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Leale, die Maniküre, arbeitet seit über dreißig Jahren im kleinen Friseursalon von Sajtschik. Nach dessen Tod bricht ihre Welt auseinander, nicht das erste Mal. "Der Krieg hat uns die Familie und die Verwandten genommen, und die Zeit, die vergeht, nimmt uns die Nachbarn und die Freunde." Die Tage der Trauer lassen Erinnerungen in ihr aufsteigen - Erinnerungen an die Menschen, die ihr Leben waren und sind: den geliebten Sajtschik, seinen von ihr weniger geliebten Freund Mordechai, der Leale nach demKrieg aus Polen nach Israel brachte, den einzigen Sohn Etan und viele andere. So tritt die Welt…mehr

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Produktbeschreibung
Leale, die Maniküre, arbeitet seit über dreißig Jahren im kleinen Friseursalon von Sajtschik. Nach dessen Tod bricht ihre Welt auseinander, nicht das erste Mal. "Der Krieg hat uns die Familie und die Verwandten genommen, und die Zeit, die vergeht, nimmt uns die Nachbarn und die Freunde." Die Tage der Trauer lassen Erinnerungen in ihr aufsteigen - Erinnerungen an die Menschen, die ihr Leben waren und sind: den geliebten Sajtschik, seinen von ihr weniger geliebten Freund Mordechai, der Leale nach demKrieg aus Polen nach Israel brachte, den einzigen Sohn Etan und viele andere. So tritt die Welt ihres Tel Aviver Viertels lebensvoll vor Augen, in dem sich nach dem Krieg Menschen von "dort", Überlebende der Shoah, wiederfanden, ein neues Leben begannen, soweit das eben möglich war.
Lizzie Doron erzählt mit erhellendem Witz und großer menschlicher Wärme vom fragilen Balanceakt des "Dennoch", der die Geschichten all dieser Menschen prägt. Sajtschiks Friseursalon ist der Ort, an dem all je
Autorenporträt
Lizzie Doron, geboren 1953, lebt in Tel Aviv. 2003 wurde ihr Roman Ruhige Zeiten mit dem von Yad Vashem vergebenen Buchman-Preis ausgezeichnet. 2007 erhielt sie den Jeanette Schocken Preis - Bremerhavener Bürgerpreis für Literatur. In der Begründung der Jury heißt es: »Lizzie Doron ist eine israelische Schriftstellerin, die jenen eine Stimme gibt, die sie selber nicht erheben, die jenen Raum verschafft, den sie sich selber nicht nehmen könnten. Sie schreibt über Menschen, die von 'dort' kommen, die den Holocaust überlebten und nun zu leben versuchen. In Israel. Fremd, schweigend, versehrt - und stets ihre Würde wahrend. Mit großer Behutsamkeit nähert die Autorin sich ihren Figuren und mit großem Respekt wahrt sie Distanz.«

Mirjam Pressler, geboren 1940 in Darmstadt, war eine der namhaftesten Übersetzerinnen des Hebräischen. Sie übersetzte Werke von Aharon Appelfeld, Lizzie Doron, Batya Gur und David Grossman. Ihre große, sprachlich wie literarisch weite Erfahrung war von größtem Wert auch für die Erschließung der israelischen Lebenswelt, wie Amos Oz sie überliefert. Für die Übersetzung von Oz' Roman Judas erhielt sie 2015 den Internationalen Literaturpreis - Haus der Kulturen der Welt. Pressler starb am 16. Januar 2019 in Landshut.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 02.12.2005

Pferd und Engel warten am Tor
Israels Hoffnung: Lizzie Dorons Roman über eine Überlebende

Innerhalb weniger Monate sind gleich zwei Bücher von Lizzie Doron erschienen. Das erste mit dem Titel "Warum bist du nicht vor dem Krieg gekommen?" enthält ergreifende Erinnerungen an ihre Mutter, eine Holocaustüberlebende, die ihre Tochter unter großen Schwierigkeiten im Tel Aviv der Gründerjahre aufgezogen hat. Auch in "Ruhige Zeiten" schreibt die Autorin über Menschen, die aus dem von Hitler zerstörten Europa nach Israel geflohen sind, doch sind es keine persönlichen Erinnerungen mehr, sondern es ist ein Roman, die Schilderung einer ganzen Generation von Einwanderern, die in ihrer altneuen Heimat nie richtig angekommen sind.

