Der »idealisierte Rebell« und der »Dandy des Bösen« - beide sind unzweifelhaft Schlüsselfiguren gewesen.
Ohne Rudi Dutschke wäre die 68er-Bewegung und ohne Andreas Baader die RAF nicht zu verstehen. Beide sind inzwischen Objekte einer postumen Bewunderung.
Obwohl sich Dutschke und Baader in ein- und derselben historischen Strömung bewegt haben, schienen sie als Personen und in ihren jeweiligen Rollenfunktionen doch diametral entgegengesetzt zu sein. Allerdings verbindet sie eine obsessive Affinität zur Gewalt und der Glaube an die Strategie der Eskalation. Beide bewunderten auch die Figur des Guerillero und begriffen sich jeder auf seine Weise als Reinkarnation Che Guevaras- mitten im Kalten Krieg, im gespaltenen Deutschland, an dem am weitesten vorgeschobenen Posten des Westens, in der »Frontstadt« West-Berlin.
Dutschke griff die Idee von der Stadtguerilla bereits lange vor dem Ausbruch der Studentenrevolte auf. Und Baader war derjenige, der sich wie keinanderer als ein solcher städtischer Guerillero sah. Was Dutschke noch mit klassenkämpferischer Diktion propagiert hatte, wurde von dem Abenteurer, dem Auto- und Waffennarr Baader ohne großes ideologisches Federlesen praktiziert. Wer die Geschichte der RAF verstehen will, der kommt deshalb nicht an dieser lange Zeit übersehenen Beziehung vorbei.
Hinweis: Dieser Artikel kann nur an eine deutsche Lieferadresse ausgeliefert werden.
Ohne Rudi Dutschke wäre die 68er-Bewegung und ohne Andreas Baader die RAF nicht zu verstehen. Beide sind inzwischen Objekte einer postumen Bewunderung.
Obwohl sich Dutschke und Baader in ein- und derselben historischen Strömung bewegt haben, schienen sie als Personen und in ihren jeweiligen Rollenfunktionen doch diametral entgegengesetzt zu sein. Allerdings verbindet sie eine obsessive Affinität zur Gewalt und der Glaube an die Strategie der Eskalation. Beide bewunderten auch die Figur des Guerillero und begriffen sich jeder auf seine Weise als Reinkarnation Che Guevaras- mitten im Kalten Krieg, im gespaltenen Deutschland, an dem am weitesten vorgeschobenen Posten des Westens, in der »Frontstadt« West-Berlin.
Dutschke griff die Idee von der Stadtguerilla bereits lange vor dem Ausbruch der Studentenrevolte auf. Und Baader war derjenige, der sich wie keinanderer als ein solcher städtischer Guerillero sah. Was Dutschke noch mit klassenkämpferischer Diktion propagiert hatte, wurde von dem Abenteurer, dem Auto- und Waffennarr Baader ohne großes ideologisches Federlesen praktiziert. Wer die Geschichte der RAF verstehen will, der kommt deshalb nicht an dieser lange Zeit übersehenen Beziehung vorbei.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 31.01.2005Rudi Dutschkes Freunde und Helfer
Dieses Buch kommt gerade rechtzeitig, um unter den Gästen der bevorstehenden feierlichen Einweihung der "Rudi-Dutschke-Straße" in Berlin für schlechte Laune zu sorgen. Wolfgang Kraushaar, wohl der erste Kenner der Geheimgeschichte der bundesrepublikanischen Protestbewegung, geht darin der Dutschke-Legende nach. Aufgebracht hatte diese Legende vor allem der Dichter Erich Fried, der anläßlich des Selbstmordes von Ulrike Meinhof erklärte, die gefeierte Konkret-Kolumnistin hätte den Weg in die RAF wohl nicht eingeschlagen, wenn sie die Gelegenheit zum Austausch mit Dutschke gehabt hätte. In seiner Studie "Rudi Dutschke und der bewaffnete Kampf" setzt Kraushaar hier ein weithin sichtbares Fragezeichen (Wolfgang Kraushaar, Karin Wieland und Jan Philipp Reemtsma: "Rudi Dutschke, Andreas Baader und die RAF". Hamburger Edition, Hamburg 2005. 143 S., geb., 12,- [Euro]).
Dutschke, an Heiligabend 1979 gestorben, hatte mehrere Gesichter: Das des christlichen und nationalen Revolutionärs hat unlängst sein alter Kampfgenosse Bernd Rabehl gezeichnet. Kraushaar ist auf einer anderen Spur. Die Gewaltbereitschaft, so glaubt er, begann nicht erst mit dem Zerfall der Studentenbewegung. Nur die von den damaligen Akteuren gelegten falschen Fährten oder schlicht der Gedächtnisschwund könnten zu einer anderen Ansicht verleiten. Gegen Frieds Bild eines pazifistischen Revolutionärs hatte schon kurze Zeit später aus der Haft Fritz Teufel polemisiert: "Ohne das Attentat, meine ich, wäre Rudi vielleicht selbst diesen Weg gegangen und hätte dem bewaffneten Kampf in den Metropolen, ebenso wie Ulrike, entscheidende Impulse gegeben."
