Das "Russische Tagebuch" entstand zwischen Dezember 2003 und September 2005. Anna Politkovskajas Aufzeichnungen beginnen mit Putins Kampagne zu seiner Wiederwahl und enden mit der eindringlichen Frage: Habe ich Angst?
Bis zur Selbstaufgabe engagiert, persönlich und mit Blick für das Schicksal des Einzelnen, beschreibt sie im "Russischen Tagebuch" die Politik ihres Landes dieser zwei weichenstellenden Jahre. Dabei geht es ihr um politische Ereignisse ebenso wie um die Stimmung in der Bevölkerung. Ein Bericht aus erster Hand, der wagt, was in Putins Russland lebensgefährlich ist: die Wahrheit. So zeigt Anna Politkovskaja nicht nur die Verbrechen der russischen Armee in Tschetschenien, sondern auch jene an den russischen Soldaten und den Kampf ihrer Mütter um die Rechte und Würde ihrer Söhne. Sie prangert Putins "starken Staat" an und schildert das Klima der Resignation, der Angst und der Rechtlosigkeit.
Immer wieder beklagte Anna Politkovskaja die Blindheit und mutwillige Ignoranz des Westens gegenüber den Missständen in ihrer Heimat. Nun, da sich die Welt betroffen zeigt und um sie trauert, sollten wir endlich hören, was sie zu sagen hat.
Bis zur Selbstaufgabe engagiert, persönlich und mit Blick für das Schicksal des Einzelnen, beschreibt sie im "Russischen Tagebuch" die Politik ihres Landes dieser zwei weichenstellenden Jahre. Dabei geht es ihr um politische Ereignisse ebenso wie um die Stimmung in der Bevölkerung. Ein Bericht aus erster Hand, der wagt, was in Putins Russland lebensgefährlich ist: die Wahrheit. So zeigt Anna Politkovskaja nicht nur die Verbrechen der russischen Armee in Tschetschenien, sondern auch jene an den russischen Soldaten und den Kampf ihrer Mütter um die Rechte und Würde ihrer Söhne. Sie prangert Putins "starken Staat" an und schildert das Klima der Resignation, der Angst und der Rechtlosigkeit.
Immer wieder beklagte Anna Politkovskaja die Blindheit und mutwillige Ignoranz des Westens gegenüber den Missständen in ihrer Heimat. Nun, da sich die Welt betroffen zeigt und um sie trauert, sollten wir endlich hören, was sie zu sagen hat.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 05.03.2007Du bist eine Feindin
Postum erschienen: Das letzte Werk der ermordeten Journalistin Anna Politkovskaja
Der vielleicht gespenstischste Eintrag in Anna Politkovskajas nachgelassenem Manuskript stammt vom 13. Februar 2004. Zwei Jahre, sechs Monate und zweiundzwanzig Tage bevor die russische Journalistin erschossen im Aufzug ihres Moskauer Wohnhauses aufgefunden wird, klingelt in der Redaktion von "Nowaja gaseta" das Telefon. Es meldet sich jemand aus russischen Geheimdienstkreisen, eine Nachricht soll übermittelt werden. Der Empfänger ist Iwan Rybkin. Die Botschaft: Falls Rybkin aus seinem Londoner Exil in einer Fernsehdiskussion belastendes Material gegen Putin auf den Tisch lege, gebe es einen Terroranschlag. Politkovskaja schreibt: "Ich tue, worum ich gebeten worden bin. Doch auch ohne die Warnung hat Rybkin bereits alle Fernsehauftritte abgesagt. Sein Leben ist ihm lieber."
