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Mit dieser Biographie wird die umfassendste sorgfältig dokumentierte Beschreibung des Lebens und Werkes von Rudolf Steiner vorliegen.

Produktbeschreibung
Mit dieser Biographie wird die umfassendste sorgfältig dokumentierte Beschreibung des Lebens und Werkes von Rudolf Steiner vorliegen.
Autorenporträt
Christoph Lindenberg 1930 - 1999:studierte Geschichte, englische Philologie sowie Philosophie und Pädagogik in Göttingen und Freiburg1955 - 1980 Lehrer an verschiedenen Waldorfschulenab 1980 freier Schriftsteller und Dozent am Seminar für Waldorfpädagogik in Stuttgart
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 02.12.1997

Ehrt eure deutschen Meistergeister
Heimat, deine Sternenseher: Rudolf Steiner war auch ein Weimaraner / Von Thomas Steinfeld

Seltsame Orte gebe es, seltsame Regionen des Geistes, hoch und ärmlich, befand Thomas Mann. "An den Peripherien der Großstädte, dort, wo die Laternen spärlicher werden und die Gendarmen zu zweien gehen, muß man in den Häusern emporsteigen, bis es nicht mehr weiter geht, bis in schräge Dachkammern." Dort, so berichtet der Dichter in seiner 1904 erschienenen Erzählung "Beim Propheten", lebten "junge, bleiche Genies, Verbrecher des Traums". Seit langem ist bekannt, daß dieser kleinen Geschichte ein Erlebnis des Schriftstellers zugrunde liegt und daß sich hinter der Gestalt des Propheten "Daniel" der katholische Schwärmer Ludwig Derleth verbirgt. Aber zu jener Zeit gab es viele solcher Glaubensstifter.

Im selben Jahr 1904 wurde der Mathematiker und Philosoph Rudolf Steiner von der Okkultistin Annie Besant zum "Erzwärter" der Esoterischen Schule ernannt. Er sollte eine deutsche Sektion dieser Geheimwissenschaft aufbauen, hatte aber bereits auf eigene Faust damit begonnen, "Heimatrechte in der übersinnlichen Welt" zu verteilen. Knapp neun Jahre währte diese Verbindung zur Theosophie und ihren Geistern, Medien und tibetanischen Meistern, bis er 1912 den "östlichen Weg" endgültig verließ und sich mit der Anthroposophie - die Parallele in der Namensgebung ist Absicht - selbständig machte. Anlaß dieser Scheidung war der Beschluß der Theosophischen Gesellschaft, den Knaben Jiddu Krishnamurti zum Weltheiland auszurufen. Der Grund dafür wird jedoch tiefer gelegen haben: Die Weisheitslehre sollte in der eigenen Welt zu Hause sein, sie sollte abendländisch und modern sein können. Die Theosophie versank bald darauf in einem argen Mummenschanz und hinterließ allenfalls das Personal für J. R. R. Tolkiens "Herrn der Ringe". Rudolf Steiners Anthroposophie hat hingegen sogar in der Öffentlichkeit überlebt, und das nicht zuletzt als pädagogische Lehre.

Im Verlag Freies Geistesleben, einem Unternehmen der anthroposophischen Bewegung, ist nun eine Biographie Rudolf Steiners erschienen. Offenbar einer großen Figur der Kulturhistorie gewidmet, scheint sie sich an ein Publikum zu wenden, das sich nicht aus Angehörigen der anthroposophischen Bewegung zusammensetzt. Sie will den Mann in seiner eigenen Geistesgeschichte plausibel machen, sie will ihm das Abseitige eines Religionsstifters nehmen. Dafür läßt der Autor Christoph Lindenberg die Grenzen zwischen den Figuren des Geistes und dem Treiben der Geister durchlässig werden: So referiert er die Früchte von Steiners Hegel-Lektüre - "alles kommt beim Kunstwerk darauf an, inwiefern der Künstler dem Stoffe die Idee eingepflanzt hat" - im selben Erzählton, in dem er von "Dhyanis" berichtet, "die auf höheren Planen leben, die den Funken des Buddhi stufenweise in den Menschen hineinwerfen". Die Unterschiede verschwimmen in der Atmosphäre jener Zeit.

