Eine ganz gewöhnliche Straße. Eine, wie es Hunderte gibt in Deutschland. Seit langem keine Schönheit mehr. Niedrige Wohnblöcke mit Flachdach stehen dicht an die paar wilhelminischen Häuser gedrückt, die die Bombenangriffe überstanden haben. Misshandelt durch die so stürmische Geschichte des zwanzigsten Jahrhunderts. Nichts sticht ins Auge, wenn man durch diese Straße flaniert.
Pascale Hugues, Französin in Berlin, gräbt unter der Oberfläche ihrer Straße, sucht in Archiven, sammelt den Tratsch und die Legenden und lässt sich von ihren ehemaligen und heutigen Nachbarn deren Geschichten erzählen. Da sind all diese durch Zufall in einem Jahrhundert zusammengewürfelten Menschen: eine uralte Dame mit Dünkel. Bei ihr defilierte in den zwanziger Jahren die Berliner Hautevolee. Jüdische Emigranten, in der ganzen Welt verstreut. Eine ehemalige Sekretärin beim Oberkommando der Wehrmacht. In ihrem kleinen Zimmer in dieser Straße ist ihr kurzes Glück, ihre große Liebe vor dem Krieg, erstarrt. Eine Damenoberbekleidungsverkäuferin, eine wahre Berliner Pflanze, muss samt Palisanderschrank und Katzen ausziehen, weil die Gentrifizierung ihre Rechte einfordert. Und die Straße hat ihre gequälten Weltverbesserer, ihre Stänkerer und Parias, ihr Bordell - und ihre Paradiesvögel: Otto Waalkes, Tangerine Dream und David Bowie.
Pascale Hugues, Französin in Berlin, gräbt unter der Oberfläche ihrer Straße, sucht in Archiven, sammelt den Tratsch und die Legenden und lässt sich von ihren ehemaligen und heutigen Nachbarn deren Geschichten erzählen. Da sind all diese durch Zufall in einem Jahrhundert zusammengewürfelten Menschen: eine uralte Dame mit Dünkel. Bei ihr defilierte in den zwanziger Jahren die Berliner Hautevolee. Jüdische Emigranten, in der ganzen Welt verstreut. Eine ehemalige Sekretärin beim Oberkommando der Wehrmacht. In ihrem kleinen Zimmer in dieser Straße ist ihr kurzes Glück, ihre große Liebe vor dem Krieg, erstarrt. Eine Damenoberbekleidungsverkäuferin, eine wahre Berliner Pflanze, muss samt Palisanderschrank und Katzen ausziehen, weil die Gentrifizierung ihre Rechte einfordert. Und die Straße hat ihre gequälten Weltverbesserer, ihre Stänkerer und Parias, ihr Bordell - und ihre Paradiesvögel: Otto Waalkes, Tangerine Dream und David Bowie.
Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension
Schön unterhalten hat sich Oliver Pfohlmann mit dem Buch der französischen Journalistin Pascale Hugues über ihre Straße im Schöneberger Bayerischen Viertel. Die Autorin, erläutert der Rezensent, schreibt hier Zeitgeschichte von unten, genauer aus dem Mikrokosmos ihrer Straße heraus und ihrer Bewohner. Wunderbar gefällt Pfohlmann der empathisch-pointierte, humorige Ton des Buches, der den Text für ihn zu einer Hommage macht. Indem die Autorin im Grunde Belangloses historisch verortet, werden für Pfohlmann Momente deutscher Geschichte gegenwärtig, Pogrome, Trümmerfrauen und Punkrock.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 03.12.2013Straßenkunde
In Berlin erforscht Pascale Hugues
die Geschichte ihrer Nachbarn
Eine Frau auf Recherche, eine Französin in Berlin, Pascale Hugues schreibt dort regelmäßig für Le Point, auch in der SZ und im Tagesspiegel. In ihrem Buch „Ruhige Straße in guter Wohnlage“ geht sie auf Spurensuche, was das 20. Jahrhundert hinterlassen hat in ihrem Kiez, ihrer Straße, ihrem Mietshaus, ihrem Minikosmos. Ihre Jugend hat sie in Paris verbracht, in einem Renaissancehaus aus dem Jahr 1586, „die Pariser Straßen haben sich sanft durch Zeiten und Epochen tragen lassen“.