Warum? Warum war nicht auch Politkovskaja ihr Leben lieber? Der Buchumschlag ihres "Russischen Tagebuchs" zeigt die Autorin, die für ihre Schriften von einem Auftragskiller abgeknallt wurde: eine Frau Mitte vierzig, mittellange Haare, Ohrringe, Brille. Rybkins Schicksal erlebte sie noch mit: Im Jahr 2004 hatte er in den Präsidentenwahlen gegen Putin kandidiert, dessen Regierung er gegenüber der Presse als "Diktatur" bezeichnete und deren Tschetschenien-Politik als "Staatsverbrechen"; kurz darauf wurde er als vermisst gemeldet und kehrte dann plötzlich zurück, mit der wirren Behauptung, im Urlaub gewesen zu sein: "wie ein lebender Leichnam, mit einer Damensonnenbrille auf der Nase", schreibt Politkovskaja.
Zu Wort meldet sich daraufhin einer, der auch erst ins Exil ging und heute tot ist. Der ehemalige und nach London geflohene Geheimdienstler Alexander Litwinenko erklärt öffentlich, das Auftreten Rybkins deute auf eine Behandlung mit dem psychotropen Präparat SP 117 hin, ein Psychopharmaka, das zur Willenlosigkeit führt und dann zum Blackout. Rybkin zog seine Kandidatur zurück und ging nach London. Das Ende der Affäre erlebte Politkovskaja nicht mehr: Am 7. Oktober 2006 wurde zuerst sie ermordet. Am 23. November des gleichen Jahres starb Litvinenko an den Folgen einer Polonium-Vergiftung in einem Londoner Krankenhaus. Keiner der Morde ist aufgeklärt.
Es gibt zwei Arten, jemanden umzubringen: die eine langsam, schleichend, über einen längeren Zeitraum; die andere plötzlich, von einer Sekunde auf die andere.
Die erste Form, der Giftmord, zielt darauf ab, keine Spuren zu hinterlassen, und es war dieser Tod, den Politkovskaja zuerst fürchtete. Anfang September 2004 berichtete sie auf einem Flug nach Beslan, Opfer eines Giftanschlags geworden zu sein. Damals überlebte sie jedoch noch.
Der mit dem Vergiftungstod verbundene, quälend lange Sterbeprozess beschreibt zugleich den Zustand Russlands, wie ihn Politkovskaja protokolliert. In ihren Aufzeichnungen schultert sie die fast übermenschliche Aufgabe, die tagtäglichen Symptome des Verfalls niederzuschreiben, das schrittweise Ausfallen der demokratischen Staatsorgane. Es sind kurze trockene Sätze, mit denen Politkovskaja den Zeitraum zwischen Dezember 2003 und August 2005 absteckt, wie das Stakkato einer Medizinerin, der der Patient unter den Händen wegstirbt und die sich trotzdem nicht abwendet. "Kann man heute von einer Krise der parlamentarischen Demokratie in Russland sprechen?", fragt sie im Dezember 2003 und antwortet: "Nein. Unter Putin erlebt der russische Parlamentarismus sein Ende." Die Duma: reduziert "auf das dekorative Absegnen und Abstempeln der Putin'schen Beschlüsse". Das Volk: "willens, ohne Demokratie zu leben".
Und wieder die Frage: Warum Politkovskaja? Es wäre doch auch anders gegangen, stiller. Stattdessen tippte die zierliche Frau tagtäglich Sätze von kühler Respektlosigkeit gegenüber allen Einschüchterungsversuchen in die Tastatur, die Selbstdarstellung der Regierung auf den Kopf stellend: Die Live-Sendung, in der Zuschauer Fragen an Putin stellen, nennt sie "eine moderne Variante des Rituals der ,Bittschriften an den Zaren'"; die Fragen seien ausgewählt, die Antworten vom Blatt abgelesen. Wenn es ihr richtig scheint, nennt sie öffentliche Auftritte "lächerlich" oder notiert, wenn Putin, angesprochen auf den inhaftierten russischen Unternehmer Chodorkowskij, losbrüllt "wie ein Marktschreier oder Aufseher im Gefängnis". Während sich 2004 der Strick um freie Presse und Rechtsprechung immer enger zog, Politiker, Journalisten und Menschenrechtler verschwanden, bedroht wurden oder Asyl beantragten, während der damalige Bundeskanzler Gerhard Schröder in Machtumarmungstaumel Putin einen "lupenreinen Demokraten" nannte, die Hamburger Universität dem russischen Präsidenten schon mit der Ehrendoktorwürde entgegeneilen wollte, blieb sie auf unerklärliche Weise: kaltschnäuzig, unbeeindruckt. Sie, die besser wusste als jeder andere, dass sie unterlegen war, urteilte über die Mächtigen stets auf Augenhöhe - sogar mit Herablassung.