Und damit lag Teufel, wenn man Kraushaar folgt, nicht ganz falsch. Tatsächlich hatte Dutschke ein eigenes, schon vor der Gründung der RAF entworfenes Konzept für den "bewaffneten Kampf" entworfen. In dem mit Hans-Jürgen Krahl verfaßten "Organisationsreferat" vom September 1967 hieß es dazu: "Die ,Propaganda der Schüsse' (Che) in der ,Dritten Welt' muß durch die ,Propaganda der Tat' in den Metropolen vervollständigt werden, welche eine Urbanisierung ruraler Guerilla-Tätigkeit geschichtlich möglich macht. Der städtische Guerillero ist der Organisator schlechthinniger Irregularität als Destruktion des Systems der repressiven Institutionen."
Es folgten praktische Versuche. Gemeinsam mit dem persischen Schah-Kritiker Bahman Nirumand wollte Dutschke im Februar 1968 die Sendemasten des amerikanischen Armeesenders AFN bei Frankfurt sprengen. Die Bombe stammte von einem Mann des Verfassungsschutzes. Dutschke und Nirumand führten sie in einem Koffer mit sich. Bei der Ankunft am Frankfurter Flughafen wurden sie von Polizisten aufgehalten, die Wind von der Sache bekommen haben mochten - und nun folgt eine Szene aus der politischen Hochkomik der guten alten Bundesrepublik: "Da sich Dutschke beklagte, daß er sich nicht die ganze Zeit über mit dem schweren Koffer abschleppen wolle, waren ihnen die Polizeibeamten ganz nach dem Motto ,Die Polizei, dein Freund und Helfer' dabei behilflich, das Gepäckstück in einem Schließfach unterzustellen."
Weitere Sprengstoff-Episoden führen zu Dutschkes Kontakt mit dem italienischen Verleger Feltrinelli im Frühjahr 1968. Feltrinelli sprengte sich später bei einem geplanten Attentat selbst in die Luft, und naturgemäß gab es daraufhin die Legende, er sei von der Polizei oder von Faschisten umgebracht worden. Dutschke hat in einem späten Interview die Abgrenzung seiner Konzeption von jener der RAF darin gesehen, daß die geplanten Attentate ausschließlich der "Gewalt gegen Sachen" galten: "um Aufklärung und Aktion durchzuführen, als symbolischer Akt, ohne dabei im geringsten Gewalt gegen Menschen anzuwenden".
Um Gewalt gegen Menschen geht es in Jan Philipp Reemtsmas kritischer Auseinandersetzung mit dem Psychoanalytiker Horst Eberhard Richter, dem er vorwirft, die Einlassungen der RAF-Terroristin Birgit Hogefeld allzu blauäugig "verstehen" zu wollen. Der Mord an dem amerikanischen Soldaten Pimental werde als "Erschießung" verharmlost, gemeinsam bedienten der Psychoanalytiker und die Terroristin das "Klischee ,68 und die Nazivergangenheit'" mit der hier stets unvermeidlichen Rede vom "Verschweigen der Älteren".
Karin Wieland, die kürzlich ein Buch über den Duce und seine jüdische Geliebte und Mitarbeiterin Margherita Sarfatti veröffentlicht hat, erzählt die Geschichte der RAF als Paarbildung zwischen dem "Narziß" und "Dandy" Baader und Gudrun Ensslin nach, in die sich Ulrike Meinhof bei der "Baader-Befreiung" in Berlin ihr Entree verschafft habe. Die Figur des Dandys, im neunzehnten Jahrhundert von Baudelaire und anderen beschrieben, dann auf Nationalrevolutionäre wie Ernst Jünger angewandt, wird für Karin Wieland zum Schlüssel der Entwicklung: "Der Dandy kennt keinen Nächsten." Untersucht werden vor allem der Stil der RAF und die Botschaft, die von Frisuren und Jacken ausgehen soll: "Ein großer Teil des Geldes, das sie bei Banküberfällen erbeuteten, gaben sie für Kleider aus." Auch die Psychoanalyse steuert ihren Teil bei: "Baaders Geheimnis seiner Macht über Frauen ist, daß er deren phallische Wünsche ernst nahm." Schließlich mündet die Geschlechterwelt des Terrorismus in die Hungerstreiks und in die "zweite Generation": "Es mußte gelingen, eine breite Nachkommenschaft der RAF zu zeugen, indem man die Körper der Gefangenen öffentlich leiden und martern ließ." Das sind assoziativ gewonnene Erklärungen, die nur dann überzeugen, wenn man sie sowieso schon glaubt; wer nicht zu den Eingeweihten gehört, wird sie in dem ansonsten sachhaltigen Band mit einiger Ratlosigkeit lesen.
