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Russland befindet sich in einem fundamentalen Transformationsprozess. Seit dem Untergang der Weltmacht UdSSR hat das russische Volk gleich zwei Revolutionen erlebt: eine wirtschaftliche und eine gesellschaftliche. Beide sind noch unvollendet und werden Aufgabe weiterer Generationen sein.

Produktbeschreibung
Russland befindet sich in einem fundamentalen Transformationsprozess. Seit dem Untergang der Weltmacht UdSSR hat das russische Volk gleich zwei Revolutionen erlebt: eine wirtschaftliche und eine gesellschaftliche. Beide sind noch unvollendet und werden Aufgabe weiterer Generationen sein.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 12.01.2006

Moskau als Nato-Mitglied?
Rußlands Beziehungen zum Westen und Putins Alleinherrschaft

Wer das Ende der Sowjetunion nicht bedauert, hat kein Herz, wer sie wiederherstellen will, hat keinen Verstand. Was in Moskau bereits zur Redewendung geworden war, bevor Wladimir Putin sich diese nach seiner ersten Wahl zum Präsidenten im Frühjahr 2000 ausdrücklich zu eigen machte, zieht sich wie ein roter, analytisch gesponnener Faden durch dieses Buch. Daß sein Autor aus dem Untergang des östlichen Imperiums zugleich das Ende Eurasiens ableitet und sogar zu dem Schluß kommt, um des schieren Überlebens willen müsse sich Rußland nachgerade neu erfinden, ist freilich keineswegs einer übermäßig gefühlsbetonten Behandlung dieses Themas zuzuschreiben. Dmitri Trenin - anerkannter Sicherheitsfachmann mit militärischem Hintergrund und einer der führenden Köpfe des Carnegie Moscow Center - wartet vielmehr mit einer ausgesprochen pragmatischen, wenngleich nicht phantasielosen Einschätzung der Lage des postsowjetischen Rußlands auf seiner Suche nach nationaler Identität und internationaler Orientierung auf.

Geographisch betrachtet, ist das Land, das sich von der südlichen Ostseeküste bis zur Beringstraße über immerhin elf Zeitzonen erstreckt, eine Großmacht geblieben. Vergleicht man damit sein wirtschaftliches Gewicht und den Zustand seiner Streitkräfte, vom "niedrigen Sozialstatus", wie Trenin schreibt, nicht zu reden, dann tun sich freilich Diskrepanzen auf, die dem Großmachtdenken der Russen eben doch zu schaffen machen. Das mag zugleich erklären, daß die Vorstellung von einer "Slawischen Union" Rußlands mit Weißrußland und der Ukraine im Kernland der einstigen Sowjetunion immer noch viele Anhänger hat.

Dieses Wunschdenken - mehr kann es wohl kaum sein - zeigt sich ebenso darin, daß "die Mehrheit der russischen politischen Elite" nach Darstellung des Autors mit Blick auf nationale Sicherheitsinteressen der Meinung ist, die desolate postsowjetische Gemeinschaft Unabhängiger Staaten (GUS) habe als Pufferzone unter Moskauer Aufsicht zu dienen. Zwar schließt auch Trenin nicht aus, daß sein Land selbst auf die transkaukasischen und die zentralasiatischen Nachfolgestaaten der Sowjetunion anziehend wirken könnte, "sollte sich irgendwann ein wirtschaftlicher Erfolg Rußlands einstellen". Doch nur dann: "Ansonsten sind Bündnisse der Armen und Mittellosen selten."

Das Ende des sowjetischen Imperiums wurde nach dieser Beschreibung, die mehr noch in Kabul als in Moskau selbst zu hören ist, am 15. März 1989 - genauer: am 15. Februar jenes Jahres - eingeläutet, als die letzten sowjetischen Soldaten Afghanistan verließen und damit "die offizielle Anerkennung der ersten bedeutenden politisch-militärischen Niederlage der UdSSR seit dem Zweiten Weltkrieg" besiegelten. Doch wie auch immer: Jedenfalls war es weniger als drei Jahre später um die Sowjetunion schlechthin geschehen, nachdem ein Putschversuch die Bemühungen Gorbatschows zunichte gemacht hatte, mit Hilfe eines neuen Unionsvertrags die Sowjetunion in eine Konföderation umzugestalten. Mit dem Rückblick hält sich Trenin nicht lange auf. Seine Fragen lauten: Wie steht Rußland heute da? Wo liegt seine Zukunft?

Sollte die von Putin mit Vehemenz betriebene Zentralisierungspolitik die Regionen als Machtfaktor mehr und mehr ausschalten, werden nach Meinung des Autors die Aussichten für eine wirtschaftliche Normalisierung, den Aufbau einer Bürgergesellschaft und die Demokratisierung in Rußland "sehr düster" bleiben. Ebenso warnt er davor, die slawische Volkszugehörigkeit und die religiöse Orthodoxie als Grundlage einer neuen russischen Identität zu betrachten, weil dann die Einheit des Landes nicht einmal mehr über den Nordkaukasus hinaus zu gewährleisten sei. Ohnehin ist der Nordkaukasus mit Tschetschenien an der Spitze längst zu einem ethnischen und separatistischen Konfliktherd sondergleichen geworden, wo es für Rußland nicht zuletzt um seine Beziehungen zur muslimischen Welt an seiner Peripherie als auch innerhalb seiner Grenzen geht.

