Der Briefwechsel zwischen Jack Kerouac und Allen Ginsberg ist ein Glücksfall und eine Offenbarung. Die beiden großen Helden der Beat-Literatur schrieben sich unermüdlich über zwanzig Jahre lang. Alles, was für sie von Belang war, wurde schriftlich diskutiert. Pathos und Wahnsinn, Hass und Liebe, Poesie und Sehnsucht sprechen genauso aus ihren Zeilen wie scharfer Verstand, leise Ironie und schneidender Zynismus.
Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Willi Winkler kennt wenige Bücher, die so schwierig zu lesen sind wie der Briefwechsel zwischen Jack Kerouac und Allen Ginsberg in "Ruhm tötet alles". Drogen, Wortreichtum (wenigstens als Quantität) und eine gewisse Verachtung gegenüber Moral und Verantwortung, das sind die wesentlichen Zutaten der Beat-Literatur, die vor allem Kerouac wesentlich ins Rollen gebracht hat, erklärt Winkler. Die Freundschaft, die in den Briefen zum Ausdruck kommt, ist von vorneherein eine einzigartige, findet der Rezensent: ein homophober Antisemit und ein homosexueller Jude. Und dann schreiben sie doch meist über Geschäftliches, wer wo wann veröffentlicht und wie viel es dafür gibt, fasst Winkler zusammen. Das andere große Thema der beiden ist das Schreiben. Man gibt sich belesen, tut allerdings das allermeiste ab, "wir-wir-wir sind die Dichter" heißt es stattdessen. Trotz einiger Längen ermöglicht das Buch einen tiefen Einblick in die Abgründe des Schreibens, berichtet der Rezensent. Die "heiligen Monster der Moderne" offenbaren ihre poetologischen Skrupel.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 07.12.2012Sex und Drogen und Sinnlosigkeit
Unterwegs ist alles: Die hochmodern wirkenden Beat-Briefe zwischen Allen Ginsberg und Jack Kerouac dokumentieren Aufstieg und Fall der analogen Boheme.
Auf der Straße ins Nirgendwo. Am Ende stehen der Ruhm, das Nirwana, das Verblassen einer Freundschaft, auch Depression, Flucht und Zweifel. In der Sekunde, in der man das langersehnte Ziel erreicht, bricht alle Energie weg. Die Anerkennung würgt den Motor ab. "Ich habe keinen Spaß mehr am Schreiben. So was von fade", schreibt Jack Kerouac, der nach dem unfassbar lange verzögerten Erscheinen von "On the Road" endlich gefeierte Beat-Poet, am 28. August 1958 an den Seelenverwandten Allen Ginsberg, mit dem gemeinsam er einst beschlossen hatte, das Leben, Denken und Reden des "letzten Menschen" Neal Cassady zu einem Mythos von biblischem Ausmaß auszugestalten.
In schneller Folge erscheinen nun auch die Seitenwerke wie "The Subterraneans", "The Dharma Bums" oder "Dr Sax". Aber was wird aus Evangelisten, wenn das Evangelium abgefasst ist? Das Trinken sei sein Problem, so Kerouac weiter, aber auch das Dexamyl, das er zum Schreiben brauche und das zu Verstopfung führe: "Und so bin ich immer noch dick."
Dann wieder dieses würdelose Geeiere ums Geld, gerade jetzt, wo es endlich eintrifft: "Hat er euch nicht gesagt, dass ich bei all dem Trubel um ROAD nur um die 4500 kriege? Ohne Filmrechte, versteht sich." Oder: "Ich brauche die 7500 jetzt um den Kauf des Hauses abzuschließen." Und: "Ich fang nicht mit dem Ausgeben an bevor ich nicht 50 000 beisammenhabe." Ständig klagt der gut verdienende Kerouac jetzt, viel zu wenig zu verdienen, denn alle Welt haue ihn übers Ohr. Sein Anwalt verklage Metro-Goldwyn-Mayer, weil man dort einen Film namens "Beat Generation" mache, ohne ihm die Namensrechte zu vergolden. Dabei habe ein Zeitungsartikel ihm doch eindeutig die Prägung dieses Begriffs zugeschrieben.
Dass Ginsberg immer noch kirchenmausarm ist, stört Kerouac nicht. Die erbetene Ausgabe von "On the Road" nach Paris zu schicken ist ihm zu umständlich, vielleicht auch zu teuer: "hast es eh schon mal gelesen". Und selbst die Rückzahlung alter Schulden zögert Kerouac mit peinlichen Argumenten lange hinaus. Der Ruhm hat Ginsberg freilich gleichzeitig ereilt: "Howl" ist auf dem Markt. Doch die Geldnot hält in diesem Fall dem kreativen Selbstzweifel - "Literarisch bin ich völlig im Arsch" - weiterhin die Waage, bleibt ein Antrieb. Mit seinem Lebensgefährten Peter Orlowski genießt Ginsberg derweil die Freiheiten der Sechziger.