Als Politkovskaja im August 2004 für ein Interview das Haus des tschetschenischen Führers Ramsan Kadyrow besucht, den damals siebenundzwanzigjährigen Sohn des bei einem Attentat getöteten Präsidenten Tschetscheniens, den Putin gegen die Separatisten des Landes aufgebaut hatte, witzelt sie über die Offiziellen des Landes: "Ehrfürchtig machen sie vor dem Jüngling mit dem geistlosen Gesicht eines Degenerierten ihren Kotau." Man lässt sie sieben Stunden im Gästehaus warten; währenddessen verulkt sie den Springbrunnen, die säulenverzierte Terrasse, die Rattanmöbel aus Hongkong, den Marmorkamin, Sauna, Whirlpool und die "fußballplatzgroßen Betten". Es sind lustige Passagen, in denen der Leser kurz vergisst, dass es um Leben und Tod geht. Dann, als nach dem Warten doch das Interview beginnt, Kadyrows Satz: "Du bist eine Feindin. Schlimmer als Bassajew." Bassajew, der fundamentalistische Untergrundkämpfer, war zu diesem Zeitpunkt der meistgesuchte Mann in Russland. Er starb 2006. Politkovskaja setzt das Interview kommentarlos mit der nächsten Frage fort.
Alles, was in den letzten Jahren als Schlagzeile in Deutschland eintraf, kommt in dieser Chronik vor: die Wiederwahl Putins, der Tschetschenien-Krieg, die Revolution in Orange in der Ukraine, das Massaker an der von tschetschenischen Terroristen besetzten Schule in Beslan, der zu Tode gefolterte russische Soldat, der sich mit auf die Knochen wundgescheuerten Füßen weigerte, weiter in zu kleinen Schuhen zu marschieren. Den Opfern und deren Angehörigen gibt Politkovskaja ihre Stimme. Sie hält ihre Fragen fest, zum Beispiel die einer Mutter an den Staatsanwalt, warum bei der Befreiung des Moskauer Musicaltheaters im Jahr 2002 neben fünfzig tschetschenischen Rebellen fast doppelt so viele Geiseln getötet wurden, darunter ihre dreizehnjährige Tochter. Antwort: "Wenn ihr eine Million Dollar gekriegt hättet wie im Westen, wärt ihr alle sofort ruhig gewesen. Hättet noch ein bisschen geheult und wärt dann schön still gewesen."
Für Politkovskaja scheint es kein Leiden anderer gegeben zu haben; den Unterschied zwischen dem eigenen Wohl und dem Unglück anderer hob sie auf. Die Verletzung, das Unrecht, die Verachtung gegenüber Zweiten nahm sie persönlich. Dafür wurde sie auf die zweite Art, jemanden umzubringen, getötet: plötzlich, mit mehreren Schüssen in den Körper und einem letzten in den Kopf.
Warum ihr das eigene Leben nicht lieber war als das anderer, beantwortet die für den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels vorgeschlagene Politkovskaja in dem letzten Schriftstück des Buches: "Finale: Habe ich Angst?" Sie antwortet in beschämender Schlichtheit. Das Negative beiseite zu wischen, heißt es dort, und sich hinter der Betrachtung des Positiven zu verstecken, "ist in meinem Koordinatensystem die Position eines Pilzes, der sich unter einem großen Blatt verbirgt. Den Pilz wird man mit größter Wahrscheinlichkeit finden, abschneiden und aufessen - dem entgeht er nicht. Und deshalb kann man kein Pilz sein, wenn man als Mensch geboren ist." Kein Pilz sein. Dafür ließ sich Anna Politkovskaja erschießen.
