Achtundzwanzig Jahre ist es her, daß Siemen und seine Schwester Nona sich nicht mehr gesehen haben. Doch in der unkomfortablen Hütte in Frankreich braucht es nur ein paar Gesten, Worte, kurze Sätze, um die Erinnerung an die Kindheit wachzurufen, fast stellt sich die alte Vertrautheit wieder ein.
Die Kindheit: das war Podgoritza, ein Vorort von Dresden. Wie durch ein Photoalbum führt Karla Schneider die Geschwister zurück in Kriegs- und Nachkriegszeit, als sie noch eng miteinander verbunden waren und glaubten, dass niemand sie jemals trennen könnte. Sie wohnen wieder in dem großen, verschachtelten Haus mit Mutter und Oma Bertha und den Ausgebombten, die schon bessere Tage gesehen haben. "Wieso, verdammt noch mal, waren wir so fröhlich?" fragt sich Siemen, als die Erinnerung die Gegenwart überlagert, die Wochen verstreichen und weder er noch Nona das Zusammensein beenden wollen. Ihre Nähe gibt ihnen den Mut, zu den Orten der Kindheit aufzubrechen. Doch die Rückkehr hat längst stattgefunden. Mit dem autobiographisch gefärbten Roman "Rückkehr nach Podgoritza" ist Karla Schneider ein Buch von erlesener sprachlicher Qualität gelungen, das seinen Leser durch die Natürlichkeit und Gültigkeit der Beschreibung von Gegebenheiten, Menschen und Gefühlen in seinen Bann zieht.
Die Kindheit: das war Podgoritza, ein Vorort von Dresden. Wie durch ein Photoalbum führt Karla Schneider die Geschwister zurück in Kriegs- und Nachkriegszeit, als sie noch eng miteinander verbunden waren und glaubten, dass niemand sie jemals trennen könnte. Sie wohnen wieder in dem großen, verschachtelten Haus mit Mutter und Oma Bertha und den Ausgebombten, die schon bessere Tage gesehen haben. "Wieso, verdammt noch mal, waren wir so fröhlich?" fragt sich Siemen, als die Erinnerung die Gegenwart überlagert, die Wochen verstreichen und weder er noch Nona das Zusammensein beenden wollen. Ihre Nähe gibt ihnen den Mut, zu den Orten der Kindheit aufzubrechen. Doch die Rückkehr hat längst stattgefunden. Mit dem autobiographisch gefärbten Roman "Rückkehr nach Podgoritza" ist Karla Schneider ein Buch von erlesener sprachlicher Qualität gelungen, das seinen Leser durch die Natürlichkeit und Gültigkeit der Beschreibung von Gegebenheiten, Menschen und Gefühlen in seinen Bann zieht.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 28.08.2001Strömender Rosj, brodelnde Elbe
Büschelentladung: Karla Schneider katapultiert sich in die Kindheit
Bruder und Schwester: Das ist eine im Märchen häufige, in der neueren Literatur weniger häufige Paarung. Karla Schneiders Roman "Rückkehr nach Podgoritza" macht da eine Ausnahme - und nimmt immer wieder auf Märchenmotive Bezug.
Nona, die Ich-Erzählerin, und ihr zwei Jahre älterer Bruder Siemen sind in einem Vorort von Dresden aufgewachsen. In ihre Kindheit fielen Höhepunkt und Untergang des "Heilidder"-Regimes, die Bombardierung und Zerstörung der Stadt, der Einmarsch der Russen, die Konstituierung des Mangel- und Gängelstaates DDR. Der Vater ist wahrscheinlich im Stalingrader Kessel umgekommen, die Mutter - bei den Geschwistern nur "die Macht" genannt - führt das Regiment über eine sehr gemischte Gesellschaft von ausgebombten Verwandten, die in Podgoritza untergeschlüpft sind. Nur vorübergehend, wie sie betonen; aber das Provisorium dauert mangels Alternativen viele Jahre an. Schließlich lernt die Mutter einen neuen Mann kennen und geht mit ihm und den Kindern in den Westen.