Dass er Kerouac beneidet, verhehlt Ginsberg nicht ("ich habe nicht deine Footballer-Energie endlos Papier vollzuschreiben"), doch die Entzweiung geht vom anderen aus. Betrunken schimpft Kerouac auf den feiernden Ginsberg ein, dann folgen Entschuldigungen per Brief, die bald wieder angeberhaft wirken. In den sechziger Jahren ebbt der Austausch ab. Ginsberg schickt dem Freund lange (und hier nicht aufgenommene) Reisebeschreibungen aus Indien, Kerouac schweigt. Sofern er doch schreibt, sind die Briefe, verkappte Hilferufe, von Selbst- und Weltekel durchtränkt.
Aber begehen wir nicht den Fehler aller Teleologie. Wir müssen vorne beginnen: Die ersten Briefe stammen aus dem Jahr 1944. Als am anderen Ende der westlichen Welt noch uniformer Faschismus herrscht, tritt man hier vor den Altar der Individualität. Wir sehen die freiesten Geister dieser Generation, hungernd, hysterisch, nackt; sehen sie mit dem Irrsinn kokettieren, so rückhaltlos, dass sie kurz ins Taumeln geraten, immer aber voller Lebenswut und auf der Suche nach dem inneren Rhythmus. Was uns anspringt, das ist die messerscharfe Modernität dieser Sprache. Die Briefe sind geschrieben, wie man heute Mails schreibt: rausgehauen, nicht selten im Drogennebel, und eben deshalb die ganze Wucht des Moments konservierend, eine wilde Mischung aus Reflexion, Hellseherei, banaler Mitteilung, Anklage, Bettel- und Wutgeschrei, zugleich Testlabor für diese neue, unmittelbare Form des Schreibens.
Heißblüter sind es, die hier in die Tasten hauen, Schwärmer voller Visionen und Talent, von einer Selbstsicherheit, die nur die Jugend kennt: ",Cut my thoughts for coconuts' wird eines Tages zum Wortschatz der ganzen Welt gehören." Und zugleich sind sie hellsichtig genug, die wilde Pose zu durchschauen. Ginsberg hält Kerouac "dummbeutelige Romantik" vor, und der ist genervt von Ginsbergs immer psychopathischer werdenden Identitätssuche: "Auf dem Bild vom Strand umarmt ein Mann eine Frau frontal, nackt, und das ist alles, was ich will - nichts anderes. Also geh' mir bitte nicht mit deinem Geschwätz auf die Nerven."
Ginsberg observiert geradezu obsessiv die Sinnlosigkeit, schon in der Handelsmarine. Das Hadern mit der eigenen Homosexualität führt ihn schließlich in die Psychiatrie, wo er - wieder ganz Beobachter - jene Schlüsselerfahrungen macht, die später in "Howl" eingehen. Derweil arbeitet sich Kerouac in Ferienlagern und Drugstores durch intellektfreie Jobs. Alles ist prekär in diesen Jahren, und alles ist voller Leben, Erwartung, Emphase. Drogen hält man noch für Verbündete.
En passant lernt der Leser die ganze Beat-Bagage kennen, Lucien Carr und William S. Burroughs sind dauerpräsent, an "Naked Lunch" arbeitet man gemeinsam im Akkord. Dazu werden reihenweise Männer und Frauen verputzt und verschlissen. Am interessantesten aber sind wohl die Bezugnahmen auf das Schreiben selbst, das insbesondere Kerouac erstaunlich strategisch angeht. Ginsberg liefert nebenbei eine der besten Analysen von Kerouacs Stil: "Deine Melodien, fällt mir auf, sind häufig in eine irisch-Joyce'sche Satzmelange gepackt, allerdings mit einem natürlichen Neal'schen Sprachrhythmus." Kerouac, der sich selbst "Faktualist" und seinen Stil "muskelstrotzende Prosa" nennt, versucht immer wieder Einordnungen: "Der einzige Sterbliche, der überhaupt so schreibt wie wir ist Faulkner."