JULIA VOSS
Anna Politkovskaja: "Russisches Tagebuch". Aus dem Russischen von Hannelore Umbreit und Alfred Frank. Dumont Verlag, Köln 2007. 458 S., geb., 24,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Postum erschienen: Das letzte Werk der ermordeten Journalistin Anna Politkovskaja
Der vielleicht gespenstischste Eintrag in Anna Politkovskajas nachgelassenem Manuskript stammt vom 13. Februar 2004. Zwei Jahre, sechs Monate und zweiundzwanzig Tage bevor die russische Journalistin erschossen im Aufzug ihres Moskauer Wohnhauses aufgefunden wird, klingelt in der Redaktion von "Nowaja gaseta" das Telefon. Es meldet sich jemand aus russischen Geheimdienstkreisen, eine Nachricht soll übermittelt werden. Der Empfänger ist Iwan Rybkin. Die Botschaft: Falls Rybkin aus seinem Londoner Exil in einer Fernsehdiskussion belastendes Material gegen Putin auf den Tisch lege, gebe es einen Terroranschlag. Politkovskaja schreibt: "Ich tue, worum ich gebeten worden bin. Doch auch ohne die Warnung hat Rybkin bereits alle Fernsehauftritte abgesagt. Sein Leben ist ihm lieber."
Warum? Warum war nicht auch Politkovskaja ihr Leben lieber? Der Buchumschlag ihres "Russischen Tagebuchs" zeigt die Autorin, die für ihre Schriften von einem Auftragskiller abgeknallt wurde: eine Frau Mitte vierzig, mittellange Haare, Ohrringe, Brille. Rybkins Schicksal erlebte sie noch mit: Im Jahr 2004 hatte er in den Präsidentenwahlen gegen Putin kandidiert, dessen Regierung er gegenüber der Presse als "Diktatur" bezeichnete und deren Tschetschenien-Politik als "Staatsverbrechen"; kurz darauf wurde er als vermisst gemeldet und kehrte dann plötzlich zurück, mit der wirren Behauptung, im Urlaub gewesen zu sein: "wie ein lebender Leichnam, mit einer Damensonnenbrille auf der Nase", schreibt Politkovskaja.
Zu Wort meldet sich daraufhin einer, der auch erst ins Exil ging und heute tot ist. Der ehemalige und nach London geflohene Geheimdienstler Alexander Litwinenko erklärt öffentlich, das Auftreten Rybkins deute auf eine Behandlung mit dem psychotropen Präparat SP 117 hin, ein Psychopharmaka, das zur Willenlosigkeit führt und dann zum Blackout. Rybkin zog seine Kandidatur zurück und ging nach London. Das Ende der Affäre erlebte Politkovskaja nicht mehr: Am 7. Oktober 2006 wurde zuerst sie ermordet. Am 23. November des gleichen Jahres starb Litvinenko an den Folgen einer Polonium-Vergiftung in einem Londoner Krankenhaus. Keiner der Morde ist aufgeklärt.
Es gibt zwei Arten, jemanden umzubringen: die eine langsam, schleichend, über einen längeren Zeitraum; die andere plötzlich, von einer Sekunde auf die andere.
Die erste Form, der Giftmord, zielt darauf ab, keine Spuren zu hinterlassen, und es war dieser Tod, den Politkovskaja zuerst fürchtete. Anfang September 2004 berichtete sie auf einem Flug nach Beslan, Opfer eines Giftanschlags geworden zu sein. Damals überlebte sie jedoch noch.
