Produktdetails
- Verlag: Mohr Siebeck
- ISBN-13: 9783161485268
- ISBN-10: 3161485262
- Artikelnr.: 25330767
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Eine exzellente Biographie des Theologen Rudolf Bultmann und dessen Briefwechsel mit Martin Heidegger zeigen einen großen Gelehrten mit Charakter.
Einen Tag nach seinem Tod am 30. Juli 1976 hieß es in der "Tagesschau" über Rudolf Bultmann, er habe "die Verneinung der leiblichen Auferstehung Christi" gelehrt. Für den bedeutendsten protestantischen Theologen des zwanzigsten Jahrhunderts in Deutschland war das gewiss eine zweifelhafte Zusammenfassung seines Werkes. Was bis zum Fernsehen durchdrang, war Bultmanns Programm religionsgeschichtlicher und theologischer Entmythologisierung, das er in den vierziger Jahren entwickelt hatte. In jenem "und" zwischen Religionsgeschichte und Theologie lag seine Pointe. Denn das Problem, das Bultmann ein Leben lang beschäftigte, bestand im Gegensatz von philologischem wie historischem Wissen einerseits, Glauben andererseits.
Das Christentum war nämlich im Verlauf des neunzehnten Jahrhunderts nicht nur von außen - durch die Evolutionslehre, die Soziologie, den Materialismus und durch alternative Freizeitverwendungen - unter Druck geraten, sondern auch von innen: durch die Erkenntnisse, die inzwischen über seine Grundtexte und seine Ursprünge vorlagen. Darin, so Bultmann, und nicht so sehr in den politischen oder intellektuellen Aufregungen der Jahrhundertwende, bestand die Krise der Religion. Das Weltbild des Neuen Testaments, so Bultmann, sei wie seine Darstellung des Heilsgeschehens mythologisch, weder die Himmelfahrt Christi noch der Wunderglaube oder die Auffassung des Todes als Strafe für die Erbsünde seien einem gegenwärtigen Menschen begreiflich zu machen. "Man kann nicht elektrisches Licht und Radioapparat benutzen", formulierte Bultmann, "und gleichzeitig an die Geister- und Wunderwelt des Neuen Testaments glauben."
Entmythologisierung sollte darum heißen: in jenen Texten kein Weltbild, sondern eine Selbstauslegung des gläubigen Menschen zu finden, eine Beschreibung seiner Existenz. 1941, als Bultmann dies zum ersten Mal vortrug, hatte der Begriff "Mythologie" politische Konnotationen. Bultmann sprach gegen die damals beliebte Vorstellung, der Wille Gottes offenbare sich in der Geschichte des deutschen Volkes. Aber er sprach, so sein Biograph Konrad Hammann, Professor für Theologie an der Universität Münster, auch gegen die in der Bekennenden Kirche im Widerstand gegen den Nationalsozialismus verbreitete Tendenz, in einer vergangenen christlichen Bildwelt Zuflucht vor den Zumutungen der furchtbaren Moderne zu suchen.
Nicht zwischen den Zeiten, sondern zwischen allen Stühlen nahm Bultmann damit Platz: Seitdem riss die akademische wie kirchliche Kontroverse über den Marburger Gelehrten nicht ab. Der aber war kein theologischer Umstürzler und niemand, dem es um griffige Formeln ging. Die hervorragende, historisch wie theologisch klare, klug gegliederte, überaus detailreiche, aber auf keiner Seite langweilende Biographie Hammanns zeigt vielmehr einen Forscher, der es mit den Tugenden der Redlichkeit und des Fleißes ernst nahm. Immens seine gleichwohl nie gehetzte Produktivität und wie klug sein brieflicher Hinweis an Martin Heidegger, da Wissenschaft "sich doch in einer gewissen Gemeinsamkeit" vollziehe, sei es geboten, auch Arbeiten zu publizieren, die nicht "fertig" seien.
Bultmann, 1884 nahe Oldenburg geboren, kam aus einer Pfarrersfamilie und wuchs in den Beruf des Theologen zwanglos hinein. Früh löste er sich dabei von jenen kulturreligiösen Positionen seiner Zeit, die im Christentum so etwas wie die Golddeckung der herrschenden Sittlichkeitsvorstellungen sahen. Christentum, das war für ihn zunächst ein Zusammenhang von Texten samt der Frage, wie sie zu lesen seien. So stürzt er sich in das Studium der Spätantike und der Erkenntnisse, die damals zur historischen Christusgemeinde vorlagen. In diese hermeneutischen und philologischen Lehrjahre hinein wirkte die "Dialektische Theologie", die auf ihre Art auszudrücken versuchte, dass "Glauben" kein Zusammenhang von Empfindungen, beispielsweise nicht die affektive Besetzung allgemeiner, auch außerhalb der Religion gültiger Werte ist. Doch auch gegenüber Barth und Gogarten besteht Bultmann auf der Berücksichtigung dessen, was philologisch über den biblischen Text bekannt ist.