Faulkner allerdings hasste den Ruhm und kam mit ihm klar. Die um Anerkennung buhlenden Dioskuren der Beat-Generation dagegen sehen wir in Zynismus und Esoterik abdrehen: trister Alkoholismus statt Feier des Exzesses, aufgesetzter Buddhismus statt Freiheitsdrang. Aber auch das hat noch Kraft und Rhythmus. Trotz der nicht immer elegant wirkenden Übersetzung, die versucht, die Grammatikverachtung der Beatniks (auch im Verzicht auf manches Satzzeichen) nachzubauen, und trotz des unerklärlichen Mankos, dass nur die Hälfte der existierenden Briefe aufgenommen wurde, ist diese Sammlung ein großes Lesevergnügen und ein Lehrstück in Sachen Kraft durch Krise. Hüten wir uns nur vor dem Ankommen!
OLIVER JUNGEN
Allen Ginsberg, Jack Kerouac: "Ruhm tötet alles". Die Briefe.
Aus dem Englischen von Michael Keller. Rogner & Bernhard Verlag, Berlin 2012. 502 S., geb., 22,95 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Unterwegs ist alles: Die hochmodern wirkenden Beat-Briefe zwischen Allen Ginsberg und Jack Kerouac dokumentieren Aufstieg und Fall der analogen Boheme.
Auf der Straße ins Nirgendwo. Am Ende stehen der Ruhm, das Nirwana, das Verblassen einer Freundschaft, auch Depression, Flucht und Zweifel. In der Sekunde, in der man das langersehnte Ziel erreicht, bricht alle Energie weg. Die Anerkennung würgt den Motor ab. "Ich habe keinen Spaß mehr am Schreiben. So was von fade", schreibt Jack Kerouac, der nach dem unfassbar lange verzögerten Erscheinen von "On the Road" endlich gefeierte Beat-Poet, am 28. August 1958 an den Seelenverwandten Allen Ginsberg, mit dem gemeinsam er einst beschlossen hatte, das Leben, Denken und Reden des "letzten Menschen" Neal Cassady zu einem Mythos von biblischem Ausmaß auszugestalten.
In schneller Folge erscheinen nun auch die Seitenwerke wie "The Subterraneans", "The Dharma Bums" oder "Dr Sax". Aber was wird aus Evangelisten, wenn das Evangelium abgefasst ist? Das Trinken sei sein Problem, so Kerouac weiter, aber auch das Dexamyl, das er zum Schreiben brauche und das zu Verstopfung führe: "Und so bin ich immer noch dick."
Dann wieder dieses würdelose Geeiere ums Geld, gerade jetzt, wo es endlich eintrifft: "Hat er euch nicht gesagt, dass ich bei all dem Trubel um ROAD nur um die 4500 kriege? Ohne Filmrechte, versteht sich." Oder: "Ich brauche die 7500 jetzt um den Kauf des Hauses abzuschließen." Und: "Ich fang nicht mit dem Ausgeben an bevor ich nicht 50 000 beisammenhabe." Ständig klagt der gut verdienende Kerouac jetzt, viel zu wenig zu verdienen, denn alle Welt haue ihn übers Ohr. Sein Anwalt verklage Metro-Goldwyn-Mayer, weil man dort einen Film namens "Beat Generation" mache, ohne ihm die Namensrechte zu vergolden. Dabei habe ein Zeitungsartikel ihm doch eindeutig die Prägung dieses Begriffs zugeschrieben.
Dass Ginsberg immer noch kirchenmausarm ist, stört Kerouac nicht. Die erbetene Ausgabe von "On the Road" nach Paris zu schicken ist ihm zu umständlich, vielleicht auch zu teuer: "hast es eh schon mal gelesen". Und selbst die Rückzahlung alter Schulden zögert Kerouac mit peinlichen Argumenten lange hinaus. Der Ruhm hat Ginsberg freilich gleichzeitig ereilt: "Howl" ist auf dem Markt. Doch die Geldnot hält in diesem Fall dem kreativen Selbstzweifel - "Literarisch bin ich völlig im Arsch" - weiterhin die Waage, bleibt ein Antrieb. Mit seinem Lebensgefährten Peter Orlowski genießt Ginsberg derweil die Freiheiten der Sechziger.
Dass er Kerouac beneidet, verhehlt Ginsberg nicht ("ich habe nicht deine Footballer-Energie endlos Papier vollzuschreiben"), doch die Entzweiung geht vom anderen aus. Betrunken schimpft Kerouac auf den feiernden Ginsberg ein, dann folgen Entschuldigungen per Brief, die bald wieder angeberhaft wirken. In den sechziger Jahren ebbt der Austausch ab. Ginsberg schickt dem Freund lange (und hier nicht aufgenommene) Reisebeschreibungen aus Indien, Kerouac schweigt. Sofern er doch schreibt, sind die Briefe, verkappte Hilferufe, von Selbst- und Weltekel durchtränkt.
