Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 10.03.2007Spion im Dienste ihrer Majestät, der Kunst
Dubiose Agenten gibt es im Literaturbetrieb genug. William Boyd aber beweist mit seinem neuen Roman, dass Geheimdienst und Erzählhandwerk auch in ihren Methoden eng verwandt sind.
Von Tobias Döring
Einmal angenommen, wir bemerken einen Herrn mittleren Alters mit Tweedanzug, Trenchcoat und Schlapphut, der sich ganz unbeteiligt gibt. Sollten wir in ihm nicht gleich einen Spion vermuten? Weiterhin angenommen, der Verdacht trifft zu: Haben wir dann einen ausgesprochen plumpen Vertreter seines Stands bemerkt, da er sich so offensichtlich im stereotypen Agenten-Look zeigt? Oder ist es vielmehr ein besonders raffinierter, der sich im bekannten Outfit umso besser tarnt, weil jeder sofort denkt, dass wirkliche Spione niemals derart rumlaufen? Oder aber sollen wir durch seinen Anblick nur gezielt zu einem solchen Schluss gebracht werden, um uns von anderen Dingen abzulenken? Sollten wir beim Anblick eines Schlapphutträgers also besser sofort in die andere Richtung schauen? Doch entgeht uns dann nicht gerade, was er selbst ins Werk setzt? Wie man die Sache dreht und wendet, das Spurenlesen bleibt vertrackt. Die Hermeneutik des Verdachts macht ruhelos.
Andererseits wäre ohne Spionage und Geheimdienst gewiss nicht nur die Welt farbloser, fader und um viele Abenteuer ärmer, sondern vor allem die Literatur. Vielleicht gäbe es viele große Geschichten der Weltliteratur gar nicht ohne den beständigen Drang und Vorsatz, neue Wirklichkeiten zu erfinden, wie er Geheimagenten und Erzählern gleichermaßen zukommt. Denn Spionage will ja nicht einfach ermitteln, wie eine unbekannte Welt aussieht, sondern will deren Beschaffenheit gezielt vermitteln und greift also mit ihrer Arbeit in das Erzählhandwerk der Welterzeugung ein. Aufklärung ist stets nur um den Preis einer Fiktion zu haben. Seit Odysseus, der mit seinen legendären Tricks und Täuschungen, seinen Masken oder Listen so etwas wie den Urtyp des Agenten darstellt, ist dieser Zusammenhang oft durchgespielt worden. Jeder Spionageroman ist daher selbst wie ein Trojanisches Pferd: Mit ihm schmuggelt die Literatur ihre ureigne Streitkraft in die Bollwerke der Wirklichkeit.
Agentur für Falschmeldungen.
Davon handelt William Boyds neuer Roman. Vorgeblich geht es um Geheimoperationen in den späten dreißiger und frühen vierziger Jahren, als die britische Regierung alles daransetzte, einen starken westlichen Verbündeten zu gewinnen und die Vereinigten Staaten zum Kriegseintritt zu bewegen. Vor großer historischer Kulisse, die sich wie ein Breitbildpanorama von Belgien und London bis nach New York, Washington und Ottawa spannt, erzählt er von den Abenteuern einer talentierten Agentin, die, als russische Emigrantentochter in Paris geworben, in den prekärsten Lagen cool und überlegt agiert und doch aufgrund ihrer Erfolge bei der Arbeit schließlich unbemerkt für Zwecke einer Gegenspionage instrumentalisiert wird. Das alles ist höchst spannend eingefädelt und wird im Roman glänzend inszeniert. Im Grunde aber geht es dabei nur um eines: zu erkunden, wie erfundene Geschichten den Lauf der Geschichte ändern können.