LORENZ JÄGER
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Dieses Buch kommt gerade rechtzeitig, um unter den Gästen der bevorstehenden feierlichen Einweihung der "Rudi-Dutschke-Straße" in Berlin für schlechte Laune zu sorgen. Wolfgang Kraushaar, wohl der erste Kenner der Geheimgeschichte der bundesrepublikanischen Protestbewegung, geht darin der Dutschke-Legende nach. Aufgebracht hatte diese Legende vor allem der Dichter Erich Fried, der anläßlich des Selbstmordes von Ulrike Meinhof erklärte, die gefeierte Konkret-Kolumnistin hätte den Weg in die RAF wohl nicht eingeschlagen, wenn sie die Gelegenheit zum Austausch mit Dutschke gehabt hätte. In seiner Studie "Rudi Dutschke und der bewaffnete Kampf" setzt Kraushaar hier ein weithin sichtbares Fragezeichen (Wolfgang Kraushaar, Karin Wieland und Jan Philipp Reemtsma: "Rudi Dutschke, Andreas Baader und die RAF". Hamburger Edition, Hamburg 2005. 143 S., geb., 12,- [Euro]).
Dutschke, an Heiligabend 1979 gestorben, hatte mehrere Gesichter: Das des christlichen und nationalen Revolutionärs hat unlängst sein alter Kampfgenosse Bernd Rabehl gezeichnet. Kraushaar ist auf einer anderen Spur. Die Gewaltbereitschaft, so glaubt er, begann nicht erst mit dem Zerfall der Studentenbewegung. Nur die von den damaligen Akteuren gelegten falschen Fährten oder schlicht der Gedächtnisschwund könnten zu einer anderen Ansicht verleiten. Gegen Frieds Bild eines pazifistischen Revolutionärs hatte schon kurze Zeit später aus der Haft Fritz Teufel polemisiert: "Ohne das Attentat, meine ich, wäre Rudi vielleicht selbst diesen Weg gegangen und hätte dem bewaffneten Kampf in den Metropolen, ebenso wie Ulrike, entscheidende Impulse gegeben."
Und damit lag Teufel, wenn man Kraushaar folgt, nicht ganz falsch. Tatsächlich hatte Dutschke ein eigenes, schon vor der Gründung der RAF entworfenes Konzept für den "bewaffneten Kampf" entworfen. In dem mit Hans-Jürgen Krahl verfaßten "Organisationsreferat" vom September 1967 hieß es dazu: "Die ,Propaganda der Schüsse' (Che) in der ,Dritten Welt' muß durch die ,Propaganda der Tat' in den Metropolen vervollständigt werden, welche eine Urbanisierung ruraler Guerilla-Tätigkeit geschichtlich möglich macht. Der städtische Guerillero ist der Organisator schlechthinniger Irregularität als Destruktion des Systems der repressiven Institutionen."
Es folgten praktische Versuche. Gemeinsam mit dem persischen Schah-Kritiker Bahman Nirumand wollte Dutschke im Februar 1968 die Sendemasten des amerikanischen Armeesenders AFN bei Frankfurt sprengen. Die Bombe stammte von einem Mann des Verfassungsschutzes. Dutschke und Nirumand führten sie in einem Koffer mit sich. Bei der Ankunft am Frankfurter Flughafen wurden sie von Polizisten aufgehalten, die Wind von der Sache bekommen haben mochten - und nun folgt eine Szene aus der politischen Hochkomik der guten alten Bundesrepublik: "Da sich Dutschke beklagte, daß er sich nicht die ganze Zeit über mit dem schweren Koffer abschleppen wolle, waren ihnen die Polizeibeamten ganz nach dem Motto ,Die Polizei, dein Freund und Helfer' dabei behilflich, das Gepäckstück in einem Schließfach unterzustellen."
Weitere Sprengstoff-Episoden führen zu Dutschkes Kontakt mit dem italienischen Verleger Feltrinelli im Frühjahr 1968. Feltrinelli sprengte sich später bei einem geplanten Attentat selbst in die Luft, und naturgemäß gab es daraufhin die Legende, er sei von der Polizei oder von Faschisten umgebracht worden. Dutschke hat in einem späten Interview die Abgrenzung seiner Konzeption von jener der RAF darin gesehen, daß die geplanten Attentate ausschließlich der "Gewalt gegen Sachen" galten: "um Aufklärung und Aktion durchzuführen, als symbolischer Akt, ohne dabei im geringsten Gewalt gegen Menschen anzuwenden".
Um Gewalt gegen Menschen geht es in Jan Philipp Reemtsmas kritischer Auseinandersetzung mit dem Psychoanalytiker Horst Eberhard Richter, dem er vorwirft, die Einlassungen der RAF-Terroristin Birgit Hogefeld allzu blauäugig "verstehen" zu wollen. Der Mord an dem amerikanischen Soldaten Pimental werde als "Erschießung" verharmlost, gemeinsam bedienten der Psychoanalytiker und die Terroristin das "Klischee ,68 und die Nazivergangenheit'" mit der hier stets unvermeidlichen Rede vom "Verschweigen der Älteren".
