Hätte sein Nachbar - ein pensionierter französischer Diplomat mit äußerst charmanten Umgangsformen - ihn nicht auf die Idee gebracht, vielleicht hätte Dominic dann nie mit seinen Nachforschungen begonnen. Schließlich wußte er kaum etwas über seinen Vater und hatte vierzig Jahre lang auch kein starkes Bedürfnis verspürt, mehr zu erfahren. Außer dem Namen und einem vergilbten Porträtfoto mit Widmung an die Geliebte hatte Dominic nichts in der Hand.
Monate später, Toulouse, Rue du Languedoc, ein Jahrhundertwendehaus, darin eine Anwaltskanzlei: Dominic wartet, er ist zu früh, ist nervös. Fragen quälen ihn: was es eigentlich bringen soll, einen Mann in eine Rechtsanwaltskanzlei zu bestellen, einen, der Jahre lang nicht wichtig war, der eine werdende Mutter hat sitzenlassen, der, endlich von den Behörden ausfindig gemacht, die Weitergabe seiner Adresse verbietet, einer, derseinen eigenen Sohn nicht sehen will...
Monate später, Toulouse, Rue du Languedoc, ein Jahrhundertwendehaus, darin eine Anwaltskanzlei: Dominic wartet, er ist zu früh, ist nervös. Fragen quälen ihn: was es eigentlich bringen soll, einen Mann in eine Rechtsanwaltskanzlei zu bestellen, einen, der Jahre lang nicht wichtig war, der eine werdende Mutter hat sitzenlassen, der, endlich von den Behörden ausfindig gemacht, die Weitergabe seiner Adresse verbietet, einer, derseinen eigenen Sohn nicht sehen will...
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 25.03.2000Nur der Zuckerbäcker hat Figur
Victor Tiefenbrunner stöbert beidhändig im Banalen
Dominic Althaler wartet in einer Anwaltskanzlei auf seinen Vater, der seine Mutter vor vierzig Jahren sitzen ließ, als sie schwanger war. Sie kehrte damals aus Paris von ihrem Aufenthalt als Au-pair-Mädchen in das österreichische Dorf zurück, wo ihr Sohn geboren wurde und bei seinen Großeltern aufwuchs. Dominic erinnert sich an die vaterlosen Jahre im Dorf, in einem Internat, später in München, wo er von einer Karriere als Rockmusiker träumte, und in Innsbruck, wo das versuchte Familienleben scheitert. Viel später, durch die Trennung von seiner Frau auf sich selbst zurückgeworfen, beginnt er nach seinem Vater zu forschen. In Toulouse schließlich findet er ihn und zwingt ihn zu dem Treffen in der Anwaltskanzlei.
Die Rahmenhandlung, Dominics Warten und die erzwungene Unterredung, nimmt in der Erzählung nur wenige Seiten ein. Erheblich mehr füllt die Rückblende mit den Erinnerungen aus vierzig Jahren zuvor: Es geht um die erst spät eingestandene Vatersuche Dominics, um Ersatzväter und -mütter, um Ausbruchsversuche im Drogenrausch der frühen Siebziger, um liebesunfähige Männer und leidende Frauen - ein buntes Durcheinander, dessen Erzähler nicht immer lang genug bei einer Figur oder Situation verweilt, um mehr als ein Stereotyp zu entwerfen. Es gibt zwar darunter durchaus plastische Gestalten, etwa Dominics Großvater oder Milan, den Ex-Partisan und Zuckerbäcker, der Dominics Mutter heiratet und mit seiner Eifersucht quält. Doch weil viele der übrigen Protagonisten eher schemenhaft gezeichnet werden, lassen sie nicht nur den erinnernden Erzähler, sondern auch den Leser unbeteiligt.
Großen Anteil daran hat der wenig überzeugende Stil der Erzählung. Ärgerlich sind die unbeholfenen Redewendungen und vorhersehbaren Situationen, die den Text durchziehen: Da sinniert der erwachsene Dominic angesichts der Schwangerschaft seiner Frau darüber, "was sich durch ein Kind an meinem bequemen Leben ändern würde: kein Weekend-Urlaub mehr, kein ungebundener Double-income-no-kids-Fun". Stattdessen "Berge von Windeln und Babygeplärr in der Nacht". Ohne einen Anflug von Ironie reiht der Erzähler längst verbrauchte Formulierungen aneinander, und wo der Text nach Lokalkolorit hascht, indem er französische Brocken einflicht, geschieht dies nicht nur gezwungen, sondern manchmal auch in offensichtlich unbeabsichtigt schlechtem Französisch ("Destinatoire inconnu", "Demandez á votre mére"). So hinterlässt die Sprache der Erzählung den Eindruck unmotivierter Schludrigkeit. Am Ende hat Dominic seinen Vater neuerlich verloren. Merkwürdig nur, wie wenig das noch interessiert.