Diese Macht des Literarischen steht im Zentrum der Geheimaktion. Die britische Kommandoeinheit, der die Heldin angehört, ist mit nichts anderem betraut, als Falschmeldungen zu erfinden, die durch reguläre Nachrichtenagenturen gezielt in Umlauf gesetzt werden, um so über die Presse die öffentliche Meinung zu beeinflussen. Die "Idee war so einfach wie alle guten Ideen: Falschmeldungen können genauso nützlich, wirkungsvoll, aufschlussreich oder schädlich sein wie wahrheitsgemäße Meldungen." Ob das nun Fälschung oder, freundlicher, Fiktion zu nennen ist - das Mittel erweist sich jedenfalls als wirksam und belegt, wie eng Agenten und Autoren seit jeher verwandt sind. Denn in beiden Metiers kann nur wirksam überzeugen, wer das Erfundene so plausibel macht, dass es dem Publikum wahrhaft erscheint. Auch Tweed und Trench müssen einfach nur mal Anzug oder Mantel sein dürfen.
In dieser Kunst ist William Boyd ein Könner. Seit mehr als zwei Jahrzehnten siedelt er seine Geschichten in einer Transitzone zwischen Fakten und Fiktionen an, bedient die Konvention des Dokugenres blendend und schmuggelt dabei gern auch dreiste Fälschungen ein. 1998 gelang ihm so ein veritabler Coup, als er die Biographie eines amerikanischen Malers publizierte, der nie existiert hat und doch so gut erfunden war, dass namhafte Leser glaubten, ihn gekannt zu haben. In seinem letzten Roman, "Eines Menschen Herz", erschienen vor zwei Jahren, erzählte Boyd von einer Art Forest-Gump-Figur der englischen Gesellschaft, die im zwanzigsten Jahrhundert immer genau dort zugegen war, wo jeweils die historische Entwicklung kulminierte.
Mit "Ruhelos" nun setzt er dieses Projekt fort; neben der - wirklich immens spannenden - Agentenhandlung aus dem Zweiten Weltkrieg erzählt er vieles über die dramatischsten Momente jener Zeit, die durchweg aus verschobener Perspektive, als sähen wir sie von der Seitenbühne, eingefangen werden. Dazu erzählt er auch die Umstände der späteren Enthüllung, mehr als dreißig Jahre später, als die Tochter der Agentin unvermittelt mit der Vergangenheit der Mutter konfrontiert wird.
Dabei ist allerdings das Unimilieu der Siebziger, in dem diese Erzählerin zwischen dem wilden Hamburg und dem idyllischen Oxford pendelt, im Roman insgesamt reichlich flach geraten. Wie man ihm überhaupt vorhalten könnte, dass er allzu glatt und routiniert verfährt und sämtliche Pointen oder Cliffhanger nicht nur berechnend, sondern geradezu berechenbar einsetzt. Vom Geheimnisvollen im Geheimdienst bleibt hier am Ende wenig.
Das aber hieße verkennen, wie unverblümt der Autor nur das Outfit eines klassisch englischen Agententhrillers wählt und sich darin so perfekt präsentiert, als habe er es darauf abgesehen, gezielt Verdacht zu wecken. Das Offensichtliche ist für einen Erzähler, der sich anscheinend mühelos dem Genre anverwandelt, weniger Tarnung als vielmehr der Stoff, aus dem nun mal das Spionagewerk gemacht ist. Doch weil er uns mit solcherart Verwandlungs- und Verstellungskunst so raffinierte wie rasante Unterhaltung bietet, folgen wir willig seinen Tricks. Denn hier ist alles Ruhelose der Lektüre, die beständig Hintersinn und doppelte Bedeutung sucht, in hohem Maße lustvoll.
- William Boyd: "Ruhelos". Roman. Aus dem Englischen übersetzt von Chris Hirte. Berlin Verlag, Berlin 2007. 368 Seiten, geb., 22,- [Euro].
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Dubiose Agenten gibt es im Literaturbetrieb genug. William Boyd aber beweist mit seinem neuen Roman, dass Geheimdienst und Erzählhandwerk auch in ihren Methoden eng verwandt sind.