Tatsächlich hat Rudolf Steiner ein Leben geführt, dessen Schilderung man sich wünschte. Geboren 1861 als Sohn eines Telegraphisten und späteren Bahnhofsvorstehers in einem südlichen Winkel des Königreichs Ungarn, muß er seine Bildung gegen die Umstände erwerben. Er besucht das Realgymnasium und beginnt an der Technischen Hochschule in Wien Mathematik und Naturwissenschaften zu studieren. Aber sein wichtigster Lehrer dort ist der Goetheforscher Karl-Julius Schröer, ein "objektives Mißverständnis" an einer technischen Hochschule. Rudolf Steiner bricht sein Studium ab, aber da hat er bereits die "Grundlinien einer Erkenntnistheorie der Goetheschen Weltanschauung" veröffentlicht und ist, nach einer Empfehlung von Schröer, Herausgeber von Goethes naturwissenschaftlichen Schriften im Verlag von Joseph Kürschner. Nachdem er einige Jahre als Hauslehrer zugebracht hat, wird er - fast dreißig Jahre alt - 1890 nach Weimar gerufen, wo er unter Bernhard Suphan, dem "Kleinlichsten der Kleinlichen", an der Sophienausgabe von Goethes Werken arbeitet: "Ach! Wenn doch nur meine hiesige Tätigkeit der Puppen-Schlafzustand sein könnte, von dem ich als Schmetterling heraus und in den heitren Himmel der reinen, von aller Anhängerschaft freien, philosophischen Lehrtätigkeit fliegen könnte." Aber daraus wird nichts, und als er nach sieben Jahren der ästhetischen Provinz den Rücken kehrt, um in Berlin Mitherausgeber des "Magazins für Litteratur" und später auch Lehrer an der Arbeiterbildungsschule zu werden, läßt er sich am Rande der Bohème nieder. Und es wäre ein solches "bleiches Genie" aus ihm geworden, wie Thomas Mann es beschreibt, hätte er mit der Witwe Eunicke nicht auch die Fürsorge geheiratet.

In der Philosophie, seinem eigentlichen Interessengebiet, ist Steiner Autodidakt. Er liest Kant und Hegel, meint dem einen widersprechen und den anderen verbessern zu können und gibt eine Ausgabe von Schopenhauers Werken heraus. Seine Begeisterung gilt Goethe und dem Ideal einer ästhetischen Wissenschaft sowie Fichte - aus dem religiösen Bedürfnis heraus, das sich die wahre Philosophie nur als eine geheimnisvolle Welt hinter der Fassade des Faktischen vorstellen mag: harmonisch, einheitlich und sinnvoll. "Welches Geheimnis ist das wichtigste?" fragt der silberne König in Goethes "Märchen", das Steiner immer wieder zitiert, und die Antwort lautet: "das offenbare." Kein Wort prägt die philosophischen Schriften Steiners so sehr wie das "Wesen", und sein Schritt vom landläufigen philosophischen Idealismus zum Okkultismus fällt auch deshalb so klein aus, weil man dem "Wesen" nur eine praktische Existenz verleihen muß, um vom Geist zu den Geistern zu gelangen. Eklektisch ist dieses Verfahren aus Prinzip: "So sagt des Meisters Stimme: Lest Eure großen Idealisten: J. G. Fichte, Jacob Böhme, besonders aber Angelus Silesius."

Man hält den Okkultismus gerne für eine radikale Abwendung von den Erfordernissen des Alltags, für eine Art Gegenzauber zur wissenschaftlichen Welt. Daß das späte neunzehnte und frühe zwanzigste Jahrhundert so viele apokryphe Glaubenslehren entstehen läßt, von den Zeugen Jehovas über G. I. Gurdjieff bis hin zu Carl Gustav Jung, erscheint wie ein Versuch, das Menschliche und Geistige vor den Ansprüchen einer zunehmend naturwissenschaftlich und ökonomisch bestimmten Welt in Sicherheit zu bringen.

An Rudolf Steiner und der Gründung der anthroposophischen Bewegung läßt sich erkennen, daß diese negative Religiosität allenfalls die halbe Erklärung ist. Steiner galt bis zu seiner Hinwendung zur Theosophie im Jahr 1901 als Anhänger des "Individualismus", und daran ist so viel richtig, als er aus den Abstraktionen der idealistischen Philosophie innerweltliche Erscheinungen zu machen trachtete: Überall, wo die Philosophie den "Geist" gefunden zu haben glaubte, wollte Steiner nur das "Ich" gelten lassen. Noch 1893 war er überzeugt, mit seiner "Philosophie der Freiheit", der erweiterten Fassung seiner Dissertation, den "philosophischen Unterbau" für Max Stirners Lehre des radikalen Egoismus geliefert zu haben. Man muß sich den Okkultismus auch als Widerstand gegen die Transzendenz vorstellen, und wenn die Anthroposophie die Verbindung zu den Naturwissenschaften sucht, dann offenbar auch, weil sie einem Positivismus der Geistigkeit huldigt: Deshalb bevölkert sich das spiritistische Universum der Anthroposophie so schnell mit Atlantiern und Lemuriern, Eimenschen und Mondtretern, Feuergeistern und Pflanzenmenschen, Elohim, Seraphim und Cherubim.