Karin Wieland, die kürzlich ein Buch über den Duce und seine jüdische Geliebte und Mitarbeiterin Margherita Sarfatti veröffentlicht hat, erzählt die Geschichte der RAF als Paarbildung zwischen dem "Narziß" und "Dandy" Baader und Gudrun Ensslin nach, in die sich Ulrike Meinhof bei der "Baader-Befreiung" in Berlin ihr Entree verschafft habe. Die Figur des Dandys, im neunzehnten Jahrhundert von Baudelaire und anderen beschrieben, dann auf Nationalrevolutionäre wie Ernst Jünger angewandt, wird für Karin Wieland zum Schlüssel der Entwicklung: "Der Dandy kennt keinen Nächsten." Untersucht werden vor allem der Stil der RAF und die Botschaft, die von Frisuren und Jacken ausgehen soll: "Ein großer Teil des Geldes, das sie bei Banküberfällen erbeuteten, gaben sie für Kleider aus." Auch die Psychoanalyse steuert ihren Teil bei: "Baaders Geheimnis seiner Macht über Frauen ist, daß er deren phallische Wünsche ernst nahm." Schließlich mündet die Geschlechterwelt des Terrorismus in die Hungerstreiks und in die "zweite Generation": "Es mußte gelingen, eine breite Nachkommenschaft der RAF zu zeugen, indem man die Körper der Gefangenen öffentlich leiden und martern ließ." Das sind assoziativ gewonnene Erklärungen, die nur dann überzeugen, wenn man sie sowieso schon glaubt; wer nicht zu den Eingeweihten gehört, wird sie in dem ansonsten sachhaltigen Band mit einiger Ratlosigkeit lesen.
LORENZ JÄGER
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 04.04.2005Die RAF oder der Versuch einer Aufklärung
An ihrer begrifflichen Unschärfe scheitert die Analyse des Terrorismus der Roten-Armee-Fraktion und ihrer wichtigsten Akteure
Zwei Neuerscheinungen geben vor, der Wahrheit über die RAF auf der Spur zu sein. Doch stattdessen fischen sie vorwiegend im Trüben - mit bedenklicher Wirkung.
Aufklärung tut immer Not - warum nicht auch über den RAF-Terrorismus in der alten Bundesrepublik? Zudem, das Leben und die Untaten der Baader, Meinhof und Co. sind ein spektakulärer - und somit angenehm vermarktbarer - Untersuchungsgegenstand. Auch die RAF-Ausstellung des Berliner Instituts „Kunstwerke” macht sich das zunutze. Das erwartbare (um nicht zu sagen: kalkulierbare) jahrelange öffentliche Gezeter um diese Schau hätte keine Marketing-Agentur besser inszenieren können. Kein Wunder, dass da auch die Buchbranche nicht abseits stehen mag und aus dem Wiederaufleben des „Mythos RAF” als Konsum-Label Kapital zu schlagen versucht.
Geschäftemacherei, Sensationsmacherei also mit einem derart furchtbaren Thema? Aber woher denn. Vor einem solchen Vorwurf schützt sich jedes neue RAF-Verwertungs-Projekt eben durch die Berufung auf das hehre Ideal der Aufklärungspflicht. Nicht dieser Pflicht, wohl aber der Möglichkeit, ihr einigermaßen zuverlässig Genüge zu tragen, steht dabei allerdings nicht wenig entgegen.
Da ist zum einen die hohe Komplexität dieser 30 Jahre der Historie der Bundesrepublik umfassenden Materie. Und zum anderen: Für die gesamte zweite Hälfte der RAF-Geschichte sind die allermeisten Akten, darunter die der zentralen Ermittlungsbehörden, noch nicht zugänglich. Nicht nur deshalb nähert man sich dem neuen, schon mit seinem Umfang Standardwerk-Charakter behauptenden Buch des Juristen und Medienanwalts Butz Peters mit Skepsis. Es geht dabei nicht um den ersten Versuch des Autors zu jenem Thema; bereits 1991 war sein Buch „RAF - Terrorismus in Deutschland” erschienen. Von da an bis zur „Auflösungserklärung” der RAF im April 1998 ist noch genug passiert, um eine erweiterte Neuauflage jenes Werks zu rechtfertigen. Eben die legt Peters nun vor, allerdings ohne das Kind, wie es zumindest der Anstand geböte, beim rechten Namen zu nennen.
Das neue Buch, wiewohl es das alte fortwährend im Wortlaut oder nahezu im Wortlaut zitiert, wird unter dem Titel „Tödlicher Irrtum - Die Geschichte der RAF” als vollkommen eigenständiges Werk ausgegeben. Wieder präsentiert der Autor eine Fülle von - vor allem aus Prozessakten geschöpften, darüber hinaus aber kaum je eigenständig überprüften - Fakten und Daten, ohne damit etwas zur Erhellung auch nur einer einzigen der zahlreichen noch ungeklärten Aspekte seines Themas beizutragen.
Was Peters dem Publikum an neuen Erkenntnissen schuldig bleibt, versucht er durch einen durchgehend um Aufmerksamkeit buhlenden Erzählton wettzumachen. Heraus kommt dabei vor allem schlechter Journalismus, der vor keinem noch so abgelederten Sprach- oder Gedankenklischee zurückschreckt: „Die Akten der Ermittler umfassen elf Millionen Blatt Papier . . . Würde man Seite an Seite legen, ergäbe das eine Länge von 3300 Kilometern. Die Entfernung von Flensburg bis Garmisch-Partenkirchen - mehr als zweimal hin und zurück. Ebenso einmalig die RAF.” So beginnt das schon im Vorwort - und wer bereits an dieser Stelle aufhört zu lesen, hat nichts versäumt.