Von Tobias Döring
Einmal angenommen, wir bemerken einen Herrn mittleren Alters mit Tweedanzug, Trenchcoat und Schlapphut, der sich ganz unbeteiligt gibt. Sollten wir in ihm nicht gleich einen Spion vermuten? Weiterhin angenommen, der Verdacht trifft zu: Haben wir dann einen ausgesprochen plumpen Vertreter seines Stands bemerkt, da er sich so offensichtlich im stereotypen Agenten-Look zeigt? Oder ist es vielmehr ein besonders raffinierter, der sich im bekannten Outfit umso besser tarnt, weil jeder sofort denkt, dass wirkliche Spione niemals derart rumlaufen? Oder aber sollen wir durch seinen Anblick nur gezielt zu einem solchen Schluss gebracht werden, um uns von anderen Dingen abzulenken? Sollten wir beim Anblick eines Schlapphutträgers also besser sofort in die andere Richtung schauen? Doch entgeht uns dann nicht gerade, was er selbst ins Werk setzt? Wie man die Sache dreht und wendet, das Spurenlesen bleibt vertrackt. Die Hermeneutik des Verdachts macht ruhelos.
Andererseits wäre ohne Spionage und Geheimdienst gewiss nicht nur die Welt farbloser, fader und um viele Abenteuer ärmer, sondern vor allem die Literatur. Vielleicht gäbe es viele große Geschichten der Weltliteratur gar nicht ohne den beständigen Drang und Vorsatz, neue Wirklichkeiten zu erfinden, wie er Geheimagenten und Erzählern gleichermaßen zukommt. Denn Spionage will ja nicht einfach ermitteln, wie eine unbekannte Welt aussieht, sondern will deren Beschaffenheit gezielt vermitteln und greift also mit ihrer Arbeit in das Erzählhandwerk der Welterzeugung ein. Aufklärung ist stets nur um den Preis einer Fiktion zu haben. Seit Odysseus, der mit seinen legendären Tricks und Täuschungen, seinen Masken oder Listen so etwas wie den Urtyp des Agenten darstellt, ist dieser Zusammenhang oft durchgespielt worden. Jeder Spionageroman ist daher selbst wie ein Trojanisches Pferd: Mit ihm schmuggelt die Literatur ihre ureigne Streitkraft in die Bollwerke der Wirklichkeit.
Agentur für Falschmeldungen.
Davon handelt William Boyds neuer Roman. Vorgeblich geht es um Geheimoperationen in den späten dreißiger und frühen vierziger Jahren, als die britische Regierung alles daransetzte, einen starken westlichen Verbündeten zu gewinnen und die Vereinigten Staaten zum Kriegseintritt zu bewegen. Vor großer historischer Kulisse, die sich wie ein Breitbildpanorama von Belgien und London bis nach New York, Washington und Ottawa spannt, erzählt er von den Abenteuern einer talentierten Agentin, die, als russische Emigrantentochter in Paris geworben, in den prekärsten Lagen cool und überlegt agiert und doch aufgrund ihrer Erfolge bei der Arbeit schließlich unbemerkt für Zwecke einer Gegenspionage instrumentalisiert wird. Das alles ist höchst spannend eingefädelt und wird im Roman glänzend inszeniert. Im Grunde aber geht es dabei nur um eines: zu erkunden, wie erfundene Geschichten den Lauf der Geschichte ändern können.
Diese Macht des Literarischen steht im Zentrum der Geheimaktion. Die britische Kommandoeinheit, der die Heldin angehört, ist mit nichts anderem betraut, als Falschmeldungen zu erfinden, die durch reguläre Nachrichtenagenturen gezielt in Umlauf gesetzt werden, um so über die Presse die öffentliche Meinung zu beeinflussen. Die "Idee war so einfach wie alle guten Ideen: Falschmeldungen können genauso nützlich, wirkungsvoll, aufschlussreich oder schädlich sein wie wahrheitsgemäße Meldungen." Ob das nun Fälschung oder, freundlicher, Fiktion zu nennen ist - das Mittel erweist sich jedenfalls als wirksam und belegt, wie eng Agenten und Autoren seit jeher verwandt sind. Denn in beiden Metiers kann nur wirksam überzeugen, wer das Erfundene so plausibel macht, dass es dem Publikum wahrhaft erscheint. Auch Tweed und Trench müssen einfach nur mal Anzug oder Mantel sein dürfen.