Der Weg, den Bultmann für die Verbindung philologischer und existentieller Analyse wählte, führte über die Philosophie Martin Heideggers, dem er 1924 in Marburg begegnet war, wo Bultmann fast zeit seines Lebens lehrte und Heidegger seine erste Professur hatte. Der jetzt vorliegende Briefwechsel beider zeigt Stationen einer intellektuellen Freundschaft höchst Ungleicher. Bultmann, den die Lektüre von "Sein und Zeit" körperlich angreift, mitnimmt also, weil er in ihr einen Schlüssel zu seinen Problemen findet - Heidegger hingegen, der sich für nichts als das eigene Werk interessiert und dem die Fähigkeit zuzuhören, gar mit jemandem zusammenzuarbeiten, nicht gegeben war. Bultmann, für den die Frage, wie Theologie und Philosophie zueinander stehen, existentiell ist - Heidegger, der glänzende Vorträge darüber halten kann, aber insgeheim die Theologie für etwas Vergangenes hält.
Bultmann schließlich, der das Unbehagen in der Moderne auf einen Begriff bringen möchte, der nicht hinter sie zurückfällt - Heidegger dagegen, der gegen seine Zeit wütet, aus ihren Missständen die Lizenz zu allem zieht und es fertigbringt zu verneinen, jemals der NSDAP beizutreten, um es dann binnen Halbjahresfrist mit fliegenden Fahnen zu tun. Redlichkeit - Verlogenheit. Und beides in einer Freundschaft. Die Art, wie Bultmann auf Heideggers, dessen eigenem Denkvermögen Hohn sprechende "Universitätsrede" von 1934 reagiert, darf nobel genannt werden. Nie hat er Heidegger das "Sie" angeboten. Stattdessen meldet er Nichtverstehen an, und danach wird der Briefwechsel mitteilungsarm. Nicht nur für Bultmann war Heidegger die größte philosophische Erscheinung und zugleich Enttäuschung seiner Zeit.
Anders als Heidegger, das zeigt Hammann gut, zog der Theologe aus der Vorstellung von einem "eigentlichen Dasein" kein Ressentiment gegen die eigene Zeit. Die Sündhaftigkeit der Existenz war für ihn kein Anlass zu expressionistischen Gesten des Ausbruchs und Aufbruchs. Bultmann war darum auch keine Sekunde lang von der Versuchung gefährdet, man könne in einer intellektuellen Opferorgie den Durchbruch zum eigentlichen Leben erzwingen. Zu den bewegendsten Passagen dieser Biographie gehört die Schilderung von Bultmann während der NS-Zeit: integer ohne Widerstandspathos, insistent, bockig. Das Beste des deutschen Gelehrtenstandes zeigte sich in diesem Professor. Man liest in diesem herausragenden Buch nicht nur die Geschichte eines Problems, der Vereinbarkeit nämlich von historischer Aufgeklärtheit und religiösem Bekenntnis, sondern auch die Geschichte eines Charakters.
Die Biographie Konrad Hammanns ist mithin ein Musterbeispiel gelingender Ideengeschichte. Nicht zuletzt lernt man durch sie viel über die deutsche Universität jener Jahre. Hätte sie in der ersten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts mehr solcher Gelehrter gehabt, sie wäre nicht so rasch untergegangen wie 1933. Und hätte der Protestantismus heute die Kraft, sich der Diskussionen zu erinnern, in denen Bultmann und seine Epoche standen, dann stünde es auch besser um ihn. Schließlich müsste es ja der Ehrgeiz einer Konfession sein, die wachsten Geister ihrer Zeit an sich zu binden und nicht nur die, die sich bei Wertereden wohl fühlen.
JÜRGEN KAUBE
Rudolf Bultmann, Martin Heidegger: "Briefwechsel 1925 bis 1975". Herausgegeben von Andreas Großmann und Christof Landmesser. Geleitwort von Eberhard Jüngel. Vittorio Klostermann Verlag, Frankfurt am Main 2009. 342 S., Abb., br., 39,- [Euro].
Konrad Hammann: "Rudolf Bultmann - Eine Biographie". Verlag Mohr Siebeck, Tübingen 2009. XIII, 582 S., geb., 49,- [Euro].
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Großes Lob von Jürgen Kaube für diese Biografie eines streitbaren Theologen. Rudolf Bultmann zwischen allen Stühlen, doch nicht als Umstürzler und Liebhaber griffiger Formeln, sondern als tugendreicher, ja nobler Gelehrter - so stellt es sich Kaube dar nach der Lektüre von Konrad Hammans Buch, das der Rezensent klug gegliedert, detailreich und nie langweilig findet. Besonders beeindruckt hat ihn Hammans Schilderung von Bultmann während der NS-Zeit - das "Beste des deutschen Gelehrtenstandes", staunt Kaube. So wird das Buch für ihn zu mehr, als zu einer problemgeschichtlichen Darstellung (von Bultmanns Ringen um die Vereinbarkeit von Aufgeklärtheit und Glauben): Zur "Geschichte eines Charakters" und somit zu einem "Musterbeispiel gelungener Ideengeschichte".
© Perlentaucher Medien GmbH
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