt, dass die Hitlers kommen und gehen; das deutsche Volk, der deutsche Staat aber bleiben bestehen.” Allerdings entschied, fügen die Autoren hinzu, „ganz allein die Besatzungsmacht und später zunehmend die SED”, wer nun zur „Hitler-Clique” gehörte.
Schwere seelische Schäden
Auch die Deutschen in der Sowjetischen Besatzungszone mussten sich entscheiden: Sie konnten sich den neuen Herren fügen, vor ihnen fliehen oder ihnen widerstehen. Die Gewaltdrohungen der Sowjets waren keine leeren Worte: „Insgesamt wird geschätzt, dass beim Vormarsch der Roten Armee von Ostpreußen bis nach Berlin und später an die Demarkationslinie annähernd 1,9 Millionen Mädchen und Frauen missbraucht worden sind.” Etwa 10000 von ihnen bezahlten die Vergewaltigung mit dem Leben, viele mit bleibenden Schäden.
Die alliierten Mächte waren sich einig, dass nach der nationalsozialistischen Diktatur in Deutschland ein „Umerziehungsprozess” durchgeführt werden müsse. Im Westen zielte die reeducation darauf ab, den neuen deutschen Staat in die westliche Werte-Gemeinschaft einzubinden, im Osten wurde die Abrechnung mit dem Nationalsozialismus mit der Durchsetzung des kommunistischen Führungsanspruchs in einer antifaschistischen Umwälzung verbunden. Ein wirksames Mittel, um dieses Ziel zu erreichen, waren die sowjetischen Militärtribunale (SMT), die „grundsätzlich für alle deutschen Zivilpersonen” zuständig waren. Insgesamt sind durch die SMT annähernd 50 000 Personen verurteilt worden. Zehn „Speziallager” gab es in der SBZ, in denen bis Ende 1949 knapp 190000 Personen inhaftiert wurden, darunter 35000 Ausländer, „in erster Linie Sowjetbürger”. Allmählich übergab die Besatzungsmacht ihre repressiven Kompetenzen an den entstehenden „ostdeutschen Polizeistaat”.
Die Sowjetisierung begann 1945 mit der Bodenreform; propagandistisch begründet mit der Ausschaltung der preußischen Junker. Die Besatzungsmacht focht es nicht an, dass die Bastionen des preußischen Adels in Ostpreußen, Pommern und Schlesien lagen, in Gebieten also, die nun weitgehend in polnische und sowjetische Verwaltung übergingen. Die deutschen Gebietsverluste wurden ergänzt durch eine Reparations- und Demontagepolitik der sowjetischen Besatzungsmacht: „Die von der SBZ/DDR geleisteten Reparationen lagen mit etwa 14 Milliarden Dollar deutlich über den Forderungen von zehn Milliarden Dollar, die von der UdSSR ursprünglich gegenüber ganz Deutschland erhoben wurden. Die SBZ/DDR hatte damit die größten im 20.Jahrhundert bekannt gewordenen Reparationsleistungen erbracht.” In diesen Rechnungen, so betonen die Autoren, „sind weder die von deutschen Kriegsgefangenen in der Sowjetunion erbrachten Arbeitsleistungen (etwa 9,5 Millionen Dollar) noch der Wert der deutschen Ostgebieteberücksichtigt”.
Von besonderem Wert für die Sowjetunion war das Uranerz aus dem Erzgebirge. Es lieferte zusammen mit den tschechischen Vorkommen die Voraussetzung für die sowjetische Atomwaffenproduktion und erforderte zu seinem Schutz die Präsenz sowjetischer Truppen – ein Faktor, den die Historiker in der Diskussion um die sowjetische Deutschlandpolitik nach 1945 allzu oft unbeachtet lassen. Die „Gruppe der sowjetischen Streitkräfte in Deutschland” (GSSD) nimmt in dem Buch breiten Raum ein. Panzer sicherten den Mauerbau im August 1961, sie rollten gen Prag, um den Traum vom „Sozialismus mit menschlichem Antlitz” 1968 zu beenden, 1980/81 standen sie in Bereitschaft, um in Polen einzurücken.Bei alledem war das Leben der durchschnittlich 500000 Sowjetsoldaten kärglich; sie waren kaserniert und isoliert.
Über den Montags-Demonstrationen im Herbst 1989 lag die Ungewissheit, ob die Machthaber in gewohnter Weise auf den friedlichen Protest reagieren würden. Das Wort von der „chinesischen Lösung” lag in der Luft. Auch die Erinnerung an den 17.Juni 1953 war nicht vergessen. Doch diesmal blieben die sowjetischen Panzer in den Kasernen, und kein anderer als MfS-Chef Erich Mielke zog daraus die Konsequenzen für die Sicherheitskräfte der DDR.
Der Feindfreund im Osten
Die Autoren Wolle und Kowalczuk zitieren aus einer Rede Mielkes vom 21.Oktober vor 74 MfS-Generalen und -Obersten. Der Minister sagte, die DDR hätte es ohne die Sowjetunion nicht gegeben. Die SED und das MfS könnten es sich nicht leisten, „auf Distanz” zur Sowjetunion zu gehen. Diese Einsicht in die Realitäten erklärt auch, warum es in der DDR zur „friedlichen Revolution” kam. Der Verzicht auf die Gewalt im Herbst 1989 seitens der Sowjetunion und ihre Zustimmung zur zweiten Nationalstaatsbildung der Deutschen ermöglichten einen Neuanfang in den deutsch-russischen Beziehungen.
Es ist das Verdienst der beiden ostdeutschen Historiker, dieses schwierige und dunkle Kapitel der Nachkriegsgeschichte in Erinnerung gerufen zu haben. Die Darstellung kann die eigene Betroffenheit nur selten verleugnen. Darauf beruht auch die Kraft der Argumentation, mit der die Bilder einer Fernsehdokumentation erklärt werden.
MANFRED WILKE
Der Rezensent ist Leiter des Forschungsverbundes SED-Staat an der Freien Universität Berlin.
Fahrräder waren in der Sowjetunion eine Rarität, was diesen Rotarmisten offenbar zum Straßenraub verführte.
SZ
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.diz-muenchen.de
…mehr