Doch so ernst die Gefahr aus dem Süden auch sein mag: Für Trenin zeichnet sich das größte geopolitische Problem Rußlands in Sibirien und seinem Fernen Osten insgesamt ab. Angesichts des dortigen Zerfalls der Infrastruktur schließt der Autor nicht aus, daß Rußland am Ende "drei Viertel" seines Territoriums östlich des Urals verlustig gehen könnte. Schon jetzt sieht er das riesige, sehr dünn besiedelte Gebiet mit seinen reichen Bodenschätzen mehr und mehr zum Objekt "internationaler Begehrlichkeiten" werden. Gemeint ist China. Abgesehen davon, daß für die Grenzprovinzen im russischen Fernen Osten vom Reich der Mitte ein wachsender wirtschaftlicher Sog ausgeht, haben sich in aller Stille mehr und mehr Chinesen bereits auf russischer Seite niedergelassen. Trenin nennt keine Zahlen. Nach übereinstimmenden Schätzungen in Moskau sollen es allerdings schon um die acht Millionen illegale Siedler sein, die dort nicht nur Handel treiben, sondern zudem ehemalige Kolchosen und Sowchosen angeblich recht einträglich bewirtschaften. Das gibt dem Autor, der hier an ein delikates Thema rührt, immerhin dermaßen zu denken, daß er die künftige Entwicklung dort für eine Schicksalsfrage Rußlands hält.

Um so entschiedener fällt sein Plädoyer für eine stärkere Hinwendung zu Europa aus, zumal er "Rußland-Eurasien" für untergegangen hält. Das nationale Sicherheitsinteresse Rußlands gebiete eine "umfassende Entmilitarisierung" seiner Beziehungen zum Westen, schreibt Trenin. "Irgendwann" werde Moskau ernsthaft darüber nachdenken müssen, "die Nato-Mitgliedschaft zu beantragen". Schließlich habe man es im Westen mit einem sich zunehmend vereinigenden Europa zu tun, "das für die Integration Rußlands wie geschaffen ist". Blicke man hingegen nach Süden oder Osten, so befinde sich Rußland dort in einer höchst unbequemen Lage.

Der Autor hegt allerdings erhebliche Zweifel, daß Putin, den er nicht von ungefähr für einen zur Alleinherrschaft neigenden "modernen Zaren" hält, über die nötige Weitsicht verfügen könnte. Denn: Ein bedeutendes professionelles Handikap der gegenwärtig mehr oder minder Mächtigen im Kreml sei ihr verzerrtes Weltbild. Da der Präsident und seine Vertrauten jahrzehntelang für die Sicherheitsorgane - lies: KGB - gearbeitet hätten, seien sie nun einmal nicht von der Vorstellung abzubringen, daß die Welt in ihrer Gesamtheit von "genialen Verschwörern" gelenkt werde.

WERNER ADAM

Dmitri Trenin: Rußland - Die gestrandete Weltmacht. Neue Strategien und die Wende zum Westen. Murmann Verlag, Hamburg 2005. 350 S., 24,90 [Euro].

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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

" Ausgesprochen pragmatisch und trotzdem fantasiereich findet Rezensent Werner Adam die in diesem Band vorgenommenen Einschätzungen des postsowjetischen Russland und seinem Plädoyer für eine Hinwendung Russlands nach Europa. Der Autor, vom Rezensenten als "anerkannter Sicherheitsfachmann mit militärischem Hintergrund" vorgestellt, rühre immer wieder an wunde Punkte und stoße recht umstandslos Fragen nach Russlands Gegenwart und Zukunft an. In diesem Kontext stelle er dem amtierenden Präsidenten Putin eher schlechte Zeugnisse aus. Und zwar sowohl aus wirtschaftlicher wie auch aus außen- und innenpolitischer Sicht. In allen Bereichen sehe der Autor Putins exsowjetische Zentralisierungspolitik und sein Machtstreben einer gesunden Zukunft Russlands, dem Aufbau einer Zivilgesellschaft und wirtschaftlicher Normalisierung im Wege stehen. Als "größtes geopolitisches Problem" fand der Rezensent den Zerfall der Infrastruktur im russischen Fernen Osten beschrieben. Hier sehe Dimitri Trenin Kriegsgefahr mit China, da von dessen wachsender Wirtschaftsmacht erheblicher Sog auf die verarmenden russischen Grenzprovinzen ausgehe, was langfristig zum Verlust von drei Viertel russischen Territoriums führen könne.

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