Die Tätigkeit der Rotkreuzschwestern in den Sanitätseinheiten der Wehrmacht, bei den Flugbereitschaften, in Lazarettzügen und auf den Sanitätsschiffen wird in diesem Band erstmals umfassend untersucht.Der Band analysiert ihre Erfahrungen, ihre Gefährdung, ihre Gefangenschaft auf allen Schlachtfeldern anhand der Vorgangsakten und ihrer schriftlichen Äußerungen. Es waren Männer, die Ärzte der Wehrmacht, die diese Frauen einsetzten. Hinsichtlich der Geschlechterrollen bedeutete die Arbeit der Schwestern mit Ärzten und Sanitätern eine Herausforderung für alle Beteiligten. Viele Schwestern emanzipierten sich angesichts großen Personalmangels und der Übernahme verantwortungsvoller Arbeitsaufgaben. Die Ideale des Internationalen Roten Kreuzes in Genf und die Ideale der Frauen unter dem Deutschen Roten Kreuz und unter dem Hakenkreuz fielen bei weitem nicht immer zusammen. Der humanitäre Einsatz der Schwestern im Vernichtungskrieg galt nur den deutschen Soldaten und muss auch als effiziente Hilfestellung zur Verlängerung der Kampfhandlungen bis 1945 betrachtet werden.
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Frankfurter Allgemeine ZeitungLebenstraum im Pflegeraum
Rotkreuzschwestern im mobilen Sanitätsdienst der Wehrmacht
Noch immer geht es um die Frage, in welchem Maß Institutionen, Ministerien, Verbände und Berufsgruppen am NS-Staat beteiligt waren. Manchmal denkt man, Hitlers Diktatur und ihr Nachleben seien doch nun wirklich ausgeforscht. Aber dann sieht man: Es klaffen noch erhebliche Wissenslücken, nicht zuletzt, was das scheinbar selbstverständliche Funktionieren der Systeme vor und nach 1945 betrifft. Die Normalität einer überwiegend reibungslos laufenden Staatsmaschine, einschließlich der Instanzen im vorstaatlichen Feld, bildet einen der bestürzendsten Aspekte des nationalsozialistischen Apparats und seiner Nachgeschichte. Hier hat die Geschichtswissenschaft noch viel Aufklärung zu leisten.
Eine solche Instanz, die von ihrer Gründungsidee her unpolitisch aufgestellt war, dann aber rasch durch den NS-Staat vereinnahmt wurde und sich in ihm engagierte, war das Deutsche Rote Kreuz. Gemäß seiner Programmatik sollte das Rote Kreuz neutral und international sein, aber eine Reihe von Untersuchungen, vermehrt seit den 1990er Jahren, haben gezeigt, wie stark sich das DRK patriotisch-national verstand und wie bereitwillig es sich nach 1933 ideologisch selbst gleichschaltete und gleichschalten ließ (obwohl es formal nicht in die Organisationen des nationalsozialistischen Staates absorbiert wurde).
Den Schwerpunkt von Ludger Tewes' Studie bildet der Rotkreuzeinsatz während des Krieges im sogenannten mobilen Sanitätsdienst. Der Autor wertet die Akten des Präsidiums des DRK sowie des Sanitätsdienstes der Wehrmacht aus, zieht aber auch Tagebücher, Briefe und Memoiren von Rotkreuzschwestern heran, von denen er einige noch selbst befragt hat. Im ersten Teil des Buches werden die Einsätze des weiblichen Rotkreuzpersonals im Gefolge von Hitlers Feldzügen an den Fronten in Frankreich, auf dem Balkan und in Griechenland, in Afrika, im Osten rekonstruiert. Im Mai 1943 befanden sich immerhin 20 819 DRK-Schwestern, Hilfsschwestern, Schwesterhelferinnen und Helferinnen im Feld.
Bei Tewes gerät die Schilderung von Infrastrukturen und Transporten, von personeller und materieller Ausstattung, von Lazaretten und Krankenbettenzahlen etwas monoton und ist sprachlich nicht immer geglückt; eine straffere, stärker fokussierte Darstellung und Auswertung hätte dem aufschlussreichen Material gutgetan. Denn die quantitativen Angaben zur Logistik des Sanitätsdienstes lassen sich ja durchaus als Quellen zum Verlauf des Kriegs lesen, insofern sie spiegeln, wie Hitler und das Oberkommando die Notwendigkeit der Versorgung verwundeter Soldaten und Zivilisten einschätzten und welche Ressourcen dafür bereitgestellt wurden. Zudem lässt sich durch das Brennglas des medizinischen Dienstes veranschaulichen, dass der Krieg an den verschiedenen Fronten unterschiedlich hart, belastend und grausam erlebt wurde. Solche Eindrücke revolutionieren unser Gesamtbild der Kriegshandlungen nicht, aber sie bilden Mosaiksteine zu einer Erfahrungsgeschichte des Zweiten Weltkriegs, speziell aus weiblicher Perspektive.
