Vergangenheit und Gegenwart, Ost-Berlin und Budapest
Mit "Rückkehr nach Budapest" nähert sich die Autorin Nikoletta Kiss einem altbekannten Thema auf eine neue Weise. In der deutschsprachigen Literatur wurden die DDR und das Leben in Ost-Berlin bereits vielfach behandelt, sei es durch
Historienromane oder Zeitzeugenberichte. Namhafte Autoren haben sich diesem Kapitel deutscher Geschichte…mehrVergangenheit und Gegenwart, Ost-Berlin und Budapest
Mit "Rückkehr nach Budapest" nähert sich die Autorin Nikoletta Kiss einem altbekannten Thema auf eine neue Weise. In der deutschsprachigen Literatur wurden die DDR und das Leben in Ost-Berlin bereits vielfach behandelt, sei es durch Historienromane oder Zeitzeugenberichte. Namhafte Autoren haben sich diesem Kapitel deutscher Geschichte gewidmet, wodurch die Erwartungen an Kiss hoch sind. Doch bereits der Titel und die Vita der Autorin deuten darauf hin, dass sie einen ungewöhnlichen Zugang wählt. Sie verwebt das sozialistische Budapest in das Narrativ, eine selten betrachtete Perspektive, die frische Impulse in das Thema bringt.
Der Roman erzählt die Geschichte der Protagonistin Márta, die zwischen zwei Welten steht. Ihre Teilmigration von Budapest nach Ost-Berlin ermöglicht ihr einen Blick auf das System, der sich von dem einer in der DDR aufgewachsenen Person unterscheidet. Márta flieht vor ihrem trinkenden Vater und findet Zuflucht bei ihrer Freundin in Ost-Berlin. Durch ihre sprachlichen und kulturellen Vorkenntnisse kann sie schnell in das kulturelle Leben der Stadt eintauchen. Dort begegnet sie Konstantin, einem Dichter, der sich zunehmend als regimekritischer Schriftsteller profiliert. Sein großes Romanprojekt entlarvt die Zustände in einem Internat, das von staatlicher Repression geprägt ist, und bringt ihn in Gefahr.
Als Konstantins brisantes Manuskript in Umlauf gerät, nimmt die Handlung eine dramatische Wendung. Márta wird in eine Auseinandersetzung verwickelt, die sie zwischen Loyalität zu ihren Freunden und der Angst vor dem repressiven System hin- und herreißt. Ihr Blick auf die politische Lage bleibt differenziert. Im Gegensatz zu Konstantin, der eine kompromisslose Haltung gegenüber dem Regime einnimmt, erkennt sie zwar dessen Mängel, verfolgt aber zunächst keine explizit politische Agenda. Vielmehr zieht es sie nach Berlin, um ihren Freundinnen Theresa und Katja nahe zu sein. Erst durch ihre Beziehung zu Konstantin entwickelt sie ein Bewusstsein für die politischen Verhältnisse, kann sich seiner Anziehungskraft jedoch nicht entziehen.
Márta ist eine ambivalente Protagonistin. Ihre Passivität und ihre Neigung, schwierigen Situationen aus dem Weg zu gehen, stehen im Kontrast zu Konstantins Entschlossenheit. Dieser Gegensatz erzeugt Spannung, insbesondere als ihre Freundschaft zu Theresa und Katja auf die Probe gestellt wird. Eifersucht durchzieht ihre Beziehungen, da Konstantin eine charismatische Macht auf alle ausübt. Kiss gelingt es, ein komplexes Beziehungsgeflecht zu zeichnen, das zwischen Faszination, Abhängigkeit und Rivalität schwankt.
Strukturell setzt der Roman auf eine raffinierte Erzählweise mit mehreren Zeitebenen. Die Haupthandlung in Ost-Berlin wird durch Mártas Gegenwartsperspektive in Budapest ergänzt. Nach vielen Jahren kehrt sie zur Beerdigung von Theresa zurück. Schnell wird deutlich, dass ungelöste Konflikte aus der Vergangenheit in ihr nachwirken. Die Rückblenden erlauben es dem Leser, nach und nach in die Geschehnisse von damals einzutauchen. Dadurch entsteht nicht nur ein Wechsel zwischen Budapest und Ost-Berlin, sondern auch zwischen Vergangenheit und Gegenwart. Diese narrative Verzahnung macht deutlich, dass Mártas Leben nicht strikt in "damals" und "heute" unterteilt werden kann – ebenso wenig wie die Grenzen zwischen den beiden Städten klar gezogen werden können.
Die Stärke des Romans liegt in seiner differenzierten Figurenzeichnung. Besonders Konstantin bleibt im Gedächtnis, da seine Überzeugungen klar fassbar sind, obwohl er selbst mit Zweifeln zu kämpfen hat. Er zögert lange, sein Romanprojekt zu veröffentlichen, was seine Zerrissenheit verdeutlicht. Die anderen Charaktere sind weniger eindeutig gezeichnet, aber gerade dadurch spannend. Ihre Beweggründe bleiben lange unklar, was zu einem Geflecht aus Lügen und Intrigen führt, das Kiss geschickt entfaltet.
Auch das Motiv des Widerstands gegen das Regime wird überzeugend umgesetzt. Während viele Romane dieses Themas mit pathetischen Heldenerzählungen arbeiten, bleibt Kiss realistisch. Die Figuren werden mit der Härte des Freiheitskampfes konfrontiert, aber die Geschichte vermeidet überzogene Dramatisierungen. Stattdessen setzt sie auf feine Zwischentöne und den psychologischen Druck, der auf den Figuren lastet.
Insgesamt überzeugt "Rückkehr nach Budapest" durch seine Stärken: Es ist kein bahnbrechender Roman, aber er bietet eine selten gelesene Perspektive auf die DDR. Die literarische Qualität ist nicht überragend, doch das Zusammenspiel aus politischen Themen, persönlichen Beziehungen und einer komplexen Erzählstruktur hebt das Werk von anderen historischen Romanen ab.