Dort trennen sich die Wege der Geschwister; Siemen versucht eine Sängerkarriere im seltenen Fach des "Männersoprans" (also Altus), scheitert aber an seiner Unfähigkeit, einem Publikum ins Auge zu sehen, und beschränkt seine Berufstätigkeit auf gelegentliche "Exklusiv-Auftritte" bei Privateinladungen, immer mit der Auflage, aus einem Nebenzimmer singen, also unsichtbar bleiben zu dürfen. Ansonsten lebt er in einem Hotel auf Ischia in der Gesellschaft Arturos, eines bunten Vogels, der doppelt so exzentrisch, aber nur halb so neurotisch ist wie Siemen. Nona ist Kinderbuchautorin geworden (wie Karla Schneider selbst) und hat eine gescheiterte Ehe hinter sich, aus der ein unzugänglicher Sohn übriggeblieben ist.
Sie sind beide um die oder an die sechzig, als Siemen seine Schwester zu einem Wiedersehen einlädt, auf einen Bauernhof in die französische Provinz. 28 Jahre haben die beiden sich nicht gesehen; gemeinsam ist ihnen nur die Vergangenheit, und so konzentrieren sie sich bei dem Treffen darauf, diese wiederzubeleben. "Unsere beste Zeit": in der sie unzertrennlich waren, nur paarweise auftraten, dachten und fühlten, allein zu zweit gegen alle, bevor dann die Spaltpilze des Erwachsenenlebens in Form von Liebhabern in Sicht kamen. Wiederbelebung, die mehr sein will als mechanische Rekonstruktion, bedarf ganz bestimmter Auslöser. Marcel Proust hat in seiner "Recherche" dargelegt, daß die entscheidenden Sinnesreize nur dann wirken können, wenn sie unverbraucht sind und das kontrollierende Bewußtsein durchstoßen. Die legendäre Madeleine bliebe folgenlos, wenn Marcel sich das entsprechende Gebäck täglich in seinen Tee tauchte.
Auch Nona rechnet nicht mit ebenden Katapulten, die sie in die Kindheit expedieren. Ein solches Katapult ist der Roman "Ferne Jahre" von Konstantin Paustowski, den Nona vor dem Einschlafen liest. Zusätzlich hängt über ihrem Bett ein feuchtes Laken. Und so geschieht es: Der über die Ufer getretene Fluß Rosj "strömte über den Damm, ich würde nicht mehr rechtzeitig hinüberkommen, es toste, rauschte, brauste, ich zog Schuhe und Strümpfe aus und begann hineinzugehen, schaumige Strudel brodelten mir um die Knöchel", und längst ist aus dem Rosj die Elbe geworden, die im April 1945 Hochwasser führte und in der die Mutter, bevor die Russen kommen, eine Hakenkreuzfahne, das zur Hochzeit geschenkte Exemplar von "Mein Kampf" und die Pistolen des vermißten Mannes versenkt.
Und dann sind sie da, der Onkel Taupalt mit seinem Bruchband, seine Frau, die über all die verbrannten Herrlichkeiten, insbesondere das Speiseservice "Meißner Rose", jammert, die Oma Bertha, die auch später noch in Erinnerung an die mageren Jahre beim Kochen immer die Zutaten halbiert; Gretjen Klengel, eine Cousine x-ten Grades, die mit ihrer Tochter Armgart täglich zum "Enttrümmern" fährt und Anspruch auf eine Schwerarbeiterkarte hat. Eine Notgemeinschaft, die allen Beteiligten ein Höchstmaß an Geduld abfordert und zugleich eine subtile Hierarchie aus Rechten, Zuständigkeiten und Grenzen ausgebildet hat.
Es reicht Nona nicht, die Kindheit nur sprunghaft, fragmentarisch und unvorhersehbar zurückzubekommen. Sie will mehr, sie will Verfügbarkeit. Das "Verlangen, Vergangenheit wiederherzustellen", wird übermächtig. Mit Siemen - ist er nicht auch wiedergefunden? - glaubt sie einen Mechanismus in der Hand zu haben, aus der "mémoire involontaire" (wie Proust das genannt hatte) eine "mémoire volontaire", eine mit dem Willen lenkbare Erinnerung, zu machen. Durch Ergänzung und Konfrontation der Gedächtnisschnipsel beider Geschwister soll ein vollständiges und plastisches Bild entstehen, "wie bei photographischen Stereoaufnahmen des 19. Jahrhunderts. Legte man sie aufeinander, traten überraschende Nebendinge ans Licht, die auf der einen Aufnahme zu kurz gekommen waren und nun, sprühende Büschelentladungen, ins Bild sprangen, wo sie hingehörten".