Nicht vereinbare Thesen
Nicht an der historischen Aufarbeitung, sondern an der intellektuellen und politischen Bewertung des RAF-Terrors versucht sich der schmale, drei Texte von Wolfgang Kraushaar, Karin Baader und Jan Philipp Reemtsma (sowie ein Vorwort des Letzteren) bündelnde Essayband „Rudi Dutschke Andreas Baader und die RAF”. Dass im Titel das Komma zwischen Rudi Dutschke und Andreas Baader fehlt, ist dabei keineswegs ein typografischer Zufall: Vor allem Wolfgang Kraushaars Aufsatz („Rudi Dutschke und der bewaffnete Kampf” - zur Klärung der möglichen Beziehungen zwischen Dutschke, Baader und der RAF”) besteht darin, sie im Unklaren zu lassen, ja mehr noch, sie selbst da, wo sie der Quellenlage nach sehr klar erscheinen, ins Unklare zu transferieren. Konkret gesagt: Kraushaar, der zugleich als wissenschaftlicher Berater der aktuellen RAF-Ausstellung fungiert, kommt nach vielen Vergleichen zwischen theoretischen Aussagen vor allem des frühen Dutschke einerseits und Theorie und Praxis der RAF andererseits zu zwei abschließenden Thesen, die bei Licht betrachtet miteinander nicht vereinbar sind.
Im Wortlaut heißt die erste dieser beiden Thesen: „Dutschke war kein Befürworter der RAF und ein Gegner des Terrorismus.” Die zweite dagegen: „Die Stadtguerilla stammt nicht von der Peripherie, sondern aus dem Zentrum der antiautoritären Bewegung.” Was Kraushaars Argumentation dabei - eine darüber in der taz entbrannte Debatte hat das schnell gezeigt - so schwer angreifbar macht, ist ihre große und wohl absichtsvolle Verschwommenheit, die sich bei Bedarf (und sofern man sich wissenschaftlichen Grundansprüchen zu entziehen bereit ist) auch als Differenzierungsvermögen ausgeben lässt.
Kraushaars Methode, wenn man so etwas Methode nennen will, ist dabei sehr schlicht: Er vermeidet es hartnäckig, auch nur einen der Begriffe klar zu definieren, mit denen er fortwährend hantiert. Was nicht weiter schlimm wäre, wenn denn jeder wüsste, was jeweils gemeint ist. Genau das aber kann man gerade bei so populären Etikettierungen wie „68er-Bewegung”, „Studentenrevolte” oder eben „antiautoritäre Bewegung”, die Kraushaar abwechselnd für ein und dasselbe Phänomen verwendet, nicht sagen. Genauso im Trüben bleiben die Begriffe „Peripherie” und „Zentrum”; die aus vielen Gründen nahe liegende Vermutung, dass jene Bewegung im Grunde nur aus Peripherie bestand und nie ein reales Zentrum hatte, kann so nicht einmal nachgeprüft werden. Wie gesagt, diese begriffliche Unschärfe ist nicht eine bedauerliche Nebenerscheinung von Kraushaars Argumentationsweise, sondern deren konstituierendes Element. Wie das funktioniert, zeigt der letzte und der entscheidende Satz der Beweisführung: „Bei allen Anstrengungen, die bislang unternommen worden sind, ist jedenfalls die Tatsache, dass Theorie und Praxis der Stadtguerilla in Deutschland zunächst einmal auf Dutschke und Kunzelmann und damit auf zwei Protagonisten der Subversiven Aktion und die vielleicht wichtigsten Akteure der 68er-Bewegung, soweit sie sich jedenfalls als Antiautoritäre begriffen, zurückzuführen sind, sträflich vernachlässigt worden.”
Freilich vermag Kraushaar keinen der Nachweise zu führen, die aus diesem Satz wenigstens eine schlüssige These machen würden. Als missing links funktionieren dabei weder der Begriff der „Stadtguerilla” - Kraushaars eigene, höchst unsystematisch vorgeführte Zitate demonstrieren, dass Welten zwischen Dutschkes Überlegungen zu einer „Stadtguerilla” und der vollkommen apolitischen Terrorpraxis der RAF liegen - noch der überraschend aus dem Hut gezauberte Dieter Kunzelmann, der Mitgründer der Splittergruppierung „Tupamaros West-Berlin”, die laut Kraushaar „bereits ein halbes Jahr vor Entstehung der RAF in den Untergrund gegangen ist”. Als wenn dieser Umstand - „in den Untergrund gehen”, was immer das konkret sein mag - irgendwelche Parallelisierungen erlaubte.
Über den gewollten Sinn einer Arbeit wie der Kraushaars lässt sich nur spekulieren. Sehr klar hingegen ist deren objektiver Effekt: Sie trägt dazu bei, jedes nicht a priori systemkonforme Denken zu diskriminieren - und dies gewiss nicht zufällig in einer Zeit, in der sich die legalisierten politischen Steuerungsmittel als zunehmend untauglich erweisen, die inhumanen Zerstörungstendenzen des entfesselten Kapitalismus in den Griff zu bekommen. Überflüssig zu sagen, dass der RAF-Terror ganz bestimmt keine Alternative war. Im Gegenteil: Wer die Aktionen der RAF - und sei es nur, um sich schaudernd von ihnen zu distanzieren - immer noch als politische Aktionen behandelt, geht dem höchst durchschaubaren Selbstüberhöhungs-Gehabe der RAF noch posthum auf den Leim.