In Berlin dagegen überall Lücken und Brüche, Zeichen der Zerstörung, durch Revolution, Diktatur, Judenverfolgung, Weltkrieg, Wiederaufbau, Wiedergutmachung. Schließlich auch, nach ’68, Anarchie und Pop: Tangerine Dream, David Bowie war hier, auf Entzug, Romy Haag hat einen Film gedreht mit Otto Sander. Pascale Hugues sucht Überlebende auf, Edgar Froese (von Tangerine Dream) oder Lilli Ernsthaft, eine alte Jüdin, die die Nazi-Jahre in Berlin überlebte, schikaniert, immer bedroht von der Deportation. Sie wird in die Wohnungen gelassen, man setzt ihr Kaffee vor beim Erzählen. Historiografie in Kaffeekränzchen-Atmosphäre, bestätigt danach durch Besuche im Archiv, wo das Erzählte in Dokumenten festgehalten ist: klotzig selbstgerechte Bürgerlichkeit, bürokratische Gnadenlosigkeit, dazu die permanente Schnäppchenmentalität, die sich in den jüdischen Wohnungen austobte sofort nach der Deportation der Bewohner, und in kleinlichem Lamento, wenn es um Rückerstattung und Restitution ging nach dem Krieg . . . Ein desolates Schnäppchen aber auch im KaDeWe, als eine Mutter mit Tochter die Stiege zur Silberterrasse dort durch ein „Hunde und Juden unerwünscht“ versperrt finden, eilen sie in die Damenabteilung und kaufen der Tochter ein teures Kostüm: „Das leisten wir uns noch!“
GÖT
Pascale Hugues: Ruhige Straße in guter Wohnlage. Die Geschichte meiner Nachbarn. Aus dem Französischen von Liz Künzli. Rowohlt, Reinbek bei Hamburg 2013. 320 S., 19,95 Euro. E-Book 16,99 Euro.
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In Berlin erforscht Pascale Hugues
die Geschichte ihrer Nachbarn
Eine Frau auf Recherche, eine Französin in Berlin, Pascale Hugues schreibt dort regelmäßig für Le Point, auch in der SZ und im Tagesspiegel. In ihrem Buch „Ruhige Straße in guter Wohnlage“ geht sie auf Spurensuche, was das 20. Jahrhundert hinterlassen hat in ihrem Kiez, ihrer Straße, ihrem Mietshaus, ihrem Minikosmos. Ihre Jugend hat sie in Paris verbracht, in einem Renaissancehaus aus dem Jahr 1586, „die Pariser Straßen haben sich sanft durch Zeiten und Epochen tragen lassen“.
In Berlin dagegen überall Lücken und Brüche, Zeichen der Zerstörung, durch Revolution, Diktatur, Judenverfolgung, Weltkrieg, Wiederaufbau, Wiedergutmachung. Schließlich auch, nach ’68, Anarchie und Pop: Tangerine Dream, David Bowie war hier, auf Entzug, Romy Haag hat einen Film gedreht mit Otto Sander. Pascale Hugues sucht Überlebende auf, Edgar Froese (von Tangerine Dream) oder Lilli Ernsthaft, eine alte Jüdin, die die Nazi-Jahre in Berlin überlebte, schikaniert, immer bedroht von der Deportation. Sie wird in die Wohnungen gelassen, man setzt ihr Kaffee vor beim Erzählen. Historiografie in Kaffeekränzchen-Atmosphäre, bestätigt danach durch Besuche im Archiv, wo das Erzählte in Dokumenten festgehalten ist: klotzig selbstgerechte Bürgerlichkeit, bürokratische Gnadenlosigkeit, dazu die permanente Schnäppchenmentalität, die sich in den jüdischen Wohnungen austobte sofort nach der Deportation der Bewohner, und in kleinlichem Lamento, wenn es um Rückerstattung und Restitution ging nach dem Krieg . . . Ein desolates Schnäppchen aber auch im KaDeWe, als eine Mutter mit Tochter die Stiege zur Silberterrasse dort durch ein „Hunde und Juden unerwünscht“ versperrt finden, eilen sie in die Damenabteilung und kaufen der Tochter ein teures Kostüm: „Das leisten wir uns noch!“
GÖT
Pascale Hugues: Ruhige Straße in guter Wohnlage. Die Geschichte meiner Nachbarn. Aus dem Französischen von Liz Künzli. Rowohlt, Reinbek bei Hamburg 2013. 320 S., 19,95 Euro. E-Book 16,99 Euro.
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Pascale Hugues spart nicht mit Fakten; sie zitiert Gesetze, Erlasse, Zeitungen, dokumentiert Daten und Zahlen. Trotzdem hat sie kein historisches Bilderbuch geschaffen, sondern eine höchst lebendige Erzählung. Die Welt