Tatsächlich gelingt so, aus solchen "Büschelentladungen", ein Panorama der Podgoritzer Vergangenheit, ein bewegtes Bild, das auch noch zu atmen und zu duften scheint wie ein lebendiges Wesen. Aber auch dieses Ergebnis stellt Nona noch nicht zufrieden. Sie will, wie des Fischers Fru im Märchen, immer mehr. In diesem Falle: daß wieder sei, was einmal war - die kindliche Zweifaltigkeit der Geschwister. Aber daraus wird nichts, wie sich ausgerechnet bei einer Nostalgie-Reise in die alte Heimat herausstellt. Im Dresdner Hotel angekommen, muß Nona feststellen, daß Siemen seinen italienischen Liebhaber dorthin bestellt hat. Der wartet im Foyer und spannt mit dem einfachen Satz "Cosa facciamo stasera?" der Schwester den Bruder einfach aus. Was war, ist gewesen. Die Rückkehr nach Podgoritza findet nicht statt. Aber hat sie nicht längst stattgefunden - in der Erinnerung, in diesem Buch?
Karla Schneiders Roman zeigt, wie exzellent in der deutschen Literatur auch jenseits des Scheinwerferlichts der jeweiligen medialen Aufmerksamkeit geschrieben wird. Wunderbar ambivalent und allen Kategorisierungen fern ist das Verhältnis der Geschwister dargestellt, als ebenso unvergleichlich wie unhaltbar, wenn die Biographie einmal ihren Lauf genommen hat. Der Schatz der Vergangenheit, der hier gehoben wird, ist auch ein Wort-Schatz; Wörter wie "sengerich" und "verpupt", "hinausrammeln" und "herumhatschen", "wurrlen", "golken" und "sielen" erfreuen auch den Leser, der sie noch nie gehört hat.
MARTIN EBEL
Karla Schneider: "Rückkehr nach Podgoritza". Roman. Schöffling Verlag, Frankfurt am Main 2001. 424 S., geb., 44,- DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Büschelentladung: Karla Schneider katapultiert sich in die Kindheit
Bruder und Schwester: Das ist eine im Märchen häufige, in der neueren Literatur weniger häufige Paarung. Karla Schneiders Roman "Rückkehr nach Podgoritza" macht da eine Ausnahme - und nimmt immer wieder auf Märchenmotive Bezug.
Nona, die Ich-Erzählerin, und ihr zwei Jahre älterer Bruder Siemen sind in einem Vorort von Dresden aufgewachsen. In ihre Kindheit fielen Höhepunkt und Untergang des "Heilidder"-Regimes, die Bombardierung und Zerstörung der Stadt, der Einmarsch der Russen, die Konstituierung des Mangel- und Gängelstaates DDR. Der Vater ist wahrscheinlich im Stalingrader Kessel umgekommen, die Mutter - bei den Geschwistern nur "die Macht" genannt - führt das Regiment über eine sehr gemischte Gesellschaft von ausgebombten Verwandten, die in Podgoritza untergeschlüpft sind. Nur vorübergehend, wie sie betonen; aber das Provisorium dauert mangels Alternativen viele Jahre an. Schließlich lernt die Mutter einen neuen Mann kennen und geht mit ihm und den Kindern in den Westen.