Eben dies lässt sich denn auch über die beiden anderen Beiträge jenes Sammelbands behaupten. Während Karin Wielands wohl literarisch gemeinter Text „a.” von einer höchst merkwürdigen Fixierung auf die weiblichen „Opfer” Andreas Baaders (und damit wohl auf Baader selbst) zeugt, könnte man Reemtsmas polemische Antwort auf die Frage „Was heißt ,die Geschichte der RAF verstehen?” womöglich als harmlos-kabarettistische Abrechnung mit einem Psychoanalytiker (Horst-Eberhard Richter) abtun, der sich allzu einfühlsam auf die biografische Anamnese eines RAF-Mitglieds (Birgit Hogefeld) einzulassen bereit war. Nur dass es Reemtsma eben nicht auf den Esel Richter ankommt, sondern auf den Sack, der da munter mitgeprügelt wird. Und selbst dagegen gäbe es nichts zu sagen, wäre dieser Sack nur die Masse jener feigen, „aber verständnisvollen Dritten” - soweit damit Verständnis für die RAF gemeint ist. Nicht Reemtsma selbst in seinem Beitrag, wohl aber das von ihm herausgegebene Buch geht indes weit über dieses Ziel hinaus: Statt kritisches Nachdenken zu fördern, postuliert es Denkverbote.
RAINER STEPHAN
BUTZ PETERS: Tödlicher Irrtum. Die Geschichte der RAF. Argon Verlag, Zürich 2004. 807 Seiten, 24,90 Euro.
JAN PHILIPP REEMTSMA / WOLFGANG KRAUSHAAR / KARIN WIELAND: Rudi Dutschke, Andreas Baader und die RAF. Hamburger Edition, Hamburg 2005. 143 Seiten, 12 Euro.
Der Schuh eines potenziellen Terroristen? Am 11. April 1968 wurde der Studentenführer Rudi Dutschke, der jetzt in den Dunstkreis der RAF gerückt wird, in Berlin von dem politischen Wirrkopf Josef Bachmann niedergeschossen.
Foto: Ullstein
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Eine Dienstleistung der DIZ München GmbH
An ihrer begrifflichen Unschärfe scheitert die Analyse des Terrorismus der Roten-Armee-Fraktion und ihrer wichtigsten Akteure
Zwei Neuerscheinungen geben vor, der Wahrheit über die RAF auf der Spur zu sein. Doch stattdessen fischen sie vorwiegend im Trüben - mit bedenklicher Wirkung.
Aufklärung tut immer Not - warum nicht auch über den RAF-Terrorismus in der alten Bundesrepublik? Zudem, das Leben und die Untaten der Baader, Meinhof und Co. sind ein spektakulärer - und somit angenehm vermarktbarer - Untersuchungsgegenstand. Auch die RAF-Ausstellung des Berliner Instituts „Kunstwerke” macht sich das zunutze. Das erwartbare (um nicht zu sagen: kalkulierbare) jahrelange öffentliche Gezeter um diese Schau hätte keine Marketing-Agentur besser inszenieren können. Kein Wunder, dass da auch die Buchbranche nicht abseits stehen mag und aus dem Wiederaufleben des „Mythos RAF” als Konsum-Label Kapital zu schlagen versucht.
Geschäftemacherei, Sensationsmacherei also mit einem derart furchtbaren Thema? Aber woher denn. Vor einem solchen Vorwurf schützt sich jedes neue RAF-Verwertungs-Projekt eben durch die Berufung auf das hehre Ideal der Aufklärungspflicht. Nicht dieser Pflicht, wohl aber der Möglichkeit, ihr einigermaßen zuverlässig Genüge zu tragen, steht dabei allerdings nicht wenig entgegen.
Da ist zum einen die hohe Komplexität dieser 30 Jahre der Historie der Bundesrepublik umfassenden Materie. Und zum anderen: Für die gesamte zweite Hälfte der RAF-Geschichte sind die allermeisten Akten, darunter die der zentralen Ermittlungsbehörden, noch nicht zugänglich. Nicht nur deshalb nähert man sich dem neuen, schon mit seinem Umfang Standardwerk-Charakter behauptenden Buch des Juristen und Medienanwalts Butz Peters mit Skepsis. Es geht dabei nicht um den ersten Versuch des Autors zu jenem Thema; bereits 1991 war sein Buch „RAF - Terrorismus in Deutschland” erschienen. Von da an bis zur „Auflösungserklärung” der RAF im April 1998 ist noch genug passiert, um eine erweiterte Neuauflage jenes Werks zu rechtfertigen. Eben die legt Peters nun vor, allerdings ohne das Kind, wie es zumindest der Anstand geböte, beim rechten Namen zu nennen.