Der mit dem Vergiftungstod verbundene, quälend lange Sterbeprozess beschreibt zugleich den Zustand Russlands, wie ihn Politkovskaja protokolliert. In ihren Aufzeichnungen schultert sie die fast übermenschliche Aufgabe, die tagtäglichen Symptome des Verfalls niederzuschreiben, das schrittweise Ausfallen der demokratischen Staatsorgane. Es sind kurze trockene Sätze, mit denen Politkovskaja den Zeitraum zwischen Dezember 2003 und August 2005 absteckt, wie das Stakkato einer Medizinerin, der der Patient unter den Händen wegstirbt und die sich trotzdem nicht abwendet. "Kann man heute von einer Krise der parlamentarischen Demokratie in Russland sprechen?", fragt sie im Dezember 2003 und antwortet: "Nein. Unter Putin erlebt der russische Parlamentarismus sein Ende." Die Duma: reduziert "auf das dekorative Absegnen und Abstempeln der Putin'schen Beschlüsse". Das Volk: "willens, ohne Demokratie zu leben".
Und wieder die Frage: Warum Politkovskaja? Es wäre doch auch anders gegangen, stiller. Stattdessen tippte die zierliche Frau tagtäglich Sätze von kühler Respektlosigkeit gegenüber allen Einschüchterungsversuchen in die Tastatur, die Selbstdarstellung der Regierung auf den Kopf stellend: Die Live-Sendung, in der Zuschauer Fragen an Putin stellen, nennt sie "eine moderne Variante des Rituals der ,Bittschriften an den Zaren'"; die Fragen seien ausgewählt, die Antworten vom Blatt abgelesen. Wenn es ihr richtig scheint, nennt sie öffentliche Auftritte "lächerlich" oder notiert, wenn Putin, angesprochen auf den inhaftierten russischen Unternehmer Chodorkowskij, losbrüllt "wie ein Marktschreier oder Aufseher im Gefängnis". Während sich 2004 der Strick um freie Presse und Rechtsprechung immer enger zog, Politiker, Journalisten und Menschenrechtler verschwanden, bedroht wurden oder Asyl beantragten, während der damalige Bundeskanzler Gerhard Schröder in Machtumarmungstaumel Putin einen "lupenreinen Demokraten" nannte, die Hamburger Universität dem russischen Präsidenten schon mit der Ehrendoktorwürde entgegeneilen wollte, blieb sie auf unerklärliche Weise: kaltschnäuzig, unbeeindruckt. Sie, die besser wusste als jeder andere, dass sie unterlegen war, urteilte über die Mächtigen stets auf Augenhöhe - sogar mit Herablassung.
Als Politkovskaja im August 2004 für ein Interview das Haus des tschetschenischen Führers Ramsan Kadyrow besucht, den damals siebenundzwanzigjährigen Sohn des bei einem Attentat getöteten Präsidenten Tschetscheniens, den Putin gegen die Separatisten des Landes aufgebaut hatte, witzelt sie über die Offiziellen des Landes: "Ehrfürchtig machen sie vor dem Jüngling mit dem geistlosen Gesicht eines Degenerierten ihren Kotau." Man lässt sie sieben Stunden im Gästehaus warten; währenddessen verulkt sie den Springbrunnen, die säulenverzierte Terrasse, die Rattanmöbel aus Hongkong, den Marmorkamin, Sauna, Whirlpool und die "fußballplatzgroßen Betten". Es sind lustige Passagen, in denen der Leser kurz vergisst, dass es um Leben und Tod geht. Dann, als nach dem Warten doch das Interview beginnt, Kadyrows Satz: "Du bist eine Feindin. Schlimmer als Bassajew." Bassajew, der fundamentalistische Untergrundkämpfer, war zu diesem Zeitpunkt der meistgesuchte Mann in Russland. Er starb 2006. Politkovskaja setzt das Interview kommentarlos mit der nächsten Frage fort.