Rudolf Steiner wäre gern der Herausgeber der Schriften Friedrich Nietzsches geworden, und es hat dazu nicht viel gefehlt. Als Elisabeth Förster-Nietzsche 1896 ihren kranken Bruder von Naumburg nach Weimar schleppte, bot sie die Aufgabe Steiner an. Dieser verfügte ja mittlerweile über eine große Erfahrung als Editor und hatte kurz zuvor die Schrift "Friedrich Nietzsche, ein Kämpfer gegen seine Zeit" veröffentlicht. Vorübergehend muß er davon überzeugt gewesen sein, in Nietzsches negativem Moralismus eine radikalere Vorstellung der eigenen Auffassung von Größe und Bedeutung des "Ich" erkennen zu können, und noch in seinen Fragment gebliebenen Erinnerungen "Mein Lebensgang" ist die Begeisterung zu spüren, die er bei einer Lesung des "Antichrist" durch Elisabeth Förster-Nietzsche empfand. Aber diese verfing sich im Gestrüpp ihrer Intrigen, der Plan zerschlug sich. Wäre er gelungen, hätte es wohl nie eine Anthroposophie gegeben.

Auch für dieses Unternehmen mußte er erst gewonnen werden. Steiner paßte sich immer wieder an. Erst als ihm im Jahr 1901 die Hoffnung genommen wurde, Feuilletonredakteur der Wiener Wochenschrift "Die Zeit" zu werden, ließ er sich auf das Vorhaben der Gräfin Brockdorff ein, mit ihm an der Spitze die deutsche Sektion der Theosophischen Gesellschaft von Berlin aus neu zu beleben. Und Steiner hatte Erfolg, viel Erfolg: als Autor zahlreicher Schriften, darunter die 1904 veröffentlichte "Theosophie", in der er die anthroposophische Lehre einer Dreigliederung von Leib, Seele und Geist, von Reinkarnation und Karma vorstellt, vor allem aber als Handlungsreisender seiner eigenen Lehre.

Steiner ist viel und weit gereist. Tatsächlich muß er ein Vortragskünstler gewesen sein, ein Medium im doppelten Sinne: ein Medium der Öffentlichkeit, das die Bewußtseinsströme des ausgehenden neunzehnten und frühen zwanzigsten Jahrhunderts aufnahm und zu einer esoterischen Lehre verschmolz, die bis zur Herrschaft des Nationalsozialismus ohne größeren Widerstand blieb - und ein Medium der öffentlichen Wirkung, ein Meister im Umgang mit der Meinung, Redner und Publizist, Zeitschriften- und Verlagsgründer, ein Spezialist für die Ausrichtung von Großveranstaltungen bis hin zu den Fragen der Farbgebung und des Dekors. Einmal müßte sich jemand finden, der den Spuren und Folgen dieses Vortragskünstlers nachgeht - bis hin in die Literatur: Franz Kafka zum Beispiel hat 1911 den Redner Rudolf Steiner in Prag gehört, und gerne möchte man wissen, warum die hierarchische Welt im "Prozeß" so viele Ähnlichkeiten mit den esoterischen Organisationsplänen Rudolf Steiners aufweist.

Die Anthroposophie ist eine friedliche Lehre, und sogar die Trennung von der Theosophischen Gesellschaft gelang beinahe, ohne daß eine Seite die andere des Ketzertums bezichtigt hätte. Man mag den Eklektizismus dieser Lehre für den Grund der Milde halten: Wer alles miteinander verbinden will, kennt auch das andere nicht mehr. Aber es wäre noch mehr dazu zu sagen. Denn die Anthroposophie ist ja auch ein Versuch, quer durch die Zeiten und Kontinente zu einer Art von religiösem Esperanto zu finden, in der Kult, Ort und Gemeinde sich wieder zu einem Lebensverband vereinen und die Kunst dazu dient, dem Leben liturgische Form zu verleihen.

Christoph Lindenbergs Biographie ist das Werk eines Jüngers, getragen von Dankbarkeit und für eine wirkliche Auseinandersetzung nicht zu brauchen, weil sie ein Teil der Lehre ist, mit der man sich auseinandersetzen müßte. Um so deutlicher macht sie aber, daß hier ein wahrhaft großes Thema brachliegt: der Versuch, in aufgeklärten Zeiten eine Religion zu gründen, um deretwillen man nicht unbedingt religiös werden mußte. Über die Gründe dieser Ignoranz mag man spekulieren. Das Unspektakuläre, wenig Anstößige dieser säkularen Religion mag dazu gehören.

Christoph Lindenberg: "Rudolf Steiner". Eine Biographie. Verlag Freies Geistesleben, Stuttgart 1997. 2 Bände in Kassette. 1025 S., geb., Subskr.-Pr. bis 31. 12. 98 148,-, danach 168,- DM.

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