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 08.12.2001

Teure Freundschaft
Was die sowjetischen Soldaten an der DDR schätzten: "Roter Stern über Deutschland" (ARD)

Anatoli Gribkow blickt haßerfüllt in die Kamera, als er nach Gorbatschow gefragt wird. Wenn er ihm jetzt begegnen würde, sagt der ehemalige Generalstabschef des Warschauer Paktes, er würde ihm ins Gesicht spucken. Für das Interview hat Gribkow noch einmal seine alte Uniform angelegt. Er empfindet bis heute den Abzug der sowjetischen Truppen aus Deutschland als bittere Schmach. Fast fünfzig Jahre standen sie in Deutschland. Um dorthin zu kommen, ließen dreizehn Millionen sowjetische Soldaten ihr Leben. Im April 1945 trat die Rote Armee mit 2,5 Millionen Mann zum Endkampf um die deutsche Hauptstadt an. Allein bei der Schlacht um die Seelower Höhen fielen vor der Stadt in sechs Tagen dreißigtausend sowjetische und achtzigtausend deutsche Soldaten.

Stalins Befehl, die deutsche Hauptstadt müsse bis zum 1. Mai erobert sein, war militärisch ebenso sinnlos wie Hitlers Befehl, die Stadt sei um jeden Preis zu halten. Das Gemetzel um Berlin kostete noch einmal zweihunderttausend Menschenleben. Dem Sieg der sowjetischen Stoßarmeen über Hitlers letztes Aufgebot folgten Tage der Rache. Mit willkürlichen Erschießungen, Plünderungen und Vergewaltigungen revanchierten sich die außer Kontrolle geratenen Soldaten an der deutschen Zivilbevölkerung für die Untaten des Vernichtungskrieges im Osten.

Mehr als hunderttausend Berliner Frauen und Mädchen wurden zwischen April und Juni von Rotarmisten mißbraucht, auf dem gesamten Gebiet der sowjetischen Besatzungszone registrierten die Behörden als Folge der Vergewaltigungen dreihunderttausend Schwangerschaften. Die sowjetische Militäradministration und die deutschen Kommunisten untersagten den Ärzten anfänglich die Abtreibung von "Russenkindern". Bis zum Ende der DDR blieben die Zahlen der mißbrauchten Frauen ebenso wie andere Ausschreitungen der Besatzungssoldaten ein Tabu. Auch späterhin durften von den Medien in der DDR keine Berichte über Straftaten sowjetischer Soldaten veröffentlicht werden.

