Vom Zusammenspiel der Farben, oder was passiert, wenn eine Farbe zu dominant wird Eine Allegorie über Freundschaft; meisterhaft illustriert von dem belgischen Bilderbuchkünstler Carll Cneut. Rot, Gelb, Schwarz und Weiß sind Freunde und spielen zusammen. Sie haben einen Kletterbaum und ein Baumhaus. Rot will immer alles bestimmen und eines Tages sagt er: "Der Kletterbaum gehört mir, das Baumhaus gehört mir und das ganze Spielzeug auch." Gelb, Schwarz und Weiß lassen sich das nicht länger gefallen und fassen sich endlich ein Herz, Rot einmal tüchtig die Meinung zu sagen. Schließlich lassen sie Rot alleine zurück und spielen so, wie sie es wollen. Und Rot stellt fest, dass es furchtbar blöd ist, sich selbst Befehle zu erteilen.
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 24.05.2004Rot, rot, rot sind alle meine Kleider
BRIGITTE MINNE / CARLL CNEUT: Rotgelbschwarzweiß. Verlag Sauerländer, Düsseldorf 2004. 15 Seiten, 13,90 Euro.
Immer darf Rot alles bestimmen; der höchste Ast des Kletterbaums ist für ihn reserviert. Das Baumhaus der Farbenkinder Rot, Gelb, Schwarz und Weiß ist rot gestrichen, und Rot befiehlt, dass Schwarz fegt, Weiß die Fenster, Gelb die Tür putzt. Gelb darf sein Auto nur anfassen, nicht schieben, denn sonst bekommt Rot von den quietschenden Rädern Kopfweh. Was gelogen ist.
Aber niemand widerspricht. Bis es eines Tages den anderen Farben zu viel wird. Sie lassen Rot einfach stehen. Soll er sich doch selber befehlen! Und das macht er auch, einschließlich der Ohrfeigen, die er sich verpasst, weil er sich über sich selber ärgert. Die anderen bauen derweil ein Boot, sind abwechselnd Kapitän, aber trotzdem kommen sie nicht vom Fleck. Bis Rot reumütig auftaucht und ein Segel mitbringt. Zum Dank darf er wieder ein bisschen kommandieren – aber nur, bis der Nächste dran ist.
Die Geschichte der niederländischen Kinderbuchautorin Brigitte Minne ist eine der vielen Erzählungen vom Befehlen und Gehorchen, vom Streiten und Vertragen, von Eigen- und Gemeinsinn. In jedem Kindergarten gibt es ein halbes Dutzend davon. Meist sind sie viel konkreter an der Welt der Kinder orientiert als „Rotgelbschwarzweiß”, das in einer Traumwelt spielt, in der logische oder nachvollziehbare Zusammenhänge unbekannt sind.
Ungewöhnlich wird das Buch aber durch die Bilder des belgischen Illustrators Carll Cneut, die mehr noch als der Text die Geschichte in eine Traumwelt versetzen. Die Farbenkinder haben keine Gesichter, sondern Profile, denen jede Emotion fehlt; dass Rot befiehlt, sieht man nur an den Armen, die in die Hüften gestemmt sind. Der Kletterbaum ist schwarz, die Äste bleiben tuschestrichdünn, konsequenterweise hat Cneut im gesamten Buch auf Blau und Grün verzichtet. Die Reduktion hebt die gesamte Geschichte ins Allegorische, Symbolhafte und vielleicht auch ins Künstlerische. Aber die Welt, in der die vier Farbenkinder leben müssen, wird dadurch bedrückend. Selbst als sich die Kinder wieder vertragen und endlich was gelernt haben für den weiteren Lebensweg, kommt keine Freude auf. Aber ein bisschen Spaß am Spiel hätten sich die vier Farben schon verdient gehabt, nach so viel pädagogischer Mühe.
Das Schlussbild zeigt vier übergewichtige Farben-Mütter auf den dünnen Ästen des Baumes sitzen; sie halten Ausschau nach ihren Kindern. Und man fragt sich nur: Wie hält der Baum das aus?
MATTHIAS DROBINSKI
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BRIGITTE MINNE / CARLL CNEUT: Rotgelbschwarzweiß. Verlag Sauerländer, Düsseldorf 2004. 15 Seiten, 13,90 Euro.
Immer darf Rot alles bestimmen; der höchste Ast des Kletterbaums ist für ihn reserviert. Das Baumhaus der Farbenkinder Rot, Gelb, Schwarz und Weiß ist rot gestrichen, und Rot befiehlt, dass Schwarz fegt, Weiß die Fenster, Gelb die Tür putzt. Gelb darf sein Auto nur anfassen, nicht schieben, denn sonst bekommt Rot von den quietschenden Rädern Kopfweh. Was gelogen ist.
Aber niemand widerspricht. Bis es eines Tages den anderen Farben zu viel wird. Sie lassen Rot einfach stehen. Soll er sich doch selber befehlen! Und das macht er auch, einschließlich der Ohrfeigen, die er sich verpasst, weil er sich über sich selber ärgert. Die anderen bauen derweil ein Boot, sind abwechselnd Kapitän, aber trotzdem kommen sie nicht vom Fleck. Bis Rot reumütig auftaucht und ein Segel mitbringt. Zum Dank darf er wieder ein bisschen kommandieren – aber nur, bis der Nächste dran ist.
Die Geschichte der niederländischen Kinderbuchautorin Brigitte Minne ist eine der vielen Erzählungen vom Befehlen und Gehorchen, vom Streiten und Vertragen, von Eigen- und Gemeinsinn. In jedem Kindergarten gibt es ein halbes Dutzend davon. Meist sind sie viel konkreter an der Welt der Kinder orientiert als „Rotgelbschwarzweiß”, das in einer Traumwelt spielt, in der logische oder nachvollziehbare Zusammenhänge unbekannt sind.
Ungewöhnlich wird das Buch aber durch die Bilder des belgischen Illustrators Carll Cneut, die mehr noch als der Text die Geschichte in eine Traumwelt versetzen. Die Farbenkinder haben keine Gesichter, sondern Profile, denen jede Emotion fehlt; dass Rot befiehlt, sieht man nur an den Armen, die in die Hüften gestemmt sind. Der Kletterbaum ist schwarz, die Äste bleiben tuschestrichdünn, konsequenterweise hat Cneut im gesamten Buch auf Blau und Grün verzichtet. Die Reduktion hebt die gesamte Geschichte ins Allegorische, Symbolhafte und vielleicht auch ins Künstlerische. Aber die Welt, in der die vier Farbenkinder leben müssen, wird dadurch bedrückend. Selbst als sich die Kinder wieder vertragen und endlich was gelernt haben für den weiteren Lebensweg, kommt keine Freude auf. Aber ein bisschen Spaß am Spiel hätten sich die vier Farben schon verdient gehabt, nach so viel pädagogischer Mühe.
Das Schlussbild zeigt vier übergewichtige Farben-Mütter auf den dünnen Ästen des Baumes sitzen; sie halten Ausschau nach ihren Kindern. Und man fragt sich nur: Wie hält der Baum das aus?
MATTHIAS DROBINSKI
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