Dort trennen sich die Wege der Geschwister; Siemen versucht eine Sängerkarriere im seltenen Fach des "Männersoprans" (also Altus), scheitert aber an seiner Unfähigkeit, einem Publikum ins Auge zu sehen, und beschränkt seine Berufstätigkeit auf gelegentliche "Exklusiv-Auftritte" bei Privateinladungen, immer mit der Auflage, aus einem Nebenzimmer singen, also unsichtbar bleiben zu dürfen. Ansonsten lebt er in einem Hotel auf Ischia in der Gesellschaft Arturos, eines bunten Vogels, der doppelt so exzentrisch, aber nur halb so neurotisch ist wie Siemen. Nona ist Kinderbuchautorin geworden (wie Karla Schneider selbst) und hat eine gescheiterte Ehe hinter sich, aus der ein unzugänglicher Sohn übriggeblieben ist.
Sie sind beide um die oder an die sechzig, als Siemen seine Schwester zu einem Wiedersehen einlädt, auf einen Bauernhof in die französische Provinz. 28 Jahre haben die beiden sich nicht gesehen; gemeinsam ist ihnen nur die Vergangenheit, und so konzentrieren sie sich bei dem Treffen darauf, diese wiederzubeleben. "Unsere beste Zeit": in der sie unzertrennlich waren, nur paarweise auftraten, dachten und fühlten, allein zu zweit gegen alle, bevor dann die Spaltpilze des Erwachsenenlebens in Form von Liebhabern in Sicht kamen. Wiederbelebung, die mehr sein will als mechanische Rekonstruktion, bedarf ganz bestimmter Auslöser. Marcel Proust hat in seiner "Recherche" dargelegt, daß die entscheidenden Sinnesreize nur dann wirken können, wenn sie unverbraucht sind und das kontrollierende Bewußtsein durchstoßen. Die legendäre Madeleine bliebe folgenlos, wenn Marcel sich das entsprechende Gebäck täglich in seinen Tee tauchte.
Auch Nona rechnet nicht mit ebenden Katapulten, die sie in die Kindheit expedieren. Ein solches Katapult ist der Roman "Ferne Jahre" von Konstantin Paustowski, den Nona vor dem Einschlafen liest. Zusätzlich hängt über ihrem Bett ein feuchtes Laken. Und so geschieht es: Der über die Ufer getretene Fluß Rosj "strömte über den Damm, ich würde nicht mehr rechtzeitig hinüberkommen, es toste, rauschte, brauste, ich zog Schuhe und Strümpfe aus und begann hineinzugehen, schaumige Strudel brodelten mir um die Knöchel", und längst ist aus dem Rosj die Elbe geworden, die im April 1945 Hochwasser führte und in der die Mutter, bevor die Russen kommen, eine Hakenkreuzfahne, das zur Hochzeit geschenkte Exemplar von "Mein Kampf" und die Pistolen des vermißten Mannes versenkt.
Und dann sind sie da, der Onkel Taupalt mit seinem Bruchband, seine Frau, die über all die verbrannten Herrlichkeiten, insbesondere das Speiseservice "Meißner Rose", jammert, die Oma Bertha, die auch später noch in Erinnerung an die mageren Jahre beim Kochen immer die Zutaten halbiert; Gretjen Klengel, eine Cousine x-ten Grades, die mit ihrer Tochter Armgart täglich zum "Enttrümmern" fährt und Anspruch auf eine Schwerarbeiterkarte hat. Eine Notgemeinschaft, die allen Beteiligten ein Höchstmaß an Geduld abfordert und zugleich eine subtile Hierarchie aus Rechten, Zuständigkeiten und Grenzen ausgebildet hat.
Es reicht Nona nicht, die Kindheit nur sprunghaft, fragmentarisch und unvorhersehbar zurückzubekommen. Sie will mehr, sie will Verfügbarkeit. Das "Verlangen, Vergangenheit wiederherzustellen", wird übermächtig. Mit Siemen - ist er nicht auch wiedergefunden? - glaubt sie einen Mechanismus in der Hand zu haben, aus der "mémoire involontaire" (wie Proust das genannt hatte) eine "mémoire volontaire", eine mit dem Willen lenkbare Erinnerung, zu machen. Durch Ergänzung und Konfrontation der Gedächtnisschnipsel beider Geschwister soll ein vollständiges und plastisches Bild entstehen, "wie bei photographischen Stereoaufnahmen des 19. Jahrhunderts. Legte man sie aufeinander, traten überraschende Nebendinge ans Licht, die auf der einen Aufnahme zu kurz gekommen waren und nun, sprühende Büschelentladungen, ins Bild sprangen, wo sie hingehörten".
