Der Untergang eines Weltreichs
Die Hoffnungen, die sich mit Michail Gorbatschows Wahl zum Generalsekretär der KPdSU im März 1985 verbanden, waren gewaltig gewesen. Doch sein Versuch, mit einer neuen Politik der Offenheit (glasnost) und des demokratischen Umbaus (perestrojka) die wirtschaftliche Stagnation zu überwinden, scheiterte.
Dieses Buch schildert das entscheidende Jahr 1989. 1989 diskutierte der neue, so gut wie frei gewählte Volksdeputiertenkongress in Moskau die ungelösten Fragen der sowjetischen Außen- und Innen-, Umwelt-, Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik so offen wie nie zuvor, und ein Millionenpublikum verfolgte die direkt übertragenen Parlamentsdebatten an den Bildschirmen. Die blutigen Auseinandersetzungen zwischen den Nationalitäten, im Baltikum, in Moldawien, im Transkaukasus und in Mittelasien, erfassten dann das gesamte Land wie ein Flächenbrand. Und in Berlin fiel die Mauer - das Ende der kommunistischen Regime in Polen und Ungarn, der Tschechoslowakei, Bulgarien und Rumänien war gekommen. Am Ende dieses Jahres 1989 war die Sowjetunion nicht mehr, was sie über Jahrzehnte verkörperte, selbst wenn sie erst zwei Jahre später endgültig zerbrach. Mit ihr hatte sich Europa, die Welt verändert.
Die Hoffnungen, die sich mit Michail Gorbatschows Wahl zum Generalsekretär der KPdSU im März 1985 verbanden, waren gewaltig gewesen. Doch sein Versuch, mit einer neuen Politik der Offenheit (glasnost) und des demokratischen Umbaus (perestrojka) die wirtschaftliche Stagnation zu überwinden, scheiterte.
Dieses Buch schildert das entscheidende Jahr 1989. 1989 diskutierte der neue, so gut wie frei gewählte Volksdeputiertenkongress in Moskau die ungelösten Fragen der sowjetischen Außen- und Innen-, Umwelt-, Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik so offen wie nie zuvor, und ein Millionenpublikum verfolgte die direkt übertragenen Parlamentsdebatten an den Bildschirmen. Die blutigen Auseinandersetzungen zwischen den Nationalitäten, im Baltikum, in Moldawien, im Transkaukasus und in Mittelasien, erfassten dann das gesamte Land wie ein Flächenbrand. Und in Berlin fiel die Mauer - das Ende der kommunistischen Regime in Polen und Ungarn, der Tschechoslowakei, Bulgarien und Rumänien war gekommen. Am Ende dieses Jahres 1989 war die Sowjetunion nicht mehr, was sie über Jahrzehnte verkörperte, selbst wenn sie erst zwei Jahre später endgültig zerbrach. Mit ihr hatte sich Europa, die Welt verändert.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 19.10.2009Schlag nach bei Lenin?
Helmut Altrichter schildert den Untergang der Sowjetunion
Großes Einfühlungsvermögen und Liebe zum Detail zeichnen dieses Buch aus. Dabei ist Helmut Altrichter hoch anzurechnen, dass er einer naheliegenden Versuchung nicht erliegt: Die Geschichte von Untergängen verleitet Historiker zuweilen dazu, das der Nachwelt bekannte Ergebnis in die Erlebniswelt der Handelnden zu projizieren und alle Ereignisse als bloße Vorläufer des besagten Untergangs zu interpretieren. Zwar ist auch bei Altrichter indirekt von zwangsläufigen Entwicklungen die Rede. Aber die Verwerfungen, die der "Sozialismus" in der Volkswirtschaft der Sowjetunion hervorgerufen hatte, sind schon in zeitgenössischen Veröffentlichungen nachzulesen. Der Titel ist insofern ein wenig irreführend, als das Buch natürlich nicht nur vom Jahr 1989 handelt.
Die Schilderung all der Haupt- und Staatsaktionen, die auf die Ernennung Michail Gorbatschows zum Generalsekretär der KPdSU folgten, wird unterbrochen durch einen Ausflug in den sowjetischen Alltag. Dem Leser treten die deprimierenden Zustände im großen Reich außerhalb der städtischen Zentren plastisch gegenüber. Die Menschen mussten, jeder auf seine zum Teil sehr spezielle Art, mit den widrigen Umständen irgendwie fertig werden. Wer das liest, versteht mit einem Schlag eine ganze Menge über das Land und das System.