Das neue Buch, wiewohl es das alte fortwährend im Wortlaut oder nahezu im Wortlaut zitiert, wird unter dem Titel „Tödlicher Irrtum - Die Geschichte der RAF” als vollkommen eigenständiges Werk ausgegeben. Wieder präsentiert der Autor eine Fülle von - vor allem aus Prozessakten geschöpften, darüber hinaus aber kaum je eigenständig überprüften - Fakten und Daten, ohne damit etwas zur Erhellung auch nur einer einzigen der zahlreichen noch ungeklärten Aspekte seines Themas beizutragen.
Was Peters dem Publikum an neuen Erkenntnissen schuldig bleibt, versucht er durch einen durchgehend um Aufmerksamkeit buhlenden Erzählton wettzumachen. Heraus kommt dabei vor allem schlechter Journalismus, der vor keinem noch so abgelederten Sprach- oder Gedankenklischee zurückschreckt: „Die Akten der Ermittler umfassen elf Millionen Blatt Papier . . . Würde man Seite an Seite legen, ergäbe das eine Länge von 3300 Kilometern. Die Entfernung von Flensburg bis Garmisch-Partenkirchen - mehr als zweimal hin und zurück. Ebenso einmalig die RAF.” So beginnt das schon im Vorwort - und wer bereits an dieser Stelle aufhört zu lesen, hat nichts versäumt.
Nicht vereinbare Thesen
Nicht an der historischen Aufarbeitung, sondern an der intellektuellen und politischen Bewertung des RAF-Terrors versucht sich der schmale, drei Texte von Wolfgang Kraushaar, Karin Baader und Jan Philipp Reemtsma (sowie ein Vorwort des Letzteren) bündelnde Essayband „Rudi Dutschke Andreas Baader und die RAF”. Dass im Titel das Komma zwischen Rudi Dutschke und Andreas Baader fehlt, ist dabei keineswegs ein typografischer Zufall: Vor allem Wolfgang Kraushaars Aufsatz („Rudi Dutschke und der bewaffnete Kampf” - zur Klärung der möglichen Beziehungen zwischen Dutschke, Baader und der RAF”) besteht darin, sie im Unklaren zu lassen, ja mehr noch, sie selbst da, wo sie der Quellenlage nach sehr klar erscheinen, ins Unklare zu transferieren. Konkret gesagt: Kraushaar, der zugleich als wissenschaftlicher Berater der aktuellen RAF-Ausstellung fungiert, kommt nach vielen Vergleichen zwischen theoretischen Aussagen vor allem des frühen Dutschke einerseits und Theorie und Praxis der RAF andererseits zu zwei abschließenden Thesen, die bei Licht betrachtet miteinander nicht vereinbar sind.
Im Wortlaut heißt die erste dieser beiden Thesen: „Dutschke war kein Befürworter der RAF und ein Gegner des Terrorismus.” Die zweite dagegen: „Die Stadtguerilla stammt nicht von der Peripherie, sondern aus dem Zentrum der antiautoritären Bewegung.” Was Kraushaars Argumentation dabei - eine darüber in der taz entbrannte Debatte hat das schnell gezeigt - so schwer angreifbar macht, ist ihre große und wohl absichtsvolle Verschwommenheit, die sich bei Bedarf (und sofern man sich wissenschaftlichen Grundansprüchen zu entziehen bereit ist) auch als Differenzierungsvermögen ausgeben lässt.
Kraushaars Methode, wenn man so etwas Methode nennen will, ist dabei sehr schlicht: Er vermeidet es hartnäckig, auch nur einen der Begriffe klar zu definieren, mit denen er fortwährend hantiert. Was nicht weiter schlimm wäre, wenn denn jeder wüsste, was jeweils gemeint ist. Genau das aber kann man gerade bei so populären Etikettierungen wie „68er-Bewegung”, „Studentenrevolte” oder eben „antiautoritäre Bewegung”, die Kraushaar abwechselnd für ein und dasselbe Phänomen verwendet, nicht sagen. Genauso im Trüben bleiben die Begriffe „Peripherie” und „Zentrum”; die aus vielen Gründen nahe liegende Vermutung, dass jene Bewegung im Grunde nur aus Peripherie bestand und nie ein reales Zentrum hatte, kann so nicht einmal nachgeprüft werden. Wie gesagt, diese begriffliche Unschärfe ist nicht eine bedauerliche Nebenerscheinung von Kraushaars Argumentationsweise, sondern deren konstituierendes Element. Wie das funktioniert, zeigt der letzte und der entscheidende Satz der Beweisführung: „Bei allen Anstrengungen, die bislang unternommen worden sind, ist jedenfalls die Tatsache, dass Theorie und Praxis der Stadtguerilla in Deutschland zunächst einmal auf Dutschke und Kunzelmann und damit auf zwei Protagonisten der Subversiven Aktion und die vielleicht wichtigsten Akteure der 68er-Bewegung, soweit sie sich jedenfalls als Antiautoritäre begriffen, zurückzuführen sind, sträflich vernachlässigt worden.”