Als "Kriegsschwestern" oder "Wehrmachtsschwestern" engagierten sich die Frauen in der Pflege von Kranken und Verwundeten. Ihre oberste Chefin, Luise von Oertzen, hochdekoriert nach 1949, hatte gleich zu Beginn des Frankreich-Feldzugs die Dankbarkeit des DRK betont, nun im militärischen Sanitätsdienst mitwirken zu dürfen. Man identifizierte sich mit Hitlers Krieg, gleichwohl scheint die vordringliche Motivation für die meisten Frauen die pflegerische Mission gewesen zu sein. Ihre zeitgenössischen oder späteren Selbstauskünfte, die Tewes in großem Umfang zu Wort kommen lässt, sprechen eine schlichte, direkte, oft naive Sprache. "Am 9. Mai 1944 kam ich von Brest-Litowsk nach Nantes. Meine Ankunft war für mich märchenhaft. Mir kam alles wie ein Traum vor ", erinnerte sich eine DRK-Schwester Jahrzehnte später. Als die Idylle zerbrach und der Rückzug auch im Westen begann, äußerte sich eine andere Zeitzeugin ebenso ungefiltert: "Alle Leute, die uns sehen, schauen uns mitleidig an. Wir aber strahlen, zumal wenn wir Franzosen sehen. Die sollen nicht merken, wie uns zumute ist. Ich könnte jeden von ihnen steinigen", so in einem Brief vom August 1944.
Im zweiten Teil geht es Tewes darum, solche individuellen Äußerungen als typisch auszuweisen und in den Rahmen überpersönlicher Deutungsmuster einzubetten, die durch den sozialen und ideologischen Kontext vorgeprägt waren und die Art und Weise beeinflussten, in der die Einzelnen ihre Erlebnisse verarbeiteten. Um ihrem Wirken im Krieg irgendeinen Sinn geben zu können, griffen DRK-Schwestern vor allem auf zwei Motiv-Schablonen zurück: Es waren die matriarchalisch strukturierte und dennoch kameradschaftliche Solidargemeinschaft unter Frauen und der Dienst als Wert an sich: eine Jede an ihrem Platz, tatkräftig, klaglos, um einer metaphysisch überhöhten Erwartung an Pflichterfüllung willen. Gepflegt wurde dabei offenbar eine gewisse landserhafte Schnodderigkeit mit vorgestanzten Wendungen, die möglicherweise vom individuellen Erschrecken entlasten sollten. "Schon manches Bömbchen ist in unmittelbarer Nähe heruntergeorgelt, aber wir hatten immer wieder Glück", schrieb eine Schwester Ende 1942 aus Krasnodar in Russland.
Über die Diskrepanz zwischen dem eigentlich internationalen Auftrag ihrer Organisation und der Vereinnahmung für den deutschen Krieg wurde nicht nachgedacht. Letztlich, so legen es Tewes' Quellen nahe, wichen die Deutungsmuster der Rotkreuzschwestern nicht prinzipiell von denjenigen anderer Deutscher ab, die viel zu lange überzeugt waren, für eine gute Sache zu kämpfen.
CHRISTIANE LIERMANN
Ludger Tewes: Rotkreuzschwestern. Ihr Einsatz im mobilen Sanitätsdienst der Wehrmacht 1939-1945. Ferdinand Schöningh Verlag, Paderborn 2016. 525S., 59,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Rotkreuzschwestern im mobilen Sanitätsdienst der Wehrmacht
Noch immer geht es um die Frage, in welchem Maß Institutionen, Ministerien, Verbände und Berufsgruppen am NS-Staat beteiligt waren. Manchmal denkt man, Hitlers Diktatur und ihr Nachleben seien doch nun wirklich ausgeforscht. Aber dann sieht man: Es klaffen noch erhebliche Wissenslücken, nicht zuletzt, was das scheinbar selbstverständliche Funktionieren der Systeme vor und nach 1945 betrifft. Die Normalität einer überwiegend reibungslos laufenden Staatsmaschine, einschließlich der Instanzen im vorstaatlichen Feld, bildet einen der bestürzendsten Aspekte des nationalsozialistischen Apparats und seiner Nachgeschichte. Hier hat die Geschichtswissenschaft noch viel Aufklärung zu leisten.
Eine solche Instanz, die von ihrer Gründungsidee her unpolitisch aufgestellt war, dann aber rasch durch den NS-Staat vereinnahmt wurde und sich in ihm engagierte, war das Deutsche Rote Kreuz. Gemäß seiner Programmatik sollte das Rote Kreuz neutral und international sein, aber eine Reihe von Untersuchungen, vermehrt seit den 1990er Jahren, haben gezeigt, wie stark sich das DRK patriotisch-national verstand und wie bereitwillig es sich nach 1933 ideologisch selbst gleichschaltete und gleichschalten ließ (obwohl es formal nicht in die Organisationen des nationalsozialistischen Staates absorbiert wurde).