Christian Klemke und Jan Lorenzen schildern in ihrer dreiteiligen Dokumentation erstmals die Geschichte der sowjetischen Besatzungstruppen in Deutschland von 1945 bis zum Abzug 1994. Das dazu aufgebotene Bildmaterial und eine kleine Armee von Zeitzeugen aus Ost und West bieten einen nahezu erschöpfenden Einblick in die große Zeit und den Alltag der GSSD, der "Gruppe der sowjetischen Streitkräfte in Deutschland", wie die amtliche Bezeichnung des vierhunderttausend Mann starken Heeres auf DDR-Boden lautete.

Im Unterschied zu Amerikanern, Briten und Franzosen lebten die sowjetischen Soldaten hinter den Mauern ihrer Kasernen weitgehend isoliert von der deutschen Bevölkerung. Mitunter machte man kleine Geschäfte miteinander und gegen Ende hin auch einige ganz große. Die Anwesenheit der sowjetischen Streitkräfte kam die DDR in vieler Hinsicht teuer zu stehen. Auf insgesamt rund sechzig Milliarden Mark beliefen sich allein die Stationierungskosten. Die Bundesrepublik finanzierte schließlich den Abzug der Truppen des zerfallenden Sowjetimperiums mit mehr als fünfzehn Milliarden Westmark. Nicht nur die Generalität, auch viele Soldaten und Offiziere wären gerne geblieben. Es ging ihnen in Deutschland besser als in der Heimat.

In der DDR gab es ein Warenangebot, von dem man in vielen Teilen der Sowjetunion nur träumen konnte. Wenn zu DDR-Zeiten von den "Freunden" die Rede war, konnte das eine sehr unterschiedliche Bedeutung haben. Eine Mitteilung oder Bitte von "den Freunden" galt selbst in höchsten SED- und Regierungskreisen als eine Order, der man sich besser nicht widersetzt. Bei normalen Bürgern schwang hingegen meist ein ironischer Unterton mit, wenn sie von "den Freunden" sprachen und "die Russen" meinten.

Nicht alle ausgemusterten Offiziere, die in der Dokumentationsreihe zu Wort kommen, blicken auf die Demobilisierung der stolzen Sowjetstreitmacht in der DDR so zornig zurück wie der ehemalige Stabschef des Warschauer Paktes Anatoli Gribkow. Oberstleutnant Achmedganow von der Panzertruppe etwa erinnert sich mit großem Amüsement an die Folgen der deutschen Währungsunion. Der Einzug der D-Mark in die sowjetischen Kasernen sei die "schrecklichste Rache des Westens" gewesen. Dieser Schachzug habe die Westgruppe der sowjetischen Armee mit einem Schlag zerstört.

JOCHEN STAADT

Der erste Teil lief am Donnerstag, Teil zwei und drei folgen an den kommenden Donnerstagen, jeweils um 21.45 Uhr in der ARD.

Das Begleitbuch "Roter Stern über Deutschland" von Ilko-Sascha Kowalczuk und Stefan Wolle ist im Ch. Links Verlag erschienen und kostet 29,80 Mark.

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
…mehr

Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Großes Lob hält Winfried Heinemann für dieses Buch bereit, das er klug konzipiert, kenntnisreich zusammengetragen und ansprechend geschrieben findet. Es beginnt mit dem Einmarsch der Roten Armee in Deutschland 1945 - ohne dass die verübten Grausamkeiten verschwiegen oder ausgeschlachtet würden, meint Heinemann - und endet mit dem Abzug der Truppen nach der Wende. Was Heinemann an dem Buch so gut gefällt, ist die Fülle an Einzelgeschichten, die den großen geschichtlichen Bogen erhellen und in "sprechenden Details" vermitteln. Zur Sprache kommen nach Heinemann auch die ganzen sozialen Verflechtungen, die die Truppenstationierung für die sowjetischen Soldaten selbst wie für die deutsche Bevölkerung und die politischen "Gastgeber" mit sich brachte. DDR-Alltag eben: Straftaten von sowjetischen Soldaten, Verkehrsgefährdung durch Panzer, Wohnpolitik. Selbst dem Umgang mit den sowjetischen Ehrendenkmälern im vereinten Deutschland ist ein eigenes Kapitel gewidmet, das für Heinemann auf sympathische Weise das historische Interesse der beiden Autoren mit der Gegenwart verbindet.

© Perlentaucher Medien GmbH