Der lange verloren geglaubte erste Roman von Hunter S. Thompson erzählt die höchst aktuelle Geschichte vom Ende der Unschuld Amerikas. Im Winter 1959 fliegt der dreißigjährige Amerikaner Paul Kemp nach Puerto Rico, um dort eine Stelle als Reporter anzutreten. Es folgt eine wilde Reise voll Sonne, Sex, Rum - und der Ahnung vom bald drohenden Untergang.
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 01.04.2010Gehört, gelesen, zitiert
Elektrische Säbel
Es kommt nicht oft vor, dass ein Buch allein wegen eines neuen Nachwortes wiederaufgelegt wird. Der Blumenbar Verlag tut nun ebendies glücklicherweise mit Hunter S. Thompsons erstem Roman „Rum Diary” (Blumenbar, Berlin 2010; 324 Seiten, 15 Euro). Das Nachwort stammt allerdings auch von keinem Geringeren als Johnny Depp, der den Schriftsteller und Reporter in Terry Gilliams Verfilmung des Thompsons Buchs „Fear And Loathing In Las Vegas” verkörperte. Depps Schilderung seiner ersten Begegnung mit dem Erfinder des radikal subjektiven Gonzo-Journalismus zeigt, wie genau der Schauspieler nicht nur den Menschen Hunter S. Thompson, sondern auch dessen Texte studiert haben muss. Der Gonzo-Sound ist verblüffend gut getroffen.
„Im Dezember 1995 habe ich Hunter durch die Vermittlung eines gemeinsamen Freundes getroffen, während ich gerade Ferien in Aspen, Colorado, machte. (. . .) Irgendwann um elf Uhr nachts saß ich hinten in der Woody Creek Tavern über einem Drink, als ein ungewöhnlich lautes Geräusch meine Aufmerksamkeit in Beschlag nahm und kurz darauf auch die der anderen Anwesenden im Raum – das Schweigen auf der einen Seite und das ängstliche Gemurmel auf der anderen wurden durch ein anschwellendes Kreischen ersetzt, das von einem elektrischen Säbel zu stammen schien, der nahe am Eingang der Bar wild geschwungen wurde. Stammgäste sprangen vor Schreck zur Seite, als eine kehlige, raue Stimme die Leute anbrüllte und drohte, die Scheiße aus jedem herauszuprügeln, der es wagen sollte, ihm im Weg zu stehen. Blitzartig war klar, dass unser Rendezvous soeben begonnen hatte.
Hoch aufgeschossen und schlaksig, mit einer wollenen, indianisch anmutenden Strickmütze auf dem Kopf, die ihm nach hinten gerutscht war, und die unvermeidliche Pilotenbrille mitten im Gesicht, reckte er mir seine gewaltige Hand entgegen. Ich ließ die meine in seine gleiten und versuchte den Druck so gut es ging zu erwidern – ich hatte das Gefühl, dass dies der Beginn einer langen und tiefen Freundschaft sein sollte.
Er ließ sich in einen Stuhl plumpsen und legte seine Bewaffnung – einen riesigen elektrischen Viehtreiber und einen klobigen Elektroschocker – auf dem Tisch ab.” SZ
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Elektrische Säbel
Es kommt nicht oft vor, dass ein Buch allein wegen eines neuen Nachwortes wiederaufgelegt wird. Der Blumenbar Verlag tut nun ebendies glücklicherweise mit Hunter S. Thompsons erstem Roman „Rum Diary” (Blumenbar, Berlin 2010; 324 Seiten, 15 Euro). Das Nachwort stammt allerdings auch von keinem Geringeren als Johnny Depp, der den Schriftsteller und Reporter in Terry Gilliams Verfilmung des Thompsons Buchs „Fear And Loathing In Las Vegas” verkörperte. Depps Schilderung seiner ersten Begegnung mit dem Erfinder des radikal subjektiven Gonzo-Journalismus zeigt, wie genau der Schauspieler nicht nur den Menschen Hunter S. Thompson, sondern auch dessen Texte studiert haben muss. Der Gonzo-Sound ist verblüffend gut getroffen.
„Im Dezember 1995 habe ich Hunter durch die Vermittlung eines gemeinsamen Freundes getroffen, während ich gerade Ferien in Aspen, Colorado, machte. (. . .) Irgendwann um elf Uhr nachts saß ich hinten in der Woody Creek Tavern über einem Drink, als ein ungewöhnlich lautes Geräusch meine Aufmerksamkeit in Beschlag nahm und kurz darauf auch die der anderen Anwesenden im Raum – das Schweigen auf der einen Seite und das ängstliche Gemurmel auf der anderen wurden durch ein anschwellendes Kreischen ersetzt, das von einem elektrischen Säbel zu stammen schien, der nahe am Eingang der Bar wild geschwungen wurde. Stammgäste sprangen vor Schreck zur Seite, als eine kehlige, raue Stimme die Leute anbrüllte und drohte, die Scheiße aus jedem herauszuprügeln, der es wagen sollte, ihm im Weg zu stehen. Blitzartig war klar, dass unser Rendezvous soeben begonnen hatte.
Hoch aufgeschossen und schlaksig, mit einer wollenen, indianisch anmutenden Strickmütze auf dem Kopf, die ihm nach hinten gerutscht war, und die unvermeidliche Pilotenbrille mitten im Gesicht, reckte er mir seine gewaltige Hand entgegen. Ich ließ die meine in seine gleiten und versuchte den Druck so gut es ging zu erwidern – ich hatte das Gefühl, dass dies der Beginn einer langen und tiefen Freundschaft sein sollte.
Er ließ sich in einen Stuhl plumpsen und legte seine Bewaffnung – einen riesigen elektrischen Viehtreiber und einen klobigen Elektroschocker – auf dem Tisch ab.” SZ
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