TILMAN SPRECKELSEN
Victor Tiefenbrunner: "Rue du Languedoc". Erzählung. Verlag Otto Müller, Salzburg 1999. 148 S., geb., 29,80 DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Victor Tiefenbrunner stöbert beidhändig im Banalen
Dominic Althaler wartet in einer Anwaltskanzlei auf seinen Vater, der seine Mutter vor vierzig Jahren sitzen ließ, als sie schwanger war. Sie kehrte damals aus Paris von ihrem Aufenthalt als Au-pair-Mädchen in das österreichische Dorf zurück, wo ihr Sohn geboren wurde und bei seinen Großeltern aufwuchs. Dominic erinnert sich an die vaterlosen Jahre im Dorf, in einem Internat, später in München, wo er von einer Karriere als Rockmusiker träumte, und in Innsbruck, wo das versuchte Familienleben scheitert. Viel später, durch die Trennung von seiner Frau auf sich selbst zurückgeworfen, beginnt er nach seinem Vater zu forschen. In Toulouse schließlich findet er ihn und zwingt ihn zu dem Treffen in der Anwaltskanzlei.
Die Rahmenhandlung, Dominics Warten und die erzwungene Unterredung, nimmt in der Erzählung nur wenige Seiten ein. Erheblich mehr füllt die Rückblende mit den Erinnerungen aus vierzig Jahren zuvor: Es geht um die erst spät eingestandene Vatersuche Dominics, um Ersatzväter und -mütter, um Ausbruchsversuche im Drogenrausch der frühen Siebziger, um liebesunfähige Männer und leidende Frauen - ein buntes Durcheinander, dessen Erzähler nicht immer lang genug bei einer Figur oder Situation verweilt, um mehr als ein Stereotyp zu entwerfen. Es gibt zwar darunter durchaus plastische Gestalten, etwa Dominics Großvater oder Milan, den Ex-Partisan und Zuckerbäcker, der Dominics Mutter heiratet und mit seiner Eifersucht quält. Doch weil viele der übrigen Protagonisten eher schemenhaft gezeichnet werden, lassen sie nicht nur den erinnernden Erzähler, sondern auch den Leser unbeteiligt.
Großen Anteil daran hat der wenig überzeugende Stil der Erzählung. Ärgerlich sind die unbeholfenen Redewendungen und vorhersehbaren Situationen, die den Text durchziehen: Da sinniert der erwachsene Dominic angesichts der Schwangerschaft seiner Frau darüber, "was sich durch ein Kind an meinem bequemen Leben ändern würde: kein Weekend-Urlaub mehr, kein ungebundener Double-income-no-kids-Fun". Stattdessen "Berge von Windeln und Babygeplärr in der Nacht". Ohne einen Anflug von Ironie reiht der Erzähler längst verbrauchte Formulierungen aneinander, und wo der Text nach Lokalkolorit hascht, indem er französische Brocken einflicht, geschieht dies nicht nur gezwungen, sondern manchmal auch in offensichtlich unbeabsichtigt schlechtem Französisch ("Destinatoire inconnu", "Demandez á votre mére"). So hinterlässt die Sprache der Erzählung den Eindruck unmotivierter Schludrigkeit. Am Ende hat Dominic seinen Vater neuerlich verloren. Merkwürdig nur, wie wenig das noch interessiert.
TILMAN SPRECKELSEN
Victor Tiefenbrunner: "Rue du Languedoc". Erzählung. Verlag Otto Müller, Salzburg 1999. 148 S., geb., 29,80 DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Wenig begeistert ist Tilman Spreckelsen von der Erzählung über einen vierzigjährigen Mann, der aus der österreichischen Provinz aufbricht, um seinen französischen Vater zu suchen. Die schemenhaft überzeichneten Protagonisten, "unbeholfenen Redewendungen und vorhersehbaren Situationen" haben sein Lesevergnügen erheblich beeinträchtigt. Sie bewirken beim Rezensenten, daß er sich für die Geschichte, die rückblickend eine vaterlose Kindheit, liebesunfähige Männer und leidende Frauen schildert, nicht wirklich interessieren kann.
© Perlentaucher Medien GmbH
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