Hast du mal in jungen Jahren einen Hasen totgefahren? Oder hast du das studiert, was dich gar nicht interessiert? Es gibt eine zweite Chance! Henning Wagenbreth dreht im Rückwärtsland die Zeit zurück und du kannst dann all die Sachen noch einmal und besser machen. In Panels, ganzseitigen Illustrationen und mit treffsicheren Reimen testet der Berliner Illustrator die Idee im Kleinen wie im Großen aus. Wechselt die Richtung beim Vokabular (Ralubakov) und dreht die Logik des Alltags lustig auf links: In der Zeitung kann man lesen, was am nächsten Tag passiert, welche Autos kollidieren, wo ein Gastank explodiert. Wie in einem Film, von hinten abgespielt, springt munter auf, wer halbtot am Boden lag, lodern neue Flammen aus kalter Asche, schießen Kriegskanonen alles heil. Und der Schornstein, hoch und grau, saugt zum Schluss den Himmel blau.
Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Henning Wagenbreths Graphic Novel "Rückwärtsland" tut genau das, was ein Buch idealerweise tun soll, findet Rezensent Michael Schmitt. Es fordert den routinierten Geist heraus, es regt dazu an, die gewohnte Welt mit anderen Augen zu sehen. Und als Beigabe bekommen die LeserInnen noch einiges an Witz dazu. Jede der gereimten Kürzestgeschichten in diesem Buch erzählt von einer mehr oder weniger gewöhnlichen, mehr oder weniger tragischen Begebenheit - allerdings rückwärts. Doch Wagenbreths Leistung erschöpft sich nicht im bloßen Rückwärtserzählen, erklärt Schmitt. Alle Zeichnungen und Reime sind so fein, so genau geformt, dass sie gemeinsam ein großes Kunstwerk ergeben, das "dem Schlendrian des Gewohnten" etwas entgegen setzt, so der begeisterte Rezensent.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 21.05.2021Gesunkene Schiffe
kommen
aus den Wellen
Ein bisschen Widerstand gegen
den Schlendrian gibt es auf jeder Seite
in Henning Wagenbreths
Graphic Novel „Rückwärtsland“
VON MICHAEL SCHMITT
Fantasie gegen die Ernüchterungen des Alltags auszuspielen, das ist die Macht der Kunst. Was der gesunde Menschenverstand nicht akzeptieren möchte, machen Geschichten vorstellbar. Eine Kindheitserinnerung reicht dazu als Anstoß – etwa die, von der Henning Wagenbreth in einem Gedicht erzählt: Es handelt davon, dass man eine Filmrolle rückwärtslaufen lassen kann, um die Urlaubserinnerungen, die darauf gebannt sind, noch einmal, aber eben von der letzten bis zur ersten Minute genießen zu können. Vielleicht nur amüsiert von dem ungewohnten Gezappel, womöglich aber auch, um sich alles noch einmal ganz anders anzuschauen. Als Kind hat der Künstler sich gefreut, wenn sein Vater mit dem Projektor und der Zelluloidrolle gespielt hat – als Illustrator und Autor hat er daraus die Idee vom „Rückwärtsland“ entwickelt.
Alles auf Anfang ist die Devise in jeder der kurzen Geschichten, alles wird zu seinem Ursprung zurückgedreht, Ursache und Wirkung werden außer Kraft gesetzt. Das ist Kinderspiel und große Kunst in einem, pointiert gereimt und illustriert in Episoden von einer Seite Länge, die mal vom Alltag und mal von großen Erschütterungen handeln, in denen sich aber alles wieder zusammenfügt, was normalerweise eher aus dem Ruder läuft.
Einmal umdrehen und schon sind Wünsche erfüllt, ehe sie geäußert werden; gesunkene Schiffe kommen aus den Wellen hervor und finden sicher zum Hafen. Menschen stehen vom Operationstisch auf, lassen sich auf der Straße unter ein fahrendes Auto schieben und kommen anschließend sicher auf der Straßenseite an, die sie erreichen wollen. Wo Granaten explodieren, wachsen Häuser aus dem Boden, wo geschossen wird, kehren Tote ins Leben zurück. Wer wäre nicht gerne mit von der Partie in so einer verkehrten Welt?