Tatsächlich gelingt so, aus solchen "Büschelentladungen", ein Panorama der Podgoritzer Vergangenheit, ein bewegtes Bild, das auch noch zu atmen und zu duften scheint wie ein lebendiges Wesen. Aber auch dieses Ergebnis stellt Nona noch nicht zufrieden. Sie will, wie des Fischers Fru im Märchen, immer mehr. In diesem Falle: daß wieder sei, was einmal war - die kindliche Zweifaltigkeit der Geschwister. Aber daraus wird nichts, wie sich ausgerechnet bei einer Nostalgie-Reise in die alte Heimat herausstellt. Im Dresdner Hotel angekommen, muß Nona feststellen, daß Siemen seinen italienischen Liebhaber dorthin bestellt hat. Der wartet im Foyer und spannt mit dem einfachen Satz "Cosa facciamo stasera?" der Schwester den Bruder einfach aus. Was war, ist gewesen. Die Rückkehr nach Podgoritza findet nicht statt. Aber hat sie nicht längst stattgefunden - in der Erinnerung, in diesem Buch?
Karla Schneiders Roman zeigt, wie exzellent in der deutschen Literatur auch jenseits des Scheinwerferlichts der jeweiligen medialen Aufmerksamkeit geschrieben wird. Wunderbar ambivalent und allen Kategorisierungen fern ist das Verhältnis der Geschwister dargestellt, als ebenso unvergleichlich wie unhaltbar, wenn die Biographie einmal ihren Lauf genommen hat. Der Schatz der Vergangenheit, der hier gehoben wird, ist auch ein Wort-Schatz; Wörter wie "sengerich" und "verpupt", "hinausrammeln" und "herumhatschen", "wurrlen", "golken" und "sielen" erfreuen auch den Leser, der sie noch nie gehört hat.
MARTIN EBEL
Karla Schneider: "Rückkehr nach Podgoritza". Roman. Schöffling Verlag, Frankfurt am Main 2001. 424 S., geb., 44,- DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur FR-Rezension
Schon die Romane "Kor, der Engel" und "Almuth und Helene" von 1992 und 1993 haben Rolf-Bernhard Essig durch ihre "sinnliche Evidenz, unerschrockene Seelenkunde, märchenhafte Metaphernmacht und kunstvolle Verknüpfung von Privatem und Politischen" fasziniert. Karla Schneiders neuer Roman scheint diesbezüglich noch eine Steigerung zu sein. Für Essig ist er eine geglückte Synthese aus den beiden älteren Romanen. Wie in den vorangehenden Romanen springt die Autorin zwischen verschiedenen Zeitebenen, erklärt Essig. Die Begegnung mit dem Bruder nach 28 Jahren löse bei der Schwester Nona immer stärker werdende "Erinnerungs-Anfälle" aus. Dabei bleibt nichts Nebensache, versichert der Rezensent. Was "Magischer Realismus" bedeutet, werde bei diesem Buch wesentlich deutlicher als bei den meisten Werken der Nachkriegszeit oder den Romanen südamerikanischer Autoen. Die Autorin setzt die Möglichkeiten der Sprache hier wie "erlesene Instrumente" ein, lobt er und hebt dabei besonders die klangreichen Wörter und Metaphern und Vergleiche "von höchster Evidenz" hervor. Essig macht deutlich, dass bei der Beschreibung der Beziehung von Bruder und Schwester unsere klischeehaften Normvorstellungen nicht greifen und ist überzeugt, dass, "ginge es mit rechten Dingen zu", Nona und Siemen "Aufnahme in die hall of fame der großen Liebenden" fänden.
© Perlentaucher Medien GmbH
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"Der Schatz der Vergangenheit, der hier gehoben wird, ist auch ein Wortschatz; Worte wie 'sengerich' und 'verpupt', 'hinausrammeln' und 'herumhatschen', 'wurrlen', 'golken' und 'sielen' erfreuen auch den Leser, der sie noch nie gehört hat." (Frankfurter Allgemeine Zeitung)