Alles, was in den letzten Jahren als Schlagzeile in Deutschland eintraf, kommt in dieser Chronik vor: die Wiederwahl Putins, der Tschetschenien-Krieg, die Revolution in Orange in der Ukraine, das Massaker an der von tschetschenischen Terroristen besetzten Schule in Beslan, der zu Tode gefolterte russische Soldat, der sich mit auf die Knochen wundgescheuerten Füßen weigerte, weiter in zu kleinen Schuhen zu marschieren. Den Opfern und deren Angehörigen gibt Politkovskaja ihre Stimme. Sie hält ihre Fragen fest, zum Beispiel die einer Mutter an den Staatsanwalt, warum bei der Befreiung des Moskauer Musicaltheaters im Jahr 2002 neben fünfzig tschetschenischen Rebellen fast doppelt so viele Geiseln getötet wurden, darunter ihre dreizehnjährige Tochter. Antwort: "Wenn ihr eine Million Dollar gekriegt hättet wie im Westen, wärt ihr alle sofort ruhig gewesen. Hättet noch ein bisschen geheult und wärt dann schön still gewesen."
Für Politkovskaja scheint es kein Leiden anderer gegeben zu haben; den Unterschied zwischen dem eigenen Wohl und dem Unglück anderer hob sie auf. Die Verletzung, das Unrecht, die Verachtung gegenüber Zweiten nahm sie persönlich. Dafür wurde sie auf die zweite Art, jemanden umzubringen, getötet: plötzlich, mit mehreren Schüssen in den Körper und einem letzten in den Kopf.
Warum ihr das eigene Leben nicht lieber war als das anderer, beantwortet die für den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels vorgeschlagene Politkovskaja in dem letzten Schriftstück des Buches: "Finale: Habe ich Angst?" Sie antwortet in beschämender Schlichtheit. Das Negative beiseite zu wischen, heißt es dort, und sich hinter der Betrachtung des Positiven zu verstecken, "ist in meinem Koordinatensystem die Position eines Pilzes, der sich unter einem großen Blatt verbirgt. Den Pilz wird man mit größter Wahrscheinlichkeit finden, abschneiden und aufessen - dem entgeht er nicht. Und deshalb kann man kein Pilz sein, wenn man als Mensch geboren ist." Kein Pilz sein. Dafür ließ sich Anna Politkovskaja erschießen.
JULIA VOSS
Anna Politkovskaja: "Russisches Tagebuch". Aus dem Russischen von Hannelore Umbreit und Alfred Frank. Dumont Verlag, Köln 2007. 458 S., geb., 24,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
"Das gleichermaßen funkelnde wie packende Vermächtnis der ermordeten russische Journalistin, die vor Putins entstehender Autokratie einfach nicht kuschen wollte."
WELT AM SONNTAG
"Das Buch kommt als nachgelassener Schrecken. Man liest es mit Frösteln. Was kann das für ein Text sein, der mit dem Leben bezahlt wurde? Wofür muss man in Moskau sterben?"
DIE ZEIT
"Während sich 2004 der Strick um freie Presse und Rechtssprechung immer enger zog, Politiker, Journalisten und Menschenrechtler verschwanden, bedroht wurde oder Asyl beantragten, während der damalige Bundeskanzler Gerhard Schröder in Machtumarmungstaumel Putin einen 'lupenreinen Demokraten' nannte, [...] blieb sie auf unerklärliche Weise: kaltschnäuzig, unbeeindruckt. Sie, die es besser wusste als jeder andere, dass sie unterlegen war, urteilte über die Mächtigen stets auf Augenhöhe - sogar mit Herablassung."
FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG
"Besonders die chronologische Struktur macht das 'Tagebuch' für ausländische Leser interessant: Weil die beschriebene Epoche so nah an der Gegenwart liegt, wirken Politkovskajas Kommentare vor dem Hintergrund der jüngeren Berichterstattung - und differenzieren das Gesamtbild dabei stärker, als es ihre früheren Bücher taten."
DER TAGESSPIEGEL
"Das 'Russische Tagebuch' kommt fast ganz ohne das Ich der Autorin aus. Minuziös werden die politischen Ereignisse notiert und in einem Inventar des Schreckens festgehalten. [...] Mit ihrem wachen Blick sah Anna Politkovskaja alles um sich herum, verlor sich dabei aber zuletzt selbst aus dem Blick."
