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Raymond Birn is Professor Emeritus of History at the University of Oregon. His most recent books are Forging Rousseau: Print, Commerce and Cultural Manipulation in the Late Enlightenment (2001) and Crisis, Absolutism, Revolution: Europe and the World, 1648-1789 (2005).

Produktbeschreibung
Raymond Birn is Professor Emeritus of History at the University of Oregon. His most recent books are Forging Rousseau: Print, Commerce and Cultural Manipulation in the Late Enlightenment (2001) and Crisis, Absolutism, Revolution: Europe and the World, 1648-1789 (2005).
Autorenporträt
Raymond Birn is Professor Emeritus of History at the University of Oregon. His most recent books are Forging Rousseau: Print, Commerce and Cultural Manipulation in the Late Enlightenment (2001) and Crisis, Absolutism, Revolution: Europe and the World, 1648-1789 (2005).
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 15.11.2012

Dem Zensor droht Gefahr von allen Seiten

Wegschauen war auch eine Lösung: Raymond Birns exzellentes Buch über die Zensur im vorrevolutionären Frankreich.

Eigentlich gefiel ihm das Buch. "Es ist interessant geschrieben", notierte er, "und des Autors Talent, Wissen und Auffassungsgabe stehen außer Frage." Er habe aus der Lektüre viel Vergnügen gezogen. Allein was ihm als Leser gefalle, missfalle ihm als Zensor. Der Autor schreibe nicht als Historiker, sondern als Aufständischer, und seine Freiheitsliebe verleite ihn zu Tiraden gegen den König. Was also war zu tun mit dem Buch?

Cadet de Saineville stand schon zwanzig Jahre im Dienst des königlichen Buchhandelsbüros in Paris, als er 1781 eine Abhandlung über den Amerikanischen Unabhängigkeitskrieg von Hilliard d'Auberteuil begutachtete. Der König, den Cadet respektlos behandelt sah, war allerdings nicht der französische, sondern der englische, und damit begannen die zensorischen Komplikationen. Frankreich hatte die Aufständischen in den amerikanischen Kolonien im Unabhängigkeitskampf gegen das britische Mutterland militärisch unterstützt. Wenn nun ein französischer Autor kam und den Amerikanern auch noch ideologisch unter die Arme griff, konnte Cadet schwerlich den Stab über ihn brechen. Schließlich würde er damit die Politik seines obersten Arbeitgebers mit verurteilen.

Gleichzeitig hegte Cadet aber den Verdacht, d'Auberteuil schlage mit seiner Kritik am englischen König den Sack und meine einen Esel in Versailles. Der Autor, lauteten die Indizien, spare nicht mit Ausfällen gegen altehrwürdige Autoritäten aller Art und - noch schlimmer - er suche sich seine Ziele auch diesseits des Ärmelkanals aus. Das konnte Cadet nicht durchgehen lassen: "Ich habe eine Bemerkung über die Bücherverbrennungen der Parlements (der höchsten Gerichte Frankreichs) entfernen lassen, eine Bemerkung, die leicht zum Verbrennen von uns zweien - dem Autor und mir - hätte führen können, wenn ich sie hätte stehenlassen." Der Zensor als Schicksalsgenosse des Autors? Cadet entwarf mit seiner sarkastischen Solidaritätsbekundung ein allzu drastisches Bild der damaligen Bestrafungsmethoden. Ansonsten aber hatte er so unrecht nicht.

Diesen Schluss legt eine von jahrzehntelanger Archivarbeit gesättigte Monographie des amerikanischen Historikers Raymond Birn nahe, die sich mit der Geschichte der königlichen Zensurbehörde von der Régence bis zur Revolution befasst. Birn zufolge teilten die königlichen Zensoren und aufklärerischen Autoren des Ancien Régime mancherlei miteinander. Sie hatten ähnliche Bildungshintergründe, interessierten sich für die gleichen Themen und verkehrten in denselben Kreisen. Nicht wenige Zensoren traten auch als Autoren in Erscheinung. Unter Lamoignon de Malesherbes, der um die Jahrhundertmitte zugleich oberster Zensor und höchster Protektor der aufklärerischen Reformer war, verfassten nicht weniger als sechzehn seiner Kontrolleure Beiträge für jenes Gemeinschaftswerk, das die Zensurbehörde wie kein anderes Publikationsprojekt auf Trab halten sollte: die "Encyclopédie".

Bei so viel Überschneidungen konnten für Zensoren und Autoren auch die Gefahren am gleichen Ort lauern. Cadet de Saineville, dem in Birns Geschichte die Rolle des historischen Hauptzeugen zufällt, hatte mit den Parlements seine Gefahrenquelle benannt. In der ersten Jahrhunderthälfte hatte das Buchhandelsbüro dank der Unterstützung mächtiger Minister seine zensorische Vorrangstellung im Königreich ausgebaut. Um verlorenes Terrain zurückzugewinnen, versuchten die beiden anderen Zensurinstanzen, die Kirche und die Gerichte, jede skandalträchtige Unachtsamkeit oder Großzügigkeit eines königlichen Zensors zu bestrafen. Es sollte ihnen nach 1750 an Gelegenheiten nicht mangeln.