Wie konnte es nun aber passieren, dass die Supermacht Sowjetunion binnen weniger Jahre vergleichsweise sang- und klanglos in sich zusammenfiel? Diese Frage wird noch oft gestellt werden. Und die Antworten werden ungefähr so vielgestaltig ausfallen, wie die Probleme des Landes waren. Eine mögliche Erklärung ist in den dreißiger Jahren des 20. Jahrhunderts zu suchen. Stalin schritt zum Massaker an den "eigenen" Leuten, den Funktionären der Kommunistischen Partei. Die Überalterung der sowjetischen Führung in den achtziger Jahren war eine ungewollte Spätfolge dieses Terrors. Die Generation Leonid Breschnews und Andrej Gromykos hatte einen rasend schnellen Aufstieg erlebt, der unter normalen Umständen niemals so stattgefunden hätte. Die Generationen vor ihnen waren im Wortsinne "weggeschossen" worden. Die Umstände ihres Aufstiegs hatten bei den Nutznießern aber einen dermaßen heftigen Schock hervorgerufen, dass Breschnew in den sechziger Jahren seine Getreuen mit der Parole von der "Stabilität der Kader" um sich scharte. Konkret bedeutete das: Ablösung nur bei schwerwiegendem Fehlverhalten oder durch Tod. Und genauso präsentierte sich die ganze Sowjetunion, als Gorbatschow 1985 antrat. Die Vertreter der alten Zeit (auch die in der DDR) beruhigten sich anfangs noch mit dem Hinweis, es sei schließlich Gromyko gewesen, der den Neuen vorgeschlagen habe. Deshalb werde es auch mit diesem schon irgendwie weitergehen wie bis dahin.
Es kam anders. Der Reformer Gorbatschow sah sich schon bald mit Folgen seines Tuns konfrontiert, die er so ganz bestimmt nicht gewollt, die er auch nicht vorhergesehen hatte. Die Sowjetunion war nun einmal nur auf dem Papier eine "Union". Und die Appelle des Generalsekretärs, man sei doch schließlich "eine Familie", wirkten schon bald nur noch rührend, weil sich die einzelnen Teile des Reiches ihrer nationalen und kulturellen Traditionen besannen und daraus auch politische Schlüsse zu ziehen begannen. Erleichtert wurde ihnen das durch einschlägige Bestimmungen, die den Unionsrepubliken den Austritt aus dem Verbund erlaubten. Dies war in Wirklichkeit zwar nie so gemeint gewesen. Aber solche Irrtümer sollten der Sowjetregierung in den Jahren bis zum Zerfall des Landes viele unterlaufen. Die Reformer versuchten ihren konservativen Kritikern mit dem Hinweis entgegenzutreten, viele ihrer Vorhaben seien im Grunde schon von Gründungsvater Lenin geplant gewesen. Nur zeigte sich, dass es nicht reicht, Lenin beim Wort zu nehmen, wollte man sein Erbe retten.
Ein spannendes Buch zu einem hochinteressanten Thema - im Verlag hätte man freilich etwas genauer hinschauen können. Wenn zum Beispiel 1989 jemand in Litauen gegen einen Vertrag von 1941 protestiert, dann ist das eben nicht erst 38 Jahre her. Und nicht jede Person (Beispiel Juri Afanasjew) wird im ganzen Buch einheitlich geschrieben. Aber das Lesevergnügen leidet dadurch nicht.
PETER STURM
Helmut Altrichter. Russland 1989. Der Untergang des sowjetischen Imperiums. Verlag C. H. Beck, München 2009. 448 Seiten. 24,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Helmut Altrichter schildert den Untergang der Sowjetunion
Großes Einfühlungsvermögen und Liebe zum Detail zeichnen dieses Buch aus. Dabei ist Helmut Altrichter hoch anzurechnen, dass er einer naheliegenden Versuchung nicht erliegt: Die Geschichte von Untergängen verleitet Historiker zuweilen dazu, das der Nachwelt bekannte Ergebnis in die Erlebniswelt der Handelnden zu projizieren und alle Ereignisse als bloße Vorläufer des besagten Untergangs zu interpretieren. Zwar ist auch bei Altrichter indirekt von zwangsläufigen Entwicklungen die Rede. Aber die Verwerfungen, die der "Sozialismus" in der Volkswirtschaft der Sowjetunion hervorgerufen hatte, sind schon in zeitgenössischen Veröffentlichungen nachzulesen. Der Titel ist insofern ein wenig irreführend, als das Buch natürlich nicht nur vom Jahr 1989 handelt.