Aber begehen wir nicht den Fehler aller Teleologie. Wir müssen vorne beginnen: Die ersten Briefe stammen aus dem Jahr 1944. Als am anderen Ende der westlichen Welt noch uniformer Faschismus herrscht, tritt man hier vor den Altar der Individualität. Wir sehen die freiesten Geister dieser Generation, hungernd, hysterisch, nackt; sehen sie mit dem Irrsinn kokettieren, so rückhaltlos, dass sie kurz ins Taumeln geraten, immer aber voller Lebenswut und auf der Suche nach dem inneren Rhythmus. Was uns anspringt, das ist die messerscharfe Modernität dieser Sprache. Die Briefe sind geschrieben, wie man heute Mails schreibt: rausgehauen, nicht selten im Drogennebel, und eben deshalb die ganze Wucht des Moments konservierend, eine wilde Mischung aus Reflexion, Hellseherei, banaler Mitteilung, Anklage, Bettel- und Wutgeschrei, zugleich Testlabor für diese neue, unmittelbare Form des Schreibens.
Heißblüter sind es, die hier in die Tasten hauen, Schwärmer voller Visionen und Talent, von einer Selbstsicherheit, die nur die Jugend kennt: ",Cut my thoughts for coconuts' wird eines Tages zum Wortschatz der ganzen Welt gehören." Und zugleich sind sie hellsichtig genug, die wilde Pose zu durchschauen. Ginsberg hält Kerouac "dummbeutelige Romantik" vor, und der ist genervt von Ginsbergs immer psychopathischer werdenden Identitätssuche: "Auf dem Bild vom Strand umarmt ein Mann eine Frau frontal, nackt, und das ist alles, was ich will - nichts anderes. Also geh' mir bitte nicht mit deinem Geschwätz auf die Nerven."
Ginsberg observiert geradezu obsessiv die Sinnlosigkeit, schon in der Handelsmarine. Das Hadern mit der eigenen Homosexualität führt ihn schließlich in die Psychiatrie, wo er - wieder ganz Beobachter - jene Schlüsselerfahrungen macht, die später in "Howl" eingehen. Derweil arbeitet sich Kerouac in Ferienlagern und Drugstores durch intellektfreie Jobs. Alles ist prekär in diesen Jahren, und alles ist voller Leben, Erwartung, Emphase. Drogen hält man noch für Verbündete.
En passant lernt der Leser die ganze Beat-Bagage kennen, Lucien Carr und William S. Burroughs sind dauerpräsent, an "Naked Lunch" arbeitet man gemeinsam im Akkord. Dazu werden reihenweise Männer und Frauen verputzt und verschlissen. Am interessantesten aber sind wohl die Bezugnahmen auf das Schreiben selbst, das insbesondere Kerouac erstaunlich strategisch angeht. Ginsberg liefert nebenbei eine der besten Analysen von Kerouacs Stil: "Deine Melodien, fällt mir auf, sind häufig in eine irisch-Joyce'sche Satzmelange gepackt, allerdings mit einem natürlichen Neal'schen Sprachrhythmus." Kerouac, der sich selbst "Faktualist" und seinen Stil "muskelstrotzende Prosa" nennt, versucht immer wieder Einordnungen: "Der einzige Sterbliche, der überhaupt so schreibt wie wir ist Faulkner."
Faulkner allerdings hasste den Ruhm und kam mit ihm klar. Die um Anerkennung buhlenden Dioskuren der Beat-Generation dagegen sehen wir in Zynismus und Esoterik abdrehen: trister Alkoholismus statt Feier des Exzesses, aufgesetzter Buddhismus statt Freiheitsdrang. Aber auch das hat noch Kraft und Rhythmus. Trotz der nicht immer elegant wirkenden Übersetzung, die versucht, die Grammatikverachtung der Beatniks (auch im Verzicht auf manches Satzzeichen) nachzubauen, und trotz des unerklärlichen Mankos, dass nur die Hälfte der existierenden Briefe aufgenommen wurde, ist diese Sammlung ein großes Lesevergnügen und ein Lehrstück in Sachen Kraft durch Krise. Hüten wir uns nur vor dem Ankommen!
OLIVER JUNGEN
Allen Ginsberg, Jack Kerouac: "Ruhm tötet alles". Die Briefe.
Aus dem Englischen von Michael Keller. Rogner & Bernhard Verlag, Berlin 2012. 502 S., geb., 22,95 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main