NEUE ZÜRCHER ZEITUNG
"Das Tagebuch gleicht einem Horrorfilm aus dem Totenhaus des wieder als Großmacht auftretenden Russland. Thema dieses Buches sind die Erniedrigten und Beleidigten, Hungernden, Gefolterten und Rechtlosen, Männer und Frauen aus der Vorhölle Moskau oder aus dem stummen, frostklirrenden Grauen der kaukasischen und sibirischen Provinzen. [...] Das 'Russische Tagebuch' ist für uns eine politische Lehrstunde."
TAZ
"In ihrem Buch, das zwischen Dezember 2003 und September 2005 entstand, öffnet sie uns die Augen für menschliche Schicksale und politische Missstände in Putins Demokratur. Ihren Mut, die Verantwortlichen zu nennen, hat die Russin mit dem Leben bezahlt. Was wir tun können? Endlich ihre unbequemen Wahrheiten zur Kenntnis nehmen."
STERN
"Der Mord an Anna Poltkovskaja ist von absurder Tragik, weil ihr Tagebuch zeigt, wie leise und Machtlos die Stimme der Kritik in Russland geworden ist."
BUCHJOURNAL
"Sie war Anwältin der Opfer und hat die Täter beim Namen genannt. Dafür bezahlte Anna Politkovskaja mit dem Leben. [...] Wie niemand anderer hat sich Politkovskaja denjenigen Menschen in Russland gewidmet, die unter Gewalt und Willkür leiden."
TAGES-ANZEIGER
"Ein ebenso deprimierendes wie aufrüttelndes journalistisches Arbeitsdokument."
RHEINISCHER MERKUR
"'Russisches Tagebuch' ist en aufwühlendes Dokument, das seinen Leser nicht mehr loslässt. Ein Buch, das in Deutschland zur Pflichtlektüre erklärt werden sollte, insbesondere für Politiker - für Abgeordnete, Minister, Ministerpräsidenten und Kanzler - und die Spitzen der Wirtschaft.
MÜNCHNER MERKUR
"Die Texte dieser mutigen, ja obsessiven Frau, die den Schatten ihres Landes ausleuchtete, stossen im Westen auf weit mehr Resonanz als in Russland - wo ihr Tagebuch bisher nicht erschienen ist. Auch posthum bleibt Politkovkaja in ihrer Heimat Persona non grata. Ihr Tagebuch ist bestimmt für jene, die genau hinschauen wollen."
BERNER ZEITUNG
WELT AM SONNTAG
"Das Buch kommt als nachgelassener Schrecken. Man liest es mit Frösteln. Was kann das für ein Text sein, der mit dem Leben bezahlt wurde? Wofür muss man in Moskau sterben?"
DIE ZEIT
"Während sich 2004 der Strick um freie Presse und Rechtssprechung immer enger zog, Politiker, Journalisten und Menschenrechtler verschwanden, bedroht wurde oder Asyl beantragten, während der damalige Bundeskanzler Gerhard Schröder in Machtumarmungstaumel Putin einen 'lupenreinen Demokraten' nannte, [...] blieb sie auf unerklärliche Weise: kaltschnäuzig, unbeeindruckt. Sie, die es besser wusste als jeder andere, dass sie unterlegen war, urteilte über die Mächtigen stets auf Augenhöhe - sogar mit Herablassung."
FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG
"Besonders die chronologische Struktur macht das 'Tagebuch' für ausländische Leser interessant: Weil die beschriebene Epoche so nah an der Gegenwart liegt, wirken Politkovskajas Kommentare vor dem Hintergrund der jüngeren Berichterstattung - und differenzieren das Gesamtbild dabei stärker, als es ihre früheren Bücher taten."
DER TAGESSPIEGEL
"Das 'Russische Tagebuch' kommt fast ganz ohne das Ich der Autorin aus. Minuziös werden die politischen Ereignisse notiert und in einem Inventar des Schreckens festgehalten. [...] Mit ihrem wachen Blick sah Anna Politkovskaja alles um sich herum, verlor sich dabei aber zuletzt selbst aus dem Blick."