Die Schilderung all der Haupt- und Staatsaktionen, die auf die Ernennung Michail Gorbatschows zum Generalsekretär der KPdSU folgten, wird unterbrochen durch einen Ausflug in den sowjetischen Alltag. Dem Leser treten die deprimierenden Zustände im großen Reich außerhalb der städtischen Zentren plastisch gegenüber. Die Menschen mussten, jeder auf seine zum Teil sehr spezielle Art, mit den widrigen Umständen irgendwie fertig werden. Wer das liest, versteht mit einem Schlag eine ganze Menge über das Land und das System.
Wie konnte es nun aber passieren, dass die Supermacht Sowjetunion binnen weniger Jahre vergleichsweise sang- und klanglos in sich zusammenfiel? Diese Frage wird noch oft gestellt werden. Und die Antworten werden ungefähr so vielgestaltig ausfallen, wie die Probleme des Landes waren. Eine mögliche Erklärung ist in den dreißiger Jahren des 20. Jahrhunderts zu suchen. Stalin schritt zum Massaker an den "eigenen" Leuten, den Funktionären der Kommunistischen Partei. Die Überalterung der sowjetischen Führung in den achtziger Jahren war eine ungewollte Spätfolge dieses Terrors. Die Generation Leonid Breschnews und Andrej Gromykos hatte einen rasend schnellen Aufstieg erlebt, der unter normalen Umständen niemals so stattgefunden hätte. Die Generationen vor ihnen waren im Wortsinne "weggeschossen" worden. Die Umstände ihres Aufstiegs hatten bei den Nutznießern aber einen dermaßen heftigen Schock hervorgerufen, dass Breschnew in den sechziger Jahren seine Getreuen mit der Parole von der "Stabilität der Kader" um sich scharte. Konkret bedeutete das: Ablösung nur bei schwerwiegendem Fehlverhalten oder durch Tod. Und genauso präsentierte sich die ganze Sowjetunion, als Gorbatschow 1985 antrat. Die Vertreter der alten Zeit (auch die in der DDR) beruhigten sich anfangs noch mit dem Hinweis, es sei schließlich Gromyko gewesen, der den Neuen vorgeschlagen habe. Deshalb werde es auch mit diesem schon irgendwie weitergehen wie bis dahin.
Es kam anders. Der Reformer Gorbatschow sah sich schon bald mit Folgen seines Tuns konfrontiert, die er so ganz bestimmt nicht gewollt, die er auch nicht vorhergesehen hatte. Die Sowjetunion war nun einmal nur auf dem Papier eine "Union". Und die Appelle des Generalsekretärs, man sei doch schließlich "eine Familie", wirkten schon bald nur noch rührend, weil sich die einzelnen Teile des Reiches ihrer nationalen und kulturellen Traditionen besannen und daraus auch politische Schlüsse zu ziehen begannen. Erleichtert wurde ihnen das durch einschlägige Bestimmungen, die den Unionsrepubliken den Austritt aus dem Verbund erlaubten. Dies war in Wirklichkeit zwar nie so gemeint gewesen. Aber solche Irrtümer sollten der Sowjetregierung in den Jahren bis zum Zerfall des Landes viele unterlaufen. Die Reformer versuchten ihren konservativen Kritikern mit dem Hinweis entgegenzutreten, viele ihrer Vorhaben seien im Grunde schon von Gründungsvater Lenin geplant gewesen. Nur zeigte sich, dass es nicht reicht, Lenin beim Wort zu nehmen, wollte man sein Erbe retten.
Ein spannendes Buch zu einem hochinteressanten Thema - im Verlag hätte man freilich etwas genauer hinschauen können. Wenn zum Beispiel 1989 jemand in Litauen gegen einen Vertrag von 1941 protestiert, dann ist das eben nicht erst 38 Jahre her. Und nicht jede Person (Beispiel Juri Afanasjew) wird im ganzen Buch einheitlich geschrieben. Aber das Lesevergnügen leidet dadurch nicht.
PETER STURM
Helmut Altrichter. Russland 1989. Der Untergang des sowjetischen Imperiums. Verlag C. H. Beck, München 2009. 448 Seiten. 24,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main