Ihre Welt sehen wir durch die Augen Leas, einer alternden Frau, die keinen Familiennamen zu haben scheint. Den Krieg hat sie als Kind überlebt, nach Israel hat man sie aus einem polnischen Waisenhaus gebracht, den Namen ihrer ermordeten Eltern kennt sie kaum. Lea, so hören wir einmal, hat "Zucker" geheißen, ein andermal spricht man sie als "Frau Bittermann" an. Aber beides, sowohl ihr Mädchenname als auch der Name ihres Mannes, fällt von ihr ab. Ihr Mann ist schon vor vierzig Jahren gestorben, aus der kurzen Ehe ist ein Sohn hervorgegangen, und auch der ist ausgewandert, er lebt im weitentfernten Amerika: Lea trägt keinen Familiennamen, weil sie keine Familie hat.

Lizzie Doron erzählt von ihrer Einsamkeit vor dem Tod. Die Handlung des Romans setzt ein, als auch Sajtschik stirbt, der Friseur, in dessen Salon sie über dreißig Jahre als Maniküre gearbeitet hat. Er war ein Freund ihres Mannes gewesen, und er lehrte sie die Kunst des Überlebens, indem er ihr einen Beruf gab. Mit seinem Tod ist Leas Existenz plötzlich bodenlos geworden. Aus der Wirklichkeit, in der sie keinen Ort mehr findet, zieht sie sich in die Erinnerung zurück, und was wir lesen, ist ihr langer innerer Monolog. "Dieses Buch", so lautet sein Motto, "ist Menschen gewidmet, an die sich niemand erinnern wird": Lea setzt den Vergessenen ein Denkmal.

Es ist die Kunst Lizzie Dorons, die Erniedrigten in unser Gedächtnis einzuschreiben, indem sie sie für sich selbst sprechen läßt. Keine nachgeborene Israeli kommt hier zu Wort, keine allwissende Erzählerin, die von sicherer Warte aus auf Menschen zurückblickt, die nicht mehr heimgefunden haben, sondern es ist die alternde Lea selbst, die uns in ihre Welt einführt. Die Erzählung schafft keine Distanz, keine "Bewältigung" einer Vergangenheit, von der man in Israel lange nichts wissen wollte, sondern sie schafft eine beunruhigende Intimität: Unerwartet bricht mit Leas Erinnerung eine wortlose Generation in die Gegenwart des Lesers ein.

Aber diese Erinnerung überfällt ihn nicht, sie zwingt ihn nicht in die Defensive. Lea steht in ihrer ganzen Schwäche vor dem Leser, und gerade diese Schwäche, so nimmt man überrascht wahr, ist ihre Stärke. Auch Sajtschik, ihr Lehrer und Arbeitgeber, ist ein Überlebender der Lager gewesen, ein schöner, stets elegant gekleideter Mann, der die Auschwitznummer auf seinem Arm zu verdecken suchte. Jahrzehntelang hat Lea ihren Retter geliebt, daraus macht sie kein Geheimnis. Weshalb also hat Sajtschik, der ewige Junggeselle, sie nicht geheiratet?

Manches, was Lea erzählt, deutet bereits an, daß er homosexuell war, und am Ende wird es auch ausgesprochen. Nach der Beerdigung kommt Etan, Leas Sohn, aus Amerika zu Besuch, und was Lea zuvor ausgespart hat, spricht er deutlich aus: "Sie waren zusammen", sagt er über Sajtschik und den Kibbuznik Mordechai. "Nur deinetwegen haben sie es geheimgehalten, Sajtschik hatte Angst, daß es dich umbringen würde. Nur für dich war es ein Geheimnis. Alle, alle haben die Wahrheit gewußt." Und Lea gibt zur Antwort: "In allem, was Sajtschik betrifft, kenne nur ich die Wahrheit. Nur ich weiß, wer Sajtschik war, und du, du hörst jetzt auf mit diesem Unsinn." Wer hat recht, Etan oder seine Mutter? Leas Perspektive beherrscht den Roman, aber hier schürzt sie einen erstaunlichen Knoten. In der von ihr selbst erzählten Welt stößt Lea an die Grenzen dessen, was man je über andere Menschen wissen kann, und der Leser steht vor einer unlösbaren Frage: War ihre Hoffnung auf den Mann Sajtschik nur die Fata Morgana einer Überlebensstrategie?