In Henning Wagenbreths „Rückwärtsland“ gibt es viel zu lachen, aber auch manches zum Nachdenken, denn es werden nicht einfach nur Wörter und Geschichten rückwärts gelesen. Jedes Bild und jeder Vers ist, präzise gearbeitet, eine kleine Herausforderung an das routinierte Funktionieren unseres Gehirns, jede Seite leistet ein klein bisschen Widerstand gegen den Schlendrian des Gewohnten. Mehr kann niemand von einem guten Buch verlangen.
Henning Wagenbreth: Rückwärtsland. Peter Hammer Verlag, Wuppertal 2021.36 Seiten, 25 Euro.
Illustration aus Henning Wagenbreth: Rückwärtsland
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
kommen
aus den Wellen
Ein bisschen Widerstand gegen
den Schlendrian gibt es auf jeder Seite
in Henning Wagenbreths
Graphic Novel „Rückwärtsland“
VON MICHAEL SCHMITT
Fantasie gegen die Ernüchterungen des Alltags auszuspielen, das ist die Macht der Kunst. Was der gesunde Menschenverstand nicht akzeptieren möchte, machen Geschichten vorstellbar. Eine Kindheitserinnerung reicht dazu als Anstoß – etwa die, von der Henning Wagenbreth in einem Gedicht erzählt: Es handelt davon, dass man eine Filmrolle rückwärtslaufen lassen kann, um die Urlaubserinnerungen, die darauf gebannt sind, noch einmal, aber eben von der letzten bis zur ersten Minute genießen zu können. Vielleicht nur amüsiert von dem ungewohnten Gezappel, womöglich aber auch, um sich alles noch einmal ganz anders anzuschauen. Als Kind hat der Künstler sich gefreut, wenn sein Vater mit dem Projektor und der Zelluloidrolle gespielt hat – als Illustrator und Autor hat er daraus die Idee vom „Rückwärtsland“ entwickelt.
Alles auf Anfang ist die Devise in jeder der kurzen Geschichten, alles wird zu seinem Ursprung zurückgedreht, Ursache und Wirkung werden außer Kraft gesetzt. Das ist Kinderspiel und große Kunst in einem, pointiert gereimt und illustriert in Episoden von einer Seite Länge, die mal vom Alltag und mal von großen Erschütterungen handeln, in denen sich aber alles wieder zusammenfügt, was normalerweise eher aus dem Ruder läuft.
Einmal umdrehen und schon sind Wünsche erfüllt, ehe sie geäußert werden; gesunkene Schiffe kommen aus den Wellen hervor und finden sicher zum Hafen. Menschen stehen vom Operationstisch auf, lassen sich auf der Straße unter ein fahrendes Auto schieben und kommen anschließend sicher auf der Straßenseite an, die sie erreichen wollen. Wo Granaten explodieren, wachsen Häuser aus dem Boden, wo geschossen wird, kehren Tote ins Leben zurück. Wer wäre nicht gerne mit von der Partie in so einer verkehrten Welt?
In Henning Wagenbreths „Rückwärtsland“ gibt es viel zu lachen, aber auch manches zum Nachdenken, denn es werden nicht einfach nur Wörter und Geschichten rückwärts gelesen. Jedes Bild und jeder Vers ist, präzise gearbeitet, eine kleine Herausforderung an das routinierte Funktionieren unseres Gehirns, jede Seite leistet ein klein bisschen Widerstand gegen den Schlendrian des Gewohnten. Mehr kann niemand von einem guten Buch verlangen.
Henning Wagenbreth: Rückwärtsland. Peter Hammer Verlag, Wuppertal 2021.36 Seiten, 25 Euro.
Illustration aus Henning Wagenbreth: Rückwärtsland
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