In dieser Kunst ist William Boyd ein Könner. Seit mehr als zwei Jahrzehnten siedelt er seine Geschichten in einer Transitzone zwischen Fakten und Fiktionen an, bedient die Konvention des Dokugenres blendend und schmuggelt dabei gern auch dreiste Fälschungen ein. 1998 gelang ihm so ein veritabler Coup, als er die Biographie eines amerikanischen Malers publizierte, der nie existiert hat und doch so gut erfunden war, dass namhafte Leser glaubten, ihn gekannt zu haben. In seinem letzten Roman, "Eines Menschen Herz", erschienen vor zwei Jahren, erzählte Boyd von einer Art Forest-Gump-Figur der englischen Gesellschaft, die im zwanzigsten Jahrhundert immer genau dort zugegen war, wo jeweils die historische Entwicklung kulminierte.
Mit "Ruhelos" nun setzt er dieses Projekt fort; neben der - wirklich immens spannenden - Agentenhandlung aus dem Zweiten Weltkrieg erzählt er vieles über die dramatischsten Momente jener Zeit, die durchweg aus verschobener Perspektive, als sähen wir sie von der Seitenbühne, eingefangen werden. Dazu erzählt er auch die Umstände der späteren Enthüllung, mehr als dreißig Jahre später, als die Tochter der Agentin unvermittelt mit der Vergangenheit der Mutter konfrontiert wird.
Dabei ist allerdings das Unimilieu der Siebziger, in dem diese Erzählerin zwischen dem wilden Hamburg und dem idyllischen Oxford pendelt, im Roman insgesamt reichlich flach geraten. Wie man ihm überhaupt vorhalten könnte, dass er allzu glatt und routiniert verfährt und sämtliche Pointen oder Cliffhanger nicht nur berechnend, sondern geradezu berechenbar einsetzt. Vom Geheimnisvollen im Geheimdienst bleibt hier am Ende wenig.
Das aber hieße verkennen, wie unverblümt der Autor nur das Outfit eines klassisch englischen Agententhrillers wählt und sich darin so perfekt präsentiert, als habe er es darauf abgesehen, gezielt Verdacht zu wecken. Das Offensichtliche ist für einen Erzähler, der sich anscheinend mühelos dem Genre anverwandelt, weniger Tarnung als vielmehr der Stoff, aus dem nun mal das Spionagewerk gemacht ist. Doch weil er uns mit solcherart Verwandlungs- und Verstellungskunst so raffinierte wie rasante Unterhaltung bietet, folgen wir willig seinen Tricks. Denn hier ist alles Ruhelose der Lektüre, die beständig Hintersinn und doppelte Bedeutung sucht, in hohem Maße lustvoll.
- William Boyd: "Ruhelos". Roman. Aus dem Englischen übersetzt von Chris Hirte. Berlin Verlag, Berlin 2007. 368 Seiten, geb., 22,- [Euro].
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'Der beste Geschichtenerzähler seiner Generation!' INDEPENDENT
Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Dieser Spionageroman sei eigentlich ein "Verlorenheits- und Verlassenheitsroman" findet Ijoma Mangold. Denn der Typus "Spion" werde darin als der "einsamste Mensch der Welt", also der "menschliche Prototyp schlechthin" beschrieben. William Boyd, für Mangold einer der "interessantesten englischen Schriftsteller", erzähle seine Geschichte auf zwei "rasch ineinander geschalteten" Zeitebenen - 1939 und 1976. Es gehe um die Geschichte einer britischen Agentin im Zweiten Weltkrieg, die auch Jahrzehnte später noch um ihr Leben zu fürchten scheint. Allerdings führt die ausgeklügelten Romankomposition beim Rezensenten schließlich zum Eindruck gewisser inhaltlicher Leblosigkeit, was ihn das Buch insgesamt als eher schwächeres Boyd-Werk einstufen lässt. Mit interessiertem Wohlgefallen folgt er Handlung und Protagonisten. So richtig vom Hocker hauen sie ihn nicht.
© Perlentaucher Medien GmbH
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