Freilich vermag Kraushaar keinen der Nachweise zu führen, die aus diesem Satz wenigstens eine schlüssige These machen würden. Als missing links funktionieren dabei weder der Begriff der „Stadtguerilla” - Kraushaars eigene, höchst unsystematisch vorgeführte Zitate demonstrieren, dass Welten zwischen Dutschkes Überlegungen zu einer „Stadtguerilla” und der vollkommen apolitischen Terrorpraxis der RAF liegen - noch der überraschend aus dem Hut gezauberte Dieter Kunzelmann, der Mitgründer der Splittergruppierung „Tupamaros West-Berlin”, die laut Kraushaar „bereits ein halbes Jahr vor Entstehung der RAF in den Untergrund gegangen ist”. Als wenn dieser Umstand - „in den Untergrund gehen”, was immer das konkret sein mag - irgendwelche Parallelisierungen erlaubte.
Über den gewollten Sinn einer Arbeit wie der Kraushaars lässt sich nur spekulieren. Sehr klar hingegen ist deren objektiver Effekt: Sie trägt dazu bei, jedes nicht a priori systemkonforme Denken zu diskriminieren - und dies gewiss nicht zufällig in einer Zeit, in der sich die legalisierten politischen Steuerungsmittel als zunehmend untauglich erweisen, die inhumanen Zerstörungstendenzen des entfesselten Kapitalismus in den Griff zu bekommen. Überflüssig zu sagen, dass der RAF-Terror ganz bestimmt keine Alternative war. Im Gegenteil: Wer die Aktionen der RAF - und sei es nur, um sich schaudernd von ihnen zu distanzieren - immer noch als politische Aktionen behandelt, geht dem höchst durchschaubaren Selbstüberhöhungs-Gehabe der RAF noch posthum auf den Leim.
Eben dies lässt sich denn auch über die beiden anderen Beiträge jenes Sammelbands behaupten. Während Karin Wielands wohl literarisch gemeinter Text „a.” von einer höchst merkwürdigen Fixierung auf die weiblichen „Opfer” Andreas Baaders (und damit wohl auf Baader selbst) zeugt, könnte man Reemtsmas polemische Antwort auf die Frage „Was heißt ,die Geschichte der RAF verstehen?” womöglich als harmlos-kabarettistische Abrechnung mit einem Psychoanalytiker (Horst-Eberhard Richter) abtun, der sich allzu einfühlsam auf die biografische Anamnese eines RAF-Mitglieds (Birgit Hogefeld) einzulassen bereit war. Nur dass es Reemtsma eben nicht auf den Esel Richter ankommt, sondern auf den Sack, der da munter mitgeprügelt wird. Und selbst dagegen gäbe es nichts zu sagen, wäre dieser Sack nur die Masse jener feigen, „aber verständnisvollen Dritten” - soweit damit Verständnis für die RAF gemeint ist. Nicht Reemtsma selbst in seinem Beitrag, wohl aber das von ihm herausgegebene Buch geht indes weit über dieses Ziel hinaus: Statt kritisches Nachdenken zu fördern, postuliert es Denkverbote.
RAINER STEPHAN
BUTZ PETERS: Tödlicher Irrtum. Die Geschichte der RAF. Argon Verlag, Zürich 2004. 807 Seiten, 24,90 Euro.
JAN PHILIPP REEMTSMA / WOLFGANG KRAUSHAAR / KARIN WIELAND: Rudi Dutschke, Andreas Baader und die RAF. Hamburger Edition, Hamburg 2005. 143 Seiten, 12 Euro.
Der Schuh eines potenziellen Terroristen? Am 11. April 1968 wurde der Studentenführer Rudi Dutschke, der jetzt in den Dunstkreis der RAF gerückt wird, in Berlin von dem politischen Wirrkopf Josef Bachmann niedergeschossen.
Foto: Ullstein
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Drei Werke in einem. Zunächst eine Studie von Wolfgang Kraushaar über Rudi Dutschkes Gewaltbereitschaft. Kraushaar widerlegt - oder versucht zu widerlegen - Erich Frieds schöne Mär vom christlichen Friedensbringer Dutschke, der auch Ulrike Meinhof von ihrem mörderischen Weg hätte abbringen können. Dutschke selbst plante mit dem Schah-Kritiker Bahman Nirumand, Sendemasten des amerikanischen Militärs in die Luft zu sprengen. Allerdings flog er auf. Die Polizei hatte Wind von der Sache bekommen. Danach war eine Kooperation mit dem italienischen Verleger Feltrinelli angedacht, doch Feltrinelli kam nicht so glimpflich davon: er kam ums Leben. Dutschke selbst grenzte sich später von den Aktivitäten der RAF durch den Hinweis ab, er habe Gewalt stets nur gegen Sachen richten wollen. Jan Philipp Reemtsma tadelt in seinem Beitrag Horst Eberhard Richter. Der Psychoanalytiker habe eine verharmlosende Sicht auf die RAF-Terroristin Birgit Hogefeld. Während diese beiden Texte die Zustimmung von Rezensent Lorenz Jäger finden, vermag ihn Karin Wielands Studie über den "Narziss und Dandy" Andreas Baader und seine Liaison mit Gudrun Ensslin, die später bereichert wird durch Ulrike Meinhof, nicht zu überzeugen. Bemerkungen wie: "Baaders Geheimnis seiner Macht über Frauen ist, dass er deren phallische Wünsche ernst nahm" lassen ihn ratlos zurück.
© Perlentaucher Medien GmbH
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