Den Schwerpunkt von Ludger Tewes' Studie bildet der Rotkreuzeinsatz während des Krieges im sogenannten mobilen Sanitätsdienst. Der Autor wertet die Akten des Präsidiums des DRK sowie des Sanitätsdienstes der Wehrmacht aus, zieht aber auch Tagebücher, Briefe und Memoiren von Rotkreuzschwestern heran, von denen er einige noch selbst befragt hat. Im ersten Teil des Buches werden die Einsätze des weiblichen Rotkreuzpersonals im Gefolge von Hitlers Feldzügen an den Fronten in Frankreich, auf dem Balkan und in Griechenland, in Afrika, im Osten rekonstruiert. Im Mai 1943 befanden sich immerhin 20 819 DRK-Schwestern, Hilfsschwestern, Schwesterhelferinnen und Helferinnen im Feld.
Bei Tewes gerät die Schilderung von Infrastrukturen und Transporten, von personeller und materieller Ausstattung, von Lazaretten und Krankenbettenzahlen etwas monoton und ist sprachlich nicht immer geglückt; eine straffere, stärker fokussierte Darstellung und Auswertung hätte dem aufschlussreichen Material gutgetan. Denn die quantitativen Angaben zur Logistik des Sanitätsdienstes lassen sich ja durchaus als Quellen zum Verlauf des Kriegs lesen, insofern sie spiegeln, wie Hitler und das Oberkommando die Notwendigkeit der Versorgung verwundeter Soldaten und Zivilisten einschätzten und welche Ressourcen dafür bereitgestellt wurden. Zudem lässt sich durch das Brennglas des medizinischen Dienstes veranschaulichen, dass der Krieg an den verschiedenen Fronten unterschiedlich hart, belastend und grausam erlebt wurde. Solche Eindrücke revolutionieren unser Gesamtbild der Kriegshandlungen nicht, aber sie bilden Mosaiksteine zu einer Erfahrungsgeschichte des Zweiten Weltkriegs, speziell aus weiblicher Perspektive.
Als "Kriegsschwestern" oder "Wehrmachtsschwestern" engagierten sich die Frauen in der Pflege von Kranken und Verwundeten. Ihre oberste Chefin, Luise von Oertzen, hochdekoriert nach 1949, hatte gleich zu Beginn des Frankreich-Feldzugs die Dankbarkeit des DRK betont, nun im militärischen Sanitätsdienst mitwirken zu dürfen. Man identifizierte sich mit Hitlers Krieg, gleichwohl scheint die vordringliche Motivation für die meisten Frauen die pflegerische Mission gewesen zu sein. Ihre zeitgenössischen oder späteren Selbstauskünfte, die Tewes in großem Umfang zu Wort kommen lässt, sprechen eine schlichte, direkte, oft naive Sprache. "Am 9. Mai 1944 kam ich von Brest-Litowsk nach Nantes. Meine Ankunft war für mich märchenhaft. Mir kam alles wie ein Traum vor ", erinnerte sich eine DRK-Schwester Jahrzehnte später. Als die Idylle zerbrach und der Rückzug auch im Westen begann, äußerte sich eine andere Zeitzeugin ebenso ungefiltert: "Alle Leute, die uns sehen, schauen uns mitleidig an. Wir aber strahlen, zumal wenn wir Franzosen sehen. Die sollen nicht merken, wie uns zumute ist. Ich könnte jeden von ihnen steinigen", so in einem Brief vom August 1944.
Im zweiten Teil geht es Tewes darum, solche individuellen Äußerungen als typisch auszuweisen und in den Rahmen überpersönlicher Deutungsmuster einzubetten, die durch den sozialen und ideologischen Kontext vorgeprägt waren und die Art und Weise beeinflussten, in der die Einzelnen ihre Erlebnisse verarbeiteten. Um ihrem Wirken im Krieg irgendeinen Sinn geben zu können, griffen DRK-Schwestern vor allem auf zwei Motiv-Schablonen zurück: Es waren die matriarchalisch strukturierte und dennoch kameradschaftliche Solidargemeinschaft unter Frauen und der Dienst als Wert an sich: eine Jede an ihrem Platz, tatkräftig, klaglos, um einer metaphysisch überhöhten Erwartung an Pflichterfüllung willen. Gepflegt wurde dabei offenbar eine gewisse landserhafte Schnodderigkeit mit vorgestanzten Wendungen, die möglicherweise vom individuellen Erschrecken entlasten sollten. "Schon manches Bömbchen ist in unmittelbarer Nähe heruntergeorgelt, aber wir hatten immer wieder Glück", schrieb eine Schwester Ende 1942 aus Krasnodar in Russland.
Über die Diskrepanz zwischen dem eigentlich internationalen Auftrag ihrer Organisation und der Vereinnahmung für den deutschen Krieg wurde nicht nachgedacht. Letztlich, so legen es Tewes' Quellen nahe, wichen die Deutungsmuster der Rotkreuzschwestern nicht prinzipiell von denjenigen anderer Deutscher ab, die viel zu lange überzeugt waren, für eine gute Sache zu kämpfen.
CHRISTIANE LIERMANN
Ludger Tewes: Rotkreuzschwestern. Ihr Einsatz im mobilen Sanitätsdienst der Wehrmacht 1939-1945. Ferdinand Schöningh Verlag, Paderborn 2016. 525S., 59,- [Euro].
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