NEUE ZÜRCHER ZEITUNG
"Das Tagebuch gleicht einem Horrorfilm aus dem Totenhaus des wieder als Großmacht auftretenden Russland. Thema dieses Buches sind die Erniedrigten und Beleidigten, Hungernden, Gefolterten und Rechtlosen, Männer und Frauen aus der Vorhölle Moskau oder aus dem stummen, frostklirrenden Grauen der kaukasischen und sibirischen Provinzen. [...] Das 'Russische Tagebuch' ist für uns eine politische Lehrstunde."
TAZ
"In ihrem Buch, das zwischen Dezember 2003 und September 2005 entstand, öffnet sie uns die Augen für menschliche Schicksale und politische Missstände in Putins Demokratur. Ihren Mut, die Verantwortlichen zu nennen, hat die Russin mit dem Leben bezahlt. Was wir tun können? Endlich ihre unbequemen Wahrheiten zur Kenntnis nehmen."
STERN
"Der Mord an Anna Poltkovskaja ist von absurder Tragik, weil ihr Tagebuch zeigt, wie leise und Machtlos die Stimme der Kritik in Russland geworden ist."
BUCHJOURNAL
"Sie war Anwältin der Opfer und hat die Täter beim Namen genannt. Dafür bezahlte Anna Politkovskaja mit dem Leben. [...] Wie niemand anderer hat sich Politkovskaja denjenigen Menschen in Russland gewidmet, die unter Gewalt und Willkür leiden."
TAGES-ANZEIGER
"Ein ebenso deprimierendes wie aufrüttelndes journalistisches Arbeitsdokument."
RHEINISCHER MERKUR
"'Russisches Tagebuch' ist en aufwühlendes Dokument, das seinen Leser nicht mehr loslässt. Ein Buch, das in Deutschland zur Pflichtlektüre erklärt werden sollte, insbesondere für Politiker - für Abgeordnete, Minister, Ministerpräsidenten und Kanzler - und die Spitzen der Wirtschaft.
MÜNCHNER MERKUR
"Die Texte dieser mutigen, ja obsessiven Frau, die den Schatten ihres Landes ausleuchtete, stossen im Westen auf weit mehr Resonanz als in Russland - wo ihr Tagebuch bisher nicht erschienen ist. Auch posthum bleibt Politkovkaja in ihrer Heimat Persona non grata. Ihr Tagebuch ist bestimmt für jene, die genau hinschauen wollen."
BERNER ZEITUNG
Perlentaucher-Notiz zur FR-Rezension
Empörung sei ein wesentliches Merkmal des russischen Tagebuchs der ermordeten Anna Politkowskaja, sowohl gegen die Kälte von Putins Machtsystem als auch gegen eine sich in Rivalitäten neutralisierende Opposition. Rezensent Karl Grobe zufolge ist das Tagebuch eine "Pflichtlektüre" für alle Freunde der Demokratie, die es in Russland schon deshalb nicht gebe, weil die Bücher von Anna Politkowskaja in diesem Klima der Einschüchterung nicht erscheinen könnten. Putin selbst habe hier die entscheidende Vokabel geprägt: "Machtvertikale". Als Hauptthema der Politkowskaja nennt der Rezensent allerdings den Tschetschenienkrieg mit all seinen Auswirkungen auf das Leben in Russland. An Stelle einer neuen Mittelschicht habe sich in Russland eine neue Klasse von Eltern mit getöteten Kindern herausgebildet, zitiert der Rezensent die Autorin. Eine interessante "Spur" habe Politkowkaja auch mit ihren Notaten zum Präsidentschaftskandidaten Iwan Rybkin gelegt, der eine Zeit lang verschwunden gewesen sei. Auf traurige Weise bestätigt das Tagebuch für den Rezensenten, dass die "üblichen Analysen" zum heutigen Russland nicht umgeschrieben werden müssten.
© Perlentaucher Medien GmbH
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