Unter Malesherbes nämlich hielt im Buchhandelsbüro das aufklärerische Credo Einzug, öffentlich geführte Debatten seien dem Erkenntnisfortschritt förderlich, solange sie ohne ehrverletzende oder anstößige Argumente ausgetragen würden. In spezialisierten Wissensgebieten wie der Mathematik, Astronomie oder Physik zahlte sich die Laissez-faire-Politik bald aus. Viele Zensoren gehörten hier zu den führenden Spezialisten, und ihre Arbeit näherte sich dem an, was heutigen Wissenschaftlern als "Peer Review" bekannt ist. In den Gutachten wurde, wie Birn an mehreren Beispielen aufzeigt, mit fachimmanenten Kriterien argumentiert, und der disziplinäre Gruppendruck schlug sich in Urteilen wie jenem des Mathematikzensors Pierre Mathieu nieder, er könne eine "Demonstration der Quadratur des Kreises" unmöglich genehmigen, weil er damit seinen Ruf bei den Kollegen ruinieren würde.

Als ungleich heikler stellte sich eine langmütige Zensurpraxis dagegen bei politischen, philosophischen und theologischen Schriften heraus. Hier fehlte es nicht nur an einem Spezialisierungsparcours, auf dem sich Autoren in spe die Hörner hätten abstoßen können, sondern auch an den rudimentärsten Richtlinien, auf die Zensoren in heiklen Fällen hätten rekurrieren können. So brachte jedes Gutachten seine eigenen Ad-hoc-Kriterien hervor, mit entsprechenden Folgen für die Glaubwürdigkeit der Behörde.

Erschwerend kam hinzu, dass mit Publikationen in diesen Gebieten - anders als heute - viel Geld zu machen war, so dass die Zensoren unter Druck standen, zwecks Wirtschaftsförderung doppelte Standards anzuwenden. Titel, die sie offiziell nicht gutheißen konnten, aber ebenso wenig ausländischen Verlegern überlassen wollten, erhielten eine "permission tacite", womit sie in Frankreich heimlich gedruckt werden durften. So wurden über die Hinterhöfe von Pariser Druckereien laufend Werke ausgeliefert, auf deren Titelblättern "London", "Amsterdam" oder "Genf" als Erscheinungsort stand.

Obwohl Malesherbes früh merkte, dass die Zensurbehörde mit der stillschweigenden Duldung umstrittener Schriften ihre eigene Legitimität untergrub, blieb die Methode bei seinen Mitarbeitern beliebt. Anders nämlich als bei einem offiziellen Privileg, mit dem sie sich, wie der Skandal um Helvétius' "De l'esprit" gezeigt hatte, leicht zur Zielscheibe der kirchlichen und gerichtlichen Zensoren machten, erlaubte es ihnen eine "permission tacite", sich elegant aus der Verantwortung zu stehlen. Zu diesem Zweck entwickelten sie auch eine Kasuistik eigener Art, indem sie ohne Furcht vor Widersprüchen alle möglichen Bedenken zusammentrugen, bevor sie das Buch diskret durchwinkten. Genau das machte Cadet de Saineville, als er bei d'Auberteuils Geschichte erst die Alarmglocken schrillen und dann eine "permission tacite" ergehen ließ.

Birns Buch weckt den Eindruck, in der Behörde habe man zumindest eine Richtlinie konsequent befolgt: ja nicht unnötig auffallen. Manchmal wurde dafür ein beträchtlicher Aufwand betrieben. Fürchtete ein Zensor, sich an einem Werk die Finger zu verbrennen, übergab er es gerne seinem Direktor, der es, wenn sich der Eindruck bestätigte, einem königlichen Minister seines Vertrauens vorlegte. Am Schluss der doppelten Absicherung schaute in der Regel wieder eine "permission tacite" heraus. Eine andere, weniger aufwendige Taktik bestand im Abwarten und Verschleppen, bis der Verfasser und Verleger die Geduld verloren, ohne Erlaubnis druckten und den hilflos-erleichterten Zensor vor vollendete Tatsachen stellten.

Das königliche Zensurorgan hatte sich, halb ökonomischer Pragmatik, halb aufklärerischen Prinzipien folgend, selber schon weitgehend aus dem Verkehr gezogen, als nach 1775 in der Öffentlichkeit die Forderung nach Meinungs- und Pressefreiheit laut wurde. Von Seiten der Zensoren gab es nur wenig Widerspruch, und zu Beginn der Revolution löste sich die Behörde geräuschlos auf. Ihr Ende bildete den Anfang eines neuen, subtileren Konformitätsdrucks. Die Rolle des Zensors nämlich verschwand unter dem Banner der Meinungs- und Pressefreiheit nicht. Sie wurde bloß neu vergeben, und es waren ihre ehemaligen Opfer, die sie von nun an am virtuosesten verkörperten: Verleger, Kritiker und Autoren.

CASPAR HIRSCHI

Raymond Birn: "Royal Censorship of Books in Eighteenth-Century France".

Stanford University Press, Stanford 2012. 195 S., geb., 55,- [Euro].

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