Diese Frage betrifft nicht nur das persönliche Schicksal einer einzelnen Frau, sondern einer ganzen Generation. Vor vierzig Jahren hat Lea ihren Mann verloren, der Sohn wächst ohne Vater auf, und am Ende verliert sie auch ihn. Die Hoffnung, mit Sajtschik eine neue Ehe einzugehen, ist die Sehnsucht nach dem Zurückholen der einst zerstörten Familie, und sie bildet die Grundkonstellation des Romans. Unbewußt sucht auch Lea selbst nach ihren nie gekannten Eltern. In Rosa, einer alten Frau, die ständig liest, findet sie eine Ersatzmutter, die ihr die Liebe zu den Büchern einflößt. "Das war die schönste Zeit in meinem Leben", heißt es. "Zusammen mit ihr ging ich in die Bücherei, und zusammen lasen wir Märchen. Ich lernte sie richtig auswendig, die Geschichten von Schneewittchen, Aschenputtel, Dornröschen."

Die Rückkehr in eine nie gewesene Kindheit findet jedoch nur in den Märchen statt. In der Wirklichkeit geht es härter zu, und Ida, eine Nachbarin, sehnt ihren Tod herbei. Die Deutschen, so erzählt sie es Lea, haben ihre Familie erschossen, und sie selbst hat nur überlebt, weil der Mantel ihres Vaters sie verdeckte. Zuerst jedoch haben sie das Zugpferd erschossen, das dem Vater gehörte, und Ida fragte ihn noch, warum sie das taten. "Es ist ein jüdisches Pferd", antwortet der Vater. "Sie schicken es zum Garten Eden, damit es uns, wenn wir ankommen, am Tor erwartet, es wird uns zum Thron Gottes bringen, und dort werden uns die Engel empfangen."

Lizzie Doron, 1953 geboren, gehört zur selben Generation wie David Grossman, aber sie hat erst spät zu schreiben begonnen. Dem Schicksal der Holocaustüberlebenden begegnete man in Israel lange Zeit mit Schweigen, doch immer stärker ist es inzwischen von Autoren in den Blick genommen worden, die sich kritisch mit der Geschichte ihres Landes auseinandersetzen. Schnell werden Lizzie Dorons Bücher nun nicht nur in Israel, sondern auch in Deutschland bekannt. Im Jahr 2003 wurde ihr Roman "Ruhige Zeiten" mit dem Buchman-Preis ausgezeichnet, den die Gedenkstätte Yad Vashem vergibt.

JAKOB HESSING

Lizzie Doron: "Ruhige Zeiten". Roman. Aus dem Hebräischen übersetzt von Mirjam Pressler. Jüdischer Verlag, Frankfurt am Main 2005. 176 S., geb., 16,80 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Bewegt berichtet Jakob Hessing von Lizzie Dorons Roman "Ruhige Zeiten", in dessen Mittelpunkt die in die Jahre gekommene Lea steht, die als Kind den Holocaust überlebt hat und aus einem polnischen Waisenhaus nach Israel gebracht wurde. Fünzig Jahre nach dem Krieg scheint sie wieder genauso einsam wie zu Beginn ihre Lebens. Ihr Mann ist seit Jahrzehnten tot, und der Sohn in die USA ausgewandert. Geborgenheit ist für Lea ebenso unerreichbar wie ihre zweite große Liebe, der Friseur Sajtschak, ebenfalls ein Überlebender. Was Hessing besonders beeindruckt, ist dass Doron die Gebrochenen für sich selbst sprechen lässt, keine allwissende Erzählerin vorschützt, sondern eine beunruhigende Intimität schafft, ohne Distanz und "Vergangenheitsbewältigung".

© Perlentaucher Medien GmbH